Die Stimme ist ein heiserer, wenig hörbarer Laut, oder eigentlich gar kein solcher, sondern mehr ein Geräusch, welches wie "Rah" klingt, und nur auf wenig Schritte hin vernommen wird. Von den Jungen hört man zuweilen, aber ebenfalls selten, noch ein eigenthümliches Zischen; andere Stimmlaute scheinen die Sichler nicht zu besitzen.
Das Wesen entspricht dem oben rücksichtlich der ganzen Familie Mitgetheilten. Auch die Sichler gehören zu den klugen, verständigen Mitgliedern ihrer Familie. Sie bekunden scheinbar einen gewissen Ernst, sind aber in Wirklichkeit sehr fröhliche, ja sogar übermüthige Geschöpfe, welche eine gewisse Necklust zeitweilig offenbaren und sie nicht blos unter einander, sondern auch anderen Vögeln gegenüber bethätigen. An Vorsicht und Scheu stehen sie den übrigen Sumpfvögeln nicht nach: es hält fast ebenso schwer, einen von ihnen, als einen Brachvogel zu hintergehen. Da, wo sie sich ansässig gemacht haben oder auch nur zeitweilig aufhalten, lernen sie sehr bald die gefährlichen Menschen von den harmlosen unterscheiden, also beispielsweise begreifen, daß ihnen der ungarische Bauer ebensowenig verderblich wird, wie der egyptische Fischer, während sie am Nile, wie an der Donau den Jäger unter allen Umständen ängstlich meiden. Am Mensalehsee flogen diejenigen, welche ich beobachten konnte, von dem Schlafplatze aus, stets in bedeutender Höhe nach Stellen in den Sümpfen, welche die Annäherung eines Feindes erschwerten oder ihnen doch freie Aussicht gestatteten, trieben sich hier während des Tages umher und kehrten erst mit Einbruch der Dämmerung nach den Ruheplätzen zurück, regelmäßig nach Bäumen, welche auf Jnseln inmitten des Sees oder der ihn umgebenden Sümpfe selbst standen, oder doch sonst schwer zugänglich schienen. An den einmal gewählten Schlafplätzen hingen sie freilich mit solcher Vorliebe, daß man nur unter ihnen anzustehen brauchte, um reichlicher Beute gewiß zu sein, ja daß selbst wiederholte Schüsse, welche unter ihnen das höchste Entsetzen hervorriefen, sie nicht zu vertreiben im Stande waren. Trotz ihrer Vorsicht habe ich übrigens niemals beobachtet, daß auch sie sich, wie die vorher beschriebenen Schnepfenvögel und Hühnerstelzen, zu Warnern und Leitern des Kleingeflügels aufgeschwungen hätten.
Je nach der Oertlichkeit und Jahreszeit nährt sich der Sichler von verschiedenem Gethier. Während des Sommers scheinen Kerbthierlarven und Würmchen, aber auch ausgebildete Kerbthiere, insbesondere Heuschrecken, Libellen, Käfer u. s. w. die Hauptnahrung auszumachen; im Winter erbeutet er Muscheln, Würmer, Fischchen, kleine Lurche und andere Wasserthiere. Er durchwatet, um Nahrung zu suchen, das seichte Wasser oder fliegt auf Viehweiden hinaus, scheint sich aber weniger als andere Arten seiner Familie in der Steppe oder im Felde zu beschäftigen.
