ihres Wesens und ihre erstaunliche Klugheit. Es hält nicht schwer, sie zum Aus- und Einfliegen zu gewöhnen und ebenso, sie in der Gefangenschaft zur Fortpflanzung zu bringen. Jn Japan und China gilt einer der dort vorkommenden Kraniche als heiliger oder mindestens als allgemein geachteter Vogel, unzweifelhaft nur seiner ansprechenden Eigenschaften halber.
Der Kranich (Grus einerea), für uns das Urbild der Familie und der Vertreter einer Sippe, deren Kennzeichen in dem blos theilweise nackten Kopfe, den verlängerten und gekräuselten Oberflügel- deckfedern zu suchen sind, ist aschgrau, in der Kehlgegend und auf dem Vorderscheitel schwarz, an den Halsseiten weißlich; die Schwungfedern sind schwarz. Das Auge ist braunroth, der Schnabel an der Wurzel röthlich, an der Spitze schwarzgrün, der Fuß schwärzlich. Die Länge beträgt 41/2, die Breite 73/4, die Fittiglänge 25, die Schwanzlänge 8 Zoll.
Der Norden der alten Welt, von dem Osten Mittelsibiriens an bis nach Skandinavien sind die Heimat des Kranichs; vonhieraus wandert er durch China bis Siam und Jndien oder bis Mittel- und Westafrika. Er erscheint nach meinen Beobachtungen im Sudahn scharenweise im Oktober und bezieht hier größere Sandbänke in den Strömen, welche über den Wasserspiegel hervorragen. Diese Jnseln bilden seine Standplätze während des Winters; er verläßt sie nur dann, wenn sie sich zu Halbinseln umwandeln. Jn Jndien erscheint er ebenfalls zur selben Zeit in großer Anzahl und bewohnt ganz ähnliche Oertlichkeiten. Durch Deutschland sieht man ihn Anfangs Oktober und Ende März in hoher Luft seines Weges dahinziehen, regelmäßig in zahlreichen Gesellschaften, welche die Keilordnung streng einhalten und nur zuweilen kreisend in wirre Flüge sich auflösen, vielleicht auch hier und da zum Boden herabsenken, um sich zu äßen, nirgends aber längere Zeit aufhalten, sondern so eilig als möglich ihres Weges weiter fliegen. Diese Züge halten eine gewisse Richtung, vor Allem die bekannten Heerstraßen der Vögel, alljährlich ein und lassen sich nur durch ungewöhnliche Erscheinungen ablenken: so beobachtete mein Vater, daß eine Kranichherde durch das brennende Dorf Ernstroda in Thüringen herbeigezogen wurde und längere Zeit über den Flammen kreiste, durch lautes Geschrei das Rufen der Arbeiter, das Heulen der Abgebrannten, das Brüllen des Viehs, das Prasseln des Feuers und das Krachen der Gebäude noch übertönte und in der Seele des damaligen Knaben einen Eindruck zurück- ließ, welcher vor dem geistigen Auge des Greises noch in voller Frische stand. Die Wanderscharen reisen auch zu jeder Tageszeit; man sieht sie von den Vormittagsstunden an bis zum Abend und hört sie zu jeder Stunde der Nacht, muß also annehmen, daß sie blos nach ihrer Frühmahlzeit ein Wenig ruhen. Auf dem Zuge nach Norden sammeln sie sich an gewissen Stellen, beispielsweise auf Strand- inseln, zu größeren Scharen an und fliegen von diesen aus über das Meer hinweg. Vor dem Herbst- zuge gesellen sie sich, wie die Störche, auf bestimmten Oertlichkeiten, von welchen sie sich eines Tages unter großem Geschrei erheben. Wenn man im Ost-Sudahn zur Zeit ihrer Ankunft einen der Ströme bereist, sieht man sie oder hört man ihr lautes Geschrei bei Tage und Nacht. Angelangt in der Herberge, welche sie während des Winters bewohnen sollen, senken sie sich tief herab und suchen nun nach einer ihren Anforderungen entsprechenden und von anderen Wanderscharen noch nicht besetzten Jnsel.
