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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Läufer. Stelzvögel. Wasserläufer.
schlickigen Stellen und immer blos auf kurze Zeit. Jn der Winterherberge siedelt er sich an den
Strandseen, Flüssen, welche ihre Ufer übertreten, und besonders gern in den Reisfeldern an. Gewöhn-
lich sieht man ihn hier einzeln, aber fast immer umringt von verschiedenen Strandläufern, Strand-
reutern, Uferschnepfen oder selbst Schwimmvögeln, namentlich Enten, deren Führung er anscheinend
bereitwillig übernimmt, welche ihm mindestens blindlings folgen. Er bindet sich nicht an größere
Gewässer, sondern sucht selbst die kleinsten Lachen und Teiche ab, meidet aber auf das Entschiedenste
Wald oder Gebüsch, unzweifelhaft nur aus Vorsicht. Freie Aussicht nach allen Seiten hin ist die
erste Bedingung, welche er an den Ort stellt, auf dem er sich niederlassen will: -- er traut nicht ein-
mal dem gastfreundlichen Araber.

Man darf behaupten, daß der Glutt die Eigenschaften seiner Familie in sich vereinigt.
Er besitzt alle Munterkeit, Gewandtheit und Beweglichkeit seiner Verwandten, trägt sich hoch, man
möchte sagen stolz, schreitet mit wagerecht gehaltenem Leibe leicht und behend dahin, watet gern in das
Wasser, schwimmt, und nicht blos im Nothfalle, oft über ziemlich weite Wasserstrecken, taucht bei Gefahr
ganz vortrefflich und rudert sich unter dem Wasser mit Hilfe seiner Flügel weiter, fliegt, meist in
gerader Richtung, mit raschen und kräftigen Schwingungen schnell und gewandt dahin, beschreibt pracht-
volle Wendungen und wirft sich vor dem Niedersetzen sausend bis dicht auf den Boden herab, erst hier
die Eile der Bewegung durch Flügelschläge hemmend. Seine Stimme ist ein hohes, helles, weit
tönendes Pfeifen, welches sich durch die Silbe "Tjia" ungefähr wiedergeben läßt und sehr angenehm
klingt, der Lockton ein leises "Dick, dick", der Ausdruck der Angst ein kreischendes "Krüh, krüh", der
Paarungsgesang ein flötenartiges "Dahüdl, dahüdl, dahüdl", welches oft wiederholt, aber nur im
Fluge vorgetragen wird. Unter den Verwandten ist er unbedingt der klügste, vorsichtigste und scheueste
und deshalb gerade zur Führerschaft im höchsten Grade befähigt. Man sieht ihn zu jeder Tageszeit
in Bewegung; denn er schläft nur in den Mittags- oder vielleicht noch in den Mitternachtsstunden,
aber auch dann noch so leise, daß ihn jedes Geräusch sofort erweckt. Einen herannahenden Menschen
beobachtet er sorgfältig und mit dem entschiedensten Mißtrauen; dem Reiter weicht er ebenso ängstlich
aus wie dem Fußgänger, dem Schiffer im Kahne wie dem Fuhrmanne auf dem Wagen. Alles Un-
gewohnte bewegt ihn zur Flucht, und er zeigt sich um so scheuer, je weniger er mit dem Menschen
verkehrt. Geselligkeit ist auch ihm fremd: er kümmert sich, wie man bald wahrnimmt, kaum um
Seinesgleichen, obwohl er zuweilen mit anderen seiner Art zusammenkommt, und nicht er ist es,
welcher sich unter die oben genannten Gefährten mischt, sondern diese suchen ihn auf. Sein Lockton
gilt allen Verwandten und ebenso den Strandläufern als untrügliches Zeichen, daß eine gewisse Oert-
lichkeit sicher ist; sein Betragen dient allen zur Richtschnur.

Man kann noch nicht angeben, welche Thierarten die Lieblingsnahrung des Glutt bilden. Er
nährt sich von sehr verschiedenem Wassergethier, wahrscheinlich von Kerbthieren und deren Larven,
Kerfen, Haften, Libellen und dergleichen, ebenso auch von Froschlarven und kleinen ausgebildeten
Fröschchen und endlich von Fischchen verschiedener Art, natürlich nur von solchen, welche er verschlingen
kann. Naumann sah ihn mit großem Behagen Drehkäferchen von der Oberfläche des Wassers weg-
nehmen und ihnen bis tief ins Wasser nachlaufen.

