weiß, übrigens schwarz. Das Auge ist lebhaft blutroth, am Rande orangenfarbig, ein nackter Ring um das Auge mennigroth, der Schnabel zeigt dieselbe Färbung, hat aber eine lichtere Spitze, die Füße sehen dunkelfleischroth aus. Beim Männchen beträgt die Länge 16, die Breite 311/2, die Fittiglänge 91/2, die Schwanzlänge reichlich 4 Zoll. Das Weibchen ist etwas kleiner und das Schwarze an der Vorderbrust bei ihm auf einen geringen Raum beschränkt. Jm Winterkleide trägt der Austernfischer an der Gurgel einen weißen halbmondförmigen Flecken.
Vom Nordkap oder vom finnischen Meerbusen an bis zum Kap Tarifa hat man den Austern- fischer an allen europäischen Küsten beobachtet, besonders häufig da, wo die Küste felsig ist. Ebenso findet er sich auf den Jnseln in der Nordsee und dem Eismeere, in Grönland und den benachbarten Strichen. Nach Südeuropa kommt er während des Winters, aber keineswegs häufig; denn seine Wanderungen haben in mehrfacher Hinsicht ihr Eigenthümliches. So verläßt er den Strand der Ostsee regelmäßig, während er auf Jsland blos vom Nordrande zur Südküste zieht. Die Erklärung hiervon ist nicht schwer zu geben: unser Vogel verweilt da, wo der Golfstrom die Küste bespült, jahraus, jahrein und verläßt sie da, wo die See im Winter zufriert, er also zum Wandern gezwungen wird. Gelegentlich seiner Reisen zieht er soviel als möglich der Küste nach, überfliegt ohne Bedenken einen Meerestheil, höchst ungern aber einen Streifen des Festlandes, gehört deshalb auch im Binnen- lande überall zu den seltenen Vögeln. Diejenigen Austernfischer, welche die Küste der Nord- und Ostsee verlassen müssen, finden übrigens schon an den französischen und nordspanischen Küsten die geeignete Herberge, während diejenigen, welche im chinesischen Meere leben, ihre Reise bis nach Süd- indien ausdehnen.
So plump und schwerfällig unser Vogel aussieht, so bewegungsfähig zeigt er sich. Er läuft in ähnlicher Weise wie der Steinwälzer absatzweise, gewöhnlich schreitend oder trippelnd, nöthigenfalls aber auch ungemein rasch dahinrennend, kann sich, Dank seiner breitsohligen Füße, auf dem weichsten Schlick erhalten, schwimmt, und keineswegs blos im Nothfalle, vorzüglich und fliegt sehr kräftig und schnell, meist geradeaus, aber oft auch in kühnen Bogen und Schwenkungen dahin, mehr schwebend als die meisten übrigen Strandvögel. Seine Stimme, ein pfeifendes "Hyip", wird bei jeder Gelegenheit ausgestoßen, zuweilen aber mit einem langen "Kwihrrrrr" eingeleitet, manchmal auch kurz zusammengezogen, sodaß sie wie "Kwik, kwik, kewik, kewik" klingt. Am Paarungsorte aber läßt der Vogel Töne vernehmen, welche man ihm nie zutrauen möchte: er trillert nämlich wundervoll wohltönend, abwechselnd und anhaltend, daß man seine wahre Freude an ihm hat.
