sondern ebenso in der sonnendurchglühten Wüste, auf ödem Felsgestein, welches, unserer Meinung nach, kaum einem Steinschmätzer die Möglichkeit, zu leben, gewährt. Soweit das Meer nach Norden hinauf offen ist, soweit dehnt sich auch der Verbreitungskreis dieser Vögel. Sie sind es, welche, im Verein mit den an das Wasser gebundenen Schwimmvögeln, das Meer beleben, welche das Gewimmel am Strande desselben hervorrufen: sie sind es aber auch, denen Sümpfe und Flußufer die- jenige Bewohnerschaft, welche unser Auge am ersten zu fesseln weiß, verdanken. Je mehr man sich den Gleicherländern nähert, um so großartiger werden die Versammlungen, welche die Stelzvögel bilden, um so mehr tragen sie dazu bei, der Landschaft ein gewisses Gepräge zu verleihen, den Eindruck der Oede, welcher sich unserer sonst bemächtigen würde, zu verbannen.
Schon in den Tiefländern Südeuropas treten sie massenhaft auf. "Wechselvolleres, Anziehen- deres, Schöneres", sagt Baldamus, "gibt es schwerlich, als diese ungarischen Sümpfe mit ihrer Vogelwelt, welche ebenso durch die Anzahl der Einzelwesen, wie durch die Verschiedenheit der Arten in Gestalt und Farben ausgezeichnet ist. Man sehe sich nur die hervorstechendsten dieser Sumpf- und Wasserbewohner in einer Sammlung an und denke sich dann diese schneeweißen, strohgelben, grauen, schwarzen, gold- und purpurglänzenden, gehaubten, geöhrten, lang- und kurzfüßigen Gestalten stehend, schreitend, laufend, kletternd, schwimmend, tauchend, fliegend, kurz, lebend in den abstechendsten Farben und Formen vom blauen Himmel und vom saftiggrünen Wiesengrunde abge- hoben, und man wird mir zugeben müssen, daß dieses Vogelleben der Sümpfe ein wunderbar anziehendes ist."
Ungarn und die Donautiefländer überhaupt sind jedoch noch keineswegs das "El Dorado" der Mitglieder unserer Ordnung. Mehr als bei anderen Vögeln steigert sich jener Anzahl, je mehr man sich dem Gleicher nähert. Es ist wahr: die Stelzvögel beleben auch den Norden in Menge. Sie sind es, denen man allüberall in der weiten Tundra begegnet, welche man noch hoch oben auf den Fjelds kaum minder häufig antrifft, als das anspruchslose Schneehuhn: ihre eigentliche Manchfaltigkeit erreichen sie aber doch erst in den Ländern unter den Wendekreisen. Und in demselben Grade, in welchem sie an Arten zunehmen, scheint ihre Anzahl zu wachsen. Das reiche Wasser verarmt, wie man glauben möchte, ihren Ansprüchen gegenüber: wer die Massen dieser Vögel in den Gleicherländern gesehen hat, begreift es nicht, wie die erzeugende Natur es ermöglicht, so gewaltigen Anforderungen gerecht zu werden. Nur der Naturforscher ist im Stande, die Menge von Nahrungsstoff zu schätzen, welche das Wasser seiner ewig sich selbst vernichtenden Thierwelt bietet; aber gerade der Forscher findet die Antwort nicht auf die Frage: "Wie ist es möglich, diese Milliarden zu sättigen?" -- denn er kennt den Bedarf jedes einzelnen.
Drei Tage lang segelte mein Boot, vom starken Nordwinde in gleichmäßiger Eile weiterbewegt, den grauen Fluten des weißen Nils entgegen, drei Tage lang wurden täglich mindestens zwanzig deutsche Meilen zurückgelegt -- und drei Tage lang sah das Auge zu beiden Seiten des Stromes am schlammigen Ufer und auf allen Jnseln eine ununterbrochene Reihe von Stelzvögeln stehen, laufen, fischen, sich baden, mit einander verkehren, Tausende und Hunderttausende von ein und derselben Art neben einander und fast ein halbes Hundert verschiedene Arten unter einander. Und jeder Sumpf, jeder Bruch, jeder Regenteich, jede Lache zu beiden Seiten des Stromes, während dessen Hochstandes von ihm gefüllt, nunmehr aber durch ausgetrocknetes Uferland bereits wieder getrennt, war umlagert, ja, bedeckt von ähnlichen Massen! Der Nordländer, welcher derartige Zusammenrottungen nicht kennt, fühlt sich zu Zweifeln berechtigt, während Derjenige, welcher sie sah, sich doch sagen muß, daß ihm die Worte mangeln, um solche Großartigkeit wirklich zu schildern, daß er wohl unterschätzen, nicht aber übertreiben kann.
