Die Wasserläufer (Totani), welche früher allgemein mit den Strandläufern vereinigt wurden, bilden eine wohl abgegrenzte Gruppe, welcher man den Rang einer Familie zugestehen darf. Jhre Gestalt ist leicht und zierlich, der Hals mittellang, der Kopf klein, der Flügel lang und schmal, in ihm die erste Schwinge die längste, der zwölffederige Schwanz kurz, abgerundet, abgestuft oder keil- förmig, der Schnabel kopflang oder etwas länger, von der Wurzel bis gegen die Mitte hin weich, an der Spitze hornig, der Fuß verschieden gebaut, bald hoch und dünn, bald kurz und kräftig, gewöhnlich vier-, mitunter auch dreizehig. Das Kleingefieder liegt knapp an, trägt keine Prachtfarben und wird zweimal im Jahre gewechselt. Männchen und Weibchen unterscheiden sich wenig durch die Größe, wenig oder nicht durch die Färbung.
Auch in den Wasserläufern wiederholen sich, laut Nitzsch, die allgemeinen Bildungsverhältnisse der Schnepfenvögel; bezeichnend für alle Glieder der Familie ist jedoch, daß der knochenzellige Tast- apparat an den Kiefern fehlt. Die Wirbelsäule besteht aus zwölf Hals-, neun Rücken- und acht bis neun Schwanzwirbeln. Das Brustbein unterscheidet sich von dem der Strandläufer durch die geringere Größe des inneren Paares der Hautbuchten; das Becken ist verhältnißmäßig schmal. Die Zunge erreicht nicht die Schnabelspitze; der Magen ist schwachmuskelig, die Milz klein und rund, der Darmschlauch fällt auf durch die Kürze der Blinddärme.
Wie die vorher genannten Vögel gehören auch die Wasserläufer vorzugsweise dem Norden an; alle Arten aber wandern regelmäßig und besuchen dabei die entlegensten Länder, ja einzelne siedeln sich hier auch wohl bleibend an, brüten und machen sich heimisch. Die Ufer fließender und stehender Gewässer, Sümpfe und Brüche, weniger die Seeküste, bilden ihre Aufenthaltsorte; einzelne leben vor- zugsweise im Walde. Jn der Winterherberge vereinigen sich die Wasserläufer mit vielen anderen und manchmal ganz fremdartigen Vögeln, schlagen sich aber selten zu so starken Flügen zusammen, wie die Strandläufer; es scheint also, daß ihnen fremdartige Gesellschaft besser behagt als die derselben Art. Jhr Wesen ist sehr ansprechend, der Gang zierlich, behend, schrittweise, der Flug außerordentlich leicht und schnell. Fast alle Arten waten tief in das Wasser hinein und schwimmen unter Umständen geschickt in ihm umher, obwohl sie gewöhnlich nur stehend fischen, indem sie Kopf und Hals unter- tauchen, um Nahrung vom Grunde aufzunehmen. Jhre Stimme besteht aus angenehmen, hohen, flötenden, weit vernehmbaren Tönen, welche sich so ähneln, daß eine Art der anderen nicht selten folgt.
Erst nach beendeter Schneeschmelze erscheinen die Wasserläufer an ihren Brutplätzen, haupt- sächlich an großen Süßwassersümpfen, und bald nach ihrer Ankunft gründen sie hier auf dem Boden, ausnahmsweise auch auf niederen Baumstämmen und selbst Baumzweigen ihr Nest. Jm ersteren Falle scharren sie sich eine kleine Vertiefung im Grase, welche sie runden, glätten und belegen; im letzteren benutzen sie ein altes Drosselnest, eine Astgabel oder ähnliche Stellen und bilden aus zusammen- getragenem Mos oder aus Nadeln eine Unterlage. Das Gelege zählt ebenfalls vier, verhältniß- mäßig große, birn- oder kreiselförmige, auf ölgrünem Grunde mit braungrauen Flecken gezeichnete Eier. Nur das Weibchen brütet; aber das Männchen bekundet durch ängstliches Schreien und Umherfliegen warme Liebe für die Brut. Die Jungen laufen den Alten vom ersten Tage ihres Lebens an nach, verbergen sich nach Art ihrer Verwandten bei Gefahr äußerst geschickt auf dem Boden oder im Grase, lernen bald flattern, und machen sich, sowie sie ihre Flugfertigkeit erlangt haben, selb- ständig. Dann schweift Alt und Jung nach Belieben und meist ohne sich um einander zu bekümmern, noch in der Gegend hin und her, unternimmt größere Streifzüge und bricht endlich eines schönen Abends zur Winterreise auf.
