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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Wasserralle.
schneller, und wenn sie in vollen Lauf geräth, ist sie in wenigen Augenblicken dem Beobachter
entschwunden und hat sich auf weithin entfernt. "So zierlich und behend sie einherschreitet", fährt Nau-
mann
fort, "so schnell und leicht sie über Alles hinwegrennt, was ihr nicht erlaubt, darunter wegzu-
kriechen, wie über flüssigen Schlamm, über schwimmende Blätter und Stengel, über aufliegende, dichte
Zweige, so behend schlüpft sie auch durch die engen Zwischenräume und Gäßchen, welche die Halme und
Stengel der dicht stehenden Sumpfpflanzen bilden. Hierbei kommt dem Vogel sein schmaler Körper
so außerordentlich zu statten, daß er sogar in dichten Schilfgräsern fast nie anstößt und die Richtung
seines Laufes niemals durch die Bewegung der Halme und dergleichen zu erkennen gibt. Wer ihn
in solchen Lagen zufällig überrascht, wird eher der Meinung sein, eine Ratte dahinlaufen und ebenso
schnell verschwinden gesehen zu haben als einen Vogel. Jst man zufällig und ohne Geräusch an den
Aufenthaltsort gekommen und verhält man sich auf längere Zeit ganz still, so kann man zuweilen
das Vergnügen haben, seinem stillen, geschäftigen Treiben ganz in der Nähe zuzuschauen. Es sind
uns selbst Fälle bekannt, daß der harmlose Vogel wenige Schritte von den Füßen des stillstehenden
und sitzenden Lauschers ohne Scheu seinem Geschäfte nachging, als wenn er diesen gar nicht sähe oder
für ein lebloses Geschöpf hielt. Dann zeigt sich die Ralle auch in den lieblichsten Stellungen und
Bewegungen, zumal wenn sie endlich anfängt, Verdacht zu schöpfen, sich schlanker macht, lebhaft mit
dem Schwanze wippt und sich anschickt, in das Verborgene sich zurückzuziehen. Sie schwimmt mit
Leichtigkeit und Anmuth, auch ohne Zwang, geht deshalb den tieferen Stellen des Sumpfes, auf
denen ihre Beine den Grund nicht mehr erreichen, nicht aus dem Wege, vermeidet aber stets, über
etwas große, freie Flächen zu schwimmen. Wird sie dabei überrascht, so flieht sie schnell halb fliegend,
halb laufend über die Wasserfläche hin, dem nächsten Dickicht zu. Heftig verfolgt und in höchster
Noth, sucht sie auf tieferem Wasser sich auch wohl durch Untertauchen zu retten." Jhr Flug ist
schlecht, anstrengend, erfordert starke Schwingenschläge, geschieht niedrig und nie weit in einem Zuge.
Sie streckt dabei die Flügel weit von sich und bewegt sie in kurzen, zappelnden Schlägen, sodaß es
aussieht, als ob eine Fledermaus dahinflöge. Während des Sommers macht sie übrigens nur, wenn
ihr die Gefahr auf den Leib kommt, vom Fliegen Gebrauch; dann aber kann es geschehen, daß sie sich
unsinniger Weise mitten im freien Felde oder sogar auf Bäumen niederläßt. Die gewöhnliche Lock-
stimme, welche man abends am häufigsten vernimmt, ist ein scharfer Pfiff, welcher, wie mein Vater
sagt, klingt, als ob Jemand eine Ruthe schnell durch die Luft schwinge, also durch die Silbe "Wuitt"
ausgedrückt werden kann. Jm Fluge, namentlich während der Wanderung, vernimmt man ein hohes,
schneidendes, aber angenehm klingendes "Kriek" oder "Kriep".

