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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Späher. Klettervögel. Spechtmeisen.
verzehren; denn man findet dieses Getreide selten in ihrem Magen. Rothbuchen und Lindennüsse
fressen sie sehr gern und heben sie auch für nahrungslose Zeiten auf. Jch habe die Kleiber oft mit
Vergnügen auf den mit Nüssen beladenen Rothbuchen beobachtet. Jhrer zwei bis drei halten sich in
der Nähe einer samenreichen Buche auf, fliegen abwechselnd auf sie, brechen mit dem Schnabel eine
Nuß ab und tragen sie auf einen nahestehenden Baum, in welchen sie ein zum Einklammern derselben
passendes Loch in der Rinde angebracht haben, legen sie in dasselbe, halten sie mit den Vorderzehen,
hacken sie auf und verschlucken den Kern. Jetzt lassen sie die Schale fallen und holen sich eine andere
Nuß, welche auf gleiche Weise bearbeitet wird. Dies geht oft stunden-, ja tagelang fort und gewährt
wegen der beständigen Abwechslung, welche das Hin- und Herfliegen, das Abbrechen und Aufhacken
der Nüsse bedingt, ein recht angenehmes Schauspiel. Die Hasel-, Linden- und Ahornnüsse behandelt
der Kleiber auf ähnliche Weise. Sein feiner Geruch zeigt ihm stets so richtig an, ob die Nuß voll ist
oder nicht, daß er nie eine leere abbricht. Das Durchbrechen der harten Schale einer Haselnuß kostet
ihm einige Mühe; aber mit einer Linden-, Rothbuchen- oder Ahornnuß ist er schnell fertig.
Sonderbar sieht es aus, wenn er die Nüsse fortträgt. Es geschieht stets mit dem Schnabel, den er,
um eine Haselnuß zu fassen, ziemlich weit aufsperren muß." Naumann's Beobachtungen zufolge
liest er im Winter die abgefallenen Kirschkerne vom Boden auf und zerspaltet auch sie, um zu dem
Jnnern zu gelangen, oder sucht in den Gärten mit den Meisen nach den Kernen der Sonnenblumen,
nach Quecken und Hanfsamen, welcher letztere ein Leckerbissen für ihn zu sein scheint. Nach Snell
frißt er die giftigen Beeren der Zaunrübe, und die Knaben pflegen daher an manchen Orten mit den
Ranken dieser Pflanzen die Meisenkasten zu umwinden, um durch die weithin sichtbaren rothen
Beeren den Kleiber anzulocken. Hayden beobachtete ferner, daß er im Winter häufig die Larven
der Buchengallmücke vom Boden aufnimmt. Diese allgemein bekannte kegelförmige Galle gedachter
Mücke befindet sich oft in großer Menge auf der Oberseite der Buchenblätter, wird im Herbste holz-
artig und fällt dann von den Blättern ab. Die Kleiber und die Meisen suchen sie sehr emsig unter
den Bäumen zusammen, hacken gewöhnlich an der Seite der Spitze ein Loch in den Mantel und sind
so im Stande, die darin befindliche Made herauszuholen. Gewöhnlich ist die eingebohrte Oeffnung
so klein, daß die Made kaum mit dem Schnabel herausgeholt werden kann, dieses vielmehr wahr-
scheinlich mit der Zunge geschehen muß. Als sonderbar hebt Hayden hervor, daß der Vogel stets
den harten, holzartigen Theil an der Gallenspitze aufhackt, nicht aber die Stelle bearbeitet, welche nur
durch ein dünnes papierartiges Gespinnst der Larve geschlossen ist.

Es wurde schon erwähnt, daß sich der Kleiber gegen den Winter hin Vorräthe zusammenträgt.
"Seine Vorrathskammer", berichtet mein Vater, "ist nach den Umständen bald der Spalt eines
Baumes, bald ein anderer Ritz, zuweilen sogar das Dach eines Hauses. Er trägt aber nicht
viel Nüsse an einen Ort, sondern steckt sie einzeln da und dorthin, ohne Zweifel, damit nicht der ganze
Reichthum mit einem Male zu Grunde geht. Einmal diente das Strohdach eines Bauernhauses in
hiesiger Gegend zum Nußlager eines Kleibers."