Sämmtliche Wasserläufer gehören zu den vorsichtigen und scheuen Vögeln; die großen Arten übernehmen deshalb überall, wo sie mit anderen Strandvögeln zusammenleben, die Führerschaft. Jhre Jagd gelingt keineswegs immer; auch der Fang hat seine Schwierigkeiten. Jm Käfige gewöhnen sie sich bald ein, nehmen mit einfachem Ersatzfutter vorlieb und halten bei einigermaßen entsprechender Pflege jahrelang in der Gefangenschaft aus.
Die Läufer. Stelzvögel. Waſſerläufer.
Die Waſſerläufer (Totani), welche früher allgemein mit den Strandläufern vereinigt wurden, bilden eine wohl abgegrenzte Gruppe, welcher man den Rang einer Familie zugeſtehen darf. Jhre Geſtalt iſt leicht und zierlich, der Hals mittellang, der Kopf klein, der Flügel lang und ſchmal, in ihm die erſte Schwinge die längſte, der zwölffederige Schwanz kurz, abgerundet, abgeſtuft oder keil- förmig, der Schnabel kopflang oder etwas länger, von der Wurzel bis gegen die Mitte hin weich, an der Spitze hornig, der Fuß verſchieden gebaut, bald hoch und dünn, bald kurz und kräftig, gewöhnlich vier-, mitunter auch dreizehig. Das Kleingefieder liegt knapp an, trägt keine Prachtfarben und wird zweimal im Jahre gewechſelt. Männchen und Weibchen unterſcheiden ſich wenig durch die Größe, wenig oder nicht durch die Färbung.
Auch in den Waſſerläufern wiederholen ſich, laut Nitzſch, die allgemeinen Bildungsverhältniſſe der Schnepfenvögel; bezeichnend für alle Glieder der Familie iſt jedoch, daß der knochenzellige Taſt- apparat an den Kiefern fehlt. Die Wirbelſäule beſteht aus zwölf Hals-, neun Rücken- und acht bis neun Schwanzwirbeln. Das Bruſtbein unterſcheidet ſich von dem der Strandläufer durch die geringere Größe des inneren Paares der Hautbuchten; das Becken iſt verhältnißmäßig ſchmal. Die Zunge erreicht nicht die Schnabelſpitze; der Magen iſt ſchwachmuskelig, die Milz klein und rund, der Darmſchlauch fällt auf durch die Kürze der Blinddärme.
Wie die vorher genannten Vögel gehören auch die Waſſerläufer vorzugsweiſe dem Norden an; alle Arten aber wandern regelmäßig und beſuchen dabei die entlegenſten Länder, ja einzelne ſiedeln ſich hier auch wohl bleibend an, brüten und machen ſich heimiſch. Die Ufer fließender und ſtehender Gewäſſer, Sümpfe und Brüche, weniger die Seeküſte, bilden ihre Aufenthaltsorte; einzelne leben vor- zugsweiſe im Walde. Jn der Winterherberge vereinigen ſich die Waſſerläufer mit vielen anderen und manchmal ganz fremdartigen Vögeln, ſchlagen ſich aber ſelten zu ſo ſtarken Flügen zuſammen, wie die Strandläufer; es ſcheint alſo, daß ihnen fremdartige Geſellſchaft beſſer behagt als die derſelben Art. Jhr Weſen iſt ſehr anſprechend, der Gang zierlich, behend, ſchrittweiſe, der Flug außerordentlich leicht und ſchnell. Faſt alle Arten waten tief in das Waſſer hinein und ſchwimmen unter Umſtänden geſchickt in ihm umher, obwohl ſie gewöhnlich nur ſtehend fiſchen, indem ſie Kopf und Hals unter- tauchen, um Nahrung vom Grunde aufzunehmen. Jhre Stimme beſteht aus angenehmen, hohen, flötenden, weit vernehmbaren Tönen, welche ſich ſo ähneln, daß eine Art der anderen nicht ſelten folgt.