Naumann stellte zuerst mit Bestimmtheit fest, daß der Sichler in Europa brütet, vermochte aber keine auf eigene Beobachtung gegründete Beschreibung des Fortpflanzungsgeschäftes zu geben. Sie erhielten wir anfangs der funfziger Jahre durch Löbenstein. Vormals soll der Sichler auf der Reiherinsel bei Belgrad und ebenso in den Sümpfen bei Oppara häufig genistet haben; als Löbenstein die Donautiefländer besuchte, hatte er diesen Ort verlassen und dafür unfern des Dorfes Kupinowa sich angesiedelt. Der Brutplatz war ein mit dichtem Rohrwald bedeckter Sumpf, in welchem hin und wieder acht bis zehn Fuß hohe Weidenbüsche standen. Auf jenen nisteten die Vögel, und zwar in einer bedeutenden Anzahl, sodaß sie immerhin den sechsten Theil des dort versammelten Geflügels ausmachen mochten. Zu ihren Nestern wählen sie gern alte Nester der kleinen Reiher, polstern sie höchstens mit Stroh des Kolbenschilfes aus, und machen sie dadurch schon von weitem kenntlich. Jhre drei bis vier blaugrünen Eier, welche denen einer Haushenne an Größe gleichkommen, sind länglich, starkschalig, die Färbung ist ein schönes Blaugrün, welches zuweilen ins Blaßgrüne überspielt. Gewöhnlich stehen die Nester in mittlerer Höhe des Weidengesträuchs; doch finden sich auch einige tiefer unten und gar nicht selten in unmittelbarer Nähe eines Reiher- oder Scharben- nestes. Während der Brutzeit sieht man das bunte Gemisch dieses verschiedenartigen Geflügels auf den hohen Zweigen des Gesträuches sitzen und erkennt die Nistplätze nicht blos an diesen Versamm- lungen, sondern auch daran, daß das Gesträuch durch den scharfen Unrath seiner Blätter ent- blößt ist.
Die Läufer. Stelzvögel. Jbiſſe.
Die Stimme iſt ein heiſerer, wenig hörbarer Laut, oder eigentlich gar kein ſolcher, ſondern mehr ein Geräuſch, welches wie „Rah“ klingt, und nur auf wenig Schritte hin vernommen wird. Von den Jungen hört man zuweilen, aber ebenfalls ſelten, noch ein eigenthümliches Ziſchen; andere Stimmlaute ſcheinen die Sichler nicht zu beſitzen.
Das Weſen entſpricht dem oben rückſichtlich der ganzen Familie Mitgetheilten. Auch die Sichler gehören zu den klugen, verſtändigen Mitgliedern ihrer Familie. Sie bekunden ſcheinbar einen gewiſſen Ernſt, ſind aber in Wirklichkeit ſehr fröhliche, ja ſogar übermüthige Geſchöpfe, welche eine gewiſſe Neckluſt zeitweilig offenbaren und ſie nicht blos unter einander, ſondern auch anderen Vögeln gegenüber bethätigen. An Vorſicht und Scheu ſtehen ſie den übrigen Sumpfvögeln nicht nach: es hält faſt ebenſo ſchwer, einen von ihnen, als einen Brachvogel zu hintergehen. Da, wo ſie ſich anſäſſig gemacht haben oder auch nur zeitweilig aufhalten, lernen ſie ſehr bald die gefährlichen Menſchen von den harmloſen unterſcheiden, alſo beiſpielsweiſe begreifen, daß ihnen der ungariſche Bauer ebenſowenig verderblich wird, wie der egyptiſche Fiſcher, während ſie am Nile, wie an der Donau den Jäger unter allen Umſtänden ängſtlich meiden. Am Menſalehſee flogen diejenigen, welche ich beobachten konnte, von dem Schlafplatze aus, ſtets in bedeutender Höhe nach Stellen in den Sümpfen, welche die Annäherung eines Feindes erſchwerten oder ihnen doch freie Ausſicht geſtatteten, trieben ſich hier während des Tages umher und kehrten erſt mit Einbruch der Dämmerung nach den Ruheplätzen zurück, regelmäßig nach Bäumen, welche auf Jnſeln inmitten des Sees oder der ihn umgebenden Sümpfe ſelbſt ſtanden, oder doch ſonſt ſchwer zugänglich ſchienen. An den einmal gewählten Schlafplätzen hingen ſie freilich mit ſolcher Vorliebe, daß man nur unter ihnen anzuſtehen brauchte, um reichlicher Beute gewiß zu ſein, ja daß ſelbſt wiederholte Schüſſe, welche unter ihnen das höchſte Entſetzen hervorriefen, ſie nicht zu vertreiben im Stande waren. Trotz ihrer Vorſicht habe ich übrigens niemals beobachtet, daß auch ſie ſich, wie die vorher beſchriebenen Schnepfenvögel und Hühnerſtelzen, zu Warnern und Leitern des Kleingeflügels aufgeſchwungen hätten.
