Zuweilen steht ein Reiher, scheinbar in tiefster Ruhe, viele minutenlang regungslos auf einer und der- selben Stelle; man meint, daß er auf die Umgebung nicht achte, ja, daß er in Schlaf versunken wäre oder sich irgend einer Träumerei hingegeben habe; aber es darf sich ihm nur eine Beute nähern, gleichviel ob es ein Fisch, ein im Wasser lebender Lurch, oder ob es ein kleines Säugethier oder ein Vogel ist: -- da plötzlich schnellt die spitze Schnabellanze vor und durchbohrt das nichtsahnende Opfer. Diese Angriffe gleichen denen der Giftschlangen; sie geschehen mit derselben Sicherheit, Unab- wendbarkeit und mit derselben Tücke.
Jn ähnlicher Weise vertheidigen sich die Reiher Angreifern gegenüber. So lange als möglich fliehen sie vor jedem stärkeren Feinde; gedrängt aber greifen sie wüthend an, und dabei zielen sie jederzeit nach dem Auge ihrer Gegner, können also höchst gefährlich verwunden.
Alle Reiher nisten gern in Gesellschaft und zwar nicht blos mit anderen Paaren derselben Art, sondern mit Verwandten im engeren und weiteren Sinne, oder selbst mit verschiedenen Wasservögeln. Jhre Nester, große, roh zusammengefügte Bauten, stehen entweder auf oder im Röhricht auf zusammen- geknickten Stengeln. Das Gelege enthält drei bis sechs ungefleckte, weißgrünliche oder blaugrünliche Eier. Nur das Weibchen brütet, wird aber inzwischen vom Männchen mit Nahrung versorgt. Die Jungen verweilen bis zum Flüggewerden oder doch fast bis zu dieser Zeit im Neste, werden nach dem Ausflattern noch einige Zeit lang geäzt, hierauf aber ihrem Schicksale überlassen.
Bei uns zu Lande findet man hier und da eine Ansiedelung des Fischreihers und als Gesellschafter der Ansiedler höchstens noch Scharben, in südlicheren Ländern vereinigen sich verschiedene Reiher- und Scharbenarten auf denselben Plätzen und nehmen wohl auch Sichler, Löffler und Verwandte unter sich auf. Es liegen mehrere Berichte von kundigen Reisenden über diese Ansiedelungen vor: sie stimmen darin überein, daß das Schauspiel, welches die brütenden Vögel gewähren, ein sehr großartiges ist. Jch will zur genaueren Schilderung einer dieser Ansiedelungen die Beschreibung von Baldamus zu Grunde legen, ohne mich jedoch streng an deren Wortlaut zu binden.
Es ist Anfangs Juni, die Rohre haben eine Höhe von sechs bis sieben Fuß erreicht und überdecken den trüben Wasserspiegel des weißen Morastes. Soweit das Auge reicht, schweift es über eine endlose Ebene, ohne einen Ruheplatz zu finden. Aber auf dem endlosen Grün und Blan stechen wundervolle gelbe, graue, weiße und schwarze Gestalten prachtvoll ab: die Silber-, Purpur-, Schopf- und Nacht- reiher, die Löffler, Jbisse, Scharben, Seeschwalben, Möven, Gänse und Pelekane. Auf den Bruch- weiden und Pappeln, welche sich hier und da erheben, nisten die ersteren. Eine Ansiedelung hatte höchstens einen Umfang von einigen tausend Schritten, und die Nester waren nur auf hundert bis hundertundfunfzig Weiden zerstreut; aber viele dieser Bäume trugen zehn bis zwanzig Nester. Nur wer eine gut besetzte Saatkrähenansiedelung gesehen hat, kann sich eine annähernd richtige Vorstellung von einem ungarischen Reiherstande machen. Auf den stärkeren Aesten der größeren Weiden stehen die Nester des Fischreihers, daneben, oft auf deren Rande ruhend, die des Nachtreihers; schwächere und höhere Zweige tragen jene des Seidenreihers und der Zwergscharbe, während tiefer unten auf den schlanken