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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Läufer. Stelzvögel. Regenpfeifer.
wird er sehr bald scheu und beweist dann deutlich genug, daß er den Verwandten nicht nachsteht.
Seine Haltung ist sehr zierlich, der Gang anmuthig und behend, dabei leicht und rasch, der Flug
äußerst gewandt, wenn Eile noththut, pfeilschnell, durch wundervolle Schwenkungen noch besonders
ausgezeichnet, seine Stimme, ein sanfter, flötenartiger, höchst angenehmer Ton, welcher durch die
Silbe "Dürr" oder "Dürü" ungefähr ausgedrückt werden mag, sein Wesen liebenswürdig, friedlich
und gesellig. Man darf ihn unbedingt die anmuthigste Erscheinung jener Hochgebirge nennen; denn
wenn man ihn einmal kennen gelernt hat, sucht man an allen geeigneten Orten nach ihm und bemerkt
bald, daß er zur Belebung dieser öden Gegend wesentlich mit beiträgt. Auf den Schneefeldern selbst
und zwischen den überall abwärts fließenden Wässern treibt er still sein Wesen, mit jedem anderen
Vogel, welcher da oben vorkommt, in Frieden lebend, soviel Dies von ihm abhängt, auch dem
Menschen, welcher bis zu ihm empor steigt, so vertrauend, daß er vor ihm dahinläuft wie ein zahmes
Huhn, daß man meint, ihn mit Händen greifen oder mit dem Stocke erschlagen zu können. Nur
Derjenige aber, welcher das Pärchen umringt sieht von den drei oder vier kleinen Küchlein, kann die
ganze Lieblichkeit und Anmuth dieses Vogels würdigen. Auf jenen Höhen findet man im Mai und
Juni das einfache Nest, eine flach ausgescharrte, mit einigem trocknen Gewurzel und Erdflechten
ausgekleidete Grube, in welcher vier, oft aber nur drei Eier von birnförmiger Gestalt, feiner
und glatter, glanzloser Schale, hellgelbbräunlicher oder grünlicher Färbung und dunkler, unregel-
mäßiger Fleckenzeichnung liegen. Die Mutter sitzt auf dem Neste so fest, daß sie sich fast ertreten
läßt; sie weiß aber auch, wie sehr sie auf ihr Bodengewand vertrauen darf. Wenn erst die
Küchlein ausgeschlüpft sind, gewährt die Familie ein reizendes Bild. Jch habe es nur einmal über
mich vermocht, ein Pärchen nebst seinen Jungen zu tödten, anderen aber kein Leid anthun können;
denn das Gefühl überwog den Sammeleifer. Angesichts des Menschen verstellt sich die Mutter,
welche Junge führt, meisterhaft, während der Vater seine Besorgniß durch lautes Schreien und
ängstliches Umherfliegen zu erkennen gibt. Die Mutter läuft, hinkt, flattert, taumelt dicht vor dem
Störenfried einher, so nah, daß die mich begleitenden Lappen sich wirklich täuschen ließen, sie eifrig
verfolgten und die kleinen, niedlichen Küchlein, welche sich gebückt hatten, vollständig übersahen.
Unmittelbar vor mir lagen sie alle drei, den Hals lang auf den Boden gestreckt, jedes einzelne
theilweise hinter einem Steinchen verborgen, die kleinen, hellen Aeuglein geöffnet, ohne Bewegung,
ohne durch ein Zeichen das Leben zu verrathen. Jch stand dicht vor ihnen, sie rührten sich nicht.
