förmliche Tollkühnheit. Wüthend stößt er auf den schnüffelnden Hund herab, oft so dicht an dem Kopfe desselben vorüber, daß der geärgerte Vierfüßler sich veranlaßt sieht, nach ihm zu schnappen. Reinecke wird ebenso eifrig angegriffen, aber nicht immer besiegt oder vertrieben; sein Schnappen ist gefährlicher als das des schwerfälligen Hundes: er erwischt gar nicht selten einen der kühnsten Angreifer und mordet ihn dann mit entschiedener Befriedigung vor den Augen der Genossen, welche voll Entsetzen in alle Winde zerstieben und fern vom Wahlplatze den verunglückten Gefährten beklagen. Kühn greift der Kiebitz Raubvögel, Möven, Reiher und Störche an, von denen er weiß, daß sie nicht im Stande sind, im Fluge es ihm gleichzuthun; beharrlich und hartnäckig verfolgt er sie, bis er sie glücklich aus seinem Gebiete vertrieben hat: aber vorsichtig weicht er denjenigen gefiederten Räubern aus, welche ihn im Fluge überbieten. Es ist ein höchst anziehendes Schauspiel, Kiebitze zu beobachten, welche einen Bussard, einen Weih, einen nach den Eiern lüsternen Raben oder einen Adler anfallen: man glaubt ihnen die Siegesgewißheit und dem Räuber den Aerger anzumerken. Einer unterstützt dabei den anderen, und der Muth steigert sich, jemehr Angreifer durch den Lärm herbeigezogen werden. Der fliegende Räuber wird regelmäßig so belästigt, daß er es vorzieht, von aller Jagd abzustehen, um nur die Kläffer loszuwerden. Höchst nützlich macht sich der Kiebitz, wenn er als Wächter und Warner des Strandgeflügels auftritt. Dieses lernt sehr bald auf ihn achten und entzieht sich, Dank seiner Vorsicht, vielen Gefahren. Deshalb nennen die Griechen ihn bezeichnend "gute Mutter".
Regenwürmer scheinen seine Hauptnahrung zu bilden; nächstdem werden Kerbthierlarven aller Art, Wasser- und kleine Landschnecken etc. aufgenommen. Seine Tafel ist also während der günstigen Jahreszeit immer reichlich beschickt und er selten um Nahrung verlegen. Zur Tränke geht er, wenn er in der Nähe des Wassers lebt, mehrmals im Laufe des Tages, während des Abends gewiß. Bäder im Wasser sind ihm Bedürfniß; er beweist durch sein Spielen, Necken, überhaupt durch sein ganzes Gebahren, wie wohl ihm diese Erfrischung thut.
Wer ein Kiebitznest finden will, muß auf das Männchen achten, wenn es seinen Liebesgesang hören läßt; denn diejenige Stelle, über welcher sich der singende Vogel umhertreibt, enthält dasselbe. Am häufigsten findet man es auf großen Rasenflächen, auf feuchten Aeckern, selten in unmittelbarer Nähe des Wassers und niemals im eigentlichen Sumpfe. Es besteht aus einer seichten Vertiefung, welche zuweilen durch einige dünne Grashälmchen und zarte Wurzeln zierlich ausgekleidet wird. Schon Ende März kann man in ihm Eier finden; die eigentliche Zeit des Legens aber fällt in die ersten Tage des April. Die verhältnißmäßig großen Eier, regelmäßig vier an Zahl, sind birnförmig, am stumpfen Ende stark, am entgegengesetzten spitz zugerundet, feinkörnig, glattschalig und auf matt- olivengrünlichem oder bräunlichen Grunde mit dunklern, oft schwarzen Punkten, Kleren und Strichelchen sehr verschiedenartig gezeichnet. Sie liegen stets so, daß ihre Spitzen sich im Mittelpunkte berühren und werden vom Weibchen immer wieder so geordnet. Letzteres brütet allein, zeitigt die Eier innerhalb sechszehn Tagen und führt die Jungen dann solchen Stellen zu, auf welchen sie sich verstecken können. Beide Eltern bekunden eine wahrhaft erhabene Liebe zu ihrer Brut. Solange sie Eier und Junge haben, zeigen sie sich kühner als je, gebrauchen aber auch noch allerlei Listen, um den Feind zu täuschen. Weidenden Schafen, welche sich dem Neste nähern, springt das Weibchen mit gesträubtem Gefieder und ausgebreiteten Flügeln entgegen, schreit, geberdet sich wüthend und erschreckt die dummen Wiederkäuer gewöhnlich so, daß sie das Weite suchen. Auf Menschen stoßen beide mit wahrem Heldenmuthe herab; aber das Männchen versucht auch, indem es seinen Paarungs- ruf hören läßt und in der Luft umhergaukelt, durch diese Künste den Gegner irre zu führen. Vier- füßlern gegenüber gebraucht das Weibchen alle Künste der Verstellung und in der Regel mit Glück. Die schlimmsten Feinde sind die nächtlich raubenden Vierfüßler, vor allen der Fuchs, welcher sich soleicht nicht bethören läßt; Weihen, Krähen und andere Eierdiebe hingegen werden oft vertrieben. Sind die Jungen erst flugbar geworden, so geht es schon besser; dann gilt es nur noch dem Habichte und Edelfalken auszuweichen. Jhnen gegenüber benimmt sich der kluge und gewandte Vogel wider
Die Läufer. Stelzvögel. Kiebitze.
