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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Moorschneehuhn.
Kopf niedergebeugt: so lief er vorwärts. Da mit einem Male schien er sich zu verwundern, daß die
Lockungen geendet hatten, und nunmehr begann er seinerseits sehnsüchtig zu rufen. Mehrmals warf
er den Kopf in sonderbarer Weise nach hinten, und tief aus dem Jnnersten der Brust heraus klangen,
dumpfen Kehllauten vergleichbar, abgesetzte Rufe, welche man durch die Silben "Gabauh, gabauh"
einigermaßen deutlich ausdrücken kann; dieselben Laute, welche die Norweger durch die Worte
"Hvor er hun" -- wo ist sie? -- übersetzen.

Und der Alte war wirklich so kühn; mit seiner Menschenstimme zu antworten, den Hahn
glauben zu machen, daß das Weiblein, die ersehnte Braut, sich blos im Gebüsch versteckt habe.
Leiser und schmachtender als je rief er wiederholt in der vorhin angegebenen Weise -- und eilfertig
rannte der Hahn mit tiefgesenktem Kopfe und Flügeln herbei, dicht an uns heran und buchstäblich
über unsere Beine weg;
denn wir lagen natürlich der Länge lang auf dem Schnee. Doch jetzt
mochte er seinen Jrrthum wohl eingesehen haben; er stand plötzlich auf, stiebte davon und rief allen
Mitbewerbern ein warnendes, leises Knurren zu. Jetzt mochte der alte Jäger locken wie er wollte;
das Liebesfeuer der zahlreich versammelten Hähne schien gedämpft zu sein, ihre Brunst wurde durch
ein wohlberechtigtes Bedenken überwogen.

Doch wir zogen weiter und verhielten uns auf eine Strecke von mehreren Minuten ganz
ruhig, bis unser Führer glaubte, daß wir in das Gebiet noch ungestörter Hähne eingetreten wären.
Dort wurde die Jagd fortgesetzt, und ich erlegte nach den ersten Lockungen einen zweiten und wenige
Minuten später den dritten Hahn. Jetzt aber schienen die Vögel gewitzigt worden zu sein; es war vor-
über mit der Jagd, nicht jedoch auch vorüber mit der Beobachtung. Denn zu meiner Freude bemerkte
ich, daß fortan die Weibchen, welche sich bisher ganz unsichtbar gemacht hatten, das Amt des Warners
übernahmen, um ihre Liebhaber von dem Verderben abzuhalten.

Wir wandten uns dem Gehöfte wieder zu, störten unterwegs noch viele, viele Paare der
anziehenden Vögel auf und kamen mit Anbruch des Tages in unserer zeitweiligen Wohnung
wieder an.

So lernte ich einen der häufigsten und anziehendsten Vögel des hohen Nordens, das
Moorschneehuhn, kennen. Jch habe diese Geschichte schon in der "Gartenlaube" erzählt, und
dennoch kein Bedenken getragen, hier fast dieselben Worte wieder zu gebrauchen, weil ich beabsichtigte,
den ersten Eindruck, welchen dieses Huhn auf den Jäger und Forscher macht, in möglichster Treue
zu schildern. Später bin ich noch manche Nacht hinausgezogen, um Schneehühner zu erlegen,
und oben in Lappland habe ich sie denn auch unter andern Verhältnissen ihres Lebens kennen
gelernt -- nicht blos in jenen stillen Stunden, in denen die
"Mitternachtssonn' auf den Bergen lag,
Blutroth anzuschauen",

sondern auch um die Mittagszeit, wenn sie ihrer Nahrung nachgehen, oder wenn die mütterliche
Henne die Schar ihrer reizenden Küchlein führt. Und immer und unter allen Umständen hat mich
dieser Vogel zu fesseln gewußt, sodaß ich ihn unbedingt als einen der anziehendsten und beachtens-
werthesten jener Gegend bezeichnen darf.

