Auf den Canaren tritt sie, laut Bolle, massenhaft auf. "Von ihr wimmeln die einsamen südlichen Thäler Canarias. Sie ist es, welche mehr als jeder andere Vogel mit ihrem melodischen Rucksen und Girren die blumenreiche Wildniß jener endlosen Schluchten belebt, in denen meilenweit schneeweißes, duftendes Gestrüpp die Abhänge bekleidet, während im Thalwege selbst höheres Busch- werk wächst. Auf jedem Aste, auf jedem Steinblock fast sitzt die Turteltaube. Furchtlos schaut sie den Reiter mit ihrem großen, seelenvollen Auge an oder läuft emsig, ohne aufzufliegen, auf dem Wege, welchen er verfolgt, vor ihm her." Auf den dürren, griechischen Ebenen begegnet man ihr in ähnlicher Anzahl und zwar während des ganzen Jahres; doch ist die Menge der Bruttauben in keinen Vergleich zu stellen mit den ungeheuren Scharen, welche auf ihrem Durchzuge die Felder bedecken. Jm Frühjahre sind manche Fluren buchstäblich mit Turteltauben besäet, und ein geschickter Jäger kann ein halbes Hundert von ihnen an einem Tage erlegen. Viele bleiben in Griechenland während des Winters, andere ziehen weiter, und dann sieht man sie in Egypten und Nubien an geeigneten Orten nicht selten, soweit ich in Erfahrung brachte, aber niemals in großen Massen. Jm mittleren Ostasien wird sie durch eine ähnliche größere Art vertreten, welche Radde eine "großwüchsige Spielart" von ihr nennt; in Jndien scheint sie auch nicht vorzukommen; wenigstens führt sie Jerdon unter den dort beobachteten Vögeln nicht mit auf.
Bei uns zu Lande trifft sie Anfangs April ein, verweilt bis zum August auf ihrem Brut- platze, streicht dann umher und verläßt uns im September wieder. "Daß man sie in manchen Jahren häufiger als in anderen antrifft", sagt mein Vater, "rührt theils von dem mehr oder weniger häufigen Fichtensamen, theils von den größeren oder geringeren Niederlagen her, welche sie auf ihren Wanderungen erleiden." Jch glaube, daß das Erstere richtig ist, die Niederlagen aber kaum in Betracht gezogen werden dürfen, da die starke Vermehrung dieser Taube derartige Verluste wieder ausgleicht.
"Die Turteltaube", fährt mein Vater fort, "ist nicht nur ein schön gezeichneter, sondern auch in seinem ganzen Wesen liebenswürdiger Vogel, sodaß man sich nicht wundern darf, wenn sie von Dichtern und Liebenden hochgeachtet wird. Schon ihre Schönheit nimmt für sie ein. Jhre sanften Farben gehen ansprechend in einander über und stehen so geschmackvoll neben einander, daß man sie mit Vergnügen ansieht." Auch ihr Wesen ist anmuthend, obgleich man nicht verkennen darf, daß sie über Gebühr gerühmt worden ist. Jhre zierlichen Bewegungen, ihr Anstand und das sanfte Girren bestechen den Beobachter, und wenn dieser vollends die Gattenliebe kennen lernt und von der Zärtlichkeit Zeuge wird, mit welcher das Männchen sein Weibchen behandelt, glaubt er berechtigt zu sein, diesen Vogel als den liebenswürdigsten von allen zu bezeichnen. Das ist nicht ganz richtig; denn auch die Turteltaube hat ihre schwachen Seiten, und ihre Zärtlichkeit ist nicht größer, als bei vielen andern Vögeln, ihre Treue vielleicht geringer.