förmliche Tollkühnheit. Wüthend ſtößt er auf den ſchnüffelnden Hund herab, oft ſo dicht an dem Kopfe deſſelben vorüber, daß der geärgerte Vierfüßler ſich veranlaßt ſieht, nach ihm zu ſchnappen. Reinecke wird ebenſo eifrig angegriffen, aber nicht immer beſiegt oder vertrieben; ſein Schnappen iſt gefährlicher als das des ſchwerfälligen Hundes: er erwiſcht gar nicht ſelten einen der kühnſten Angreifer und mordet ihn dann mit entſchiedener Befriedigung vor den Augen der Genoſſen, welche voll Entſetzen in alle Winde zerſtieben und fern vom Wahlplatze den verunglückten Gefährten beklagen. Kühn greift der Kiebitz Raubvögel, Möven, Reiher und Störche an, von denen er weiß, daß ſie nicht im Stande ſind, im Fluge es ihm gleichzuthun; beharrlich und hartnäckig verfolgt er ſie, bis er ſie glücklich aus ſeinem Gebiete vertrieben hat: aber vorſichtig weicht er denjenigen gefiederten Räubern aus, welche ihn im Fluge überbieten. Es iſt ein höchſt anziehendes Schauſpiel, Kiebitze zu beobachten, welche einen Buſſard, einen Weih, einen nach den Eiern lüſternen Raben oder einen Adler anfallen: man glaubt ihnen die Siegesgewißheit und dem Räuber den Aerger anzumerken. Einer unterſtützt dabei den anderen, und der Muth ſteigert ſich, jemehr Angreifer durch den Lärm herbeigezogen werden. Der fliegende Räuber wird regelmäßig ſo beläſtigt, daß er es vorzieht, von aller Jagd abzuſtehen, um nur die Kläffer loszuwerden. Höchſt nützlich macht ſich der Kiebitz, wenn er als Wächter und Warner des Strandgeflügels auftritt. Dieſes lernt ſehr bald auf ihn achten und entzieht ſich, Dank ſeiner Vorſicht, vielen Gefahren. Deshalb nennen die Griechen ihn bezeichnend „gute Mutter“.
Regenwürmer ſcheinen ſeine Hauptnahrung zu bilden; nächſtdem werden Kerbthierlarven aller Art, Waſſer- und kleine Landſchnecken ꝛc. aufgenommen. Seine Tafel iſt alſo während der günſtigen Jahreszeit immer reichlich beſchickt und er ſelten um Nahrung verlegen. Zur Tränke geht er, wenn er in der Nähe des Waſſers lebt, mehrmals im Laufe des Tages, während des Abends gewiß. Bäder im Waſſer ſind ihm Bedürfniß; er beweiſt durch ſein Spielen, Necken, überhaupt durch ſein ganzes Gebahren, wie wohl ihm dieſe Erfriſchung thut.
