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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Läufer. Girrvögel. Kukukstauben.
Klaue des Räubers zu entrinnen, durchflogen hatte. Der Mensch, welcher derartige Schwenkungen
zu beobachten wünscht, braucht nur, wenn er einen derartigen Auftritt gesehen, auf derselben Stelle
zu verweilen, bis der nächste Zug ankommt."

"Vielleicht ist es nicht unnütz, eine Schätzung aufzustellen von der Anzahl der Tauben, welche
ein solcher Schwarm enthält, und von der Menge der Nahrung, welche er vertilgt. Nimmt man an,
daß der Zug eine Meile breit ist -- was durchaus nicht übertrieben genannt werden darf -- und
daß er bei der angegebenen Schnelligkeit ununterbrochen drei Stunden währt, so erhält man ein
Parallelogramm von 180 englischen Geviertmeilen. Rechnet man nun nur zwei Tauben auf die
Geviertelle, so ergibt sich, daß der Zug aus einer Billion, hundertundfunfzehn Millionen, hundert-
undsechsunddreißigtausend Stück Wandertauben besteht. Da nun jede Taube täglich einen halben
Spint an Nahrung bedarf, braucht der ganze Zug eine Menge von acht Millionen, siebenhundert-
undzwölftausend Bushels täglich." Wilson stellt eine ähnliche Rechnung auf und gelangt zu dem
Ergebniß, daß ein Schwarm über zwei Billionen Tauben enthält und täglich siebenzehn Millionen,
vierhundertundvierundzwanzigtausend Bushels Körnerfutter bedarf.

"Sobald die Tauben", fährt Audubon fort, "Nahrung entdecken, beginnen sie zu kreisen, um
das Land zu untersuchen. Während ihrer Schwenkungen gewährt die dichte Masse einen prachtvollen
Anblick. Je nachdem sie ihre Richtung wechseln und die obere oder untere Seite dem Beobachter
zukehren, erscheinen sie bald blau, bald purpurn. So ziehen sie niedrig über den Wäldern dahin,
verschwinden zeitweilig im Laubwerk, erheben sich wieder und streichen in höheren Schichten fort.
Endlich lassen sie sich nieder; aber im nächsten Augenblick erheben sie sich, plötzlich erschreckt, unter
einem donnerähnlichen Dröhnen und vergewissern sich fliegend über die vermeintliche Gefahr. Der
Hunger bringt sie jedoch bald wieder auf den Boden herab. Sobald sie gefußt haben, sieht man
sie emsig die welken Blätter durchstöbern, um nach der zum Boden gefallenen Eichelmast zu suchen.
Unablässig erheben sich einzelne Züge, streichen über die Hauptmasse dahin und lassen sich wieder
nieder; Dies geschieht aber in so rascher Folge, daß der ganze Zug beständig zu fliegen scheint. Die
Nahrungsmenge, welche vom Boden aufgesucht wird, ist erstaunlich groß; aber das Aufsuchen
geschieht so vollkommen, daß eine Nachlese vergebliche Arbeit sein würde. Während sie fressen,
sind sie zuweilen so gierig, daß sie beim Verschlucken einer Nuß oder Eichel keuchen, als ob sie
ersticken müßten. Ungefähr um die Mitte des Tages, nachdem sie sich gesättigt haben, lassen
sie sich auf den Bäumen nieder, um zu ruhen und zu verdauen. Auf den Zweigen laufen sie
gemächlich hin und her, breiten ihren schönen Schwanz und bewegen den Hals vor- und rückwärts
in sehr anmuthiger Weise. Wenn die Sonne niedersinkt, fliegen sie massenhaft den Schlafplätzen zu,
welche gar nicht selten Hunderte von Meilen von den Futterplätzen entfernt liegen."