Solange der Aufenthalt in der Fremde währt, halten sie sich stets in zahlreichen Massen zusammen und nehmen auch verwandte Arten unter sich auf, in Afrika z. B. die Jungfernkraniche, in Jndien den Kranich der Antigone, in Südchina und Siam diesen, den weißnackigen und den Schneekranich u. s. w. Mit diesen fliegen sie gemeinsam allmorgentlich nach den Feldern hinaus, um hier Nahrung zu suchen, kehren in den Vormittagsstunden zurück und verweilen nun Tag und Nacht auf den Jnseln, zeitweilig mit verschiedenen Spielen sich vergnügend und beständig im Gefieder putzend und ordnend, da die jetzt stattfindende Mauser eine derartige Sorgfalt nöthig macht. Scharen-
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Kranich.
ihres Weſens und ihre erſtaunliche Klugheit. Es hält nicht ſchwer, ſie zum Aus- und Einfliegen zu gewöhnen und ebenſo, ſie in der Gefangenſchaft zur Fortpflanzung zu bringen. Jn Japan und China gilt einer der dort vorkommenden Kraniche als heiliger oder mindeſtens als allgemein geachteter Vogel, unzweifelhaft nur ſeiner anſprechenden Eigenſchaften halber.
Der Kranich (Grus einerea), für uns das Urbild der Familie und der Vertreter einer Sippe, deren Kennzeichen in dem blos theilweiſe nackten Kopfe, den verlängerten und gekräuſelten Oberflügel- deckfedern zu ſuchen ſind, iſt aſchgrau, in der Kehlgegend und auf dem Vorderſcheitel ſchwarz, an den Halsſeiten weißlich; die Schwungfedern ſind ſchwarz. Das Auge iſt braunroth, der Schnabel an der Wurzel röthlich, an der Spitze ſchwarzgrün, der Fuß ſchwärzlich. Die Länge beträgt 4½, die Breite 7¾, die Fittiglänge 25, die Schwanzlänge 8 Zoll.
Der Norden der alten Welt, von dem Oſten Mittelſibiriens an bis nach Skandinavien ſind die Heimat des Kranichs; vonhieraus wandert er durch China bis Siam und Jndien oder bis Mittel- und Weſtafrika. Er erſcheint nach meinen Beobachtungen im Sudahn ſcharenweiſe im Oktober und bezieht hier größere Sandbänke in den Strömen, welche über den Waſſerſpiegel hervorragen. Dieſe Jnſeln bilden ſeine Standplätze während des Winters; er verläßt ſie nur dann, wenn ſie ſich zu Halbinſeln umwandeln. Jn Jndien erſcheint er ebenfalls zur ſelben Zeit in großer Anzahl und bewohnt ganz ähnliche Oertlichkeiten. Durch Deutſchland ſieht man ihn Anfangs Oktober und Ende März in hoher Luft ſeines Weges dahinziehen, regelmäßig in zahlreichen Geſellſchaften, welche die Keilordnung ſtreng einhalten und nur zuweilen kreiſend in wirre Flüge ſich auflöſen, vielleicht auch hier und da zum Boden herabſenken, um ſich zu äßen, nirgends aber längere Zeit aufhalten, ſondern ſo eilig als möglich ihres Weges weiter fliegen. Dieſe Züge halten eine gewiſſe Richtung, vor Allem die bekannten Heerſtraßen der Vögel, alljährlich ein und laſſen ſich nur durch ungewöhnliche Erſcheinungen ablenken: ſo beobachtete mein Vater, daß eine Kranichherde durch das brennende Dorf Ernſtroda in Thüringen