Je nach der Oertlichkeit und Jahreszeit nährt ſich der Sichler von verſchiedenem Gethier. Während des Sommers ſcheinen Kerbthierlarven und Würmchen, aber auch ausgebildete Kerbthiere, insbeſondere Heuſchrecken, Libellen, Käfer u. ſ. w. die Hauptnahrung auszumachen; im Winter erbeutet er Muſcheln, Würmer, Fiſchchen, kleine Lurche und andere Waſſerthiere. Er durchwatet, um Nahrung zu ſuchen, das ſeichte Waſſer oder fliegt auf Viehweiden hinaus, ſcheint ſich aber weniger als andere Arten ſeiner Familie in der Steppe oder im Felde zu beſchäftigen.
Naumann ſtellte zuerſt mit Beſtimmtheit feſt, daß der Sichler in Europa brütet, vermochte aber keine auf eigene Beobachtung gegründete Beſchreibung des Fortpflanzungsgeſchäftes zu geben. Sie erhielten wir anfangs der funfziger Jahre durch Löbenſtein. Vormals ſoll der Sichler auf der Reiherinſel bei Belgrad und ebenſo in den Sümpfen bei Oppara häufig geniſtet haben; als Löbenſtein die Donautiefländer beſuchte, hatte er dieſen Ort verlaſſen und dafür unfern des Dorfes Kupinowa ſich angeſiedelt. Der Brutplatz war ein mit dichtem Rohrwald bedeckter Sumpf, in welchem hin und wieder acht bis zehn Fuß hohe Weidenbüſche ſtanden. Auf jenen niſteten die Vögel, und zwar in einer bedeutenden Anzahl, ſodaß ſie immerhin den ſechsten Theil des dort verſammelten Geflügels ausmachen mochten. Zu ihren Neſtern wählen ſie gern alte Neſter der kleinen Reiher, polſtern ſie höchſtens mit Stroh des Kolbenſchilfes aus, und machen ſie dadurch ſchon von weitem kenntlich. Jhre drei bis vier blaugrünen Eier, welche denen einer Haushenne an Größe gleichkommen, ſind länglich, ſtarkſchalig, die Färbung iſt ein ſchönes Blaugrün, welches zuweilen ins Blaßgrüne überſpielt. Gewöhnlich ſtehen die Neſter in mittlerer Höhe des Weidengeſträuchs; doch finden ſich auch einige tiefer unten und gar nicht ſelten in unmittelbarer Nähe eines Reiher- oder Scharben- neſtes. Während der Brutzeit ſieht man das bunte Gemiſch dieſes verſchiedenartigen Geflügels auf den hohen Zweigen des Geſträuches ſitzen und erkennt die Niſtplätze nicht blos an dieſen Verſamm- lungen, ſondern auch daran, daß das Geſträuch durch den ſcharfen Unrath ſeiner Blätter ent- blößt iſt.
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Die Läufer. Stelzvögel. Jbiſſe.
Die Stimme iſt ein heiſerer, wenig hörbarer Laut, oder eigentlich gar kein ſolcher, ſondern mehr
ein Geräuſch, welches wie „Rah“ klingt, und nur auf wenig Schritte hin vernommen wird. Von den
Jungen hört man zuweilen, aber ebenfalls ſelten, noch ein eigenthümliches Ziſchen; andere Stimmlaute
ſcheinen die Sichler nicht zu beſitzen.