Das Nest steht immer in Höhlungen, regelmäßig in Baumlöchern, ausnahmsweise in Mauer-
oder Felsritzen. Sehr gern benutzt der kluge Vogel die vom Meister Specht gezimmerten Wohnungen
zu seiner Kinderwiege; er liebt es aber nicht, daß die Thür seiner Behausung größer sei, als für ihn es
nöthig ist und gebraucht deshalb ein höchst sinnreiches Mittel, um sich zu helfen: er verkleibt nämlich
den Eingang zu seinem Neste bis auf ein kleines Loch, welches für sein Ein- und Ausschlüpfen gerade
groß genug ist. "Dies geschieht", sagt mein Vater, "mit Lehm oder anderer klebriger Erde, welche,
wie bei den Schwalbennestern, durch den leimartigen Speichel angefeuchtet, verbunden und zusammen-
gehalten wird. Er kommt mit dem Zukleiben seines Nestloches bald zu Stande, indem er ein
Klümpchen Lehm nach dem andern im Schnabel hinträgt und es mit demselben, nachdem es ringsum
mit dem Speichel angefeuchtet ist, festklebt. Man glaubt einen kleinen Maurer zu sehen, welcher,
um eine Thür zu verschließen, einen Stein nach dem andern einlegt und fest macht. Diese Lehmwand
hat einen Zoll und darüber in der Dicke, und wenn sie trocken ist, eine solche Festigkeit, daß man sie

Die Späher. Klettervögel. Spechtmeiſen.
verzehren; denn man findet dieſes Getreide ſelten in ihrem Magen. Rothbuchen und Lindennüſſe
freſſen ſie ſehr gern und heben ſie auch für nahrungsloſe Zeiten auf. Jch habe die Kleiber oft mit
Vergnügen auf den mit Nüſſen beladenen Rothbuchen beobachtet. Jhrer zwei bis drei halten ſich in
der Nähe einer ſamenreichen Buche auf, fliegen abwechſelnd auf ſie, brechen mit dem Schnabel eine
Nuß ab und tragen ſie auf einen naheſtehenden Baum, in welchen ſie ein zum Einklammern derſelben
paſſendes Loch in der Rinde angebracht haben, legen ſie in daſſelbe, halten ſie mit den Vorderzehen,
hacken ſie auf und verſchlucken den Kern. Jetzt laſſen ſie die Schale fallen und holen ſich eine andere
Nuß, welche auf gleiche Weiſe bearbeitet wird. Dies geht oft ſtunden-, ja tagelang fort und gewährt
wegen der beſtändigen Abwechslung, welche das Hin- und Herfliegen, das Abbrechen und Aufhacken
der Nüſſe bedingt, ein recht angenehmes Schauſpiel. Die Haſel-, Linden- und Ahornnüſſe behandelt
der Kleiber auf ähnliche Weiſe. Sein feiner Geruch zeigt ihm ſtets ſo richtig an, ob die Nuß voll iſt
oder nicht, daß er nie eine leere abbricht. Das Durchbrechen der harten Schale einer Haſelnuß koſtet
ihm einige Mühe; aber mit einer Linden-, Rothbuchen- oder Ahornnuß iſt er ſchnell fertig.
Sonderbar ſieht es aus, wenn er die Nüſſe fortträgt. Es geſchieht ſtets mit dem Schnabel, den er,
um eine Haſelnuß zu faſſen, ziemlich weit aufſperren muß.“ Naumann’s Beobachtungen zufolge
lieſt er im Winter die abgefallenen Kirſchkerne vom Boden auf und zerſpaltet auch ſie, um zu dem
Jnnern zu gelangen, oder ſucht in den Gärten mit den Meiſen nach den Kernen der Sonnenblumen,
nach Quecken und Hanfſamen, welcher letztere ein Leckerbiſſen für ihn zu ſein ſcheint. Nach Snell
frißt er die giftigen Beeren der Zaunrübe, und die Knaben pflegen daher an manchen Orten mit den
Ranken dieſer Pflanzen die Meiſenkaſten zu umwinden, um durch die weithin ſichtbaren rothen
Beeren den Kleiber anzulocken. Hayden beobachtete ferner, daß er im Winter häufig die Larven
der Buchengallmücke vom Boden aufnimmt. Dieſe allgemein bekannte kegelförmige Galle gedachter
Mücke befindet ſich oft in großer Menge auf der Oberſeite der Buchenblätter, wird im Herbſte holz-
artig und fällt dann von den Blättern ab. Die Kleiber und die Meiſen ſuchen ſie ſehr emſig unter
den Bäumen zuſammen, hacken gewöhnlich an der Seite der Spitze ein Loch in den Mantel und ſind
ſo im Stande, die darin befindliche Made herauszuholen. Gewöhnlich iſt die eingebohrte Oeffnung
ſo klein, daß die Made kaum mit dem Schnabel herausgeholt werden kann, dieſes vielmehr wahr-
ſcheinlich mit der Zunge geſchehen muß. Als ſonderbar hebt Hayden hervor, daß der Vogel ſtets
den harten, holzartigen Theil an der Gallenſpitze aufhackt, nicht aber die Stelle bearbeitet, welche nur
durch ein dünnes papierartiges Geſpinnſt der Larve geſchloſſen iſt.

