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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Läufer. Stelzvögel. Wassertreter.
während doch die äußere Gestalt und nicht allein diese, sondern auch die Zergliederung lehrt, daß sie
als die nächsten Verwandten der Strandläufer betrachtet werden müssen. Sie wiederholen, wie
Nitzsch sagt, alle bei den Schnepfenvögeln herrschenden inneren Bildungsverhältnisse und kommen
insbesondere mit den Strandläufern bis auf geringe Abweichungen überein. Jhre Wirbelsäule besteht
aus dreizehn Hals-, neun oder zehn Rücken- und neun Schwanzwirbeln; das Brustbein zeigt die in
dieser Gruppe gewöhnlichen vier Hautbuchten, zwei äußere, größere, zwei innere, kleinere; der Gabel-
knochen ist sehr von vorn nach hinten gekrümmt und unten mit einem kleinen unpaaren Griffe ver-
sehen; die Anlage der Muskeln gleicht der anderer Schnepfenvögel; die Zunge ist spitz, schmal,
etwa um den dritten oder vierten Theil kürzer als der Schnabel, der Magen länglich, schwach-
muskelig u. s. w.

Jn ihrer Lebensweise unterscheiden sich die Wassertreter von allen Vögeln, welche man kennt.
Sie sind allerliebste Geschöpfe, auf dem Lande ebenso gewandt, wie auf dem Wasser. Dort bewegen
sie sich nach Art der Strandläufer, hier schwimmen sie mit einer Leichtigkeit und Anmuth ohne Gleichen,
und nicht blos auf dem ruhigen Spiegel der kleinen Brutteiche, welche sie im Sommer aufsuchen, sondern
selbst in der aufgeregtesten See und unter den schwersten Stürmen, meilenweit vom Lande entfernt. Das
Meer ist ihre Heimat; denn das Land besuchen sie blos, um ihre Jungen zu erzeugen und groß zu
ziehen. Gerade deshalb erscheint uns ihr Leben noch in mancher Hinsicht dunkel und räthselhaft, und
gerade deshalb lassen sie, welche jeder Forscher freudig begrüßen würde, sich so selten bei uns im Lande
sehen, wahrscheinlich nur als Verschlagene. Jn der Nähe ihres Nestes kann man sie belauschen und
studiren; auf dem Meere entziehen sie sich gewöhnlich der Beobachtung, weil sie dasselbe zu einer Zeit
aufsuchen, in welcher der Schiffer ihre heimatlichen Breiten fast ängstlich meidet.



"Zwei gute norwegische Meilen von dem Gehöft Melbo auf den Lofodden liegt die Pfarrkirche
Bö und dicht neben ihr das Pfarrhaus. Jn ihm lebt ein liebenswürdiger Mann, bekannt als
tüchtiger Pfarrer, bekannter noch als tüchtiger Maler. Den suchen Sie auf, und wenn Sie es nicht
seinetwegen thun wollen, so müssen Sie es thun der Wassertreter halber, welche Sie dort in unmittel-
barer Nähe finden werden. Dreihundert Schritte östlich von diesem Pfarrhause liegen fünf kleine
mit Gras umstandene Süßwasserteiche; auf ihnen werden Sie die Vögel finden, nach denen Sie mich
gefragt haben."