Das Moor-, Morast-, Weiden-, Thal-, Schnee- oder Weißhuhn (Lagopus albus)
steht in der Größe zwischen Birk- und Rebhuhn ungefähr mitten inne: die Länge des Hahnes
beträgt 15, die Breite 241/2, die Fittiglänge 71/2, die Schwanzlänge 41/4 Zoll; das Weibchen ist um
einen Zoll kürzer und fast ebensoviel schmäler. Die Färbung des Gefieders ist je nach der Jahreszeit
verschieden. Jm Winter trägt das Schneehuhn ein zwar einfaches, aber dennoch schönes Kleid. Sein
ganzes Gefieder ist bis auf die vierzehn äußeren Schwanzfedern blendend weiß; die Schwanzfedern
hingegen sind tief schwarz, weiß gekantet und weiß an der Wurzel; die sechs großen Schwungfedern
zeigen auf der Außenfahne einen langen braunschwarzen Streifen. Jm Hochzeitskleide sind Ober-
kopf und Hinterhals rostfarbig, fuchsroth oder rostbraun, schwarz gefleckt und gewellt, die Schulter-,

Brehm, Thierleben. IV. 24

Moorſchneehuhn.
Kopf niedergebeugt: ſo lief er vorwärts. Da mit einem Male ſchien er ſich zu verwundern, daß die
Lockungen geendet hatten, und nunmehr begann er ſeinerſeits ſehnſüchtig zu rufen. Mehrmals warf
er den Kopf in ſonderbarer Weiſe nach hinten, und tief aus dem Jnnerſten der Bruſt heraus klangen,
dumpfen Kehllauten vergleichbar, abgeſetzte Rufe, welche man durch die Silben „Gabauh, gabauh“
einigermaßen deutlich ausdrücken kann; dieſelben Laute, welche die Norweger durch die Worte
Hvor er hun“ — wo iſt ſie? — überſetzen.

Und der Alte war wirklich ſo kühn; mit ſeiner Menſchenſtimme zu antworten, den Hahn
glauben zu machen, daß das Weiblein, die erſehnte Braut, ſich blos im Gebüſch verſteckt habe.
Leiſer und ſchmachtender als je rief er wiederholt in der vorhin angegebenen Weiſe — und eilfertig
rannte der Hahn mit tiefgeſenktem Kopfe und Flügeln herbei, dicht an uns heran und buchſtäblich
über unſere Beine weg;
denn wir lagen natürlich der Länge lang auf dem Schnee. Doch jetzt
mochte er ſeinen Jrrthum wohl eingeſehen haben; er ſtand plötzlich auf, ſtiebte davon und rief allen
Mitbewerbern ein warnendes, leiſes Knurren zu. Jetzt mochte der alte Jäger locken wie er wollte;
das Liebesfeuer der zahlreich verſammelten Hähne ſchien gedämpft zu ſein, ihre Brunſt wurde durch
ein wohlberechtigtes Bedenken überwogen.

Doch wir zogen weiter und verhielten uns auf eine Strecke von mehreren Minuten ganz
ruhig, bis unſer Führer glaubte, daß wir in das Gebiet noch ungeſtörter Hähne eingetreten wären.
Dort wurde die Jagd fortgeſetzt, und ich erlegte nach den erſten Lockungen einen zweiten und wenige
Minuten ſpäter den dritten Hahn. Jetzt aber ſchienen die Vögel gewitzigt worden zu ſein; es war vor-
über mit der Jagd, nicht jedoch auch vorüber mit der Beobachtung. Denn zu meiner Freude bemerkte
ich, daß fortan die Weibchen, welche ſich bisher ganz unſichtbar gemacht hatten, das Amt des Warners
übernahmen, um ihre Liebhaber von dem Verderben abzuhalten.

Wir wandten uns dem Gehöfte wieder zu, ſtörten unterwegs noch viele, viele Paare der
anziehenden Vögel auf und kamen mit Anbruch des Tages in unſerer zeitweiligen Wohnung
wieder an.