Die Alte führte meine Lappen weiter und weiter, täuschte sie umsomehr, je länger die Verfolgung
währte; plötzlich aber schwang sie sich auf und kehrte pfeilschnell zu dem Orte zurück, wo die
Jungen verborgen waren, sah mich dort stehen, rief, gewahrte keines von den Kindern und begann
das alte Spiel von neuem. Jch sammelte die Küchlein, welche sich willig ergreifen ließen, nahm sie
in meine Hände und zeigte sie der Mutter. Da ließ diese augenblicklich ab von ihrer Verstellung,
kam dicht an mich heran, so nah, daß ich sie wirklich hätte greifen können, blähte das Gefieder, zitterte
mit den Flügeln und erschöpfte sich in allen ihr zu Gebote stehenden Geberden, um mein Herz zu
rühren. Von meinen Händen aus liefen die kleinen Dingerchen auf den Boden herab, ein unbe-
schreiblicher Ruf von der Mutter -- und sie waren bei ihr. Nun setzte sich die Alte, gleichsam im
Uebermaße des Glückes, ihre Kinder wieder zu haben, vor mir nieder, huderte die Kleinen, welche ihr
behend unter die Federn geschlüpft waren, wie eine Henne, und verweilte mehrere Minuten auf
derselben Stelle, vielleicht weil sie meinte, jetzt ein neues Mittel zum Schutze der geliebten Kinderchen
gefunden zu haben. Jch wußte, daß ich meinem Vater und anderen Vogelkundigen die größte Freude
gemacht haben würde, hätte ich ihnen Junge im Dunenkleide mit heimgebracht; aber ich vermochte es
nicht, Jäger zu sein. Leider denken gewisse Eiersammler anders: ihnen haben wir die hauptsächlichste
Schuld zuzuschreiben, daß der liebliche Vogel auf unsern norddeutschen Alpen, auf den Höhen des
Riesengebirges fast ausgerottet worden ist.

Während des Zuges theilt der Mornell alle Gefahren, welche dem Goldregenpfeifer drohen und
wird wegen seiner harmlosen Zutraulichkeit wohl noch öfter erlegt als jener. Sein Wildpret ist

Die Läufer. Stelzvögel. Regenpfeifer.
wird er ſehr bald ſcheu und beweiſt dann deutlich genug, daß er den Verwandten nicht nachſteht.
Seine Haltung iſt ſehr zierlich, der Gang anmuthig und behend, dabei leicht und raſch, der Flug
äußerſt gewandt, wenn Eile noththut, pfeilſchnell, durch wundervolle Schwenkungen noch beſonders
ausgezeichnet, ſeine Stimme, ein ſanfter, flötenartiger, höchſt angenehmer Ton, welcher durch die
Silbe „Dürr“ oder „Dürü“ ungefähr ausgedrückt werden mag, ſein Weſen liebenswürdig, friedlich
und geſellig. Man darf ihn unbedingt die anmuthigſte Erſcheinung jener Hochgebirge nennen; denn
wenn man ihn einmal kennen gelernt hat, ſucht man an allen geeigneten Orten nach ihm und bemerkt
bald, daß er zur Belebung dieſer öden Gegend weſentlich mit beiträgt. Auf den Schneefeldern ſelbſt
und zwiſchen den überall abwärts fließenden Wäſſern treibt er ſtill ſein Weſen, mit jedem anderen
Vogel, welcher da oben vorkommt, in Frieden lebend, ſoviel Dies von ihm abhängt, auch dem
Menſchen, welcher bis zu ihm empor ſteigt, ſo vertrauend, daß er vor ihm dahinläuft wie ein zahmes
Huhn, daß man meint, ihn mit Händen greifen oder mit dem Stocke erſchlagen zu können. Nur
Derjenige aber, welcher das Pärchen umringt ſieht von den drei oder vier kleinen Küchlein, kann die
ganze Lieblichkeit und Anmuth dieſes Vogels würdigen. Auf jenen Höhen findet man im Mai und
Juni das einfache Neſt, eine flach ausgeſcharrte, mit einigem trocknen Gewurzel und Erdflechten
ausgekleidete Grube, in welcher vier, oft aber nur drei Eier von birnförmiger Geſtalt, feiner
und glatter, glanzloſer Schale, hellgelbbräunlicher oder grünlicher Färbung und dunkler, unregel-
mäßiger Fleckenzeichnung liegen. Die Mutter ſitzt auf dem Neſte ſo feſt, daß ſie ſich faſt ertreten
läßt; ſie weiß aber auch, wie ſehr ſie auf ihr Bodengewand vertrauen darf. Wenn erſt die
Küchlein ausgeſchlüpft ſind, gewährt die Familie ein reizendes Bild. Jch habe es nur einmal über
mich vermocht, ein Pärchen nebſt ſeinen Jungen zu tödten, anderen aber kein Leid anthun können;
denn das Gefühl überwog den Sammeleifer. Angeſichts des Menſchen verſtellt ſich die Mutter,
welche Junge führt, meiſterhaft, während der Vater ſeine Beſorgniß durch lautes Schreien und
ängſtliches Umherfliegen zu erkennen gibt. Die Mutter läuft, hinkt, flattert, taumelt dicht vor dem
Störenfried einher, ſo nah, daß die mich begleitenden Lappen ſich wirklich täuſchen ließen, ſie eifrig
verfolgten und die kleinen, niedlichen Küchlein, welche ſich gebückt hatten, vollſtändig überſahen.