Ueber die Fortpflanzung sind wir noch immer nicht genügend unterrichtet. Wir wissen, daß der
Glutt im Nordosten brütet, einzeln schon auf Rügen, häufiger auf Gothland und nicht gerade
selten in Lappland, in den Mooren am Fuße der Alpen. Das Nest, kunstlos aus Halmen gebaut,
steht auf einem Grashügel, unter einer Birke oder einer Weide und enthält im Juni vier ziemlich große
Eier, welche auf bleicholivengelbem Grunde mit mehr oder weniger sichtbaren bräunlichgrauen Schalen-
flecken und vielen kleinen und mittelgroßen rothbraunen Flecken und Punkten bemalt sind. Diese
Eier gehören noch heutigen Tages in den Sammlungen zu den größten Seltenheiten. So geben mein
Vater und Päßler in Bädeker's prachtvollem Eierwerke an.

Der Glutt ist, wie bemerkt, unter seinen nächsten Verwandten der scheueste, und seine Jagd des-
hal[b] keineswegs leicht. Bei Annäherung eines ihm verdächtig erscheinenden Menschen ergreift er schon

Die Läufer. Stelzvögel. Waſſerläufer.
ſchlickigen Stellen und immer blos auf kurze Zeit. Jn der Winterherberge ſiedelt er ſich an den
Strandſeen, Flüſſen, welche ihre Ufer übertreten, und beſonders gern in den Reisfeldern an. Gewöhn-
lich ſieht man ihn hier einzeln, aber faſt immer umringt von verſchiedenen Strandläufern, Strand-
reutern, Uferſchnepfen oder ſelbſt Schwimmvögeln, namentlich Enten, deren Führung er anſcheinend
bereitwillig übernimmt, welche ihm mindeſtens blindlings folgen. Er bindet ſich nicht an größere
Gewäſſer, ſondern ſucht ſelbſt die kleinſten Lachen und Teiche ab, meidet aber auf das Entſchiedenſte
Wald oder Gebüſch, unzweifelhaft nur aus Vorſicht. Freie Ausſicht nach allen Seiten hin iſt die
erſte Bedingung, welche er an den Ort ſtellt, auf dem er ſich niederlaſſen will: — er traut nicht ein-
mal dem gaſtfreundlichen Araber.

Man darf behaupten, daß der Glutt die Eigenſchaften ſeiner Familie in ſich vereinigt.
Er beſitzt alle Munterkeit, Gewandtheit und Beweglichkeit ſeiner Verwandten, trägt ſich hoch, man
möchte ſagen ſtolz, ſchreitet mit wagerecht gehaltenem Leibe leicht und behend dahin, watet gern in das
Waſſer, ſchwimmt, und nicht blos im Nothfalle, oft über ziemlich weite Waſſerſtrecken, taucht bei Gefahr
ganz vortrefflich und rudert ſich unter dem Waſſer mit Hilfe ſeiner Flügel weiter, fliegt, meiſt in
gerader Richtung, mit raſchen und kräftigen Schwingungen ſchnell und gewandt dahin, beſchreibt pracht-
volle Wendungen und wirft ſich vor dem Niederſetzen ſauſend bis dicht auf den Boden herab, erſt hier
die Eile der Bewegung durch Flügelſchläge hemmend. Seine Stimme iſt ein hohes, helles, weit
tönendes Pfeifen, welches ſich durch die Silbe „Tjia“ ungefähr wiedergeben läßt und ſehr angenehm
klingt, der Lockton ein leiſes „Dick, dick“, der Ausdruck der Angſt ein kreiſchendes „Krüh, krüh“, der
Paarungsgeſang ein flötenartiges „Dahüdl, dahüdl, dahüdl“, welches oft wiederholt, aber nur im
Fluge vorgetragen wird. Unter den Verwandten iſt er unbedingt der klügſte, vorſichtigſte und ſcheueſte
und deshalb gerade zur Führerſchaft im höchſten Grade befähigt. Man ſieht ihn zu jeder Tageszeit
in Bewegung; denn er ſchläft nur in den Mittags- oder vielleicht noch in den Mitternachtsſtunden,
aber auch dann noch ſo leiſe, daß ihn jedes Geräuſch ſofort erweckt. Einen herannahenden Menſchen
beobachtet er ſorgfältig und mit dem entſchiedenſten Mißtrauen; dem Reiter weicht er ebenſo ängſtlich
aus wie dem Fußgänger, dem Schiffer im Kahne wie dem Fuhrmanne auf dem Wagen. Alles Un-
gewohnte bewegt ihn zur Flucht, und er zeigt ſich um ſo ſcheuer, je weniger er mit dem Menſchen
verkehrt. Geſelligkeit iſt auch ihm fremd: er kümmert ſich, wie man bald wahrnimmt, kaum um
Seinesgleichen, obwohl er zuweilen mit anderen ſeiner Art zuſammenkommt, und nicht er iſt es,
welcher ſich unter die oben genannten Gefährten miſcht, ſondern dieſe ſuchen ihn auf. Sein Lockton
gilt allen Verwandten und ebenſo den Strandläufern als untrügliches Zeichen, daß eine gewiſſe Oert-
lichkeit ſicher iſt; ſein Betragen dient allen zur Richtſchnur.