Wer ein Kiebitzneſt finden will, muß auf das Männchen achten, wenn es ſeinen Liebesgeſang hören läßt; denn diejenige Stelle, über welcher ſich der ſingende Vogel umhertreibt, enthält daſſelbe. Am häufigſten findet man es auf großen Raſenflächen, auf feuchten Aeckern, ſelten in unmittelbarer Nähe des Waſſers und niemals im eigentlichen Sumpfe. Es beſteht aus einer ſeichten Vertiefung, welche zuweilen durch einige dünne Grashälmchen und zarte Wurzeln zierlich ausgekleidet wird. Schon Ende März kann man in ihm Eier finden; die eigentliche Zeit des Legens aber fällt in die erſten Tage des April. Die verhältnißmäßig großen Eier, regelmäßig vier an Zahl, ſind birnförmig, am ſtumpfen Ende ſtark, am entgegengeſetzten ſpitz zugerundet, feinkörnig, glattſchalig und auf matt- olivengrünlichem oder bräunlichen Grunde mit dunklern, oft ſchwarzen Punkten, Kleren und Strichelchen ſehr verſchiedenartig gezeichnet. Sie liegen ſtets ſo, daß ihre Spitzen ſich im Mittelpunkte berühren und werden vom Weibchen immer wieder ſo geordnet. Letzteres brütet allein, zeitigt die Eier innerhalb ſechszehn Tagen und führt die Jungen dann ſolchen Stellen zu, auf welchen ſie ſich verſtecken können. Beide Eltern bekunden eine wahrhaft erhabene Liebe zu ihrer Brut. Solange ſie Eier und Junge haben, zeigen ſie ſich kühner als je, gebrauchen aber auch noch allerlei Liſten, um den Feind zu täuſchen. Weidenden Schafen, welche ſich dem Neſte nähern, ſpringt das Weibchen mit geſträubtem Gefieder und ausgebreiteten Flügeln entgegen, ſchreit, geberdet ſich wüthend und erſchreckt die dummen Wiederkäuer gewöhnlich ſo, daß ſie das Weite ſuchen. Auf Menſchen ſtoßen beide mit wahrem Heldenmuthe herab; aber das Männchen verſucht auch, indem es ſeinen Paarungs- ruf hören läßt und in der Luft umhergaukelt, durch dieſe Künſte den Gegner irre zu führen. Vier- füßlern gegenüber gebraucht das Weibchen alle Künſte der Verſtellung und in der Regel mit Glück. Die ſchlimmſten Feinde ſind die nächtlich raubenden Vierfüßler, vor allen der Fuchs, welcher ſich ſoleicht nicht bethören läßt; Weihen, Krähen und andere Eierdiebe hingegen werden oft vertrieben. Sind die Jungen erſt flugbar geworden, ſo geht es ſchon beſſer; dann gilt es nur noch dem Habichte und Edelfalken auszuweichen. Jhnen gegenüber benimmt ſich der kluge und gewandte Vogel wider
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[596/0636]
Die Läufer. Stelzvögel. Kiebitze.
förmliche Tollkühnheit. Wüthend ſtößt er auf den ſchnüffelnden Hund herab, oft ſo dicht an dem
Kopfe deſſelben vorüber, daß der geärgerte Vierfüßler ſich veranlaßt ſieht, nach ihm zu ſchnappen.
Reinecke wird ebenſo eifrig angegriffen, aber nicht immer beſiegt oder vertrieben; ſein Schnappen iſt
gefährlicher als das des ſchwerfälligen Hundes: er erwiſcht gar nicht ſelten einen der kühnſten
Angreifer und mordet ihn dann mit entſchiedener Befriedigung vor den Augen der Genoſſen, welche
voll Entſetzen in alle Winde zerſtieben und fern vom Wahlplatze den verunglückten Gefährten beklagen.
Kühn greift der Kiebitz Raubvögel, Möven, Reiher und Störche an, von denen er weiß, daß ſie nicht
im Stande ſind, im Fluge es ihm gleichzuthun; beharrlich und hartnäckig verfolgt er ſie, bis er ſie
glücklich aus ſeinem Gebiete vertrieben hat: aber vorſichtig weicht er denjenigen gefiederten Räubern
aus, welche ihn im Fluge überbieten. Es iſt ein höchſt anziehendes Schauſpiel, Kiebitze zu
beobachten, welche einen Buſſard, einen Weih, einen nach den Eiern lüſternen Raben oder einen
Adler anfallen: man glaubt ihnen die Siegesgewißheit und dem Räuber den Aerger anzumerken.