"Betrachten wir nun einen dieser Schlafplätze, meinetwegen den an dem Grünen Flusse in
Kentucky, welchen ich wiederholt besucht habe. Er befand sich in einem hochbestandenen Walde,
welcher nur wenig Unterwuchs hatte. Jch ritt vierzig Meilen in ihm dahin und fand, da ich ihn
an verschiedenen Stellen kreuzte, daß er mehr als drei Meilen breit war. Als ich ihn das erste Mal
besuchte, war er ungefähr vor vierzehn Tagen in Besitz genommen worden. Zwei Stunden vor
Sonnenuntergang kam ich an. Wenig Tauben waren zu sehen; aber viele Leute mit Pferden und
Wagen, Gewehren und Schießvorrath hatten sich rings an den Rändern aufgestellt. Zwei Land-
wirthe hatten über dreihundert Schweine mehr als hundert Meilen weit hergetrieben, in der Absicht,
sie mit Taubenfleisch zu mästen. Ueberall sah man Leute beschäftigt, Tauben einzusalzen, und aller-
orten lagen Haufen von erlegten Vögeln. Der herabgefallene Mist bedeckte den Boden mehrere Zoll
hoch, in der ganzen Ausdehnung des Schlasplatzes, so dicht wie Schnee. Viele Bäume, deren
Stämme etwa zwei Fuß im Durchmesser hatten, waren niedrig über dem Boden abgebrochen, und die
Aeste der größten und stärksten herabgestürzt, als ob ein Orkan im Walde gewüthet hätte. Alle
Anzeichen deuteten darauf hin, daß die Anzahl der Vögel, welche hier gehaust hatten, eine über alle
Begriffe große sein mußte. Als der Zeitpunkt des Eintreffens der Tauben herannahete, bereiteten

Die Läufer. Girrvögel. Kukukstauben.
Klaue des Räubers zu entrinnen, durchflogen hatte. Der Menſch, welcher derartige Schwenkungen
zu beobachten wünſcht, braucht nur, wenn er einen derartigen Auftritt geſehen, auf derſelben Stelle
zu verweilen, bis der nächſte Zug ankommt.“

„Vielleicht iſt es nicht unnütz, eine Schätzung aufzuſtellen von der Anzahl der Tauben, welche
ein ſolcher Schwarm enthält, und von der Menge der Nahrung, welche er vertilgt. Nimmt man an,
daß der Zug eine Meile breit iſt — was durchaus nicht übertrieben genannt werden darf — und
daß er bei der angegebenen Schnelligkeit ununterbrochen drei Stunden währt, ſo erhält man ein
Parallelogramm von 180 engliſchen Geviertmeilen. Rechnet man nun nur zwei Tauben auf die
Geviertelle, ſo ergibt ſich, daß der Zug aus einer Billion, hundertundfunfzehn Millionen, hundert-
undſechsunddreißigtauſend Stück Wandertauben beſteht. Da nun jede Taube täglich einen halben
Spint an Nahrung bedarf, braucht der ganze Zug eine Menge von acht Millionen, ſiebenhundert-
undzwölftauſend Buſhels täglich.“ Wilſon ſtellt eine ähnliche Rechnung auf und gelangt zu dem
Ergebniß, daß ein Schwarm über zwei Billionen Tauben enthält und täglich ſiebenzehn Millionen,
vierhundertundvierundzwanzigtauſend Buſhels Körnerfutter bedarf.

„Sobald die Tauben“, fährt Audubon fort, „Nahrung entdecken, beginnen ſie zu kreiſen, um
das Land zu unterſuchen. Während ihrer Schwenkungen gewährt die dichte Maſſe einen prachtvollen
Anblick. Je nachdem ſie ihre Richtung wechſeln und die obere oder untere Seite dem Beobachter
zukehren, erſcheinen ſie bald blau, bald purpurn. So ziehen ſie niedrig über den Wäldern dahin,
verſchwinden zeitweilig im Laubwerk, erheben ſich wieder und ſtreichen in höheren Schichten fort.
Endlich laſſen ſie ſich nieder; aber im nächſten Augenblick erheben ſie ſich, plötzlich erſchreckt, unter
einem donnerähnlichen Dröhnen und vergewiſſern ſich fliegend über die vermeintliche Gefahr. Der
Hunger bringt ſie jedoch bald wieder auf den Boden herab. Sobald ſie gefußt haben, ſieht man
ſie emſig die welken Blätter durchſtöbern, um nach der zum Boden gefallenen Eichelmaſt zu ſuchen.
Unabläſſig erheben ſich einzelne Züge, ſtreichen über die Hauptmaſſe dahin und laſſen ſich wieder
nieder; Dies geſchieht aber in ſo raſcher Folge, daß der ganze Zug beſtändig zu fliegen ſcheint. Die
Nahrungsmenge, welche vom Boden aufgeſucht wird, iſt erſtaunlich groß; aber das Aufſuchen
geſchieht ſo vollkommen, daß eine Nachleſe vergebliche Arbeit ſein würde. Während ſie freſſen,
ſind ſie zuweilen ſo gierig, daß ſie beim Verſchlucken einer Nuß oder Eichel keuchen, als ob ſie
erſticken müßten. Ungefähr um die Mitte des Tages, nachdem ſie ſich geſättigt haben, laſſen
ſie ſich auf den Bäumen nieder, um zu ruhen und zu verdauen. Auf den Zweigen laufen ſie
gemächlich hin und her, breiten ihren ſchönen Schwanz und bewegen den Hals vor- und rückwärts
in ſehr anmuthiger Weiſe. Wenn die Sonne niederſinkt, fliegen ſie maſſenhaft den Schlafplätzen zu,
welche gar nicht ſelten Hunderte von Meilen von den Futterplätzen entfernt liegen.“