So sagte mir der Forstmeister Barth, ein vogelkundiger Norman, bei dem ich mir Raths
erholte, bevor ich mich den Ländern zuwandte, in welchen vier Monate im Jahre die Sonne nicht
untergeht. Jch begab mich auf die Reise, benutzte jede Gelegenheit, um mit der Vogelwelt bekannt
zu werden, suchte jeden riedumstandenen Süßwassersee ab und spähte vergeblich nach den ersehnten
Vögeln. Endlich kam ich nach Bö, fand bei dem liebenswürdigen Pfarrer freundliche Aufnahme,
ließ mir die köstlichen Bilder zeigen, welche der einsame Mann da oben zu seiner eigenen Genug-
thuung malt, und mich durch ihn von dem Leben der dortigen Völker unterrichten; dann aber fragte
ich, zu nicht geringer Ueberraschung des Wirthes, nach den bewußten kleinen Seen. Wir brachen
auf, erreichten sie nach wenigen hundert Schritten, und -- auf dem ersten derselben schwamm ein
Pärchen des Wassertreters umher, auf dem zweiten ein zweites, auf dem der übrigen noch ein drittes.
Später habe ich freilich noch viele andere dieser liebenswürdigen Geschöpfe gefunden: denn weiter
oben in Lappland gehören sie nicht zu den Seltenheiten; aber so, wie an jenem Tage, haben sie mich
doch nie wieder entzückt und hingerissen.

Der Wassertreter, welchen ich fand, und die einzige Art der Familie, welche überhaupt in Lapp-
land brütet, ist die Odinshenne der Jsländer (Lobipes hyperboreus), nach den neueren
Anschauungen Vertreter einer besonderen Sippe, welche die vorher angegebenen Merkmale besitzt und

Die Läufer. Stelzvögel. Waſſertreter.
während doch die äußere Geſtalt und nicht allein dieſe, ſondern auch die Zergliederung lehrt, daß ſie
als die nächſten Verwandten der Strandläufer betrachtet werden müſſen. Sie wiederholen, wie
Nitzſch ſagt, alle bei den Schnepfenvögeln herrſchenden inneren Bildungsverhältniſſe und kommen
insbeſondere mit den Strandläufern bis auf geringe Abweichungen überein. Jhre Wirbelſäule beſteht
aus dreizehn Hals-, neun oder zehn Rücken- und neun Schwanzwirbeln; das Bruſtbein zeigt die in
dieſer Gruppe gewöhnlichen vier Hautbuchten, zwei äußere, größere, zwei innere, kleinere; der Gabel-
knochen iſt ſehr von vorn nach hinten gekrümmt und unten mit einem kleinen unpaaren Griffe ver-
ſehen; die Anlage der Muskeln gleicht der anderer Schnepfenvögel; die Zunge iſt ſpitz, ſchmal,
etwa um den dritten oder vierten Theil kürzer als der Schnabel, der Magen länglich, ſchwach-
muskelig u. ſ. w.

Jn ihrer Lebensweiſe unterſcheiden ſich die Waſſertreter von allen Vögeln, welche man kennt.
Sie ſind allerliebſte Geſchöpfe, auf dem Lande ebenſo gewandt, wie auf dem Waſſer. Dort bewegen
ſie ſich nach Art der Strandläufer, hier ſchwimmen ſie mit einer Leichtigkeit und Anmuth ohne Gleichen,
und nicht blos auf dem ruhigen Spiegel der kleinen Brutteiche, welche ſie im Sommer aufſuchen, ſondern
ſelbſt in der aufgeregteſten See und unter den ſchwerſten Stürmen, meilenweit vom Lande entfernt. Das
Meer iſt ihre Heimat; denn das Land beſuchen ſie blos, um ihre Jungen zu erzeugen und groß zu
ziehen. Gerade deshalb erſcheint uns ihr Leben noch in mancher Hinſicht dunkel und räthſelhaft, und
gerade deshalb laſſen ſie, welche jeder Forſcher freudig begrüßen würde, ſich ſo ſelten bei uns im Lande
ſehen, wahrſcheinlich nur als Verſchlagene. Jn der Nähe ihres Neſtes kann man ſie belauſchen und
ſtudiren; auf dem Meere entziehen ſie ſich gewöhnlich der Beobachtung, weil ſie daſſelbe zu einer Zeit
aufſuchen, in welcher der Schiffer ihre heimatlichen Breiten faſt ängſtlich meidet.