Seitenzweigen die kleinen, durchsichtigen Nester des Rallenreihers schwanken. Auf dem in Rede stehenden Horstplatze war, wie gewöhnlich, der Nachtreiher am zahlreichsten vertreten, auf ihn folgte der Seidenreiher, der Fischreiher und endlich der Rallenreiher. Mit Ausnahme der Zwerg- scharbe waren alle so wenig scheu, daß wochenlang fortgesetztes Schießen sie nicht vom Platze vertrieben hatte. Sie flogen zwar nach einem Schusse ab, bäumten aber bald wieder auf, ja, sie blieben oft genug auf demselben Baume sitzen, welcher eben bestiegen wurde. Hielt man sich eine kurze Zeit in dem Kahne, unter den Bäumen, so begann bald das bunteste Treiben, und es folgten sich so über- raschende und wechselvolle Auftritte, daß man nicht müde wurde, dem nie gehabten Schauspiele zuzusehen. "Zuerst klettern die Nachtreiher unter lebhaftem Geschrei und unter sonderbaren Grimassen von den oberen Zweigen auf ihre Nester herab, haben Dies und Jenes daran zurecht zu zupfen, die Eier anders zu schieben, sich nach allen Seiten hin umzudrehen und den großen, rothen Rachen gegen einen allzunah kommenden Nachbar unter heiserem Gekrächze weit aufzusperren; dann
Die Läufer. Stelzvögel. Reiher.
Zuweilen ſteht ein Reiher, ſcheinbar in tiefſter Ruhe, viele minutenlang regungslos auf einer und der- ſelben Stelle; man meint, daß er auf die Umgebung nicht achte, ja, daß er in Schlaf verſunken wäre oder ſich irgend einer Träumerei hingegeben habe; aber es darf ſich ihm nur eine Beute nähern, gleichviel ob es ein Fiſch, ein im Waſſer lebender Lurch, oder ob es ein kleines Säugethier oder ein Vogel iſt: — da plötzlich ſchnellt die ſpitze Schnabellanze vor und durchbohrt das nichtsahnende Opfer. Dieſe Angriffe gleichen denen der Giftſchlangen; ſie geſchehen mit derſelben Sicherheit, Unab- wendbarkeit und mit derſelben Tücke.
Jn ähnlicher Weiſe vertheidigen ſich die Reiher Angreifern gegenüber. So lange als möglich fliehen ſie vor jedem ſtärkeren Feinde; gedrängt aber greifen ſie wüthend an, und dabei zielen ſie jederzeit nach dem Auge ihrer Gegner, können alſo höchſt gefährlich verwunden.
Alle Reiher niſten gern in Geſellſchaft und zwar nicht blos mit anderen Paaren derſelben Art, ſondern mit Verwandten im engeren und weiteren Sinne, oder ſelbſt mit verſchiedenen Waſſervögeln. Jhre Neſter, große, roh zuſammengefügte Bauten, ſtehen entweder auf oder im Röhricht auf zuſammen- geknickten Stengeln. Das Gelege enthält drei bis ſechs ungefleckte, weißgrünliche oder blaugrünliche Eier. Nur das Weibchen brütet, wird aber inzwiſchen vom Männchen mit Nahrung verſorgt. Die Jungen verweilen bis zum Flüggewerden oder doch faſt bis zu dieſer Zeit im Neſte, werden nach dem Ausflattern noch einige Zeit lang geäzt, hierauf aber ihrem Schickſale überlaſſen.
Bei uns zu Lande findet man hier und da eine Anſiedelung des Fiſchreihers und als Geſellſchafter der Anſiedler höchſtens noch Scharben, in ſüdlicheren Ländern vereinigen ſich verſchiedene Reiher- und Scharbenarten auf denſelben Plätzen und nehmen wohl auch Sichler, Löffler und Verwandte unter ſich auf. Es liegen mehrere Berichte von kundigen Reiſenden über dieſe Anſiedelungen vor: ſie ſtimmen darin überein, daß das Schauſpiel, welches die brütenden Vögel gewähren, ein ſehr großartiges iſt. Jch will zur genaueren Schilderung einer dieſer Anſiedelungen die Beſchreibung von Baldamus zu Grunde legen, ohne mich jedoch ſtreng an deren Wortlaut zu binden.