herbeigezogen wurde und längere Zeit über den Flammen kreiſte, durch lautes Geſchrei das Rufen der Arbeiter, das Heulen der Abgebrannten, das Brüllen des Viehs, das Praſſeln des Feuers und das Krachen der Gebäude noch übertönte und in der Seele des damaligen Knaben einen Eindruck zurück- ließ, welcher vor dem geiſtigen Auge des Greiſes noch in voller Friſche ſtand. Die Wanderſcharen reiſen auch zu jeder Tageszeit; man ſieht ſie von den Vormittagsſtunden an bis zum Abend und hört ſie zu jeder Stunde der Nacht, muß alſo annehmen, daß ſie blos nach ihrer Frühmahlzeit ein Wenig ruhen. Auf dem Zuge nach Norden ſammeln ſie ſich an gewiſſen Stellen, beiſpielsweiſe auf Strand- inſeln, zu größeren Scharen an und fliegen von dieſen aus über das Meer hinweg. Vor dem Herbſt- zuge geſellen ſie ſich, wie die Störche, auf beſtimmten Oertlichkeiten, von welchen ſie ſich eines Tages unter großem Geſchrei erheben. Wenn man im Oſt-Sudahn zur Zeit ihrer Ankunft einen der Ströme bereiſt, ſieht man ſie oder hört man ihr lautes Geſchrei bei Tage und Nacht. Angelangt in der Herberge, welche ſie während des Winters bewohnen ſollen, ſenken ſie ſich tief herab und ſuchen nun nach einer ihren Anforderungen entſprechenden und von anderen Wanderſcharen noch nicht beſetzten Jnſel.
Solange der Aufenthalt in der Fremde währt, halten ſie ſich ſtets in zahlreichen Maſſen zuſammen und nehmen auch verwandte Arten unter ſich auf, in Afrika z. B. die Jungfernkraniche, in Jndien den Kranich der Antigone, in Südchina und Siam dieſen, den weißnackigen und den Schneekranich u. ſ. w. Mit dieſen fliegen ſie gemeinſam allmorgentlich nach den Feldern hinaus, um hier Nahrung zu ſuchen, kehren in den Vormittagsſtunden zurück und verweilen nun Tag und Nacht auf den Jnſeln, zeitweilig mit verſchiedenen Spielen ſich vergnügend und beſtändig im Gefieder putzend und ordnend, da die jetzt ſtattfindende Mauſer eine derartige Sorgfalt nöthig macht. Scharen-
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Kranich.
ihres Weſens und ihre erſtaunliche Klugheit. Es hält nicht ſchwer, ſie zum Aus- und Einfliegen
zu gewöhnen und ebenſo, ſie in der Gefangenſchaft zur Fortpflanzung zu bringen. Jn Japan und
China gilt einer der dort vorkommenden Kraniche als heiliger oder mindeſtens als allgemein geachteter
Vogel, unzweifelhaft nur ſeiner anſprechenden Eigenſchaften halber.
Der Kranich (Grus einerea), für uns das Urbild der Familie und der Vertreter einer Sippe,
deren Kennzeichen in dem blos theilweiſe nackten Kopfe, den verlängerten und gekräuſelten Oberflügel-
deckfedern zu ſuchen ſind, iſt aſchgrau, in der Kehlgegend und auf dem Vorderſcheitel ſchwarz, an den
Halsſeiten weißlich; die Schwungfedern ſind ſchwarz. Das Auge iſt braunroth, der Schnabel an der
Wurzel röthlich, an der Spitze ſchwarzgrün, der Fuß ſchwärzlich. Die Länge beträgt 4½, die Breite
7¾, die Fittiglänge 25, die Schwanzlänge 8 Zoll.