Man kann noch nicht angeben, welche Thierarten die Lieblingsnahrung des Glutt bilden. Er
nährt ſich von ſehr verſchiedenem Waſſergethier, wahrſcheinlich von Kerbthieren und deren Larven,
Kerfen, Haften, Libellen und dergleichen, ebenſo auch von Froſchlarven und kleinen ausgebildeten
Fröſchchen und endlich von Fiſchchen verſchiedener Art, natürlich nur von ſolchen, welche er verſchlingen
kann. Naumann ſah ihn mit großem Behagen Drehkäferchen von der Oberfläche des Waſſers weg-
nehmen und ihnen bis tief ins Waſſer nachlaufen.

Ueber die Fortpflanzung ſind wir noch immer nicht genügend unterrichtet. Wir wiſſen, daß der
Glutt im Nordoſten brütet, einzeln ſchon auf Rügen, häufiger auf Gothland und nicht gerade
ſelten in Lappland, in den Mooren am Fuße der Alpen. Das Neſt, kunſtlos aus Halmen gebaut,
ſteht auf einem Grashügel, unter einer Birke oder einer Weide und enthält im Juni vier ziemlich große
Eier, welche auf bleicholivengelbem Grunde mit mehr oder weniger ſichtbaren bräunlichgrauen Schalen-
flecken und vielen kleinen und mittelgroßen rothbraunen Flecken und Punkten bemalt ſind. Dieſe
Eier gehören noch heutigen Tages in den Sammlungen zu den größten Seltenheiten. So geben mein
Vater und Päßler in Bädeker’s prachtvollem Eierwerke an.

Der Glutt iſt, wie bemerkt, unter ſeinen nächſten Verwandten der ſcheueſte, und ſeine Jagd des-
hal[b] keineswegs leicht. Bei Annäherung eines ihm verdächtig erſcheinenden Menſchen ergreift er ſchon

