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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Läufer. Kurzflügler. Strauße.
den Zweck, welchen ihnen Lichtenstein, auf die weitverbreitete Meinung der Eingebornen fußend,
zuschreibt, sondern werden nachträglich noch von dem Weibchen abgelegt, während das Männchen
bereits brütet. Es ist erklärlich, daß eine solche Ansicht über ihre Verwendung entstehen konnte, aber
schwer begreiflich, wie ein Naturforscher, welcher doch über die erste Nahrung junger, hühnerartiger
Vögel unterrichtet sein muß, jener Meinung Glauben beimessen konnte. Nach einer zwischen
sechs bis sieben Wochen schwankenden Brutzeit entschlüpfen die Jungen und werden sofort, nachdem
sie abgetrocknet, vom Neste weg und zur Weide geführt. Ueber sie kann ich aus eigener Erfahrung
berichten, da ich einmal zu gleicher Zeit zehn von ihnen besessen, gepflegt und beobachtet habe. Nach
Versicherung der Sudanesen, welche sie mir brachten, waren sie höchstens einen Tag alt; zum
mindesten behaupteten die Leute, es sei unmöglich, ältere zu fangen. Es sind allerliebste Thierchen,
welche aber sonderbar aussehen, da sie eher einem Jgel als einem Vogel gleichen. Jhre Bedeckung
besteht nämlich nicht aus Federn, sondern aus steifen, dem Jgel ähnlichen Horngebilden, welche in
allen Richtungen vom Körper abstehen. Jhr Betragen ist das junger Trappen oder Hühner. Sie
laufen sofort nach dem Auskriechen ebenso behend und gewandt als diese umher und sind geschickt
genug, ihre Nahrung sich zu erbeuten. Nachdem meine Gefangenen ungefähr vierzehn Tage alt
geworden waren, benahmen sie sich so selbständig, daß wir annehmen durften, sie vermißten die Pflege
ihrer Eltern nicht im geringsten. Gleichwohl wissen wir, daß diese oder mindestens der Vater ihnen
eine sehr sorgfältige Pflege angedeihen läßt. Schon der brütende Strauß zeigt eine große Liebe zu
seinen Eiern, tritt verhältnißmäßig schwachen Feinden kühn gegenüber und nimmt zu allerlei Kunst-
griffen seine Zuflucht, wenn er meint, einen unwillkommenen, ihm zu starken Gegner loswerden zu
können. Anderson erzählt von einem Zusammentreffen mit einer Straußenfamilie, auf welche
Jagd gemacht wurde. "Sobald die älteren Vögel unsere Absicht bemerkten, begannen sie eine eilige
Flucht, das Weibchen voran, hinter ihm die Jungen und zuletzt das Männchen, welches in einiger
Entfernung von den übrigen die Flucht schloß. Es lag etwas wahrhaft Rührendes in der Sorge,
welche die Eltern für ihre Jungen an den Tag legten. Als sie sahen, daß wir ihnen immer näher
kamen, ließ das Männchen plötzlich in seinem Laufe nach und änderte seine Richtung; da wir aber
doch von unserm Vorhaben nicht abstanden, beschleunigte es wieder seinen Lauf, ließ die Flügel
hängen, sodaß sie fast den Boden berührten und sprang um uns herum, erst in weiteren und dann in
engeren Kreisen, bis es uns auf Pistolenschußweite nahe kam. Jetzt warf es sich plötzlich auf den
Boden, ahmte die Bewegung eines schwer verwundeten Vogels nach und stellte sich, als müsse es mit
aller Kraft arbeiten, um wieder auf die Beine zu kommen. Jch hatte bereits nach ihm geschossen
und glaubte wirklich, daß es verwundet sei, eilte deshalb zu ihm hin, mußte aber bald erfahren, daß
sein Betragen nur eine Kriegslist von ihm war; denn sowie ich ihm näher kam, stand es langsam auf
und rannte in entgegengesetzter Richtung dem Weibchen zu, welches mit den Jungen schon einen
bedeutenden Vorsprung erlangt hatte."

Mit dem Alter von zwei Monaten verlieren sich die Stachelfedern der jungen Strauße und
machen dem unscheinbaren, grauen Gewande der Weibchen Platz. Dieses tragen beide Geschlechter
bis zu ihrem zweiten Lebensjahre. Jm dritten sieht das Männchen schon schwarz aus, erst im dritten
Jahre aber ist es ausgewachsen, ausgefärbt und zeugungsfähig.