So lernte ich einen der häufigſten und anziehendſten Vögel des hohen Nordens, das
Moorſchneehuhn, kennen. Jch habe dieſe Geſchichte ſchon in der „Gartenlaube“ erzählt, und
dennoch kein Bedenken getragen, hier faſt dieſelben Worte wieder zu gebrauchen, weil ich beabſichtigte,
den erſten Eindruck, welchen dieſes Huhn auf den Jäger und Forſcher macht, in möglichſter Treue
zu ſchildern. Später bin ich noch manche Nacht hinausgezogen, um Schneehühner zu erlegen,
und oben in Lappland habe ich ſie denn auch unter andern Verhältniſſen ihres Lebens kennen
gelernt — nicht blos in jenen ſtillen Stunden, in denen die
„Mitternachtsſonn’ auf den Bergen lag,
Blutroth anzuſchauen“,

ſondern auch um die Mittagszeit, wenn ſie ihrer Nahrung nachgehen, oder wenn die mütterliche
Henne die Schar ihrer reizenden Küchlein führt. Und immer und unter allen Umſtänden hat mich
dieſer Vogel zu feſſeln gewußt, ſodaß ich ihn unbedingt als einen der anziehendſten und beachtens-
wertheſten jener Gegend bezeichnen darf.

Das Moor-, Moraſt-, Weiden-, Thal-, Schnee- oder Weißhuhn (Lagopus albus)
ſteht in der Größe zwiſchen Birk- und Rebhuhn ungefähr mitten inne: die Länge des Hahnes
beträgt 15, die Breite 24½, die Fittiglänge 7½, die Schwanzlänge 4¼ Zoll; das Weibchen iſt um
einen Zoll kürzer und faſt ebenſoviel ſchmäler. Die Färbung des Gefieders iſt je nach der Jahreszeit
verſchieden. Jm Winter trägt das Schneehuhn ein zwar einfaches, aber dennoch ſchönes Kleid. Sein
ganzes Gefieder iſt bis auf die vierzehn äußeren Schwanzfedern blendend weiß; die Schwanzfedern
hingegen ſind tief ſchwarz, weiß gekantet und weiß an der Wurzel; die ſechs großen Schwungfedern
zeigen auf der Außenfahne einen langen braunſchwarzen Streifen. Jm Hochzeitskleide ſind Ober-
kopf und Hinterhals roſtfarbig, fuchsroth oder roſtbraun, ſchwarz gefleckt und gewellt, die Schulter-,