Es iſt Anfangs Juni, die Rohre haben eine Höhe von ſechs bis ſieben Fuß erreicht und überdecken den trüben Waſſerſpiegel des weißen Moraſtes. Soweit das Auge reicht, ſchweift es über eine endloſe Ebene, ohne einen Ruheplatz zu finden. Aber auf dem endloſen Grün und Blan ſtechen wundervolle gelbe, graue, weiße und ſchwarze Geſtalten prachtvoll ab: die Silber-, Purpur-, Schopf- und Nacht- reiher, die Löffler, Jbiſſe, Scharben, Seeſchwalben, Möven, Gänſe und Pelekane. Auf den Bruch- weiden und Pappeln, welche ſich hier und da erheben, niſten die erſteren. Eine Anſiedelung hatte höchſtens einen Umfang von einigen tauſend Schritten, und die Neſter waren nur auf hundert bis hundertundfunfzig Weiden zerſtreut; aber viele dieſer Bäume trugen zehn bis zwanzig Neſter. Nur wer eine gut beſetzte Saatkrähenanſiedelung geſehen hat, kann ſich eine annähernd richtige Vorſtellung von einem ungariſchen Reiherſtande machen. Auf den ſtärkeren Aeſten der größeren Weiden ſtehen die Neſter des Fiſchreihers, daneben, oft auf deren Rande ruhend, die des Nachtreihers; ſchwächere und höhere Zweige tragen jene des Seidenreihers und der Zwergſcharbe, während tiefer unten auf den ſchlanken Seitenzweigen die kleinen, durchſichtigen Neſter des Rallenreihers ſchwanken. Auf dem in Rede ſtehenden Horſtplatze war, wie gewöhnlich, der Nachtreiher am zahlreichſten vertreten, auf ihn folgte der Seidenreiher, der Fiſchreiher und endlich der Rallenreiher. Mit Ausnahme der Zwerg- ſcharbe waren alle ſo wenig ſcheu, daß wochenlang fortgeſetztes Schießen ſie nicht vom Platze vertrieben hatte. Sie flogen zwar nach einem Schuſſe ab, bäumten aber bald wieder auf, ja, ſie blieben oft genug auf demſelben Baume ſitzen, welcher eben beſtiegen wurde. Hielt man ſich eine kurze Zeit in dem Kahne, unter den Bäumen, ſo begann bald das bunteſte Treiben, und es folgten ſich ſo über- raſchende und wechſelvolle Auftritte, daß man nicht müde wurde, dem nie gehabten Schauſpiele zuzuſehen. „Zuerſt klettern die Nachtreiher unter lebhaftem Geſchrei und unter ſonderbaren Grimaſſen von den oberen Zweigen auf ihre Neſter herab, haben Dies und Jenes daran zurecht zu zupfen, die Eier anders zu ſchieben, ſich nach allen Seiten hin umzudrehen und den großen, rothen Rachen gegen einen allzunah kommenden Nachbar unter heiſerem Gekrächze weit aufzuſperren; dann
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0738"n="696"/><fwplace="top"type="header">Die Läufer. Stelzvögel. Reiher.</fw><lb/>
Zuweilen ſteht ein Reiher, ſcheinbar in tiefſter Ruhe, viele minutenlang regungslos auf einer und der-<lb/>ſelben Stelle; man meint, daß er auf die Umgebung nicht achte, ja, daß er in Schlaf verſunken wäre<lb/>
oder ſich irgend einer Träumerei hingegeben habe; aber es darf ſich ihm nur eine Beute nähern,<lb/>
gleichviel ob es ein Fiſch, ein im Waſſer lebender Lurch, oder ob es ein kleines Säugethier oder ein<lb/>
Vogel iſt: — da plötzlich ſchnellt die ſpitze Schnabellanze vor und durchbohrt das nichtsahnende<lb/>