Bis in die neueste Zeit war man der Ansicht, daß gefangene Strauße niemals zur Fortpflanzung
schreiten; an mehreren Orten erzielte erfolgreiche Züchtungsversuche haben das Gegentheil bewiesen,
und wahrscheinlich wird es uns auch in Deutschland noch gelingen, die ausgezeichneten Vögel zu
züchten. Der Strauß erträgt, falls er genügenden Raum zu freier Bewegung hat, die Gefangen-
schaft ohne Kummer, läßt sich auch, wie schon angedeutet, so an einen gewissen Ort gewöhnen, daß er
nach Belieben umherschweifen darf. Jm Jnnern Afrikas pflegen alle wohlhabenden und vornehmen
Leute, sehr häufig aber auch die Dorfbewohner der Steppe zu ihrem Vergnügen Strauße zu halten.
Jn der Ortschaft Haschaba in Kordofahn fand ich zwei Strauße, welche in einem halbwilden Zustande
lebten, d. h. nach freiem Ermessen im Dorfe oder den es umgebenden Steppe umherliefen, von uns

Die Läufer. Kurzflügler. Strauße.
den Zweck, welchen ihnen Lichtenſtein, auf die weitverbreitete Meinung der Eingebornen fußend,
zuſchreibt, ſondern werden nachträglich noch von dem Weibchen abgelegt, während das Männchen
bereits brütet. Es iſt erklärlich, daß eine ſolche Anſicht über ihre Verwendung entſtehen konnte, aber
ſchwer begreiflich, wie ein Naturforſcher, welcher doch über die erſte Nahrung junger, hühnerartiger
Vögel unterrichtet ſein muß, jener Meinung Glauben beimeſſen konnte. Nach einer zwiſchen
ſechs bis ſieben Wochen ſchwankenden Brutzeit entſchlüpfen die Jungen und werden ſofort, nachdem
ſie abgetrocknet, vom Neſte weg und zur Weide geführt. Ueber ſie kann ich aus eigener Erfahrung
berichten, da ich einmal zu gleicher Zeit zehn von ihnen beſeſſen, gepflegt und beobachtet habe. Nach
Verſicherung der Sudaneſen, welche ſie mir brachten, waren ſie höchſtens einen Tag alt; zum
mindeſten behaupteten die Leute, es ſei unmöglich, ältere zu fangen. Es ſind allerliebſte Thierchen,
welche aber ſonderbar ausſehen, da ſie eher einem Jgel als einem Vogel gleichen. Jhre Bedeckung
beſteht nämlich nicht aus Federn, ſondern aus ſteifen, dem Jgel ähnlichen Horngebilden, welche in
allen Richtungen vom Körper abſtehen. Jhr Betragen iſt das junger Trappen oder Hühner. Sie
laufen ſofort nach dem Auskriechen ebenſo behend und gewandt als dieſe umher und ſind geſchickt
genug, ihre Nahrung ſich zu erbeuten. Nachdem meine Gefangenen ungefähr vierzehn Tage alt
geworden waren, benahmen ſie ſich ſo ſelbſtändig, daß wir annehmen durften, ſie vermißten die Pflege
ihrer Eltern nicht im geringſten. Gleichwohl wiſſen wir, daß dieſe oder mindeſtens der Vater ihnen
eine ſehr ſorgfältige Pflege angedeihen läßt. Schon der brütende Strauß zeigt eine große Liebe zu
ſeinen Eiern, tritt verhältnißmäßig ſchwachen Feinden kühn gegenüber und nimmt zu allerlei Kunſt-
griffen ſeine Zuflucht, wenn er meint, einen unwillkommenen, ihm zu ſtarken Gegner loswerden zu
können. Anderſon erzählt von einem Zuſammentreffen mit einer Straußenfamilie, auf welche
Jagd gemacht wurde. „Sobald die älteren Vögel unſere Abſicht bemerkten, begannen ſie eine eilige
Flucht, das Weibchen voran, hinter ihm die Jungen und zuletzt das Männchen, welches in einiger
Entfernung von den übrigen die Flucht ſchloß. Es lag etwas wahrhaft Rührendes in der Sorge,
welche die Eltern für ihre Jungen an den Tag legten. Als ſie ſahen, daß wir ihnen immer näher
kamen, ließ das Männchen plötzlich in ſeinem Laufe nach und änderte ſeine Richtung; da wir aber
doch von unſerm Vorhaben nicht abſtanden, beſchleunigte es wieder ſeinen Lauf, ließ die Flügel
hängen, ſodaß ſie faſt den Boden berührten und ſprang um uns herum, erſt in weiteren und dann in
engeren Kreiſen, bis es uns auf Piſtolenſchußweite nahe kam. Jetzt warf es ſich plötzlich auf den
Boden, ahmte die Bewegung eines ſchwer verwundeten Vogels nach und ſtellte ſich, als müſſe es mit
aller Kraft arbeiten, um wieder auf die Beine zu kommen. Jch hatte bereits nach ihm geſchoſſen
und glaubte wirklich, daß es verwundet ſei, eilte deshalb zu ihm hin, mußte aber bald erfahren, daß
ſein Betragen nur eine Kriegsliſt von ihm war; denn ſowie ich ihm näher kam, ſtand es langſam auf
und rannte in entgegengeſetzter Richtung dem Weibchen zu, welches mit den Jungen ſchon einen
bedeutenden Vorſprung erlangt hatte.“

