Jn ihrem Wesen und Betragen sind die Uferschnepfen echte Wasserläufer. Sie schreiten, wie diese, mit abgesetzten Schritten, also niemals trippelnd, wie die Strandläufer, am Wasserrande einher, waten oft bis an den Leib ins Wasser, schwimmen auch und wissen sich im Nothfalle trefflich durch Untertauchen zu helfen. Schilling beobachtete, daß ein Sumpfwater, welchen er angeschossen hatte, vor seinen Augen ins Meer tauchte und nicht wieder zum Vorscheine kam; mir ist Aehnliches am Mensalehsee wiederholt begegnet, und ich kann wenigstens die Tauchfertigkeit dieser und der verwandten Arten bestätigen. Der Flug ähnelt dem der kleineren Wasserläufer hinsichtlich der Leichtigkeit und Gewandtheit, steht ihm auch kaum an Schnelligkeit nach; wenigstens bemerkt man, daß Limosen und Wasserläufer lange Zeit mit einander fortfliegen können, ohne daß der eine dem anderen vorauskommt. Vor dem Niedersetzen pflegt der Sumpfwater zu flattern und die Flügel vor dem Zusammenlegen mit den Spitzen senkrecht in die Höhe zu strecken. Wenn mehrere Uferschnepfen von einem Orte zum anderen fliegen, halten sie selten eine gewisse Ordnung ein, bilden vielmehr wirre Schwärme; während sie, wenn sie ziehen, die übliche Keilordnung annehmen. Die Stimme unterscheidet sich von der der kleinen Wasserläufer durch die Tiefe des Tones und den geringen Wohlklang. Der Lockton klingt wie "Kjäu" oder "Kei, kei", auch wohl "Jäckjäckjäck", der Paarungsruf, wohllautender, mehr flötenartig, wie "Tabie, tabie". Keiner der Laute kann sich an Vollklang mit dem der Wasserläufer im engeren Sinne messen.
Das Betragen der Uferschnepfen läßt auf scharfe Sinne und vielen Verstand schließen. Zuweilen trifft man einzelne dieser Vögel an, welche sich gar nicht scheu zeigen; die Mehrzahl aber weicht dem Jäger forgfältig aus und unterscheidet ihn sicher von anderen ungefährlichen Menschen. Eine Gesell- schaft von Uferschnepfen ist immer scheu, sie mag sich aufhalten, wo sie will; die einzelnen werden es ebenfalls, wenn sie Verfolgungen erfuhren, und nicht blos dann, sondern auch da, wo sie sich zum Führer ihrer kleinen Verwandtschaft aufwerfen. Naumann sagt, daß gewöhnlich die jüngeren Ufer- schnepfen zu dieser Ehre kämen; ich glaube beobachtet zu haben, daß Alte wie Junge benutzt werden. Am Mensaleh sah ich selten eine Uferschnepfe ohne die übliche Begleitung der verschiedensten Strand- läufer und Regenpfeifer, welche jeder Bewegung des großen Führers folgten und sich ihm überhaupt in jeder Hinsicht unterordneten. Andere Wasserläufer gesellen sich diesen Vereinen nicht bei, gerade als ob sie beweisen wollten, daß sie in gleichem Grade wie die Uferschnepfen fähig wären, andere zu führen.
Würmer und Kerbthierlarven oder ausgebildete Kerfe, kleine Muscheln, junge Krebse und Fischchen bilden die Nahrung der Uferschnepfen; große Beute vermögen sie nicht zu verschlingen. Ob ihr Schnabel wirklich, wie man angenommen, so feinfühlend ist, daß sie ohne Hilfe des Gesichts ihre Nahrung entdecken, steht dahin. Die Zergliederung zeigt, daß der knochenzellige Tastapparat bei ihnen nicht entwickelt ist.