Die Turteltaube geht gut und trägt sich dabei sehr schmuck und schön. Sie fliegt vortrefflich, d. h. ungemein schnell, leicht und gewandt, ziemlich geräuschlos und versteht, mit bewundrungswürdiger Geschicklichkeit alle möglichen Schwenkungen auszuführen. Von einem Raubvogel verfolgt, schießt sie in einer unbegreiflichen Weise durch die dichtesten Baumzweige hindurch, ohne durch sie behindert zu werden, während der fluggeübte Räuber dadurch regelmäßig so belästigt wird, daß er von ihr abstehen muß. Die sehr sanfte und angenehme Stimme wird durch den deutschen und noch mehr den lateinischen Namen der Taube wiedergegeben. Das Girren ist streng genommen ein hohes, eintöniges Knurren, welches wie "Tur tur" klingt und oft wiederholt wird. Aber dieses "Tur tur" ist so klangvoll, daß es Jedermann erfreut. Dabei sitzt der Tauber auf der Spitze einer Fichte, Kiefer oder Tanne oder im Süden auf der eines beliebigen Busches, auch wohl auf einem dürren Wipfel oder dem vorstehen- den Aste eines höheren Baumes, bläst den Hals auf und senkt Kopf und Schnabel etwas nach unten. Steht man ihm sehr nahe, so hört man, daß zwischen das Girren ein leises Klappen eingeschoben wird, welches eine Folge des raschen Einathmens sein mag. Das Girren ist eben auch nur ein Liebesgesang des Taubers, und dieser läßt es daher hauptsächlich während seiner Liebesbegeisterung
Die Läufer. Girrvögel. Turteltauben.
Auf den Canaren tritt ſie, laut Bolle, maſſenhaft auf. „Von ihr wimmeln die einſamen ſüdlichen Thäler Canarias. Sie iſt es, welche mehr als jeder andere Vogel mit ihrem melodiſchen Ruckſen und Girren die blumenreiche Wildniß jener endloſen Schluchten belebt, in denen meilenweit ſchneeweißes, duftendes Geſtrüpp die Abhänge bekleidet, während im Thalwege ſelbſt höheres Buſch- werk wächſt. Auf jedem Aſte, auf jedem Steinblock faſt ſitzt die Turteltaube. Furchtlos ſchaut ſie den Reiter mit ihrem großen, ſeelenvollen Auge an oder läuft emſig, ohne aufzufliegen, auf dem Wege, welchen er verfolgt, vor ihm her.“ Auf den dürren, griechiſchen Ebenen begegnet man ihr in ähnlicher Anzahl und zwar während des ganzen Jahres; doch iſt die Menge der Bruttauben in keinen Vergleich zu ſtellen mit den ungeheuren Scharen, welche auf ihrem Durchzuge die Felder bedecken. Jm Frühjahre ſind manche Fluren buchſtäblich mit Turteltauben beſäet, und ein geſchickter Jäger kann ein halbes Hundert von ihnen an einem Tage erlegen. Viele bleiben in Griechenland während des Winters, andere ziehen weiter, und dann ſieht man ſie in Egypten und Nubien an geeigneten Orten nicht ſelten, ſoweit ich in Erfahrung brachte, aber niemals in großen Maſſen. Jm mittleren Oſtaſien wird ſie durch eine ähnliche größere Art vertreten, welche Radde eine „großwüchſige Spielart“ von ihr nennt; in Jndien ſcheint ſie auch nicht vorzukommen; wenigſtens führt ſie Jerdon unter den dort beobachteten Vögeln nicht mit auf.
Bei uns zu Lande trifft ſie Anfangs April ein, verweilt bis zum Auguſt auf ihrem Brut- platze, ſtreicht dann umher und verläßt uns im September wieder. „Daß man ſie in manchen Jahren häufiger als in anderen antrifft“, ſagt mein Vater, „rührt theils von dem mehr oder weniger häufigen Fichtenſamen, theils von den größeren oder geringeren Niederlagen her, welche ſie auf ihren Wanderungen erleiden.“ Jch glaube, daß das Erſtere richtig iſt, die Niederlagen aber kaum in Betracht gezogen werden dürfen, da die ſtarke Vermehrung dieſer Taube derartige Verluſte wieder ausgleicht.