Opfer. Dieſe Angriffe gleichen denen der Giftſchlangen; ſie geſchehen mit derſelben Sicherheit, Unab-<lb/>
wendbarkeit und mit derſelben Tücke.</p><lb/><p>Jn ähnlicher Weiſe vertheidigen ſich die Reiher Angreifern gegenüber. So lange als möglich<lb/>
fliehen ſie vor jedem ſtärkeren Feinde; gedrängt aber greifen ſie wüthend an, und dabei zielen ſie<lb/>
jederzeit nach dem Auge ihrer Gegner, können alſo höchſt gefährlich verwunden.</p><lb/><p>Alle Reiher niſten gern in Geſellſchaft und zwar nicht blos mit anderen Paaren derſelben Art,<lb/>ſondern mit Verwandten im engeren und weiteren Sinne, oder ſelbſt mit verſchiedenen Waſſervögeln.<lb/>
Jhre Neſter, große, roh zuſammengefügte Bauten, ſtehen entweder auf oder im Röhricht auf zuſammen-<lb/>
geknickten Stengeln. Das Gelege enthält drei bis ſechs ungefleckte, weißgrünliche oder blaugrünliche<lb/>
Eier. Nur das Weibchen brütet, wird aber inzwiſchen vom Männchen mit Nahrung verſorgt. Die<lb/>
Jungen verweilen bis zum Flüggewerden oder doch faſt bis zu dieſer Zeit im Neſte, werden nach dem<lb/>
Ausflattern noch einige Zeit lang geäzt, hierauf aber ihrem Schickſale überlaſſen.</p><lb/><p>Bei uns zu Lande findet man hier und da eine Anſiedelung des Fiſchreihers und als Geſellſchafter<lb/>
der Anſiedler höchſtens noch Scharben, in ſüdlicheren Ländern vereinigen ſich verſchiedene Reiher- und<lb/>
Scharbenarten auf denſelben Plätzen und nehmen wohl auch Sichler, Löffler und Verwandte unter ſich<lb/>
auf. Es liegen mehrere Berichte von kundigen Reiſenden über dieſe Anſiedelungen vor: ſie ſtimmen<lb/>
darin überein, daß das Schauſpiel, welches die brütenden Vögel gewähren, ein ſehr großartiges iſt.<lb/>
Jch will zur genaueren Schilderung einer dieſer Anſiedelungen die Beſchreibung von <hirendition="#g">Baldamus</hi><lb/>
zu Grunde legen, ohne mich jedoch ſtreng an deren Wortlaut zu binden.</p><lb/><p>Es iſt Anfangs Juni, die Rohre haben eine Höhe von ſechs bis ſieben Fuß erreicht und überdecken<lb/>
den trüben Waſſerſpiegel des weißen Moraſtes. Soweit das Auge reicht, ſchweift es über eine endloſe<lb/>
Ebene, ohne einen Ruheplatz zu finden. Aber auf dem endloſen Grün und Blan ſtechen wundervolle<lb/>
gelbe, graue, weiße und ſchwarze Geſtalten prachtvoll ab: die Silber-, Purpur-, Schopf- und Nacht-<lb/>
reiher, die Löffler, Jbiſſe, Scharben, Seeſchwalben, Möven, Gänſe und Pelekane. Auf den Bruch-<lb/>
weiden und Pappeln, welche ſich hier und da erheben, niſten die erſteren. Eine Anſiedelung hatte<lb/>
höchſtens einen Umfang von einigen tauſend Schritten, und die Neſter waren nur auf hundert bis<lb/>
hundertundfunfzig Weiden zerſtreut; aber viele dieſer Bäume trugen zehn bis zwanzig Neſter. Nur<lb/>
wer eine gut beſetzte Saatkrähenanſiedelung geſehen hat, kann ſich eine annähernd richtige Vorſtellung<lb/>
von einem ungariſchen Reiherſtande machen. Auf den ſtärkeren Aeſten der größeren Weiden ſtehen<lb/>
die Neſter des Fiſchreihers, daneben, oft auf deren Rande ruhend, die des Nachtreihers; ſchwächere und<lb/>