Erſt nach beendeter Schneeſchmelze erſcheinen die Waſſerläufer an ihren Brutplätzen, haupt- ſächlich an großen Süßwaſſerſümpfen, und bald nach ihrer Ankunft gründen ſie hier auf dem Boden, ausnahmsweiſe auch auf niederen Baumſtämmen und ſelbſt Baumzweigen ihr Neſt. Jm erſteren Falle ſcharren ſie ſich eine kleine Vertiefung im Graſe, welche ſie runden, glätten und belegen; im letzteren benutzen ſie ein altes Droſſelneſt, eine Aſtgabel oder ähnliche Stellen und bilden aus zuſammen- getragenem Mos oder aus Nadeln eine Unterlage. Das Gelege zählt ebenfalls vier, verhältniß- mäßig große, birn- oder kreiſelförmige, auf ölgrünem Grunde mit braungrauen Flecken gezeichnete Eier. Nur das Weibchen brütet; aber das Männchen bekundet durch ängſtliches Schreien und Umherfliegen warme Liebe für die Brut. Die Jungen laufen den Alten vom erſten Tage ihres Lebens an nach, verbergen ſich nach Art ihrer Verwandten bei Gefahr äußerſt geſchickt auf dem Boden oder im Graſe, lernen bald flattern, und machen ſich, ſowie ſie ihre Flugfertigkeit erlangt haben, ſelb- ſtändig. Dann ſchweift Alt und Jung nach Belieben und meiſt ohne ſich um einander zu bekümmern, noch in der Gegend hin und her, unternimmt größere Streifzüge und bricht endlich eines ſchönen Abends zur Winterreiſe auf.
Sämmtliche Waſſerläufer gehören zu den vorſichtigen und ſcheuen Vögeln; die großen Arten übernehmen deshalb überall, wo ſie mit anderen Strandvögeln zuſammenleben, die Führerſchaft. Jhre Jagd gelingt keineswegs immer; auch der Fang hat ſeine Schwierigkeiten. Jm Käfige gewöhnen ſie ſich bald ein, nehmen mit einfachem Erſatzfutter vorlieb und halten bei einigermaßen entſprechender Pflege jahrelang in der Gefangenſchaft aus.
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Die Läufer. Stelzvögel. Waſſerläufer.
Die Waſſerläufer (Totani), welche früher allgemein mit den Strandläufern vereinigt
wurden, bilden eine wohl abgegrenzte Gruppe, welcher man den Rang einer Familie zugeſtehen darf.
Jhre Geſtalt iſt leicht und zierlich, der Hals mittellang, der Kopf klein, der Flügel lang und ſchmal,
in ihm die erſte Schwinge die längſte, der zwölffederige Schwanz kurz, abgerundet, abgeſtuft oder keil-
förmig, der Schnabel kopflang oder etwas länger, von der Wurzel bis gegen die Mitte hin weich, an
der Spitze hornig, der Fuß verſchieden gebaut, bald hoch und dünn, bald kurz und kräftig, gewöhnlich
vier-, mitunter auch dreizehig. Das Kleingefieder liegt knapp an, trägt keine Prachtfarben und wird
zweimal im Jahre gewechſelt. Männchen und Weibchen unterſcheiden ſich wenig durch die Größe,
wenig oder nicht durch die Färbung.
Auch in den Waſſerläufern wiederholen ſich, laut Nitzſch, die allgemeinen Bildungsverhältniſſe
der Schnepfenvögel; bezeichnend für alle Glieder der Familie iſt jedoch, daß der knochenzellige Taſt-
apparat an den Kiefern fehlt. Die Wirbelſäule beſteht aus zwölf Hals-, neun Rücken- und
acht bis neun Schwanzwirbeln. Das Bruſtbein unterſcheidet ſich von dem der Strandläufer durch
die geringere Größe des inneren Paares der Hautbuchten; das Becken iſt verhältnißmäßig ſchmal.