So oder fast ebenso, wie in Mittelafrika, treten die Stelzvögel auch in Südasien und auf seinen großen Eilanden oder in Süd- und Mittelamerika auf. Der Reisende, welcher einen der größeren südlichen Ströme Ostindiens, Malakkas, Siams etc. hinauf- oder herabschwimmt, verwundert sich anfänglich über die prachtvollen, weißen Blüthen der Bäume, welche ihm von fern entgegenschimmern
Die Läufer. Stelzvögel.
ſondern ebenſo in der ſonnendurchglühten Wüſte, auf ödem Felsgeſtein, welches, unſerer Meinung nach, kaum einem Steinſchmätzer die Möglichkeit, zu leben, gewährt. Soweit das Meer nach Norden hinauf offen iſt, ſoweit dehnt ſich auch der Verbreitungskreis dieſer Vögel. Sie ſind es, welche, im Verein mit den an das Waſſer gebundenen Schwimmvögeln, das Meer beleben, welche das Gewimmel am Strande deſſelben hervorrufen: ſie ſind es aber auch, denen Sümpfe und Flußufer die- jenige Bewohnerſchaft, welche unſer Auge am erſten zu feſſeln weiß, verdanken. Je mehr man ſich den Gleicherländern nähert, um ſo großartiger werden die Verſammlungen, welche die Stelzvögel bilden, um ſo mehr tragen ſie dazu bei, der Landſchaft ein gewiſſes Gepräge zu verleihen, den Eindruck der Oede, welcher ſich unſerer ſonſt bemächtigen würde, zu verbannen.
Schon in den Tiefländern Südeuropas treten ſie maſſenhaft auf. „Wechſelvolleres, Anziehen- deres, Schöneres“, ſagt Baldamus, „gibt es ſchwerlich, als dieſe ungariſchen Sümpfe mit ihrer Vogelwelt, welche ebenſo durch die Anzahl der Einzelweſen, wie durch die Verſchiedenheit der Arten in Geſtalt und Farben ausgezeichnet iſt. Man ſehe ſich nur die hervorſtechendſten dieſer Sumpf- und Waſſerbewohner in einer Sammlung an und denke ſich dann dieſe ſchneeweißen, ſtrohgelben, grauen, ſchwarzen, gold- und purpurglänzenden, gehaubten, geöhrten, lang- und kurzfüßigen Geſtalten ſtehend, ſchreitend, laufend, kletternd, ſchwimmend, tauchend, fliegend, kurz, lebend in den abſtechendſten Farben und Formen vom blauen Himmel und vom ſaftiggrünen Wieſengrunde abge- hoben, und man wird mir zugeben müſſen, daß dieſes Vogelleben der Sümpfe ein wunderbar anziehendes iſt.“
Ungarn und die Donautiefländer überhaupt ſind jedoch noch keineswegs das „El Dorado“ der Mitglieder unſerer Ordnung. Mehr als bei anderen Vögeln ſteigert ſich jener Anzahl, je mehr man ſich dem Gleicher nähert. Es iſt wahr: die Stelzvögel beleben auch den Norden in Menge. Sie ſind es, denen man allüberall in der weiten Tundra begegnet, welche man noch hoch oben auf den Fjelds kaum minder häufig antrifft, als das anſpruchsloſe Schneehuhn: ihre eigentliche Manchfaltigkeit erreichen ſie aber doch erſt in den Ländern unter den Wendekreiſen. Und in demſelben Grade, in welchem ſie an Arten zunehmen, ſcheint ihre Anzahl zu wachſen. Das reiche Waſſer verarmt, wie man glauben möchte, ihren Anſprüchen gegenüber: wer die Maſſen dieſer Vögel in den Gleicherländern geſehen hat, begreift es nicht, wie die erzeugende Natur es ermöglicht, ſo gewaltigen Anforderungen gerecht zu werden. Nur der Naturforſcher iſt im Stande, die Menge von Nahrungsſtoff zu ſchätzen, welche das Waſſer ſeiner ewig ſich ſelbſt vernichtenden Thierwelt bietet; aber gerade der Forſcher findet die Antwort nicht auf die Frage: „Wie iſt es möglich, dieſe Milliarden zu ſättigen?“ — denn er kennt den Bedarf jedes einzelnen.