Mit dem Alter von zwei Monaten verlieren ſich die Stachelfedern der jungen Strauße und
machen dem unſcheinbaren, grauen Gewande der Weibchen Platz. Dieſes tragen beide Geſchlechter
bis zu ihrem zweiten Lebensjahre. Jm dritten ſieht das Männchen ſchon ſchwarz aus, erſt im dritten
Jahre aber iſt es ausgewachſen, ausgefärbt und zeugungsfähig.

Bis in die neueſte Zeit war man der Anſicht, daß gefangene Strauße niemals zur Fortpflanzung
ſchreiten; an mehreren Orten erzielte erfolgreiche Züchtungsverſuche haben das Gegentheil bewieſen,
und wahrſcheinlich wird es uns auch in Deutſchland noch gelingen, die ausgezeichneten Vögel zu
züchten. Der Strauß erträgt, falls er genügenden Raum zu freier Bewegung hat, die Gefangen-
ſchaft ohne Kummer, läßt ſich auch, wie ſchon angedeutet, ſo an einen gewiſſen Ort gewöhnen, daß er
nach Belieben umherſchweifen darf. Jm Jnnern Afrikas pflegen alle wohlhabenden und vornehmen
Leute, ſehr häufig aber auch die Dorfbewohner der Steppe zu ihrem Vergnügen Strauße zu halten.
Jn der Ortſchaft Haſchaba in Kordofahn fand ich zwei Strauße, welche in einem halbwilden Zuſtande
lebten, d. h. nach freiem Ermeſſen im Dorfe oder den es umgebenden Steppe umherliefen, von uns