Einer unterſtützt dabei den anderen, und der Muth ſteigert ſich, jemehr Angreifer durch den Lärm
herbeigezogen werden. Der fliegende Räuber wird regelmäßig ſo beläſtigt, daß er es vorzieht, von
aller Jagd abzuſtehen, um nur die Kläffer loszuwerden. Höchſt nützlich macht ſich der Kiebitz, wenn
er als Wächter und Warner des Strandgeflügels auftritt. Dieſes lernt ſehr bald auf ihn achten
und entzieht ſich, Dank ſeiner Vorſicht, vielen Gefahren. Deshalb nennen die Griechen ihn
bezeichnend „gute Mutter“.
Regenwürmer ſcheinen ſeine Hauptnahrung zu bilden; nächſtdem werden Kerbthierlarven aller
Art, Waſſer- und kleine Landſchnecken ꝛc. aufgenommen. Seine Tafel iſt alſo während der
günſtigen Jahreszeit immer reichlich beſchickt und er ſelten um Nahrung verlegen. Zur Tränke geht
er, wenn er in der Nähe des Waſſers lebt, mehrmals im Laufe des Tages, während des Abends
gewiß. Bäder im Waſſer ſind ihm Bedürfniß; er beweiſt durch ſein Spielen, Necken, überhaupt
durch ſein ganzes Gebahren, wie wohl ihm dieſe Erfriſchung thut.
Wer ein Kiebitzneſt finden will, muß auf das Männchen achten, wenn es ſeinen Liebesgeſang
hören läßt; denn diejenige Stelle, über welcher ſich der ſingende Vogel umhertreibt, enthält daſſelbe.
Am häufigſten findet man es auf großen Raſenflächen, auf feuchten Aeckern, ſelten in unmittelbarer
Nähe des Waſſers und niemals im eigentlichen Sumpfe. Es beſteht aus einer ſeichten Vertiefung,
welche zuweilen durch einige dünne Grashälmchen und zarte Wurzeln zierlich ausgekleidet wird.
Schon Ende März kann man in ihm Eier finden; die eigentliche Zeit des Legens aber fällt in die
erſten Tage des April. Die verhältnißmäßig großen Eier, regelmäßig vier an Zahl, ſind birnförmig,
am ſtumpfen Ende ſtark, am entgegengeſetzten ſpitz zugerundet, feinkörnig, glattſchalig und auf matt-
olivengrünlichem oder bräunlichen Grunde mit dunklern, oft ſchwarzen Punkten, Kleren und
Strichelchen ſehr verſchiedenartig gezeichnet. Sie liegen ſtets ſo, daß ihre Spitzen ſich im Mittelpunkte
berühren und werden vom Weibchen immer wieder ſo geordnet. Letzteres brütet allein, zeitigt die
Eier innerhalb ſechszehn Tagen und führt die Jungen dann ſolchen Stellen zu, auf welchen ſie ſich
verſtecken können. Beide Eltern bekunden eine wahrhaft erhabene Liebe zu ihrer Brut. Solange
ſie Eier und Junge haben, zeigen ſie ſich kühner als je, gebrauchen aber auch noch allerlei Liſten, um
den Feind zu täuſchen. Weidenden Schafen, welche ſich dem Neſte nähern, ſpringt das Weibchen mit
geſträubtem Gefieder und ausgebreiteten Flügeln entgegen, ſchreit, geberdet ſich wüthend und
erſchreckt die dummen Wiederkäuer gewöhnlich ſo, daß ſie das Weite ſuchen. Auf Menſchen ſtoßen
beide mit wahrem Heldenmuthe herab; aber das Männchen verſucht auch, indem es ſeinen Paarungs-
ruf hören läßt und in der Luft umhergaukelt, durch dieſe Künſte den Gegner irre zu führen. Vier-
füßlern gegenüber gebraucht das Weibchen alle Künſte der Verſtellung und in der Regel mit Glück.
Die ſchlimmſten Feinde ſind die nächtlich raubenden Vierfüßler, vor allen der Fuchs, welcher ſich
ſoleicht nicht bethören läßt; Weihen, Krähen und andere Eierdiebe hingegen werden oft vertrieben.
Sind die Jungen erſt flugbar geworden, ſo geht es ſchon beſſer; dann gilt es nur noch dem Habichte
und Edelfalken auszuweichen. Jhnen gegenüber benimmt ſich der kluge und gewandte Vogel wider
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/636>, abgerufen am 25.11.2024.
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