Sein Betragen erklärt die Beachtung, welche ihm überall gezollt wird. Es gibt keinen Vogel am ganzen Strande, welcher im gleichen Grade wie er rege, unruhig, muthig, neck- und kampflustig und dabei doch stets wohlgelaunt wäre. Wenn er sich satt gefressen und ein wenig ausgeruht hat, neckt und jagt er sich wenigstens mit Seinesgleichen umher; denn lange still sitzen, ruhig auf einer Stelle verweilen, Das vermag er nicht. Solches Necken geht zuweilen in ernsteren Streit über, weil der Austernfischer eine ihm angethane Unbill sofort zu rächen sucht. "Acht bis zehn dieser Vögel", sagt Graba, "saßen auf einem oder auf zwei Beinen im besten Schlafe neben einander, als plötzlich durch das Vorbeifliegen einer anderen Schar und durch deren Geschrei sie aus dem Schlafe aufflogen. Dabei trat unglücklicherweise einer dem anderen auf den Fuß. Sogleich kam es zum Zweikampfe. Mit vorgestrecktem Halse und Schnabel rückten beide wie Hähne auf einander los, schlugen mehrere Male mit den Flügeln und hackten sich mit dem Schnabel. Der Kampf währte nicht lange; denn der eine wich und sein Gegner begnügte sich, einige zornige und verächtliche Blicke mit den nöthigen Geberden begleitet, nachzuschicken". Solcher innerlicher Hader ist übrigens selten unter einer Gesellschaft der Austernfischer, weil sie beständige Kämpfe mit fremdartigen Vögeln auszufechten haben. Aufmerksamer als jeder andere Küstenvogel, finden sie fortwährend Beschäftigung, auch wenn sie vollständig gesättigt sind. Jeder kleine Strandvogel, welcher sich naht oder wegfliegt, wird beobachtet, jeder größere mit lautem Rufe begrüßt, keine Ente, keine Gans übersehen. Nun aber nahen sich dem Orte, wo Austernfischer sitzen, also der ganzen Küste, auch andere Vögel, welche unsere
Die Läufer. Stelzvögel. Auſternfiſcher.
weiß, übrigens ſchwarz. Das Auge iſt lebhaft blutroth, am Rande orangenfarbig, ein nackter Ring um das Auge mennigroth, der Schnabel zeigt dieſelbe Färbung, hat aber eine lichtere Spitze, die Füße ſehen dunkelfleiſchroth aus. Beim Männchen beträgt die Länge 16, die Breite 31½, die Fittiglänge 9½, die Schwanzlänge reichlich 4 Zoll. Das Weibchen iſt etwas kleiner und das Schwarze an der Vorderbruſt bei ihm auf einen geringen Raum beſchränkt. Jm Winterkleide trägt der Auſternfiſcher an der Gurgel einen weißen halbmondförmigen Flecken.
Vom Nordkap oder vom finniſchen Meerbuſen an bis zum Kap Tarifa hat man den Auſtern- fiſcher an allen europäiſchen Küſten beobachtet, beſonders häufig da, wo die Küſte felſig iſt. Ebenſo findet er ſich auf den Jnſeln in der Nordſee und dem Eismeere, in Grönland und den benachbarten Strichen. Nach Südeuropa kommt er während des Winters, aber keineswegs häufig; denn ſeine Wanderungen haben in mehrfacher Hinſicht ihr Eigenthümliches. So verläßt er den Strand der Oſtſee regelmäßig, während er auf Jsland blos vom Nordrande zur Südküſte zieht. Die Erklärung hiervon iſt nicht ſchwer zu geben: unſer Vogel verweilt da, wo der Golfſtrom die Küſte beſpült, jahraus, jahrein und verläßt ſie da, wo die See im Winter zufriert, er alſo zum Wandern gezwungen wird. Gelegentlich ſeiner Reiſen zieht er ſoviel als möglich der Küſte nach, überfliegt ohne Bedenken einen Meerestheil, höchſt ungern aber einen Streifen des Feſtlandes, gehört deshalb auch im Binnen- lande überall zu den ſeltenen Vögeln. Diejenigen Auſternfiſcher, welche die Küſte der Nord- und Oſtſee verlaſſen müſſen, finden übrigens ſchon an den franzöſiſchen und nordſpaniſchen Küſten die geeignete Herberge, während diejenigen, welche im chineſiſchen Meere leben, ihre Reiſe bis nach Süd- indien ausdehnen.
So plump und ſchwerfällig unſer Vogel ausſieht, ſo bewegungsfähig zeigt er ſich. Er läuft in ähnlicher Weiſe wie der Steinwälzer abſatzweiſe, gewöhnlich ſchreitend oder trippelnd, nöthigenfalls aber auch ungemein raſch dahinrennend, kann ſich, Dank ſeiner breitſohligen Füße, auf dem weichſten Schlick erhalten, ſchwimmt, und keineswegs blos im Nothfalle, vorzüglich und fliegt ſehr kräftig und ſchnell, meiſt geradeaus, aber oft auch in kühnen Bogen und Schwenkungen dahin, mehr ſchwebend als die meiſten übrigen Strandvögel. Seine Stimme, ein pfeifendes „Hyip“, wird bei jeder Gelegenheit ausgeſtoßen, zuweilen aber mit einem langen „Kwihrrrrr“ eingeleitet, manchmal auch kurz zuſammengezogen, ſodaß ſie wie „Kwik, kwik, kewik, kewik“ klingt. Am Paarungsorte aber läßt der Vogel Töne vernehmen, welche man ihm nie zutrauen möchte: er trillert nämlich wundervoll wohltönend, abwechſelnd und anhaltend, daß man ſeine wahre Freude an ihm hat.
