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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Auerhuhn.
geht in einen tieferen Gürtel herab, pflegt aber bei eintretender milder Witterung regelmäßig nach
der Höhe zurückzukehren; im Mittelgebirge oder im Hügellande zieht es sich zuweilen aus einem
Gebiet nach dem andern, ohne daß man einen eigentlich schlagenden Grund dafür anzugeben
wüßte. Doch muß hierbei bemerkt werden, daß über dieses Streichen noch nicht Beobachtungen
gesammelt worden sind, welche jeden Zweifel ausschließen; denn wie schon mein Vater anführt und
Geyer bestätigt, geschieht es, daß das Auerwild im strengen Winter zuweilen Wochen lang auf
den Bäumen sich aufhält, ohne zum Boden herabzukommen, daß also der Beobachter dadurch leicht
getäuscht und zu der Meinung verleitet werden kann, das Wild habe sich einem andern Standorte
zugewendet. "Merkwürdig ist es", sagt mein Vater, "daß das Auerhuhn im Winter oft mehrere,
sogar acht Tage auf einem Baume stehen bleibt und fast alle Nadeln auf demselben verzehrt." --
"Es fiel mir", erzählt Geyer, Vorstehendes bestätigend, ohne es gekannt zu haben, "bei Gelegenheit
des Fuchsbestattens oder Einkreisens auf, daß ich kein Stück Auerwild spürte. Jch fragte hin und
wieder nach der Ursache dieser Erscheinung; aber kein Mensch konnte mir einen Aufschluß über die
ständig gewordene Behauptung, "das Auerwild hat seinen Standort gewechselt", geben. Als ich
jedoch zufällig einmal eine Kette von einigen zwanzig Stück Hähnen und Hennen an einem Abhange
aufgebaut fand, an welchen sich die Sonne stark anlehnte, war mir das Räthsel mit einem Male
gelöst. Jn dieser Strecke haben wir sie Tage lang beobachtet, Knospen und Nadeln von Fichten
und Tannen äsend, ohne in der ganzen Strecke auch nur Ein Stück Auerwild auf dem Schnee
zu spüren."

Bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge hält sich unser Huhn über Tags auf dem Boden auf,
und wählt sich, wenn es sein kann, solche Stellen, welche die ersten Strahlen der Morgen-
sonne empfangen und kleine offene Weideplätze besitzen, die mit Dickicht aus Waldbäumen,
Heidel-, Brombeer- und Haidengesträuch abwechseln, auch klares Wasser in der Nähe haben. Hier
läuft es auf dem Boden umher, durchkriecht das Gestrüpp und das niedere Gesträuch, sucht seine
Nahrung zusammen, und erhebt sich nur, wenn ihm etwas Auffallendes begegnet. Gegen Abend
steht es auf; Hahn und Henne trennen sich, und beide treten mit Einbruch der Nacht zu Baume, um
hier ihre Nachtruhe zu halten. Sie erheben sich fast nie zum Wipfel, sondern bleiben regelmäßig
in der Mitte des Baumes stehen, schlafen und bäumen mit Anbruch des Morgens wieder ab.

Die Aesung des Auerwildes besteht in Baumknospen, Blättern oder Nadeln, Klee- und
Grasblättern, Waldbeeren, Sämereien und Kerbthieren. Der Hahn nimmt, mindestens zur Balz-
zeit, mit gröberer Nahrung vorlieb als die Henne oder die Jungen. "Bei zehn Hähnen, deren
Kropf ich in der Balzzeit untersuchte", sagt mein Vater, "fand ich Nichts, als Tannen- oder Fichten-
oder Kiefernadeln, und es scheint, daß sich der Hahn während der Balze gar nicht die Zeit nimmt,
lange nach Nahrung zu suchen, vielmehr Das frißt, was er gleich in der Nähe haben kann. Es ist
mir aber auch wegen der gänzlichen Verschiedenheit im Geschmack des Wildprets des Hahnes und der
Henne höchst wahrscheinlich, daß der erstere meist Knospen von Fichten, Tannen und Kiefern verzehrt,
während die letztere sich gewöhnlich von zarteren Gewächstheilen nährt. Daher mag es wohl auch
kommen, daß das Fleisch des alten Auerhahns hart, zähe, strohern und bei gewöhnlicher Zubereitung
kaum genießbar, das der Henne dagegen sehr zart und wohlschmeckend ist. Das Wildpret der
halbjährigen Hähne ist ebenfalls sehr gut; aber bis zu diesem Alter sind sie auch mit der Mutter
gelaufen und haben an ihrem Tische gegessen." -- Kleine Kieselerde oder Sand scheinen zur Ver-
dauung der aufgenommenen Nahrung unbedingt nöthig zu sein; man findet sie stets in dem Magen
der Erlegten. Zum Wasser kommt das Auerhuhn mehrmals im Laufe des Tages.