Drei Tage lang ſegelte mein Boot, vom ſtarken Nordwinde in gleichmäßiger Eile weiterbewegt, den grauen Fluten des weißen Nils entgegen, drei Tage lang wurden täglich mindeſtens zwanzig deutſche Meilen zurückgelegt — und drei Tage lang ſah das Auge zu beiden Seiten des Stromes am ſchlammigen Ufer und auf allen Jnſeln eine ununterbrochene Reihe von Stelzvögeln ſtehen, laufen, fiſchen, ſich baden, mit einander verkehren, Tauſende und Hunderttauſende von ein und derſelben Art neben einander und faſt ein halbes Hundert verſchiedene Arten unter einander. Und jeder Sumpf, jeder Bruch, jeder Regenteich, jede Lache zu beiden Seiten des Stromes, während deſſen Hochſtandes von ihm gefüllt, nunmehr aber durch ausgetrocknetes Uferland bereits wieder getrennt, war umlagert, ja, bedeckt von ähnlichen Maſſen! Der Nordländer, welcher derartige Zuſammenrottungen nicht kennt, fühlt ſich zu Zweifeln berechtigt, während Derjenige, welcher ſie ſah, ſich doch ſagen muß, daß ihm die Worte mangeln, um ſolche Großartigkeit wirklich zu ſchildern, daß er wohl unterſchätzen, nicht aber übertreiben kann.
So oder faſt ebenſo, wie in Mittelafrika, treten die Stelzvögel auch in Südaſien und auf ſeinen großen Eilanden oder in Süd- und Mittelamerika auf. Der Reiſende, welcher einen der größeren ſüdlichen Ströme Oſtindiens, Malakkas, Siams ꝛc. hinauf- oder herabſchwimmt, verwundert ſich anfänglich über die prachtvollen, weißen Blüthen der Bäume, welche ihm von fern entgegenſchimmern
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[554/0590]
Die Läufer. Stelzvögel.
ſondern ebenſo in der ſonnendurchglühten Wüſte, auf ödem Felsgeſtein, welches, unſerer Meinung
nach, kaum einem Steinſchmätzer die Möglichkeit, zu leben, gewährt. Soweit das Meer nach
Norden hinauf offen iſt, ſoweit dehnt ſich auch der Verbreitungskreis dieſer Vögel. Sie ſind es,
welche, im Verein mit den an das Waſſer gebundenen Schwimmvögeln, das Meer beleben, welche das
Gewimmel am Strande deſſelben hervorrufen: ſie ſind es aber auch, denen Sümpfe und Flußufer die-
jenige Bewohnerſchaft, welche unſer Auge am erſten zu feſſeln weiß, verdanken. Je mehr man ſich
den Gleicherländern nähert, um ſo großartiger werden die Verſammlungen, welche die Stelzvögel
bilden, um ſo mehr tragen ſie dazu bei, der Landſchaft ein gewiſſes Gepräge zu verleihen, den Eindruck
der Oede, welcher ſich unſerer ſonſt bemächtigen würde, zu verbannen.