Die Ralle gehört nicht zu den geistig begabten Arten ihrer Familie, obwohl man immerhin noch
einen gewissen Grad von Verstand bei ihr bemerkt. Naumann sagt, daß sie bei dem unwider-
stehlichen Hange, sich den Augen ihres Verfolgers, namentlich des Menschen, zu entziehen, viel List
und Verschlagenheit zeige, ihr das immerwährende Versteckenspielen zur anderen Natur geworden sei,
und sie, darauf fest vertrauend, des Menschen, welcher sich still verhält, gar nicht achte; andere
Beobachter bemerken, daß sie, sobald etwas Ungewöhnliches über sie kommt, jederzeit die Besinnung
verliert und sich förmliche Thorheiten zu Schulden kommen läßt. "Ein Bekannter von mir", erzählt
mein Vater, "traf jagend in einer kleinen Schilfstrecke eine Wasserralle an, welche durch Laufen zu
entkommen suchte. Er schoß nach ihr, fehlte sie aber gänzlich. Jetzt flog sie auf und fiel nicht weit
davon auf einem Acker nieder. Der Jäger ging ihr nach, eilte auf sie zu, holte sie ein und ergriff sie
ohne Umstände mit der Hand. Jch stopfte sie später aus, und fand nicht die geringste Verletzung an
ihr. Drei andere meiner Sammlung sind ebenfalls mit der Hand ergriffen worden. Die Wasser-
ralle, welche immer so versteckt lebt und durch das Schilf geborgen ist, scheint wirklich, wenn sie auf
einem freien Platze durch einen Menschen überrascht wird, von einem wahren Entsetzen ergriffen zu
werden und so die Fassung zu verlieren, daß sie vergißt, das Fliegen zu versuchen. Sie könnte sich
gewöhnlich vor den sie verfolgenden Menschen retten; aber in der Ungewißheit, was sie beginnen soll,
geht sie zu Grunde." Mit Jhresgleichen macht sie sich wenig zu schaffen, scheint vielmehr zu den

Waſſerralle.
ſchneller, und wenn ſie in vollen Lauf geräth, iſt ſie in wenigen Augenblicken dem Beobachter
entſchwunden und hat ſich auf weithin entfernt. „So zierlich und behend ſie einherſchreitet“, fährt Nau-
mann
fort, „ſo ſchnell und leicht ſie über Alles hinwegrennt, was ihr nicht erlaubt, darunter wegzu-
kriechen, wie über flüſſigen Schlamm, über ſchwimmende Blätter und Stengel, über aufliegende, dichte
Zweige, ſo behend ſchlüpft ſie auch durch die engen Zwiſchenräume und Gäßchen, welche die Halme und
Stengel der dicht ſtehenden Sumpfpflanzen bilden. Hierbei kommt dem Vogel ſein ſchmaler Körper
ſo außerordentlich zu ſtatten, daß er ſogar in dichten Schilfgräſern faſt nie anſtößt und die Richtung
ſeines Laufes niemals durch die Bewegung der Halme und dergleichen zu erkennen gibt. Wer ihn
in ſolchen Lagen zufällig überraſcht, wird eher der Meinung ſein, eine Ratte dahinlaufen und ebenſo
ſchnell verſchwinden geſehen zu haben als einen Vogel. Jſt man zufällig und ohne Geräuſch an den
Aufenthaltsort gekommen und verhält man ſich auf längere Zeit ganz ſtill, ſo kann man zuweilen
das Vergnügen haben, ſeinem ſtillen, geſchäftigen Treiben ganz in der Nähe zuzuſchauen. Es ſind
uns ſelbſt Fälle bekannt, daß der harmloſe Vogel wenige Schritte von den Füßen des ſtillſtehenden
und ſitzenden Lauſchers ohne Scheu ſeinem Geſchäfte nachging, als wenn er dieſen gar nicht ſähe oder
für ein lebloſes Geſchöpf hielt. Dann zeigt ſich die Ralle auch in den lieblichſten Stellungen und
Bewegungen, zumal wenn ſie endlich anfängt, Verdacht zu ſchöpfen, ſich ſchlanker macht, lebhaft mit
dem Schwanze wippt und ſich anſchickt, in das Verborgene ſich zurückzuziehen. Sie ſchwimmt mit
Leichtigkeit und Anmuth, auch ohne Zwang, geht deshalb den tieferen Stellen des Sumpfes, auf
denen ihre Beine den Grund nicht mehr erreichen, nicht aus dem Wege, vermeidet aber ſtets, über
etwas große, freie Flächen zu ſchwimmen. Wird ſie dabei überraſcht, ſo flieht ſie ſchnell halb fliegend,
halb laufend über die Waſſerfläche hin, dem nächſten Dickicht zu. Heftig verfolgt und in höchſter
Noth, ſucht ſie auf tieferem Waſſer ſich auch wohl durch Untertauchen zu retten.“ Jhr Flug iſt
ſchlecht, anſtrengend, erfordert ſtarke Schwingenſchläge, geſchieht niedrig und nie weit in einem Zuge.