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[528/0558] Die Läufer. Kurzflügler. Strauße. den Zweck, welchen ihnen Lichtenſtein, auf die weitverbreitete Meinung der Eingebornen fußend, zuſchreibt, ſondern werden nachträglich noch von dem Weibchen abgelegt, während das Männchen bereits brütet. Es iſt erklärlich, daß eine ſolche Anſicht über ihre Verwendung entſtehen konnte, aber ſchwer begreiflich, wie ein Naturforſcher, welcher doch über die erſte Nahrung junger, hühnerartiger Vögel unterrichtet ſein muß, jener Meinung Glauben beimeſſen konnte. Nach einer zwiſchen ſechs bis ſieben Wochen ſchwankenden Brutzeit entſchlüpfen die Jungen und werden ſofort, nachdem ſie abgetrocknet, vom Neſte weg und zur Weide geführt. Ueber ſie kann ich aus eigener Erfahrung berichten, da ich einmal zu gleicher Zeit zehn von ihnen beſeſſen, gepflegt und beobachtet habe. Nach Verſicherung der Sudaneſen, welche ſie mir brachten, waren ſie höchſtens einen Tag alt; zum mindeſten behaupteten die Leute, es ſei unmöglich, ältere zu fangen. Es ſind allerliebſte Thierchen, welche aber ſonderbar ausſehen, da ſie eher einem Jgel als einem Vogel gleichen. Jhre Bedeckung beſteht nämlich nicht aus Federn, ſondern aus ſteifen, dem Jgel ähnlichen Horngebilden, welche in allen Richtungen vom Körper abſtehen. Jhr Betragen iſt das junger Trappen oder Hühner. Sie laufen ſofort nach dem Auskriechen ebenſo behend und gewandt als dieſe umher und ſind geſchickt genug, ihre Nahrung ſich zu erbeuten. Nachdem meine Gefangenen ungefähr vierzehn Tage alt geworden waren, benahmen ſie ſich ſo ſelbſtändig, daß wir annehmen durften, ſie vermißten die Pflege ihrer Eltern nicht im geringſten. Gleichwohl wiſſen wir, daß dieſe oder mindeſtens der Vater ihnen eine ſehr ſorgfältige Pflege angedeihen läßt. Schon der brütende Strauß zeigt eine große Liebe zu ſeinen Eiern, tritt verhältnißmäßig ſchwachen Feinden kühn gegenüber und nimmt zu allerlei Kunſt- griffen ſeine Zuflucht, wenn er meint, einen unwillkommenen, ihm zu ſtarken Gegner loswerden zu können. Anderſon erzählt von einem Zuſammentreffen mit einer Straußenfamilie, auf welche Jagd gemacht wurde. „Sobald die älteren Vögel unſere Abſicht bemerkten, begannen ſie eine eilige Flucht, das Weibchen voran, hinter ihm die Jungen und zuletzt das Männchen, welches in einiger Entfernung von den übrigen die Flucht ſchloß. Es lag etwas wahrhaft Rührendes in der Sorge, welche die Eltern für ihre Jungen an den Tag legten. Als ſie ſahen, daß wir ihnen immer näher kamen, ließ das Männchen plötzlich in ſeinem Laufe nach und änderte ſeine Richtung; da wir aber doch von unſerm Vorhaben nicht abſtanden, beſchleunigte es wieder ſeinen Lauf, ließ die Flügel hängen, ſodaß ſie faſt den Boden berührten und ſprang um uns herum, erſt in weiteren und dann in engeren Kreiſen, bis es uns auf Piſtolenſchußweite nahe kam. Jetzt warf es ſich plötzlich auf den Boden, ahmte die Bewegung eines ſchwer verwundeten Vogels nach und ſtellte ſich, als müſſe es mit aller Kraft arbeiten, um wieder auf die Beine zu kommen. Jch hatte bereits nach ihm geſchoſſen und glaubte wirklich, daß es verwundet ſei, eilte deshalb zu ihm hin, mußte aber bald erfahren, daß ſein Betragen nur eine Kriegsliſt von ihm war; denn ſowie ich ihm näher kam, ſtand es langſam auf und rannte in entgegengeſetzter Richtung dem Weibchen zu, welches mit den Jungen ſchon einen bedeutenden Vorſprung erlangt hatte.“ Mit dem Alter von zwei Monaten verlieren ſich die Stachelfedern der jungen Strauße und machen dem unſcheinbaren, grauen Gewande der Weibchen Platz. Dieſes tragen beide Geſchlechter bis zu ihrem zweiten Lebensjahre. Jm dritten ſieht das Männchen ſchon ſchwarz aus, erſt im dritten Jahre aber iſt es ausgewachſen, ausgefärbt und zeugungsfähig. Bis in die neueſte Zeit war man der Anſicht, daß gefangene Strauße niemals zur Fortpflanzung ſchreiten; an mehreren Orten erzielte erfolgreiche Züchtungsverſuche haben das Gegentheil bewieſen, und wahrſcheinlich wird es uns auch in Deutſchland noch gelingen, die ausgezeichneten Vögel zu züchten. Der Strauß erträgt, falls er genügenden Raum zu freier Bewegung hat, die Gefangen- ſchaft ohne Kummer, läßt ſich auch, wie ſchon angedeutet, ſo an einen gewiſſen Ort gewöhnen, daß er nach Belieben umherſchweifen darf. Jm Jnnern Afrikas pflegen alle wohlhabenden und vornehmen Leute, ſehr häufig aber auch die Dorfbewohner der Steppe zu ihrem Vergnügen Strauße zu halten. Jn der Ortſchaft Haſchaba in Kordofahn fand ich zwei Strauße, welche in einem halbwilden Zuſtande lebten, d. h. nach freiem Ermeſſen im Dorfe oder den es umgebenden Steppe umherliefen, von uns

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/558>, abgerufen am 22.11.2024.