Das Weſen entſpricht dem oben rückſichtlich der ganzen Familie Mitgetheilten. Auch die
Sichler gehören zu den klugen, verſtändigen Mitgliedern ihrer Familie. Sie bekunden ſcheinbar
einen gewiſſen Ernſt, ſind aber in Wirklichkeit ſehr fröhliche, ja ſogar übermüthige Geſchöpfe, welche
eine gewiſſe Neckluſt zeitweilig offenbaren und ſie nicht blos unter einander, ſondern auch anderen
Vögeln gegenüber bethätigen. An Vorſicht und Scheu ſtehen ſie den übrigen Sumpfvögeln nicht
nach: es hält faſt ebenſo ſchwer, einen von ihnen, als einen Brachvogel zu hintergehen. Da, wo ſie
ſich anſäſſig gemacht haben oder auch nur zeitweilig aufhalten, lernen ſie ſehr bald die gefährlichen
Menſchen von den harmloſen unterſcheiden, alſo beiſpielsweiſe begreifen, daß ihnen der ungariſche
Bauer ebenſowenig verderblich wird, wie der egyptiſche Fiſcher, während ſie am Nile, wie an der
Donau den Jäger unter allen Umſtänden ängſtlich meiden. Am Menſalehſee flogen diejenigen, welche
ich beobachten konnte, von dem Schlafplatze aus, ſtets in bedeutender Höhe nach Stellen in den
Sümpfen, welche die Annäherung eines Feindes erſchwerten oder ihnen doch freie Ausſicht geſtatteten,
trieben ſich hier während des Tages umher und kehrten erſt mit Einbruch der Dämmerung nach den
Ruheplätzen zurück, regelmäßig nach Bäumen, welche auf Jnſeln inmitten des Sees oder der ihn
umgebenden Sümpfe ſelbſt ſtanden, oder doch ſonſt ſchwer zugänglich ſchienen. An den einmal
gewählten Schlafplätzen hingen ſie freilich mit ſolcher Vorliebe, daß man nur unter ihnen anzuſtehen
brauchte, um reichlicher Beute gewiß zu ſein, ja daß ſelbſt wiederholte Schüſſe, welche unter ihnen
das höchſte Entſetzen hervorriefen, ſie nicht zu vertreiben im Stande waren. Trotz ihrer Vorſicht
habe ich übrigens niemals beobachtet, daß auch ſie ſich, wie die vorher beſchriebenen Schnepfenvögel
und Hühnerſtelzen, zu Warnern und Leitern des Kleingeflügels aufgeſchwungen hätten.
Je nach der Oertlichkeit und Jahreszeit nährt ſich der Sichler von verſchiedenem Gethier.
Während des Sommers ſcheinen Kerbthierlarven und Würmchen, aber auch ausgebildete Kerbthiere,
insbeſondere Heuſchrecken, Libellen, Käfer u. ſ. w. die Hauptnahrung auszumachen; im Winter
erbeutet er Muſcheln, Würmer, Fiſchchen, kleine Lurche und andere Waſſerthiere. Er durchwatet,
um Nahrung zu ſuchen, das ſeichte Waſſer oder fliegt auf Viehweiden hinaus, ſcheint ſich aber
weniger als andere Arten ſeiner Familie in der Steppe oder im Felde zu beſchäftigen.
Naumann ſtellte zuerſt mit Beſtimmtheit feſt, daß der Sichler in Europa brütet, vermochte
aber keine auf eigene Beobachtung gegründete Beſchreibung des Fortpflanzungsgeſchäftes zu geben.
Sie erhielten wir anfangs der funfziger Jahre durch Löbenſtein. Vormals ſoll der Sichler auf
der Reiherinſel bei Belgrad und ebenſo in den Sümpfen bei Oppara häufig geniſtet haben; als
Löbenſtein die Donautiefländer beſuchte, hatte er dieſen Ort verlaſſen und dafür unfern des Dorfes
Kupinowa ſich angeſiedelt. Der Brutplatz war ein mit dichtem Rohrwald bedeckter Sumpf, in
welchem hin und wieder acht bis zehn Fuß hohe Weidenbüſche ſtanden. Auf jenen niſteten die Vögel,
und zwar in einer bedeutenden Anzahl, ſodaß ſie immerhin den ſechsten Theil des dort verſammelten
Geflügels ausmachen mochten. Zu ihren Neſtern wählen ſie gern alte Neſter der kleinen Reiher,
polſtern ſie höchſtens mit Stroh des Kolbenſchilfes aus, und machen ſie dadurch ſchon von weitem
kenntlich. Jhre drei bis vier blaugrünen Eier, welche denen einer Haushenne an Größe gleichkommen,
ſind länglich, ſtarkſchalig, die Färbung iſt ein ſchönes Blaugrün, welches zuweilen ins Blaßgrüne
überſpielt. Gewöhnlich ſtehen die Neſter in mittlerer Höhe des Weidengeſträuchs; doch finden ſich
auch einige tiefer unten und gar nicht ſelten in unmittelbarer Nähe eines Reiher- oder Scharben-
neſtes. Während der Brutzeit ſieht man das bunte Gemiſch dieſes verſchiedenartigen Geflügels auf
den hohen Zweigen des Geſträuches ſitzen und erkennt die Niſtplätze nicht blos an dieſen Verſamm-
lungen, ſondern auch daran, daß das Geſträuch durch den ſcharfen Unrath ſeiner Blätter ent-
blößt iſt.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 656. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/696>, abgerufen am 22.11.2024.
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