Ueber die Fortpflanzung des Sumpfwaters sind wir immer noch im Unklaren; nicht einmal Bädecker's Eierwerk gibt Aufschluß. Wallengren sagt zwar, daß unsere Uferschnepfe im öst- lichen Theile des hohen Nordens der skandinavischen Halbinsel brütet und von Malm diesseits des Alpenkammes, also in Enarelappmark gefunden worden sei, bleibt uns aber eine Beschreibung des Nestes und der Eier schuldig. Von einer verwandten Art wissen wir, daß sie in Holland brütet und auf einer etwas erhöhten Stelle in tiefen und großen Sümpfen und Morästen, oder nassen, moorigen Wiesen ihr Nest anlegt: eine einfache, mit Gewürzel und Grashalmen ausgelegte Grube, welche Ende Aprils vier große, dickbauchige, auf graugelblichem, bräunlichen, dunkelölgrünen oder rost- braunen, immer trüben Grunde mit großen und kleinen Flecken, Stricheln und Punkten von aschgrauer, erdbrauner, dunkelbrauner Färbung gezeichnete Eier enthält. Beide Eltern brüten abwechselnd und führen auch die kleinen Jungen gemeinschaftlich, bei Gefahr sie ängstlich umflatternd.
Jn der Gefangenschaft benehmen sich die Uferschnepfen wie andere Wasserläufer. Sie gehen leicht ans Futter, gewöhnen sich bald ein, lernen ihren Wärter kennen und halten sich, zumal wenn
Brehm, Thierleben. IV. 41
Sumpfwater.
Jn ihrem Weſen und Betragen ſind die Uferſchnepfen echte Waſſerläufer. Sie ſchreiten, wie dieſe, mit abgeſetzten Schritten, alſo niemals trippelnd, wie die Strandläufer, am Waſſerrande einher, waten oft bis an den Leib ins Waſſer, ſchwimmen auch und wiſſen ſich im Nothfalle trefflich durch Untertauchen zu helfen. Schilling beobachtete, daß ein Sumpfwater, welchen er angeſchoſſen hatte, vor ſeinen Augen ins Meer tauchte und nicht wieder zum Vorſcheine kam; mir iſt Aehnliches am Menſalehſee wiederholt begegnet, und ich kann wenigſtens die Tauchfertigkeit dieſer und der verwandten Arten beſtätigen. Der Flug ähnelt dem der kleineren Waſſerläufer hinſichtlich der Leichtigkeit und Gewandtheit, ſteht ihm auch kaum an Schnelligkeit nach; wenigſtens bemerkt man, daß Limoſen und Waſſerläufer lange Zeit mit einander fortfliegen können, ohne daß der eine dem anderen vorauskommt. Vor dem Niederſetzen pflegt der Sumpfwater zu flattern und die Flügel vor dem Zuſammenlegen mit den Spitzen ſenkrecht in die Höhe zu ſtrecken. Wenn mehrere Uferſchnepfen von einem Orte zum anderen fliegen, halten ſie ſelten eine gewiſſe Ordnung ein, bilden vielmehr wirre Schwärme; während ſie, wenn ſie ziehen, die übliche Keilordnung annehmen. Die Stimme unterſcheidet ſich von der der kleinen Waſſerläufer durch die Tiefe des Tones und den geringen Wohlklang. Der Lockton klingt wie „Kjäu“ oder „Kei, kei“, auch wohl „Jäckjäckjäck“, der Paarungsruf, wohllautender, mehr flötenartig, wie „Tabie, tabie“. Keiner der Laute kann ſich an Vollklang mit dem der Waſſerläufer im engeren Sinne meſſen.
Das Betragen der Uferſchnepfen läßt auf ſcharfe Sinne und vielen Verſtand ſchließen. Zuweilen trifft man einzelne dieſer Vögel an, welche ſich gar nicht ſcheu zeigen; die Mehrzahl aber weicht dem Jäger forgfältig aus und unterſcheidet ihn ſicher von anderen ungefährlichen Menſchen. Eine Geſell- ſchaft von Uferſchnepfen iſt immer ſcheu, ſie mag ſich aufhalten, wo ſie will; die einzelnen werden es ebenfalls, wenn ſie Verfolgungen erfuhren, und nicht blos dann, ſondern auch da, wo ſie ſich zum Führer ihrer kleinen Verwandtſchaft aufwerfen. Naumann ſagt, daß gewöhnlich die jüngeren Ufer- ſchnepfen zu dieſer Ehre kämen; ich glaube beobachtet zu haben, daß Alte wie Junge benutzt werden. Am Menſaleh ſah ich ſelten eine Uferſchnepfe ohne die übliche Begleitung der verſchiedenſten Strand- läufer und Regenpfeifer, welche jeder Bewegung des großen Führers folgten und ſich ihm überhaupt in jeder Hinſicht unterordneten. Andere Waſſerläufer geſellen ſich dieſen Vereinen nicht bei, gerade als ob ſie beweiſen wollten, daß ſie in gleichem Grade wie die Uferſchnepfen fähig wären, andere zu führen.