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[638/0678] Die Läufer. Stelzvögel. Waſſerläufer. ſchlickigen Stellen und immer blos auf kurze Zeit. Jn der Winterherberge ſiedelt er ſich an den Strandſeen, Flüſſen, welche ihre Ufer übertreten, und beſonders gern in den Reisfeldern an. Gewöhn- lich ſieht man ihn hier einzeln, aber faſt immer umringt von verſchiedenen Strandläufern, Strand- reutern, Uferſchnepfen oder ſelbſt Schwimmvögeln, namentlich Enten, deren Führung er anſcheinend bereitwillig übernimmt, welche ihm mindeſtens blindlings folgen. Er bindet ſich nicht an größere Gewäſſer, ſondern ſucht ſelbſt die kleinſten Lachen und Teiche ab, meidet aber auf das Entſchiedenſte Wald oder Gebüſch, unzweifelhaft nur aus Vorſicht. Freie Ausſicht nach allen Seiten hin iſt die erſte Bedingung, welche er an den Ort ſtellt, auf dem er ſich niederlaſſen will: — er traut nicht ein- mal dem gaſtfreundlichen Araber. Man darf behaupten, daß der Glutt die Eigenſchaften ſeiner Familie in ſich vereinigt. Er beſitzt alle Munterkeit, Gewandtheit und Beweglichkeit ſeiner Verwandten, trägt ſich hoch, man möchte ſagen ſtolz, ſchreitet mit wagerecht gehaltenem Leibe leicht und behend dahin, watet gern in das Waſſer, ſchwimmt, und nicht blos im Nothfalle, oft über ziemlich weite Waſſerſtrecken, taucht bei Gefahr ganz vortrefflich und rudert ſich unter dem Waſſer mit Hilfe ſeiner Flügel weiter, fliegt, meiſt in gerader Richtung, mit raſchen und kräftigen Schwingungen ſchnell und gewandt dahin, beſchreibt pracht- volle Wendungen und wirft ſich vor dem Niederſetzen ſauſend bis dicht auf den Boden herab, erſt hier die Eile der Bewegung durch Flügelſchläge hemmend. Seine Stimme iſt ein hohes, helles, weit tönendes Pfeifen, welches ſich durch die Silbe „Tjia“ ungefähr wiedergeben läßt und ſehr angenehm klingt, der Lockton ein leiſes „Dick, dick“, der Ausdruck der Angſt ein kreiſchendes „Krüh, krüh“, der Paarungsgeſang ein flötenartiges „Dahüdl, dahüdl, dahüdl“, welches oft wiederholt, aber nur im Fluge vorgetragen wird. Unter den Verwandten iſt er unbedingt der klügſte, vorſichtigſte und ſcheueſte und deshalb gerade zur Führerſchaft im höchſten Grade befähigt. Man ſieht ihn zu jeder Tageszeit in Bewegung; denn er ſchläft nur in den Mittags- oder vielleicht noch in den Mitternachtsſtunden, aber auch dann noch ſo leiſe, daß ihn jedes Geräuſch ſofort erweckt. Einen herannahenden Menſchen beobachtet er ſorgfältig und mit dem entſchiedenſten Mißtrauen; dem Reiter weicht er ebenſo ängſtlich aus wie dem Fußgänger, dem Schiffer im Kahne wie dem Fuhrmanne auf dem Wagen. Alles Un- gewohnte bewegt ihn zur Flucht, und er zeigt ſich um ſo ſcheuer, je weniger er mit dem Menſchen verkehrt. Geſelligkeit iſt auch ihm fremd: er kümmert ſich, wie man bald wahrnimmt, kaum um Seinesgleichen, obwohl er zuweilen mit anderen ſeiner Art zuſammenkommt, und nicht er iſt es, welcher ſich unter die oben genannten Gefährten miſcht, ſondern dieſe ſuchen ihn auf. Sein Lockton gilt allen Verwandten und ebenſo den Strandläufern als untrügliches Zeichen, daß eine gewiſſe Oert- lichkeit ſicher iſt; ſein Betragen dient allen zur Richtſchnur. Man kann noch nicht angeben, welche Thierarten die Lieblingsnahrung des Glutt bilden. Er nährt ſich von ſehr verſchiedenem Waſſergethier, wahrſcheinlich von Kerbthieren und deren Larven, Kerfen, Haften, Libellen und dergleichen, ebenſo auch von Froſchlarven und kleinen ausgebildeten Fröſchchen und endlich von Fiſchchen verſchiedener Art, natürlich nur von ſolchen, welche er verſchlingen kann. Naumann ſah ihn mit großem Behagen Drehkäferchen von der Oberfläche des Waſſers weg- nehmen und ihnen bis tief ins Waſſer nachlaufen. Ueber die Fortpflanzung ſind wir noch immer nicht genügend unterrichtet. Wir wiſſen, daß der Glutt im Nordoſten brütet, einzeln ſchon auf Rügen, häufiger auf Gothland und nicht gerade ſelten in Lappland, in den Mooren am Fuße der Alpen. Das Neſt, kunſtlos aus Halmen gebaut, ſteht auf einem Grashügel, unter einer Birke oder einer Weide und enthält im Juni vier ziemlich große Eier, welche auf bleicholivengelbem Grunde mit mehr oder weniger ſichtbaren bräunlichgrauen Schalen- flecken und vielen kleinen und mittelgroßen rothbraunen Flecken und Punkten bemalt ſind. Dieſe Eier gehören noch heutigen Tages in den Sammlungen zu den größten Seltenheiten. So geben mein Vater und Päßler in Bädeker’s prachtvollem Eierwerke an. Der Glutt iſt, wie bemerkt, unter ſeinen nächſten Verwandten der ſcheueſte, und ſeine Jagd des- halb keineswegs leicht. Bei Annäherung eines ihm verdächtig erſcheinenden Menſchen ergreift er ſchon

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/678>, abgerufen am 22.11.2024.