Sein Betragen erklärt die Beachtung, welche ihm überall gezollt wird. Es gibt keinen Vogel am ganzen Strande, welcher im gleichen Grade wie er rege, unruhig, muthig, neck- und kampfluſtig und dabei doch ſtets wohlgelaunt wäre. Wenn er ſich ſatt gefreſſen und ein wenig ausgeruht hat, neckt und jagt er ſich wenigſtens mit Seinesgleichen umher; denn lange ſtill ſitzen, ruhig auf einer Stelle verweilen, Das vermag er nicht. Solches Necken geht zuweilen in ernſteren Streit über, weil der Auſternfiſcher eine ihm angethane Unbill ſofort zu rächen ſucht. „Acht bis zehn dieſer Vögel“, ſagt Graba, „ſaßen auf einem oder auf zwei Beinen im beſten Schlafe neben einander, als plötzlich durch das Vorbeifliegen einer anderen Schar und durch deren Geſchrei ſie aus dem Schlafe aufflogen. Dabei trat unglücklicherweiſe einer dem anderen auf den Fuß. Sogleich kam es zum Zweikampfe. Mit vorgeſtrecktem Halſe und Schnabel rückten beide wie Hähne auf einander los, ſchlugen mehrere Male mit den Flügeln und hackten ſich mit dem Schnabel. Der Kampf währte nicht lange; denn der eine wich und ſein Gegner begnügte ſich, einige zornige und verächtliche Blicke mit den nöthigen Geberden begleitet, nachzuſchicken“. Solcher innerlicher Hader iſt übrigens ſelten unter einer Geſellſchaft der Auſternfiſcher, weil ſie beſtändige Kämpfe mit fremdartigen Vögeln auszufechten haben. Aufmerkſamer als jeder andere Küſtenvogel, finden ſie fortwährend Beſchäftigung, auch wenn ſie vollſtändig geſättigt ſind. Jeder kleine Strandvogel, welcher ſich naht oder wegfliegt, wird beobachtet, jeder größere mit lautem Rufe begrüßt, keine Ente, keine Gans überſehen. Nun aber nahen ſich dem Orte, wo Auſternfiſcher ſitzen, alſo der ganzen Küſte, auch andere Vögel, welche unſere
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[604/0644]
Die Läufer. Stelzvögel. Auſternfiſcher.
weiß, übrigens ſchwarz. Das Auge iſt lebhaft blutroth, am Rande orangenfarbig, ein nackter Ring
um das Auge mennigroth, der Schnabel zeigt dieſelbe Färbung, hat aber eine lichtere Spitze, die
Füße ſehen dunkelfleiſchroth aus. Beim Männchen beträgt die Länge 16, die Breite 31½, die
Fittiglänge 9½, die Schwanzlänge reichlich 4 Zoll. Das Weibchen iſt etwas kleiner und das
Schwarze an der Vorderbruſt bei ihm auf einen geringen Raum beſchränkt. Jm Winterkleide trägt
der Auſternfiſcher an der Gurgel einen weißen halbmondförmigen Flecken.
Vom Nordkap oder vom finniſchen Meerbuſen an bis zum Kap Tarifa hat man den Auſtern-
fiſcher an allen europäiſchen Küſten beobachtet, beſonders häufig da, wo die Küſte felſig iſt. Ebenſo
findet er ſich auf den Jnſeln in der Nordſee und dem Eismeere, in Grönland und den benachbarten
Strichen. Nach Südeuropa kommt er während des Winters, aber keineswegs häufig; denn ſeine
Wanderungen haben in mehrfacher Hinſicht ihr Eigenthümliches. So verläßt er den Strand der
Oſtſee regelmäßig, während er auf Jsland blos vom Nordrande zur Südküſte zieht. Die Erklärung
hiervon iſt nicht ſchwer zu geben: unſer Vogel verweilt da, wo der Golfſtrom die Küſte beſpült,
jahraus, jahrein und verläßt ſie da, wo die See im Winter zufriert, er alſo zum Wandern gezwungen
wird. Gelegentlich ſeiner Reiſen zieht er ſoviel als möglich der Küſte nach, überfliegt ohne Bedenken
einen Meerestheil, höchſt ungern aber einen Streifen des Feſtlandes, gehört deshalb auch im Binnen-
lande überall zu den ſeltenen Vögeln. Diejenigen Auſternfiſcher, welche die Küſte der Nord- und
Oſtſee verlaſſen müſſen, finden übrigens ſchon an den franzöſiſchen und nordſpaniſchen Küſten die
geeignete Herberge, während diejenigen, welche im chineſiſchen Meere leben, ihre Reiſe bis nach Süd-
indien ausdehnen.