Es wurde ſchon erwähnt, daß ſich der Kleiber gegen den Winter hin Vorräthe zuſammenträgt.
„Seine Vorrathskammer“, berichtet mein Vater, „iſt nach den Umſtänden bald der Spalt eines
Baumes, bald ein anderer Ritz, zuweilen ſogar das Dach eines Hauſes. Er trägt aber nicht
viel Nüſſe an einen Ort, ſondern ſteckt ſie einzeln da und dorthin, ohne Zweifel, damit nicht der ganze
Reichthum mit einem Male zu Grunde geht. Einmal diente das Strohdach eines Bauernhauſes in
hieſiger Gegend zum Nußlager eines Kleibers.“

Das Neſt ſteht immer in Höhlungen, regelmäßig in Baumlöchern, ausnahmsweiſe in Mauer-
oder Felsritzen. Sehr gern benutzt der kluge Vogel die vom Meiſter Specht gezimmerten Wohnungen
zu ſeiner Kinderwiege; er liebt es aber nicht, daß die Thür ſeiner Behauſung größer ſei, als für ihn es
nöthig iſt und gebraucht deshalb ein höchſt ſinnreiches Mittel, um ſich zu helfen: er verkleibt nämlich
den Eingang zu ſeinem Neſte bis auf ein kleines Loch, welches für ſein Ein- und Ausſchlüpfen gerade
groß genug iſt. „Dies geſchieht“, ſagt mein Vater, „mit Lehm oder anderer klebriger Erde, welche,
wie bei den Schwalbenneſtern, durch den leimartigen Speichel angefeuchtet, verbunden und zuſammen-
gehalten wird. Er kommt mit dem Zukleiben ſeines Neſtloches bald zu Stande, indem er ein
Klümpchen Lehm nach dem andern im Schnabel hinträgt und es mit demſelben, nachdem es ringsum
mit dem Speichel angefeuchtet iſt, feſtklebt. Man glaubt einen kleinen Maurer zu ſehen, welcher,
um eine Thür zu verſchließen, einen Stein nach dem andern einlegt und feſt macht. Dieſe Lehmwand
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[40/0052] Die Späher. Klettervögel. Spechtmeiſen. verzehren; denn man findet dieſes Getreide ſelten in ihrem Magen. Rothbuchen und Lindennüſſe freſſen ſie ſehr gern und heben ſie auch für nahrungsloſe Zeiten auf. Jch habe die Kleiber oft mit Vergnügen auf den mit Nüſſen beladenen Rothbuchen beobachtet. Jhrer zwei bis drei halten ſich in der Nähe einer ſamenreichen Buche auf, fliegen abwechſelnd auf ſie, brechen mit dem Schnabel eine Nuß ab und tragen ſie auf einen naheſtehenden Baum, in welchen ſie ein zum Einklammern derſelben paſſendes Loch in der Rinde angebracht haben, legen ſie in daſſelbe, halten ſie mit den Vorderzehen, hacken ſie auf und verſchlucken den Kern. Jetzt laſſen ſie die Schale fallen und holen ſich eine andere Nuß, welche auf gleiche Weiſe bearbeitet wird. Dies geht oft ſtunden-, ja tagelang fort und gewährt wegen der beſtändigen Abwechslung, welche das Hin- und Herfliegen, das Abbrechen und Aufhacken der Nüſſe bedingt, ein recht angenehmes Schauſpiel. Die Haſel-, Linden- und Ahornnüſſe behandelt der Kleiber auf ähnliche Weiſe. Sein feiner Geruch zeigt ihm ſtets ſo richtig an, ob die Nuß voll iſt oder nicht, daß er nie eine leere abbricht. Das Durchbrechen der harten Schale einer Haſelnuß koſtet ihm einige Mühe; aber mit einer Linden-, Rothbuchen- oder Ahornnuß iſt er ſchnell fertig. Sonderbar ſieht es aus, wenn er die Nüſſe fortträgt. Es geſchieht ſtets mit dem Schnabel, den er, um eine Haſelnuß zu faſſen, ziemlich weit aufſperren muß.