Unter den mir bekannten Beschreibungen der Eigenschaften unseres Wildes halte ich die von
meinem Vater im Jahre 1822 veröffentlichte immer noch für die ausführlichste und beste. Jch werde
sie deshalb hier folgen lassen und nur hier und da einige Worte einschieben, wobei ich namentlich
"die Auerhahnbalze" meines werthen Freundes, des Forstmeisters Dominik Geyer, eines leiden-
schaftlichen Auerhahnjägers, zu berücksichtigen habe. "Das Auerwaldhuhn", sagt mein Vater, "ist

Brehm, Thierleben. IV. 22

Auerhuhn.
geht in einen tieferen Gürtel herab, pflegt aber bei eintretender milder Witterung regelmäßig nach
der Höhe zurückzukehren; im Mittelgebirge oder im Hügellande zieht es ſich zuweilen aus einem
Gebiet nach dem andern, ohne daß man einen eigentlich ſchlagenden Grund dafür anzugeben
wüßte. Doch muß hierbei bemerkt werden, daß über dieſes Streichen noch nicht Beobachtungen
geſammelt worden ſind, welche jeden Zweifel ausſchließen; denn wie ſchon mein Vater anführt und
Geyer beſtätigt, geſchieht es, daß das Auerwild im ſtrengen Winter zuweilen Wochen lang auf
den Bäumen ſich aufhält, ohne zum Boden herabzukommen, daß alſo der Beobachter dadurch leicht
getäuſcht und zu der Meinung verleitet werden kann, das Wild habe ſich einem andern Standorte
zugewendet. „Merkwürdig iſt es“, ſagt mein Vater, „daß das Auerhuhn im Winter oft mehrere,
ſogar acht Tage auf einem Baume ſtehen bleibt und faſt alle Nadeln auf demſelben verzehrt.“ —
„Es fiel mir“, erzählt Geyer, Vorſtehendes beſtätigend, ohne es gekannt zu haben, „bei Gelegenheit
des Fuchsbeſtattens oder Einkreiſens auf, daß ich kein Stück Auerwild ſpürte. Jch fragte hin und
wieder nach der Urſache dieſer Erſcheinung; aber kein Menſch konnte mir einen Aufſchluß über die
ſtändig gewordene Behauptung, „das Auerwild hat ſeinen Standort gewechſelt“, geben. Als ich
jedoch zufällig einmal eine Kette von einigen zwanzig Stück Hähnen und Hennen an einem Abhange
aufgebaut fand, an welchen ſich die Sonne ſtark anlehnte, war mir das Räthſel mit einem Male
gelöſt. Jn dieſer Strecke haben wir ſie Tage lang beobachtet, Knospen und Nadeln von Fichten
und Tannen äſend, ohne in der ganzen Strecke auch nur Ein Stück Auerwild auf dem Schnee
zu ſpüren.“

Bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge hält ſich unſer Huhn über Tags auf dem Boden auf,
und wählt ſich, wenn es ſein kann, ſolche Stellen, welche die erſten Strahlen der Morgen-
ſonne empfangen und kleine offene Weideplätze beſitzen, die mit Dickicht aus Waldbäumen,
Heidel-, Brombeer- und Haidengeſträuch abwechſeln, auch klares Waſſer in der Nähe haben. Hier
läuft es auf dem Boden umher, durchkriecht das Geſtrüpp und das niedere Geſträuch, ſucht ſeine
Nahrung zuſammen, und erhebt ſich nur, wenn ihm etwas Auffallendes begegnet. Gegen Abend
ſteht es auf; Hahn und Henne trennen ſich, und beide treten mit Einbruch der Nacht zu Baume, um
hier ihre Nachtruhe zu halten. Sie erheben ſich faſt nie zum Wipfel, ſondern bleiben regelmäßig
in der Mitte des Baumes ſtehen, ſchlafen und bäumen mit Anbruch des Morgens wieder ab.