„Die Turteltaube“, fährt mein Vater fort, „iſt nicht nur ein ſchön gezeichneter, ſondern auch in ſeinem ganzen Weſen liebenswürdiger Vogel, ſodaß man ſich nicht wundern darf, wenn ſie von Dichtern und Liebenden hochgeachtet wird. Schon ihre Schönheit nimmt für ſie ein. Jhre ſanften Farben gehen anſprechend in einander über und ſtehen ſo geſchmackvoll neben einander, daß man ſie mit Vergnügen anſieht.“ Auch ihr Weſen iſt anmuthend, obgleich man nicht verkennen darf, daß ſie über Gebühr gerühmt worden iſt. Jhre zierlichen Bewegungen, ihr Anſtand und das ſanfte Girren beſtechen den Beobachter, und wenn dieſer vollends die Gattenliebe kennen lernt und von der Zärtlichkeit Zeuge wird, mit welcher das Männchen ſein Weibchen behandelt, glaubt er berechtigt zu ſein, dieſen Vogel als den liebenswürdigſten von allen zu bezeichnen. Das iſt nicht ganz richtig; denn auch die Turteltaube hat ihre ſchwachen Seiten, und ihre Zärtlichkeit iſt nicht größer, als bei vielen andern Vögeln, ihre Treue vielleicht geringer.
Die Turteltaube geht gut und trägt ſich dabei ſehr ſchmuck und ſchön. Sie fliegt vortrefflich, d. h. ungemein ſchnell, leicht und gewandt, ziemlich geräuſchlos und verſteht, mit bewundrungswürdiger Geſchicklichkeit alle möglichen Schwenkungen auszuführen. Von einem Raubvogel verfolgt, ſchießt ſie in einer unbegreiflichen Weiſe durch die dichteſten Baumzweige hindurch, ohne durch ſie behindert zu werden, während der fluggeübte Räuber dadurch regelmäßig ſo beläſtigt wird, daß er von ihr abſtehen muß. Die ſehr ſanfte und angenehme Stimme wird durch den deutſchen und noch mehr den lateiniſchen Namen der Taube wiedergegeben. Das Girren iſt ſtreng genommen ein hohes, eintöniges Knurren, welches wie „Tur tur“ klingt und oft wiederholt wird. Aber dieſes „Tur tur“ iſt ſo klangvoll, daß es Jedermann erfreut. Dabei ſitzt der Tauber auf der Spitze einer Fichte, Kiefer oder Tanne oder im Süden auf der eines beliebigen Buſches, auch wohl auf einem dürren Wipfel oder dem vorſtehen- den Aſte eines höheren Baumes, bläſt den Hals auf und ſenkt Kopf und Schnabel etwas nach unten. Steht man ihm ſehr nahe, ſo hört man, daß zwiſchen das Girren ein leiſes Klappen eingeſchoben wird, welches eine Folge des raſchen Einathmens ſein mag. Das Girren iſt eben auch nur ein Liebesgeſang des Taubers, und dieſer läßt es daher hauptſächlich während ſeiner Liebesbegeiſterung
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[280/0302]
Die Läufer. Girrvögel. Turteltauben.
Auf den Canaren tritt ſie, laut Bolle, maſſenhaft auf. „Von ihr wimmeln die einſamen
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Ruckſen und Girren die blumenreiche Wildniß jener endloſen Schluchten belebt, in denen meilenweit
ſchneeweißes, duftendes Geſtrüpp die Abhänge bekleidet, während im Thalwege ſelbſt höheres Buſch-
werk wächſt. Auf jedem Aſte, auf jedem Steinblock faſt ſitzt die Turteltaube. Furchtlos ſchaut ſie
den Reiter mit ihrem großen, ſeelenvollen Auge an oder läuft emſig, ohne aufzufliegen, auf dem
Wege, welchen er verfolgt, vor ihm her.“ Auf den dürren, griechiſchen Ebenen begegnet man ihr in
ähnlicher Anzahl und zwar während des ganzen Jahres; doch iſt die Menge der Bruttauben in keinen
Vergleich zu ſtellen mit den ungeheuren Scharen, welche auf ihrem Durchzuge die Felder bedecken.
Jm Frühjahre ſind manche Fluren buchſtäblich mit Turteltauben beſäet, und ein geſchickter Jäger kann
ein halbes Hundert von ihnen an einem Tage erlegen. Viele bleiben in Griechenland während des
Winters, andere ziehen weiter, und dann ſieht man ſie in Egypten und Nubien an geeigneten Orten
nicht ſelten, ſoweit ich in Erfahrung brachte, aber niemals in großen Maſſen. Jm mittleren
Oſtaſien wird ſie durch eine ähnliche größere Art vertreten, welche Radde eine „großwüchſige Spielart“
von ihr nennt; in Jndien ſcheint ſie auch nicht vorzukommen; wenigſtens führt ſie Jerdon unter
den dort beobachteten Vögeln nicht mit auf.