“ Naumann’s Beobachtungen zufolge lieſt er im Winter die abgefallenen Kirſchkerne vom Boden auf und zerſpaltet auch ſie, um zu dem Jnnern zu gelangen, oder ſucht in den Gärten mit den Meiſen nach den Kernen der Sonnenblumen, nach Quecken und Hanfſamen, welcher letztere ein Leckerbiſſen für ihn zu ſein ſcheint. Nach Snell frißt er die giftigen Beeren der Zaunrübe, und die Knaben pflegen daher an manchen Orten mit den Ranken dieſer Pflanzen die Meiſenkaſten zu umwinden, um durch die weithin ſichtbaren rothen Beeren den Kleiber anzulocken. Hayden beobachtete ferner, daß er im Winter häufig die Larven der Buchengallmücke vom Boden aufnimmt. Dieſe allgemein bekannte kegelförmige Galle gedachter Mücke befindet ſich oft in großer Menge auf der Oberſeite der Buchenblätter, wird im Herbſte holz- artig und fällt dann von den Blättern ab. Die Kleiber und die Meiſen ſuchen ſie ſehr emſig unter den Bäumen zuſammen, hacken gewöhnlich an der Seite der Spitze ein Loch in den Mantel und ſind ſo im Stande, die darin befindliche Made herauszuholen. Gewöhnlich iſt die eingebohrte Oeffnung ſo klein, daß die Made kaum mit dem Schnabel herausgeholt werden kann, dieſes vielmehr wahr- ſcheinlich mit der Zunge geſchehen muß. Als ſonderbar hebt Hayden hervor, daß der Vogel ſtets den harten, holzartigen Theil an der Gallenſpitze aufhackt, nicht aber die Stelle bearbeitet, welche nur durch ein dünnes papierartiges Geſpinnſt der Larve geſchloſſen iſt. Es wurde ſchon erwähnt, daß ſich der Kleiber gegen den Winter hin Vorräthe zuſammenträgt. „Seine Vorrathskammer“, berichtet mein Vater, „iſt nach den Umſtänden bald der Spalt eines Baumes, bald ein anderer Ritz, zuweilen ſogar das Dach eines Hauſes. Er trägt aber nicht viel Nüſſe an einen Ort, ſondern ſteckt ſie einzeln da und dorthin, ohne Zweifel, damit nicht der ganze Reichthum mit einem Male zu Grunde geht. Einmal diente das Strohdach eines Bauernhauſes in hieſiger Gegend zum Nußlager eines Kleibers.“ Das Neſt ſteht immer in Höhlungen, regelmäßig in Baumlöchern, ausnahmsweiſe in Mauer- oder Felsritzen. Sehr gern benutzt der kluge Vogel die vom Meiſter Specht gezimmerten Wohnungen zu ſeiner Kinderwiege; er liebt es aber nicht, daß die Thür ſeiner Behauſung größer ſei, als für ihn es nöthig iſt und gebraucht deshalb ein höchſt ſinnreiches Mittel, um ſich zu helfen: er verkleibt nämlich den Eingang zu ſeinem Neſte bis auf ein kleines Loch, welches für ſein Ein- und Ausſchlüpfen gerade groß genug iſt. „Dies geſchieht“, ſagt mein Vater, „mit Lehm oder anderer klebriger Erde, welche, wie bei den Schwalbenneſtern, durch den leimartigen Speichel angefeuchtet, verbunden und zuſammen- gehalten wird. Er kommt mit dem Zukleiben ſeines Neſtloches bald zu Stande, indem er ein Klümpchen Lehm nach dem andern im Schnabel hinträgt und es mit demſelben, nachdem es ringsum mit dem Speichel angefeuchtet iſt, feſtklebt. Man glaubt einen kleinen Maurer zu ſehen, welcher, um eine Thür zu verſchließen, einen Stein nach dem andern einlegt und feſt macht. Dieſe Lehmwand hat einen Zoll und darüber in der Dicke, und wenn ſie trocken iſt, eine ſolche Feſtigkeit, daß man ſie

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/52>, abgerufen am 28.11.2024.