Die Aeſung des Auerwildes beſteht in Baumknospen, Blättern oder Nadeln, Klee- und
Grasblättern, Waldbeeren, Sämereien und Kerbthieren. Der Hahn nimmt, mindeſtens zur Balz-
zeit, mit gröberer Nahrung vorlieb als die Henne oder die Jungen. „Bei zehn Hähnen, deren
Kropf ich in der Balzzeit unterſuchte“, ſagt mein Vater, „fand ich Nichts, als Tannen- oder Fichten-
oder Kiefernadeln, und es ſcheint, daß ſich der Hahn während der Balze gar nicht die Zeit nimmt,
lange nach Nahrung zu ſuchen, vielmehr Das frißt, was er gleich in der Nähe haben kann. Es iſt
mir aber auch wegen der gänzlichen Verſchiedenheit im Geſchmack des Wildprets des Hahnes und der
Henne höchſt wahrſcheinlich, daß der erſtere meiſt Knospen von Fichten, Tannen und Kiefern verzehrt,
während die letztere ſich gewöhnlich von zarteren Gewächstheilen nährt. Daher mag es wohl auch
kommen, daß das Fleiſch des alten Auerhahns hart, zähe, ſtrohern und bei gewöhnlicher Zubereitung
kaum genießbar, das der Henne dagegen ſehr zart und wohlſchmeckend iſt. Das Wildpret der
halbjährigen Hähne iſt ebenfalls ſehr gut; aber bis zu dieſem Alter ſind ſie auch mit der Mutter
gelaufen und haben an ihrem Tiſche gegeſſen.“ — Kleine Kieſelerde oder Sand ſcheinen zur Ver-
dauung der aufgenommenen Nahrung unbedingt nöthig zu ſein; man findet ſie ſtets in dem Magen
der Erlegten. Zum Waſſer kommt das Auerhuhn mehrmals im Laufe des Tages.

Unter den mir bekannten Beſchreibungen der Eigenſchaften unſeres Wildes halte ich die von
meinem Vater im Jahre 1822 veröffentlichte immer noch für die ausführlichſte und beſte. Jch werde
ſie deshalb hier folgen laſſen und nur hier und da einige Worte einſchieben, wobei ich namentlich
„die Auerhahnbalze“ meines werthen Freundes, des Forſtmeiſters Dominik Geyer, eines leiden-
ſchaftlichen Auerhahnjägers, zu berückſichtigen habe. „Das Auerwaldhuhn“, ſagt mein Vater, „iſt