„Zwei gute norwegiſche Meilen von dem Gehöft Melbo auf den Lofodden liegt die Pfarrkirche
Bö und dicht neben ihr das Pfarrhaus. Jn ihm lebt ein liebenswürdiger Mann, bekannt als
tüchtiger Pfarrer, bekannter noch als tüchtiger Maler. Den ſuchen Sie auf, und wenn Sie es nicht
ſeinetwegen thun wollen, ſo müſſen Sie es thun der Waſſertreter halber, welche Sie dort in unmittel-
barer Nähe finden werden. Dreihundert Schritte öſtlich von dieſem Pfarrhauſe liegen fünf kleine
mit Gras umſtandene Süßwaſſerteiche; auf ihnen werden Sie die Vögel finden, nach denen Sie mich
gefragt haben.“

So ſagte mir der Forſtmeiſter Barth, ein vogelkundiger Norman, bei dem ich mir Raths
erholte, bevor ich mich den Ländern zuwandte, in welchen vier Monate im Jahre die Sonne nicht
untergeht. Jch begab mich auf die Reiſe, benutzte jede Gelegenheit, um mit der Vogelwelt bekannt
zu werden, ſuchte jeden riedumſtandenen Süßwaſſerſee ab und ſpähte vergeblich nach den erſehnten
Vögeln. Endlich kam ich nach Bö, fand bei dem liebenswürdigen Pfarrer freundliche Aufnahme,
ließ mir die köſtlichen Bilder zeigen, welche der einſame Mann da oben zu ſeiner eigenen Genug-
thuung malt, und mich durch ihn von dem Leben der dortigen Völker unterrichten; dann aber fragte
ich, zu nicht geringer Ueberraſchung des Wirthes, nach den bewußten kleinen Seen. Wir brachen
auf, erreichten ſie nach wenigen hundert Schritten, und — auf dem erſten derſelben ſchwamm ein
Pärchen des Waſſertreters umher, auf dem zweiten ein zweites, auf dem der übrigen noch ein drittes.
Später habe ich freilich noch viele andere dieſer liebenswürdigen Geſchöpfe gefunden: denn weiter
oben in Lappland gehören ſie nicht zu den Seltenheiten; aber ſo, wie an jenem Tage, haben ſie mich
doch nie wieder entzückt und hingeriſſen.

Der Waſſertreter, welchen ich fand, und die einzige Art der Familie, welche überhaupt in Lapp-
land brütet, iſt die Odinshenne der Jsländer (Lobipes hyperboreus), nach den neueren
Anſchauungen Vertreter einer beſonderen Sippe, welche die vorher angegebenen Merkmale beſitzt und