Der Norden der alten Welt, von dem Oſten Mittelſibiriens an bis nach Skandinavien ſind die
Heimat des Kranichs; vonhieraus wandert er durch China bis Siam und Jndien oder bis Mittel- und
Weſtafrika. Er erſcheint nach meinen Beobachtungen im Sudahn ſcharenweiſe im Oktober und bezieht
hier größere Sandbänke in den Strömen, welche über den Waſſerſpiegel hervorragen. Dieſe Jnſeln
bilden ſeine Standplätze während des Winters; er verläßt ſie nur dann, wenn ſie ſich zu Halbinſeln
umwandeln. Jn Jndien erſcheint er ebenfalls zur ſelben Zeit in großer Anzahl und bewohnt ganz
ähnliche Oertlichkeiten. Durch Deutſchland ſieht man ihn Anfangs Oktober und Ende März in hoher
Luft ſeines Weges dahinziehen, regelmäßig in zahlreichen Geſellſchaften, welche die Keilordnung ſtreng
einhalten und nur zuweilen kreiſend in wirre Flüge ſich auflöſen, vielleicht auch hier und da zum
Boden herabſenken, um ſich zu äßen, nirgends aber längere Zeit aufhalten, ſondern ſo eilig als
möglich ihres Weges weiter fliegen. Dieſe Züge halten eine gewiſſe Richtung, vor Allem die bekannten
Heerſtraßen der Vögel, alljährlich ein und laſſen ſich nur durch ungewöhnliche Erſcheinungen ablenken:
ſo beobachtete mein Vater, daß eine Kranichherde durch das brennende Dorf Ernſtroda in Thüringen
herbeigezogen wurde und längere Zeit über den Flammen kreiſte, durch lautes Geſchrei das Rufen der
Arbeiter, das Heulen der Abgebrannten, das Brüllen des Viehs, das Praſſeln des Feuers und das
Krachen der Gebäude noch übertönte und in der Seele des damaligen Knaben einen Eindruck zurück-
ließ, welcher vor dem geiſtigen Auge des Greiſes noch in voller Friſche ſtand. Die Wanderſcharen
reiſen auch zu jeder Tageszeit; man ſieht ſie von den Vormittagsſtunden an bis zum Abend und hört
ſie zu jeder Stunde der Nacht, muß alſo annehmen, daß ſie blos nach ihrer Frühmahlzeit ein Wenig
ruhen. Auf dem Zuge nach Norden ſammeln ſie ſich an gewiſſen Stellen, beiſpielsweiſe auf Strand-
inſeln, zu größeren Scharen an und fliegen von dieſen aus über das Meer hinweg. Vor dem Herbſt-
zuge geſellen ſie ſich, wie die Störche, auf beſtimmten Oertlichkeiten, von welchen ſie ſich eines Tages
unter großem Geſchrei erheben. Wenn man im Oſt-Sudahn zur Zeit ihrer Ankunft einen der Ströme
bereiſt, ſieht man ſie oder hört man ihr lautes Geſchrei bei Tage und Nacht. Angelangt in der
Herberge, welche ſie während des Winters bewohnen ſollen, ſenken ſie ſich tief herab und ſuchen
nun nach einer ihren Anforderungen entſprechenden und von anderen Wanderſcharen noch nicht
beſetzten Jnſel.
Solange der Aufenthalt in der Fremde währt, halten ſie ſich ſtets in zahlreichen Maſſen
zuſammen und nehmen auch verwandte Arten unter ſich auf, in Afrika z. B. die Jungfernkraniche,
in Jndien den Kranich der Antigone, in Südchina und Siam dieſen, den weißnackigen und
den Schneekranich u. ſ. w. Mit dieſen fliegen ſie gemeinſam allmorgentlich nach den Feldern hinaus,
um hier Nahrung zu ſuchen, kehren in den Vormittagsſtunden zurück und verweilen nun Tag und
Nacht auf den Jnſeln, zeitweilig mit verſchiedenen Spielen ſich vergnügend und beſtändig im Gefieder
putzend und ordnend, da die jetzt ſtattfindende Mauſer eine derartige Sorgfalt nöthig macht. Scharen-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 723. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/767>, abgerufen am 22.11.2024.
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