höhere Zweige tragen jene des Seidenreihers und der Zwergſcharbe, während tiefer unten auf den<lb/>ſchlanken Seitenzweigen die kleinen, durchſichtigen Neſter des Rallenreihers ſchwanken. Auf dem in<lb/>
Rede ſtehenden Horſtplatze war, wie gewöhnlich, der Nachtreiher am zahlreichſten vertreten, auf ihn<lb/>
folgte der Seidenreiher, der Fiſchreiher und endlich der Rallenreiher. Mit Ausnahme der Zwerg-<lb/>ſcharbe waren alle ſo wenig ſcheu, daß wochenlang fortgeſetztes Schießen ſie nicht vom Platze vertrieben<lb/>
hatte. Sie flogen zwar nach einem Schuſſe ab, bäumten aber bald wieder auf, ja, ſie blieben oft<lb/>
genug auf demſelben Baume ſitzen, welcher eben beſtiegen wurde. Hielt man ſich eine kurze Zeit in<lb/>
dem Kahne, unter den Bäumen, ſo begann bald das bunteſte Treiben, und es folgten ſich ſo über-<lb/>
raſchende und wechſelvolle Auftritte, daß man nicht müde wurde, dem nie gehabten Schauſpiele<lb/>
zuzuſehen. „Zuerſt klettern die Nachtreiher unter lebhaftem Geſchrei und unter ſonderbaren<lb/>
Grimaſſen von den oberen Zweigen auf ihre Neſter herab, haben Dies und Jenes daran zurecht zu<lb/>
zupfen, die Eier anders zu ſchieben, ſich nach allen Seiten hin umzudrehen und den großen, rothen<lb/>
Rachen gegen einen allzunah kommenden Nachbar unter heiſerem Gekrächze weit aufzuſperren; dann<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[696/0738]
Die Läufer. Stelzvögel. Reiher.
Zuweilen ſteht ein Reiher, ſcheinbar in tiefſter Ruhe, viele minutenlang regungslos auf einer und der-
ſelben Stelle; man meint, daß er auf die Umgebung nicht achte, ja, daß er in Schlaf verſunken wäre
oder ſich irgend einer Träumerei hingegeben habe; aber es darf ſich ihm nur eine Beute nähern,
gleichviel ob es ein Fiſch, ein im Waſſer lebender Lurch, oder ob es ein kleines Säugethier oder ein
Vogel iſt: — da plötzlich ſchnellt die ſpitze Schnabellanze vor und durchbohrt das nichtsahnende
Opfer. Dieſe Angriffe gleichen denen der Giftſchlangen; ſie geſchehen mit derſelben Sicherheit, Unab-
wendbarkeit und mit derſelben Tücke.
Jn ähnlicher Weiſe vertheidigen ſich die Reiher Angreifern gegenüber. So lange als möglich
fliehen ſie vor jedem ſtärkeren Feinde; gedrängt aber greifen ſie wüthend an, und dabei zielen ſie
jederzeit nach dem Auge ihrer Gegner, können alſo höchſt gefährlich verwunden.
Alle Reiher niſten gern in Geſellſchaft und zwar nicht blos mit anderen Paaren derſelben Art,
ſondern mit Verwandten im engeren und weiteren Sinne, oder ſelbſt mit verſchiedenen Waſſervögeln.
Jhre Neſter, große, roh zuſammengefügte Bauten, ſtehen entweder auf oder im Röhricht auf zuſammen-
geknickten Stengeln. Das Gelege enthält drei bis ſechs ungefleckte, weißgrünliche oder blaugrünliche
Eier. Nur das Weibchen brütet, wird aber inzwiſchen vom Männchen mit Nahrung verſorgt. Die
Jungen verweilen bis zum Flüggewerden oder doch faſt bis zu dieſer Zeit im Neſte, werden nach dem
Ausflattern noch einige Zeit lang geäzt, hierauf aber ihrem Schickſale überlaſſen.