Sie ſtreckt dabei die Flügel weit von ſich und bewegt ſie in kurzen, zappelnden Schlägen, ſodaß es
ausſieht, als ob eine Fledermaus dahinflöge. Während des Sommers macht ſie übrigens nur, wenn
ihr die Gefahr auf den Leib kommt, vom Fliegen Gebrauch; dann aber kann es geſchehen, daß ſie ſich
unſinniger Weiſe mitten im freien Felde oder ſogar auf Bäumen niederläßt. Die gewöhnliche Lock-
ſtimme, welche man abends am häufigſten vernimmt, iſt ein ſcharfer Pfiff, welcher, wie mein Vater
ſagt, klingt, als ob Jemand eine Ruthe ſchnell durch die Luft ſchwinge, alſo durch die Silbe „Wuitt“
ausgedrückt werden kann. Jm Fluge, namentlich während der Wanderung, vernimmt man ein hohes,
ſchneidendes, aber angenehm klingendes „Kriek“ oder „Kriep“.

Die Ralle gehört nicht zu den geiſtig begabten Arten ihrer Familie, obwohl man immerhin noch
einen gewiſſen Grad von Verſtand bei ihr bemerkt. Naumann ſagt, daß ſie bei dem unwider-
ſtehlichen Hange, ſich den Augen ihres Verfolgers, namentlich des Menſchen, zu entziehen, viel Liſt
und Verſchlagenheit zeige, ihr das immerwährende Verſteckenſpielen zur anderen Natur geworden ſei,
und ſie, darauf feſt vertrauend, des Menſchen, welcher ſich ſtill verhält, gar nicht achte; andere
Beobachter bemerken, daß ſie, ſobald etwas Ungewöhnliches über ſie kommt, jederzeit die Beſinnung
verliert und ſich förmliche Thorheiten zu Schulden kommen läßt. „Ein Bekannter von mir“, erzählt
mein Vater, „traf jagend in einer kleinen Schilfſtrecke eine Waſſerralle an, welche durch Laufen zu
entkommen ſuchte. Er ſchoß nach ihr, fehlte ſie aber gänzlich. Jetzt flog ſie auf und fiel nicht weit
davon auf einem Acker nieder. Der Jäger ging ihr nach, eilte auf ſie zu, holte ſie ein und ergriff ſie
ohne Umſtände mit der Hand. Jch ſtopfte ſie ſpäter aus, und fand nicht die geringſte Verletzung an
ihr. Drei andere meiner Sammlung ſind ebenfalls mit der Hand ergriffen worden. Die Waſſer-
ralle, welche immer ſo verſteckt lebt und durch das Schilf geborgen iſt, ſcheint wirklich, wenn ſie auf
einem freien Platze durch einen Menſchen überraſcht wird, von einem wahren Entſetzen ergriffen zu
werden und ſo die Faſſung zu verlieren, daß ſie vergißt, das Fliegen zu verſuchen. Sie könnte ſich
gewöhnlich vor den ſie verfolgenden Menſchen retten; aber in der Ungewißheit, was ſie beginnen ſoll,
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[745/0791] Waſſerralle. ſchneller, und wenn ſie in vollen Lauf geräth, iſt ſie in wenigen Augenblicken dem Beobachter entſchwunden und hat ſich auf weithin entfernt. „So zierlich und behend ſie einherſchreitet“, fährt Nau- mann fort, „ſo ſchnell und leicht ſie über Alles hinwegrennt, was ihr nicht erlaubt, darunter wegzu- kriechen, wie über flüſſigen Schlamm, über ſchwimmende Blätter und Stengel, über aufliegende, dichte Zweige, ſo behend ſchlüpft ſie auch durch die engen Zwiſchenräume und Gäßchen, welche die Halme und Stengel der dicht ſtehenden Sumpfpflanzen bilden. Hierbei kommt dem Vogel ſein ſchmaler Körper ſo außerordentlich zu ſtatten, daß er ſogar in dichten Schilfgräſern faſt nie anſtößt und die Richtung ſeines Laufes niemals durch die Bewegung der Halme und dergleichen zu erkennen gibt. Wer ihn in ſolchen Lagen zufällig überraſcht, wird eher der Meinung ſein, eine Ratte dahinlaufen und ebenſo ſchnell verſchwinden geſehen zu haben als einen Vogel. Jſt man zufällig und ohne Geräuſch an den Aufenthaltsort gekommen und verhält man ſich auf längere Zeit ganz ſtill, ſo kann man zuweilen das Vergnügen haben, ſeinem ſtillen, geſchäftigen Treiben ganz in der Nähe zuzuſchauen. Es ſind uns ſelbſt Fälle bekannt, daß der