Würmer und Kerbthierlarven oder ausgebildete Kerfe, kleine Muſcheln, junge Krebſe und Fiſchchen bilden die Nahrung der Uferſchnepfen; große Beute vermögen ſie nicht zu verſchlingen. Ob ihr Schnabel wirklich, wie man angenommen, ſo feinfühlend iſt, daß ſie ohne Hilfe des Geſichts ihre Nahrung entdecken, ſteht dahin. Die Zergliederung zeigt, daß der knochenzellige Taſtapparat bei ihnen nicht entwickelt iſt.
Ueber die Fortpflanzung des Sumpfwaters ſind wir immer noch im Unklaren; nicht einmal Bädecker’s Eierwerk gibt Aufſchluß. Wallengren ſagt zwar, daß unſere Uferſchnepfe im öſt- lichen Theile des hohen Nordens der ſkandinaviſchen Halbinſel brütet und von Malm dieſſeits des Alpenkammes, alſo in Enarelappmark gefunden worden ſei, bleibt uns aber eine Beſchreibung des Neſtes und der Eier ſchuldig. Von einer verwandten Art wiſſen wir, daß ſie in Holland brütet und auf einer etwas erhöhten Stelle in tiefen und großen Sümpfen und Moräſten, oder naſſen, moorigen Wieſen ihr Neſt anlegt: eine einfache, mit Gewürzel und Grashalmen ausgelegte Grube, welche Ende Aprils vier große, dickbauchige, auf graugelblichem, bräunlichen, dunkelölgrünen oder roſt- braunen, immer trüben Grunde mit großen und kleinen Flecken, Stricheln und Punkten von aſchgrauer, erdbrauner, dunkelbrauner Färbung gezeichnete Eier enthält. Beide Eltern brüten abwechſelnd und führen auch die kleinen Jungen gemeinſchaftlich, bei Gefahr ſie ängſtlich umflatternd.
Jn der Gefangenſchaft benehmen ſich die Uferſchnepfen wie andere Waſſerläufer. Sie gehen leicht ans Futter, gewöhnen ſich bald ein, lernen ihren Wärter kennen und halten ſich, zumal wenn
Brehm, Thierleben. IV. 41
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Sumpfwater.
Jn ihrem Weſen und Betragen ſind die Uferſchnepfen echte Waſſerläufer. Sie ſchreiten, wie
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waten oft bis an den Leib ins Waſſer, ſchwimmen auch und wiſſen ſich im Nothfalle trefflich durch
Untertauchen zu helfen. Schilling beobachtete, daß ein Sumpfwater, welchen er angeſchoſſen hatte,
vor ſeinen Augen ins Meer tauchte und nicht wieder zum Vorſcheine kam; mir iſt Aehnliches am
Menſalehſee wiederholt begegnet, und ich kann wenigſtens die Tauchfertigkeit dieſer und der verwandten
Arten beſtätigen. Der Flug ähnelt dem der kleineren Waſſerläufer hinſichtlich der Leichtigkeit und
Gewandtheit, ſteht ihm auch kaum an Schnelligkeit nach; wenigſtens bemerkt man, daß Limoſen und
Waſſerläufer lange Zeit mit einander fortfliegen können, ohne daß der eine dem anderen vorauskommt.
Vor dem Niederſetzen pflegt der Sumpfwater zu flattern und die Flügel vor dem Zuſammenlegen mit den
Spitzen ſenkrecht in die Höhe zu ſtrecken. Wenn mehrere Uferſchnepfen von einem Orte zum anderen
fliegen, halten ſie ſelten eine gewiſſe Ordnung ein, bilden vielmehr wirre Schwärme; während ſie,
wenn ſie ziehen, die übliche Keilordnung annehmen. Die Stimme unterſcheidet ſich von der der kleinen
Waſſerläufer durch die Tiefe des Tones und den geringen Wohlklang. Der Lockton klingt wie „Kjäu“
oder „Kei, kei“, auch wohl „Jäckjäckjäck“, der Paarungsruf, wohllautender, mehr flötenartig, wie
„Tabie, tabie“. Keiner der Laute kann ſich an Vollklang mit dem der Waſſerläufer im engeren
Sinne meſſen.