Die Zunge erreicht nicht die Schnabelſpitze; der Magen iſt ſchwachmuskelig, die Milz klein und rund,
der Darmſchlauch fällt auf durch die Kürze der Blinddärme.
Wie die vorher genannten Vögel gehören auch die Waſſerläufer vorzugsweiſe dem Norden an;
alle Arten aber wandern regelmäßig und beſuchen dabei die entlegenſten Länder, ja einzelne ſiedeln
ſich hier auch wohl bleibend an, brüten und machen ſich heimiſch. Die Ufer fließender und ſtehender
Gewäſſer, Sümpfe und Brüche, weniger die Seeküſte, bilden ihre Aufenthaltsorte; einzelne leben vor-
zugsweiſe im Walde. Jn der Winterherberge vereinigen ſich die Waſſerläufer mit vielen anderen und
manchmal ganz fremdartigen Vögeln, ſchlagen ſich aber ſelten zu ſo ſtarken Flügen zuſammen, wie die
Strandläufer; es ſcheint alſo, daß ihnen fremdartige Geſellſchaft beſſer behagt als die derſelben Art.
Jhr Weſen iſt ſehr anſprechend, der Gang zierlich, behend, ſchrittweiſe, der Flug außerordentlich leicht
und ſchnell. Faſt alle Arten waten tief in das Waſſer hinein und ſchwimmen unter Umſtänden
geſchickt in ihm umher, obwohl ſie gewöhnlich nur ſtehend fiſchen, indem ſie Kopf und Hals unter-
tauchen, um Nahrung vom Grunde aufzunehmen. Jhre Stimme beſteht aus angenehmen, hohen,
flötenden, weit vernehmbaren Tönen, welche ſich ſo ähneln, daß eine Art der anderen nicht ſelten folgt.
Erſt nach beendeter Schneeſchmelze erſcheinen die Waſſerläufer an ihren Brutplätzen, haupt-
ſächlich an großen Süßwaſſerſümpfen, und bald nach ihrer Ankunft gründen ſie hier auf dem Boden,
ausnahmsweiſe auch auf niederen Baumſtämmen und ſelbſt Baumzweigen ihr Neſt. Jm erſteren
Falle ſcharren ſie ſich eine kleine Vertiefung im Graſe, welche ſie runden, glätten und belegen; im
letzteren benutzen ſie ein altes Droſſelneſt, eine Aſtgabel oder ähnliche Stellen und bilden aus zuſammen-
getragenem Mos oder aus Nadeln eine Unterlage. Das Gelege zählt ebenfalls vier, verhältniß-
mäßig große, birn- oder kreiſelförmige, auf ölgrünem Grunde mit braungrauen Flecken gezeichnete
Eier. Nur das Weibchen brütet; aber das Männchen bekundet durch ängſtliches Schreien und
Umherfliegen warme Liebe für die Brut. Die Jungen laufen den Alten vom erſten Tage ihres
Lebens an nach, verbergen ſich nach Art ihrer Verwandten bei Gefahr äußerſt geſchickt auf dem Boden
oder im Graſe, lernen bald flattern, und machen ſich, ſowie ſie ihre Flugfertigkeit erlangt haben, ſelb-
ſtändig. Dann ſchweift Alt und Jung nach Belieben und meiſt ohne ſich um einander zu bekümmern,
noch in der Gegend hin und her, unternimmt größere Streifzüge und bricht endlich eines ſchönen
Abends zur Winterreiſe auf.
Sämmtliche Waſſerläufer gehören zu den vorſichtigen und ſcheuen Vögeln; die großen Arten
übernehmen deshalb überall, wo ſie mit anderen Strandvögeln zuſammenleben, die Führerſchaft. Jhre
Jagd gelingt keineswegs immer; auch der Fang hat ſeine Schwierigkeiten. Jm Käfige gewöhnen ſie
ſich bald ein, nehmen mit einfachem Erſatzfutter vorlieb und halten bei einigermaßen entſprechender
Pflege jahrelang in der Gefangenſchaft aus.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/674>, abgerufen am 22.11.2024.
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