Unmittelbar vor mir lagen ſie alle drei, den Hals lang auf den Boden geſtreckt, jedes einzelne
theilweiſe hinter einem Steinchen verborgen, die kleinen, hellen Aeuglein geöffnet, ohne Bewegung,
ohne durch ein Zeichen das Leben zu verrathen. Jch ſtand dicht vor ihnen, ſie rührten ſich nicht.
Die Alte führte meine Lappen weiter und weiter, täuſchte ſie umſomehr, je länger die Verfolgung
währte; plötzlich aber ſchwang ſie ſich auf und kehrte pfeilſchnell zu dem Orte zurück, wo die
Jungen verborgen waren, ſah mich dort ſtehen, rief, gewahrte keines von den Kindern und begann
das alte Spiel von neuem. Jch ſammelte die Küchlein, welche ſich willig ergreifen ließen, nahm ſie
in meine Hände und zeigte ſie der Mutter. Da ließ dieſe augenblicklich ab von ihrer Verſtellung,
kam dicht an mich heran, ſo nah, daß ich ſie wirklich hätte greifen können, blähte das Gefieder, zitterte
mit den Flügeln und erſchöpfte ſich in allen ihr zu Gebote ſtehenden Geberden, um mein Herz zu
rühren. Von meinen Händen aus liefen die kleinen Dingerchen auf den Boden herab, ein unbe-
ſchreiblicher Ruf von der Mutter — und ſie waren bei ihr. Nun ſetzte ſich die Alte, gleichſam im
Uebermaße des Glückes, ihre Kinder wieder zu haben, vor mir nieder, huderte die Kleinen, welche ihr
behend unter die Federn geſchlüpft waren, wie eine Henne, und verweilte mehrere Minuten auf
derſelben Stelle, vielleicht weil ſie meinte, jetzt ein neues Mittel zum Schutze der geliebten Kinderchen
gefunden zu haben. Jch wußte, daß ich meinem Vater und anderen Vogelkundigen die größte Freude
gemacht haben würde, hätte ich ihnen Junge im Dunenkleide mit heimgebracht; aber ich vermochte es
nicht, Jäger zu ſein. Leider denken gewiſſe Eierſammler anders: ihnen haben wir die hauptſächlichſte
Schuld zuzuſchreiben, daß der liebliche Vogel auf unſern norddeutſchen Alpen, auf den Höhen des
Rieſengebirges faſt ausgerottet worden iſt.

Während des Zuges theilt der Mornell alle Gefahren, welche dem Goldregenpfeifer drohen und
wird wegen ſeiner harmloſen Zutraulichkeit wohl noch öfter erlegt als jener. Sein Wildpret iſt

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[590/0628] Die Läufer. Stelzvögel. Regenpfeifer. wird er ſehr bald ſcheu und beweiſt dann deutlich genug, daß er den Verwandten nicht nachſteht. Seine Haltung iſt ſehr zierlich, der Gang anmuthig und behend, dabei leicht und raſch, der Flug äußerſt gewandt, wenn Eile noththut, pfeilſchnell, durch wundervolle Schwenkungen noch beſonders ausgezeichnet, ſeine Stimme, ein ſanfter, flötenartiger, höchſt angenehmer Ton, welcher durch die Silbe „Dürr“ oder „Dürü“ ungefähr ausgedrückt werden mag, ſein Weſen liebenswürdig, friedlich und geſellig. Man darf ihn unbedingt die anmuthigſte Erſcheinung jener Hochgebirge nennen; denn wenn man ihn einmal kennen gelernt hat, ſucht man an allen geeigneten Orten nach ihm und bemerkt bald, daß er zur Belebung dieſer öden Gegend weſentlich mit beiträgt. Auf den Schneefeldern ſelbſt und zwiſchen den überall abwärts fließenden Wäſſern treibt er ſtill ſein Weſen, mit jedem anderen Vogel, welcher da oben vorkommt, in Frieden lebend, ſoviel Dies von ihm abhängt, auch dem Menſchen, welcher bis zu ihm empor ſteigt, ſo vertrauend, daß er vor ihm dahinläuft wie ein zahmes Huhn, daß man meint, ihn mit Händen greifen oder mit dem Stocke erſchlagen zu können. Nur Derjenige aber, welcher das Pärchen umringt ſieht von den drei oder vier kleinen Küchlein, kann die ganze Lieblichkeit