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[630/0670] Die Läufer. Stelzvögel. Waſſertreter. während doch die äußere Geſtalt und nicht allein dieſe, ſondern auch die Zergliederung lehrt, daß ſie als die nächſten Verwandten der Strandläufer betrachtet werden müſſen. Sie wiederholen, wie Nitzſch ſagt, alle bei den Schnepfenvögeln herrſchenden inneren Bildungsverhältniſſe und kommen insbeſondere mit den Strandläufern bis auf geringe Abweichungen überein. Jhre Wirbelſäule beſteht aus dreizehn Hals-, neun oder zehn Rücken- und neun Schwanzwirbeln; das Bruſtbein zeigt die in dieſer Gruppe gewöhnlichen vier Hautbuchten, zwei äußere, größere, zwei innere, kleinere; der Gabel- knochen iſt ſehr von vorn nach hinten gekrümmt und unten mit einem kleinen unpaaren Griffe ver- ſehen; die Anlage der Muskeln gleicht der anderer Schnepfenvögel; die Zunge iſt ſpitz, ſchmal, etwa um den dritten oder vierten Theil kürzer als der Schnabel, der Magen länglich, ſchwach- muskelig u. ſ. w. Jn ihrer Lebensweiſe unterſcheiden ſich die Waſſertreter von allen Vögeln, welche man kennt. Sie ſind allerliebſte Geſchöpfe, auf dem Lande ebenſo gewandt, wie auf dem Waſſer. Dort bewegen ſie ſich nach Art der Strandläufer, hier ſchwimmen ſie mit einer Leichtigkeit und Anmuth ohne Gleichen, und nicht blos auf dem ruhigen Spiegel der kleinen Brutteiche, welche ſie im Sommer aufſuchen, ſondern ſelbſt in der aufgeregteſten See und unter den ſchwerſten Stürmen, meilenweit vom Lande entfernt. Das Meer iſt ihre Heimat; denn das Land beſuchen ſie blos, um ihre Jungen zu erzeugen und groß zu ziehen. Gerade deshalb erſcheint uns ihr Leben noch in mancher Hinſicht dunkel und räthſelhaft, und gerade deshalb laſſen ſie, welche jeder Forſcher freudig begrüßen würde, ſich ſo ſelten bei uns im Lande ſehen, wahrſcheinlich nur als Verſchlagene. Jn der Nähe ihres Neſtes kann man ſie belauſchen und ſtudiren; auf dem Meere entziehen ſie ſich gewöhnlich der Beobachtung, weil ſie daſſelbe zu einer Zeit aufſuchen, in welcher der Schiffer ihre heimatlichen Breiten faſt ängſtlich meidet. „Zwei gute norwegiſche Meilen von dem Gehöft Melbo auf den Lofodden liegt die Pfarrkirche Bö und dicht neben ihr das Pfarrhaus. Jn ihm lebt ein liebenswürdiger Mann, bekannt als tüchtiger Pfarrer, bekannter noch als tüchtiger Maler. Den ſuchen Sie auf, und wenn Sie es nicht ſeinetwegen thun wollen, ſo müſſen Sie es thun der Waſſertreter halber, welche Sie dort in unmittel- barer Nähe finden werden. Dreihundert Schritte öſtlich von dieſem Pfarrhauſe liegen fünf kleine mit Gras umſtandene Süßwaſſerteiche; auf ihnen werden Sie die Vögel finden, nach denen Sie mich gefragt haben.“ So ſagte mir der Forſtmeiſter Barth, ein vogelkundiger Norman, bei dem ich mir Raths erholte, bevor ich mich den Ländern zuwandte, in welchen vier Monate im Jahre die Sonne nicht untergeht. Jch begab mich auf die Reiſe, benutzte jede Gelegenheit, um mit der Vogelwelt bekannt zu werden, ſuchte jeden riedumſtandenen Süßwaſſerſee ab und ſpähte vergeblich nach den erſehnten Vögeln. Endlich kam ich nach Bö, fand bei dem liebenswürdigen Pfarrer freundliche Aufnahme, ließ mir die köſtlichen Bilder zeigen, welche der einſame Mann da oben zu ſeiner eigenen Genug- thuung malt, und mich durch ihn von dem Leben der dortigen Völker unterrichten; dann aber fragte ich, zu nicht geringer Ueberraſchung des Wirthes, nach den bewußten kleinen Seen. Wir brachen auf, erreichten ſie nach wenigen hundert Schritten, und — auf dem erſten derſelben ſchwamm ein Pärchen des Waſſertreters umher, auf dem zweiten ein zweites, auf dem der übrigen noch ein drittes. Später habe ich freilich noch viele andere dieſer liebenswürdigen Geſchöpfe gefunden: denn weiter oben in Lappland gehören ſie nicht zu den Seltenheiten; aber ſo, wie an jenem Tage, haben ſie mich doch nie wieder entzückt und hingeriſſen. Der Waſſertreter, welchen ich fand, und die einzige Art der Familie, welche überhaupt in Lapp- land brütet, iſt die Odinshenne der Jsländer (Lobipes hyperboreus), nach den neueren Anſchauungen Vertreter einer beſonderen Sippe, welche die vorher angegebenen Merkmale beſitzt und

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 630. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/670>, abgerufen am 22.11.2024.