harmloſe Vogel wenige Schritte von den Füßen des ſtillſtehenden und ſitzenden Lauſchers ohne Scheu ſeinem Geſchäfte nachging, als wenn er dieſen gar nicht ſähe oder für ein lebloſes Geſchöpf hielt. Dann zeigt ſich die Ralle auch in den lieblichſten Stellungen und Bewegungen, zumal wenn ſie endlich anfängt, Verdacht zu ſchöpfen, ſich ſchlanker macht, lebhaft mit dem Schwanze wippt und ſich anſchickt, in das Verborgene ſich zurückzuziehen. Sie ſchwimmt mit Leichtigkeit und Anmuth, auch ohne Zwang, geht deshalb den tieferen Stellen des Sumpfes, auf denen ihre Beine den Grund nicht mehr erreichen, nicht aus dem Wege, vermeidet aber ſtets, über etwas große, freie Flächen zu ſchwimmen. Wird ſie dabei überraſcht, ſo flieht ſie ſchnell halb fliegend, halb laufend über die Waſſerfläche hin, dem nächſten Dickicht zu. Heftig verfolgt und in höchſter Noth, ſucht ſie auf tieferem Waſſer ſich auch wohl durch Untertauchen zu retten.“ Jhr Flug iſt ſchlecht, anſtrengend, erfordert ſtarke Schwingenſchläge, geſchieht niedrig und nie weit in einem Zuge. Sie ſtreckt dabei die Flügel weit von ſich und bewegt ſie in kurzen, zappelnden Schlägen, ſodaß es ausſieht, als ob eine Fledermaus dahinflöge. Während des Sommers macht ſie übrigens nur, wenn ihr die Gefahr auf den Leib kommt, vom Fliegen Gebrauch; dann aber kann es geſchehen, daß ſie ſich unſinniger Weiſe mitten im freien Felde oder ſogar auf Bäumen niederläßt. Die gewöhnliche Lock- ſtimme, welche man abends am häufigſten vernimmt, iſt ein ſcharfer Pfiff, welcher, wie mein Vater ſagt, klingt, als ob Jemand eine Ruthe ſchnell durch die Luft ſchwinge, alſo durch die Silbe „Wuitt“ ausgedrückt werden kann. Jm Fluge, namentlich während der Wanderung, vernimmt man ein hohes, ſchneidendes, aber angenehm klingendes „Kriek“ oder „Kriep“. Die Ralle gehört nicht zu den geiſtig begabten Arten ihrer Familie, obwohl man immerhin noch einen gewiſſen Grad von Verſtand bei ihr bemerkt. Naumann ſagt, daß ſie bei dem unwider- ſtehlichen Hange, ſich den Augen ihres Verfolgers, namentlich des Menſchen, zu entziehen, viel Liſt und Verſchlagenheit zeige, ihr das immerwährende Verſteckenſpielen zur anderen Natur geworden ſei, und ſie, darauf feſt vertrauend, des Menſchen, welcher ſich ſtill verhält, gar nicht achte; andere Beobachter bemerken, daß ſie, ſobald etwas Ungewöhnliches über ſie kommt, jederzeit die Beſinnung verliert und ſich förmliche Thorheiten zu Schulden kommen läßt. „Ein Bekannter von mir“, erzählt mein Vater, „traf jagend in einer kleinen Schilfſtrecke eine Waſſerralle an, welche durch Laufen zu entkommen ſuchte. Er ſchoß nach ihr, fehlte ſie aber gänzlich. Jetzt flog ſie auf und fiel nicht weit davon auf einem Acker nieder. Der Jäger ging ihr nach, eilte auf ſie zu, holte ſie ein und ergriff ſie ohne Umſtände mit der Hand. Jch ſtopfte ſie ſpäter aus, und fand nicht die geringſte Verletzung an ihr. Drei andere meiner Sammlung ſind ebenfalls mit der Hand ergriffen worden. Die Waſſer- ralle, welche immer ſo verſteckt lebt und durch das Schilf geborgen iſt, ſcheint wirklich, wenn ſie auf einem freien Platze durch einen Menſchen überraſcht wird, von einem wahren Entſetzen ergriffen zu werden und ſo die Faſſung zu verlieren, daß ſie vergißt, das Fliegen zu verſuchen. Sie könnte ſich gewöhnlich vor den ſie verfolgenden Menſchen retten; aber in der Ungewißheit, was ſie beginnen ſoll, geht ſie zu Grunde.“ Mit Jhresgleichen macht ſie ſich wenig zu ſchaffen, ſcheint vielmehr zu den

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 745. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/791>, abgerufen am 22.11.2024.