Brehm, Thierleben. IV. 24
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[369/0397] Moorſchneehuhn. Kopf niedergebeugt: ſo lief er vorwärts. Da mit einem Male ſchien er ſich zu verwundern, daß die Lockungen geendet hatten, und nunmehr begann er ſeinerſeits ſehnſüchtig zu rufen. Mehrmals warf er den Kopf in ſonderbarer Weiſe nach hinten, und tief aus dem Jnnerſten der Bruſt heraus klangen, dumpfen Kehllauten vergleichbar, abgeſetzte Rufe, welche man durch die Silben „Gabauh, gabauh“ einigermaßen deutlich ausdrücken kann; dieſelben Laute, welche die Norweger durch die Worte „Hvor er hun“ — wo iſt ſie? — überſetzen. Und der Alte war wirklich ſo kühn; mit ſeiner Menſchenſtimme zu antworten, den Hahn glauben zu machen, daß das Weiblein, die erſehnte Braut, ſich blos im Gebüſch verſteckt habe. Leiſer und ſchmachtender als je rief er wiederholt in der vorhin angegebenen Weiſe — und eilfertig rannte der Hahn mit tiefgeſenktem Kopfe und Flügeln herbei, dicht an uns heran und buchſtäblich über unſere Beine weg; denn wir lagen natürlich der Länge lang auf dem Schnee. Doch jetzt mochte er ſeinen Jrrthum wohl eingeſehen haben; er ſtand plötzlich auf, ſtiebte davon und rief allen Mitbewerbern ein warnendes, leiſes Knurren zu. Jetzt mochte der alte Jäger locken wie er wollte; das Liebesfeuer der zahlreich verſammelten Hähne ſchien gedämpft zu ſein, ihre Brunſt wurde durch ein wohlberechtigtes Bedenken überwogen. Doch wir zogen weiter und verhielten uns auf eine Strecke von mehreren Minuten ganz ruhig, bis unſer Führer glaubte, daß wir in das Gebiet noch ungeſtörter Hähne eingetreten wären. Dort wurde die Jagd fortgeſetzt, und ich erlegte nach den erſten Lockungen einen zweiten und wenige Minuten ſpäter den dritten Hahn. Jetzt aber ſchienen die Vögel gewitzigt worden zu ſein; es war vor- über mit der Jagd, nicht jedoch auch vorüber mit der Beobachtung. Denn zu meiner Freude bemerkte ich, daß fortan die Weibchen, welche ſich bisher ganz unſichtbar gemacht hatten, das Amt des Warners übernahmen, um ihre Liebhaber von dem Verderben abzuhalten. Wir wandten uns dem Gehöfte wieder zu, ſtörten unterwegs noch viele, viele Paare der anziehenden Vögel auf und kamen mit Anbruch des Tages in unſerer zeitweiligen Wohnung wieder an. So lernte ich einen der häufigſten und anziehendſten Vögel des hohen Nordens, das Moorſchneehuhn, kennen. Jch habe dieſe Geſchichte ſchon in der „Gartenlaube“ erzählt, und dennoch kein Bedenken getragen, hier faſt dieſelben Worte wieder zu gebrauchen, weil ich beabſichtigte, den erſten Eindruck, welchen dieſes Huhn auf den Jäger und Forſcher macht, in möglichſter Treue zu ſchildern. Später bin ich noch manche Nacht hinausgezogen, um Schneehühner zu erlegen, und oben in Lappland habe ich ſie denn auch unter andern Verhältniſſen ihres Lebens kennen gelernt — nicht blos in jenen ſtillen Stunden, in denen die „Mitternachtsſonn’ auf den Bergen lag, Blutroth anzuſchauen“, ſondern auch um die Mittagszeit, wenn ſie ihrer Nahrung nachgehen, oder wenn die mütterliche Henne die Schar ihrer reizenden Küchlein führt. Und immer und unter allen Umſtänden hat mich dieſer Vogel zu feſſeln gewußt, ſodaß ich ihn unbedingt als einen der anziehendſten und beachtens- wertheſten jener Gegend bezeichnen darf. Das Moor-, Moraſt-, Weiden-, Thal-, Schnee- oder Weißhuhn (Lagopus albus) ſteht in der Größe zwiſchen Birk- und Rebhuhn ungefähr mitten inne: die Länge des Hahnes beträgt 15, die Breite 24½, die Fittiglänge 7½, die Schwanzlänge 4¼ Zoll; das Weibchen iſt um einen Zoll kürzer und faſt ebenſoviel ſchmäler. Die Färbung des Gefieders iſt je nach der Jahreszeit verſchieden. Jm Winter trägt das Schneehuhn ein zwar einfaches, aber dennoch ſchönes Kleid. Sein ganzes Gefieder iſt bis auf die vierzehn äußeren Schwanzfedern blendend weiß; die Schwanzfedern hingegen ſind tief ſchwarz, weiß gekantet und weiß an der Wurzel; die ſechs großen Schwungfedern zeigen auf der Außenfahne einen langen braunſchwarzen Streifen. Jm Hochzeitskleide ſind Ober- kopf und Hinterhals roſtfarbig, fuchsroth oder roſtbraun, ſchwarz gefleckt und gewellt, die Schulter-, Brehm, Thierleben. IV. 24

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/397>, abgerufen am 25.11.2024.