Schon in den Tiefländern Südeuropas treten ſie maſſenhaft auf. „Wechſelvolleres, Anziehen-
deres, Schöneres“, ſagt Baldamus, „gibt es ſchwerlich, als dieſe ungariſchen Sümpfe mit ihrer
Vogelwelt, welche ebenſo durch die Anzahl der Einzelweſen, wie durch die Verſchiedenheit der Arten
in Geſtalt und Farben ausgezeichnet iſt. Man ſehe ſich nur die hervorſtechendſten dieſer Sumpf-
und Waſſerbewohner in einer Sammlung an und denke ſich dann dieſe ſchneeweißen, ſtrohgelben,
grauen, ſchwarzen, gold- und purpurglänzenden, gehaubten, geöhrten, lang- und kurzfüßigen
Geſtalten ſtehend, ſchreitend, laufend, kletternd, ſchwimmend, tauchend, fliegend, kurz, lebend in den
abſtechendſten Farben und Formen vom blauen Himmel und vom ſaftiggrünen Wieſengrunde abge-
hoben, und man wird mir zugeben müſſen, daß dieſes Vogelleben der Sümpfe ein wunderbar
anziehendes iſt.“
Ungarn und die Donautiefländer überhaupt ſind jedoch noch keineswegs das „El Dorado“
der Mitglieder unſerer Ordnung. Mehr als bei anderen Vögeln ſteigert ſich jener Anzahl, je
mehr man ſich dem Gleicher nähert. Es iſt wahr: die Stelzvögel beleben auch den Norden in
Menge. Sie ſind es, denen man allüberall in der weiten Tundra begegnet, welche man noch
hoch oben auf den Fjelds kaum minder häufig antrifft, als das anſpruchsloſe Schneehuhn: ihre
eigentliche Manchfaltigkeit erreichen ſie aber doch erſt in den Ländern unter den Wendekreiſen. Und
in demſelben Grade, in welchem ſie an Arten zunehmen, ſcheint ihre Anzahl zu wachſen. Das reiche
Waſſer verarmt, wie man glauben möchte, ihren Anſprüchen gegenüber: wer die Maſſen dieſer Vögel
in den Gleicherländern geſehen hat, begreift es nicht, wie die erzeugende Natur es ermöglicht, ſo
gewaltigen Anforderungen gerecht zu werden. Nur der Naturforſcher iſt im Stande, die Menge von
Nahrungsſtoff zu ſchätzen, welche das Waſſer ſeiner ewig ſich ſelbſt vernichtenden Thierwelt bietet;
aber gerade der Forſcher findet die Antwort nicht auf die Frage: „Wie iſt es möglich, dieſe Milliarden
zu ſättigen?“ — denn er kennt den Bedarf jedes einzelnen.
Drei Tage lang ſegelte mein Boot, vom ſtarken Nordwinde in gleichmäßiger Eile weiterbewegt,
den grauen Fluten des weißen Nils entgegen, drei Tage lang wurden täglich mindeſtens zwanzig
deutſche Meilen zurückgelegt — und drei Tage lang ſah das Auge zu beiden Seiten des Stromes am
ſchlammigen Ufer und auf allen Jnſeln eine ununterbrochene Reihe von Stelzvögeln ſtehen, laufen,
fiſchen, ſich baden, mit einander verkehren, Tauſende und Hunderttauſende von ein und derſelben Art
neben einander und faſt ein halbes Hundert verſchiedene Arten unter einander. Und jeder Sumpf,
jeder Bruch, jeder Regenteich, jede Lache zu beiden Seiten des Stromes, während deſſen Hochſtandes
von ihm gefüllt, nunmehr aber durch ausgetrocknetes Uferland bereits wieder getrennt, war umlagert,
ja, bedeckt von ähnlichen Maſſen! Der Nordländer, welcher derartige Zuſammenrottungen nicht
kennt, fühlt ſich zu Zweifeln berechtigt, während Derjenige, welcher ſie ſah, ſich doch ſagen muß, daß
ihm die Worte mangeln, um ſolche Großartigkeit wirklich zu ſchildern, daß er wohl unterſchätzen, nicht
aber übertreiben kann.
So oder faſt ebenſo, wie in Mittelafrika, treten die Stelzvögel auch in Südaſien und auf ſeinen
großen Eilanden oder in Süd- und Mittelamerika auf. Der Reiſende, welcher einen der größeren
ſüdlichen Ströme Oſtindiens, Malakkas, Siams ꝛc. hinauf- oder herabſchwimmt, verwundert ſich
anfänglich über die prachtvollen, weißen Blüthen der Bäume, welche ihm von fern entgegenſchimmern
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/590>, abgerufen am 22.11.2024.
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