Bei uns zu Lande findet man hier und da eine Anſiedelung des Fiſchreihers und als Geſellſchafter
der Anſiedler höchſtens noch Scharben, in ſüdlicheren Ländern vereinigen ſich verſchiedene Reiher- und
Scharbenarten auf denſelben Plätzen und nehmen wohl auch Sichler, Löffler und Verwandte unter ſich
auf. Es liegen mehrere Berichte von kundigen Reiſenden über dieſe Anſiedelungen vor: ſie ſtimmen
darin überein, daß das Schauſpiel, welches die brütenden Vögel gewähren, ein ſehr großartiges iſt.
Jch will zur genaueren Schilderung einer dieſer Anſiedelungen die Beſchreibung von Baldamus
zu Grunde legen, ohne mich jedoch ſtreng an deren Wortlaut zu binden.
Es iſt Anfangs Juni, die Rohre haben eine Höhe von ſechs bis ſieben Fuß erreicht und überdecken
den trüben Waſſerſpiegel des weißen Moraſtes. Soweit das Auge reicht, ſchweift es über eine endloſe
Ebene, ohne einen Ruheplatz zu finden. Aber auf dem endloſen Grün und Blan ſtechen wundervolle
gelbe, graue, weiße und ſchwarze Geſtalten prachtvoll ab: die Silber-, Purpur-, Schopf- und Nacht-
reiher, die Löffler, Jbiſſe, Scharben, Seeſchwalben, Möven, Gänſe und Pelekane. Auf den Bruch-
weiden und Pappeln, welche ſich hier und da erheben, niſten die erſteren. Eine Anſiedelung hatte
höchſtens einen Umfang von einigen tauſend Schritten, und die Neſter waren nur auf hundert bis
hundertundfunfzig Weiden zerſtreut; aber viele dieſer Bäume trugen zehn bis zwanzig Neſter. Nur
wer eine gut beſetzte Saatkrähenanſiedelung geſehen hat, kann ſich eine annähernd richtige Vorſtellung
von einem ungariſchen Reiherſtande machen. Auf den ſtärkeren Aeſten der größeren Weiden ſtehen
die Neſter des Fiſchreihers, daneben, oft auf deren Rande ruhend, die des Nachtreihers; ſchwächere und
höhere Zweige tragen jene des Seidenreihers und der Zwergſcharbe, während tiefer unten auf den
ſchlanken Seitenzweigen die kleinen, durchſichtigen Neſter des Rallenreihers ſchwanken. Auf dem in
Rede ſtehenden Horſtplatze war, wie gewöhnlich, der Nachtreiher am zahlreichſten vertreten, auf ihn
folgte der Seidenreiher, der Fiſchreiher und endlich der Rallenreiher. Mit Ausnahme der Zwerg-
ſcharbe waren alle ſo wenig ſcheu, daß wochenlang fortgeſetztes Schießen ſie nicht vom Platze vertrieben
hatte. Sie flogen zwar nach einem Schuſſe ab, bäumten aber bald wieder auf, ja, ſie blieben oft
genug auf demſelben Baume ſitzen, welcher eben beſtiegen wurde. Hielt man ſich eine kurze Zeit in
dem Kahne, unter den Bäumen, ſo begann bald das bunteſte Treiben, und es folgten ſich ſo über-
raſchende und wechſelvolle Auftritte, daß man nicht müde wurde, dem nie gehabten Schauſpiele
zuzuſehen. „Zuerſt klettern die Nachtreiher unter lebhaftem Geſchrei und unter ſonderbaren
Grimaſſen von den oberen Zweigen auf ihre Neſter herab, haben Dies und Jenes daran zurecht zu
zupfen, die Eier anders zu ſchieben, ſich nach allen Seiten hin umzudrehen und den großen, rothen
Rachen gegen einen allzunah kommenden Nachbar unter heiſerem Gekrächze weit aufzuſperren; dann
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 696. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/738>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.