Bei uns zu Lande trifft ſie Anfangs April ein, verweilt bis zum Auguſt auf ihrem Brut-
platze, ſtreicht dann umher und verläßt uns im September wieder. „Daß man ſie in manchen
Jahren häufiger als in anderen antrifft“, ſagt mein Vater, „rührt theils von dem mehr oder weniger
häufigen Fichtenſamen, theils von den größeren oder geringeren Niederlagen her, welche ſie auf ihren
Wanderungen erleiden.“ Jch glaube, daß das Erſtere richtig iſt, die Niederlagen aber kaum in
Betracht gezogen werden dürfen, da die ſtarke Vermehrung dieſer Taube derartige Verluſte wieder
ausgleicht.
„Die Turteltaube“, fährt mein Vater fort, „iſt nicht nur ein ſchön gezeichneter, ſondern auch in
ſeinem ganzen Weſen liebenswürdiger Vogel, ſodaß man ſich nicht wundern darf, wenn ſie von
Dichtern und Liebenden hochgeachtet wird. Schon ihre Schönheit nimmt für ſie ein. Jhre ſanften
Farben gehen anſprechend in einander über und ſtehen ſo geſchmackvoll neben einander, daß man ſie
mit Vergnügen anſieht.“ Auch ihr Weſen iſt anmuthend, obgleich man nicht verkennen darf, daß
ſie über Gebühr gerühmt worden iſt. Jhre zierlichen Bewegungen, ihr Anſtand und das ſanfte
Girren beſtechen den Beobachter, und wenn dieſer vollends die Gattenliebe kennen lernt und
von der Zärtlichkeit Zeuge wird, mit welcher das Männchen ſein Weibchen behandelt, glaubt er
berechtigt zu ſein, dieſen Vogel als den liebenswürdigſten von allen zu bezeichnen. Das iſt nicht
ganz richtig; denn auch die Turteltaube hat ihre ſchwachen Seiten, und ihre Zärtlichkeit iſt nicht
größer, als bei vielen andern Vögeln, ihre Treue vielleicht geringer.
Die Turteltaube geht gut und trägt ſich dabei ſehr ſchmuck und ſchön. Sie fliegt vortrefflich,
d. h. ungemein ſchnell, leicht und gewandt, ziemlich geräuſchlos und verſteht, mit bewundrungswürdiger
Geſchicklichkeit alle möglichen Schwenkungen auszuführen. Von einem Raubvogel verfolgt, ſchießt
ſie in einer unbegreiflichen Weiſe durch die dichteſten Baumzweige hindurch, ohne durch ſie behindert
zu werden, während der fluggeübte Räuber dadurch regelmäßig ſo beläſtigt wird, daß er von ihr
abſtehen muß. Die ſehr ſanfte und angenehme Stimme wird durch den deutſchen und noch mehr den
lateiniſchen Namen der Taube wiedergegeben. Das Girren iſt ſtreng genommen ein hohes, eintöniges
Knurren, welches wie „Tur tur“ klingt und oft wiederholt wird. Aber dieſes „Tur tur“ iſt ſo klangvoll,
daß es Jedermann erfreut. Dabei ſitzt der Tauber auf der Spitze einer Fichte, Kiefer oder Tanne oder
im Süden auf der eines beliebigen Buſches, auch wohl auf einem dürren Wipfel oder dem vorſtehen-
den Aſte eines höheren Baumes, bläſt den Hals auf und ſenkt Kopf und Schnabel etwas nach unten.
Steht man ihm ſehr nahe, ſo hört man, daß zwiſchen das Girren ein leiſes Klappen eingeſchoben
wird, welches eine Folge des raſchen Einathmens ſein mag. Das Girren iſt eben auch nur ein
Liebesgeſang des Taubers, und dieſer läßt es daher hauptſächlich während ſeiner Liebesbegeiſterung
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/302>, abgerufen am 18.12.2024.
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