und Anmuth dieſes Vogels würdigen. Auf jenen Höhen findet man im Mai und Juni das einfache Neſt, eine flach ausgeſcharrte, mit einigem trocknen Gewurzel und Erdflechten ausgekleidete Grube, in welcher vier, oft aber nur drei Eier von birnförmiger Geſtalt, feiner und glatter, glanzloſer Schale, hellgelbbräunlicher oder grünlicher Färbung und dunkler, unregel- mäßiger Fleckenzeichnung liegen. Die Mutter ſitzt auf dem Neſte ſo feſt, daß ſie ſich faſt ertreten läßt; ſie weiß aber auch, wie ſehr ſie auf ihr Bodengewand vertrauen darf. Wenn erſt die Küchlein ausgeſchlüpft ſind, gewährt die Familie ein reizendes Bild. Jch habe es nur einmal über mich vermocht, ein Pärchen nebſt ſeinen Jungen zu tödten, anderen aber kein Leid anthun können; denn das Gefühl überwog den Sammeleifer. Angeſichts des Menſchen verſtellt ſich die Mutter, welche Junge führt, meiſterhaft, während der Vater ſeine Beſorgniß durch lautes Schreien und ängſtliches Umherfliegen zu erkennen gibt. Die Mutter läuft, hinkt, flattert, taumelt dicht vor dem Störenfried einher, ſo nah, daß die mich begleitenden Lappen ſich wirklich täuſchen ließen, ſie eifrig verfolgten und die kleinen, niedlichen Küchlein, welche ſich gebückt hatten, vollſtändig überſahen. Unmittelbar vor mir lagen ſie alle drei, den Hals lang auf den Boden geſtreckt, jedes einzelne theilweiſe hinter einem Steinchen verborgen, die kleinen, hellen Aeuglein geöffnet, ohne Bewegung, ohne durch ein Zeichen das Leben zu verrathen. Jch ſtand dicht vor ihnen, ſie rührten ſich nicht. Die Alte führte meine Lappen weiter und weiter, täuſchte ſie umſomehr, je länger die Verfolgung währte; plötzlich aber ſchwang ſie ſich auf und kehrte pfeilſchnell zu dem Orte zurück, wo die Jungen verborgen waren, ſah mich dort ſtehen, rief, gewahrte keines von den Kindern und begann das alte Spiel von neuem. Jch ſammelte die Küchlein, welche ſich willig ergreifen ließen, nahm ſie in meine Hände und zeigte ſie der Mutter. Da ließ dieſe augenblicklich ab von ihrer Verſtellung, kam dicht an mich heran, ſo nah, daß ich ſie wirklich hätte greifen können, blähte das Gefieder, zitterte mit den Flügeln und erſchöpfte ſich in allen ihr zu Gebote ſtehenden Geberden, um mein Herz zu rühren. Von meinen Händen aus liefen die kleinen Dingerchen auf den Boden herab, ein unbe- ſchreiblicher Ruf von der Mutter — und ſie waren bei ihr. Nun ſetzte ſich die Alte, gleichſam im Uebermaße des Glückes, ihre Kinder wieder zu haben, vor mir nieder, huderte die Kleinen, welche ihr behend unter die Federn geſchlüpft waren, wie eine Henne, und verweilte mehrere Minuten auf derſelben Stelle, vielleicht weil ſie meinte, jetzt ein neues Mittel zum Schutze der geliebten Kinderchen gefunden zu haben. Jch wußte, daß ich meinem Vater und anderen Vogelkundigen die größte Freude gemacht haben würde, hätte ich ihnen Junge im Dunenkleide mit heimgebracht; aber ich vermochte es nicht, Jäger zu ſein. Leider denken gewiſſe Eierſammler anders: ihnen haben wir die hauptſächlichſte Schuld zuzuſchreiben, daß der liebliche Vogel auf unſern norddeutſchen Alpen, auf den Höhen des Rieſengebirges faſt ausgerottet worden iſt. Während des Zuges theilt der Mornell alle Gefahren, welche dem Goldregenpfeifer drohen und wird wegen ſeiner harmloſen Zutraulichkeit wohl noch öfter erlegt als jener. Sein Wildpret iſt

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 590. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/628>, abgerufen am 22.11.2024.