Das Betragen der Uferſchnepfen läßt auf ſcharfe Sinne und vielen Verſtand ſchließen. Zuweilen
trifft man einzelne dieſer Vögel an, welche ſich gar nicht ſcheu zeigen; die Mehrzahl aber weicht dem
Jäger forgfältig aus und unterſcheidet ihn ſicher von anderen ungefährlichen Menſchen. Eine Geſell-
ſchaft von Uferſchnepfen iſt immer ſcheu, ſie mag ſich aufhalten, wo ſie will; die einzelnen werden es
ebenfalls, wenn ſie Verfolgungen erfuhren, und nicht blos dann, ſondern auch da, wo ſie ſich zum
Führer ihrer kleinen Verwandtſchaft aufwerfen. Naumann ſagt, daß gewöhnlich die jüngeren Ufer-
ſchnepfen zu dieſer Ehre kämen; ich glaube beobachtet zu haben, daß Alte wie Junge benutzt werden.
Am Menſaleh ſah ich ſelten eine Uferſchnepfe ohne die übliche Begleitung der verſchiedenſten Strand-
läufer und Regenpfeifer, welche jeder Bewegung des großen Führers folgten und ſich ihm überhaupt
in jeder Hinſicht unterordneten. Andere Waſſerläufer geſellen ſich dieſen Vereinen nicht bei, gerade
als ob ſie beweiſen wollten, daß ſie in gleichem Grade wie die Uferſchnepfen fähig wären, andere
zu führen.
Würmer und Kerbthierlarven oder ausgebildete Kerfe, kleine Muſcheln, junge Krebſe und
Fiſchchen bilden die Nahrung der Uferſchnepfen; große Beute vermögen ſie nicht zu verſchlingen. Ob
ihr Schnabel wirklich, wie man angenommen, ſo feinfühlend iſt, daß ſie ohne Hilfe des Geſichts ihre
Nahrung entdecken, ſteht dahin. Die Zergliederung zeigt, daß der knochenzellige Taſtapparat bei ihnen
nicht entwickelt iſt.
Ueber die Fortpflanzung des Sumpfwaters ſind wir immer noch im Unklaren; nicht einmal
Bädecker’s Eierwerk gibt Aufſchluß. Wallengren ſagt zwar, daß unſere Uferſchnepfe im öſt-
lichen Theile des hohen Nordens der ſkandinaviſchen Halbinſel brütet und von Malm dieſſeits des
Alpenkammes, alſo in Enarelappmark gefunden worden ſei, bleibt uns aber eine Beſchreibung des
Neſtes und der Eier ſchuldig. Von einer verwandten Art wiſſen wir, daß ſie in Holland brütet und
auf einer etwas erhöhten Stelle in tiefen und großen Sümpfen und Moräſten, oder naſſen, moorigen
Wieſen ihr Neſt anlegt: eine einfache, mit Gewürzel und Grashalmen ausgelegte Grube, welche
Ende Aprils vier große, dickbauchige, auf graugelblichem, bräunlichen, dunkelölgrünen oder roſt-
braunen, immer trüben Grunde mit großen und kleinen Flecken, Stricheln und Punkten von
aſchgrauer, erdbrauner, dunkelbrauner Färbung gezeichnete Eier enthält. Beide Eltern brüten
abwechſelnd und führen auch die kleinen Jungen gemeinſchaftlich, bei Gefahr ſie ängſtlich
umflatternd.
Jn der Gefangenſchaft benehmen ſich die Uferſchnepfen wie andere Waſſerläufer. Sie gehen
leicht ans Futter, gewöhnen ſich bald ein, lernen ihren Wärter kennen und halten ſich, zumal wenn
Brehm, Thierleben. IV. 41
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 641. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/681>, abgerufen am 22.11.2024.
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