Brehm, Thierleben. IV. 22
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[337/0365] Auerhuhn. geht in einen tieferen Gürtel herab, pflegt aber bei eintretender milder Witterung regelmäßig nach der Höhe zurückzukehren; im Mittelgebirge oder im Hügellande zieht es ſich zuweilen aus einem Gebiet nach dem andern, ohne daß man einen eigentlich ſchlagenden Grund dafür anzugeben wüßte. Doch muß hierbei bemerkt werden, daß über dieſes Streichen noch nicht Beobachtungen geſammelt worden ſind, welche jeden Zweifel ausſchließen; denn wie ſchon mein Vater anführt und Geyer beſtätigt, geſchieht es, daß das Auerwild im ſtrengen Winter zuweilen Wochen lang auf den Bäumen ſich aufhält, ohne zum Boden herabzukommen, daß alſo der Beobachter dadurch leicht getäuſcht und zu der Meinung verleitet werden kann, das Wild habe ſich einem andern Standorte zugewendet. „Merkwürdig iſt es“, ſagt mein Vater, „daß das Auerhuhn im Winter oft mehrere, ſogar acht Tage auf einem Baume ſtehen bleibt und faſt alle Nadeln auf demſelben verzehrt.“ — „Es fiel mir“, erzählt Geyer, Vorſtehendes beſtätigend, ohne es gekannt zu haben, „bei Gelegenheit des Fuchsbeſtattens oder Einkreiſens auf, daß ich kein Stück Auerwild ſpürte. Jch fragte hin und wieder nach der Urſache dieſer Erſcheinung; aber kein Menſch konnte mir einen Aufſchluß über die ſtändig gewordene Behauptung, „das Auerwild hat ſeinen Standort gewechſelt“, geben. Als ich jedoch zufällig einmal eine Kette von einigen zwanzig Stück Hähnen und Hennen an einem Abhange aufgebaut fand, an welchen ſich die Sonne ſtark anlehnte, war mir das Räthſel mit einem Male gelöſt. Jn dieſer Strecke haben wir ſie Tage lang beobachtet, Knospen und Nadeln von Fichten und Tannen äſend, ohne in der ganzen Strecke auch nur Ein Stück Auerwild auf dem Schnee zu ſpüren.“ Bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge hält ſich unſer Huhn über Tags auf dem Boden auf, und wählt ſich, wenn es ſein kann, ſolche Stellen, welche die erſten Strahlen der Morgen- ſonne empfangen und kleine offene Weideplätze beſitzen, die mit Dickicht aus Waldbäumen, Heidel-, Brombeer- und Haidengeſträuch abwechſeln, auch klares Waſſer in der Nähe haben. Hier läuft es auf dem Boden umher, durchkriecht das Geſtrüpp und das niedere Geſträuch, ſucht ſeine Nahrung zuſammen, und erhebt ſich nur, wenn ihm etwas Auffallendes begegnet. Gegen Abend ſteht es auf; Hahn und Henne trennen ſich, und beide treten mit Einbruch der Nacht zu Baume, um hier ihre Nachtruhe zu halten. Sie erheben ſich faſt nie zum Wipfel, ſondern bleiben regelmäßig in der Mitte des Baumes ſtehen, ſchlafen und bäumen mit Anbruch des Morgens wieder ab. Die Aeſung des Auerwildes beſteht in Baumknospen, Blättern oder Nadeln, Klee- und Grasblättern, Waldbeeren, Sämereien und Kerbthieren. Der Hahn nimmt, mindeſtens zur Balz- zeit, mit gröberer Nahrung vorlieb als die Henne oder die Jungen. „Bei zehn Hähnen, deren Kropf ich in der Balzzeit unterſuchte“, ſagt mein Vater, „fand ich Nichts, als Tannen- oder Fichten- oder Kiefernadeln, und es ſcheint, daß ſich der Hahn während der Balze gar nicht die Zeit nimmt, lange nach Nahrung zu ſuchen, vielmehr Das frißt, was er gleich in der Nähe haben kann. Es iſt mir aber auch wegen der gänzlichen Verſchiedenheit im Geſchmack des Wildprets des Hahnes und der Henne höchſt wahrſcheinlich, daß der erſtere meiſt Knospen von Fichten, Tannen und Kiefern verzehrt, während die letztere ſich gewöhnlich von zarteren Gewächstheilen nährt. Daher mag es wohl auch kommen, daß das Fleiſch des alten Auerhahns hart, zähe, ſtrohern und bei gewöhnlicher Zubereitung kaum genießbar, das der Henne dagegen ſehr zart und wohlſchmeckend iſt. Das Wildpret der halbjährigen Hähne iſt ebenfalls ſehr gut; aber bis zu dieſem Alter ſind ſie auch mit der Mutter gelaufen und haben an ihrem Tiſche gegeſſen.“ — Kleine Kieſelerde oder Sand ſcheinen zur Ver- dauung der aufgenommenen Nahrung unbedingt nöthig zu ſein; man findet ſie ſtets in dem Magen der Erlegten. Zum Waſſer kommt das Auerhuhn mehrmals im Laufe des Tages. Unter den mir bekannten Beſchreibungen der Eigenſchaften unſeres Wildes halte ich die von meinem Vater im Jahre 1822 veröffentlichte immer noch für die ausführlichſte und beſte. Jch werde ſie deshalb hier folgen laſſen und nur hier und da einige Worte einſchieben, wobei ich namentlich „die Auerhahnbalze“ meines werthen Freundes, des Forſtmeiſters Dominik Geyer, eines leiden- ſchaftlichen Auerhahnjägers, zu berückſichtigen habe. „Das Auerwaldhuhn“, ſagt mein Vater, „iſt Brehm, Thierleben. IV. 22

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/365>, abgerufen am 22.11.2024.