So plump und ſchwerfällig unſer Vogel ausſieht, ſo bewegungsfähig zeigt er ſich. Er läuft
in ähnlicher Weiſe wie der Steinwälzer abſatzweiſe, gewöhnlich ſchreitend oder trippelnd, nöthigenfalls
aber auch ungemein raſch dahinrennend, kann ſich, Dank ſeiner breitſohligen Füße, auf dem weichſten
Schlick erhalten, ſchwimmt, und keineswegs blos im Nothfalle, vorzüglich und fliegt ſehr kräftig und
ſchnell, meiſt geradeaus, aber oft auch in kühnen Bogen und Schwenkungen dahin, mehr ſchwebend
als die meiſten übrigen Strandvögel. Seine Stimme, ein pfeifendes „Hyip“, wird bei jeder
Gelegenheit ausgeſtoßen, zuweilen aber mit einem langen „Kwihrrrrr“ eingeleitet, manchmal auch
kurz zuſammengezogen, ſodaß ſie wie „Kwik, kwik, kewik, kewik“ klingt. Am Paarungsorte aber läßt
der Vogel Töne vernehmen, welche man ihm nie zutrauen möchte: er trillert nämlich wundervoll
wohltönend, abwechſelnd und anhaltend, daß man ſeine wahre Freude an ihm hat.
Sein Betragen erklärt die Beachtung, welche ihm überall gezollt wird. Es gibt keinen Vogel
am ganzen Strande, welcher im gleichen Grade wie er rege, unruhig, muthig, neck- und kampfluſtig
und dabei doch ſtets wohlgelaunt wäre. Wenn er ſich ſatt gefreſſen und ein wenig ausgeruht hat,
neckt und jagt er ſich wenigſtens mit Seinesgleichen umher; denn lange ſtill ſitzen, ruhig auf einer
Stelle verweilen, Das vermag er nicht. Solches Necken geht zuweilen in ernſteren Streit über, weil
der Auſternfiſcher eine ihm angethane Unbill ſofort zu rächen ſucht. „Acht bis zehn dieſer Vögel“,
ſagt Graba, „ſaßen auf einem oder auf zwei Beinen im beſten Schlafe neben einander, als plötzlich
durch das Vorbeifliegen einer anderen Schar und durch deren Geſchrei ſie aus dem Schlafe aufflogen.
Dabei trat unglücklicherweiſe einer dem anderen auf den Fuß. Sogleich kam es zum Zweikampfe.
Mit vorgeſtrecktem Halſe und Schnabel rückten beide wie Hähne auf einander los, ſchlugen mehrere
Male mit den Flügeln und hackten ſich mit dem Schnabel. Der Kampf währte nicht lange; denn
der eine wich und ſein Gegner begnügte ſich, einige zornige und verächtliche Blicke mit den nöthigen
Geberden begleitet, nachzuſchicken“. Solcher innerlicher Hader iſt übrigens ſelten unter einer
Geſellſchaft der Auſternfiſcher, weil ſie beſtändige Kämpfe mit fremdartigen Vögeln auszufechten
haben. Aufmerkſamer als jeder andere Küſtenvogel, finden ſie fortwährend Beſchäftigung, auch
wenn ſie vollſtändig geſättigt ſind. Jeder kleine Strandvogel, welcher ſich naht oder wegfliegt, wird
beobachtet, jeder größere mit lautem Rufe begrüßt, keine Ente, keine Gans überſehen. Nun aber
nahen ſich dem Orte, wo Auſternfiſcher ſitzen, alſo der ganzen Küſte, auch andere Vögel, welche unſere
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/644>, abgerufen am 22.11.2024.
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