„Betrachten wir nun einen dieſer Schlafplätze, meinetwegen den an dem Grünen Fluſſe in
Kentucky, welchen ich wiederholt beſucht habe. Er befand ſich in einem hochbeſtandenen Walde,
welcher nur wenig Unterwuchs hatte. Jch ritt vierzig Meilen in ihm dahin und fand, da ich ihn
an verſchiedenen Stellen kreuzte, daß er mehr als drei Meilen breit war. Als ich ihn das erſte Mal
beſuchte, war er ungefähr vor vierzehn Tagen in Beſitz genommen worden. Zwei Stunden vor
Sonnenuntergang kam ich an. Wenig Tauben waren zu ſehen; aber viele Leute mit Pferden und
Wagen, Gewehren und Schießvorrath hatten ſich rings an den Rändern aufgeſtellt. Zwei Land-
wirthe hatten über dreihundert Schweine mehr als hundert Meilen weit hergetrieben, in der Abſicht,
ſie mit Taubenfleiſch zu mäſten. Ueberall ſah man Leute beſchäftigt, Tauben einzuſalzen, und aller-
orten lagen Haufen von erlegten Vögeln. Der herabgefallene Miſt bedeckte den Boden mehrere Zoll
hoch, in der ganzen Ausdehnung des Schlaſplatzes, ſo dicht wie Schnee. Viele Bäume, deren
Stämme etwa zwei Fuß im Durchmeſſer hatten, waren niedrig über dem Boden abgebrochen, und die
Aeſte der größten und ſtärkſten herabgeſtürzt, als ob ein Orkan im Walde gewüthet hätte. Alle
Anzeichen deuteten darauf hin, daß die Anzahl der Vögel, welche hier gehauſt hatten, eine über alle
Begriffe große ſein mußte. Als der Zeitpunkt des Eintreffens der Tauben herannahete, bereiteten

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[276/0298] Die Läufer. Girrvögel. Kukukstauben. Klaue des Räubers zu entrinnen, durchflogen hatte. Der Menſch, welcher derartige Schwenkungen zu beobachten wünſcht, braucht nur, wenn er einen derartigen Auftritt geſehen, auf derſelben Stelle zu verweilen, bis der nächſte Zug ankommt.“ „Vielleicht iſt es nicht unnütz, eine Schätzung aufzuſtellen von der Anzahl der Tauben, welche ein ſolcher Schwarm enthält, und von der Menge der Nahrung, welche er vertilgt. Nimmt man an, daß der Zug eine Meile breit iſt — was durchaus nicht übertrieben genannt werden darf — und daß er bei der angegebenen Schnelligkeit ununterbrochen drei Stunden währt, ſo erhält man ein Parallelogramm von 180 engliſchen Geviertmeilen. Rechnet man nun nur zwei Tauben auf die Geviertelle, ſo ergibt ſich, daß der Zug aus einer Billion, hundertundfunfzehn Millionen, hundert- undſechsunddreißigtauſend Stück Wandertauben beſteht. Da nun jede Taube täglich einen halben Spint an Nahrung bedarf, braucht der ganze Zug eine Menge von acht Millionen, ſiebenhundert- undzwölftauſend Buſhels täglich.“ Wilſon ſtellt eine ähnliche Rechnung auf und gelangt zu dem Ergebniß, daß ein Schwarm über zwei Billionen Tauben enthält und täglich ſiebenzehn Millionen, vierhundertundvierundzwanzigtauſend Buſhels Körnerfutter bedarf. „Sobald die Tauben“, fährt Audubon fort, „Nahrung entdecken, beginnen ſie zu kreiſen, um das Land zu unterſuchen. Während ihrer Schwenkungen gewährt die dichte Maſſe einen prachtvollen Anblick. Je nachdem ſie ihre Richtung wechſeln und die obere oder untere Seite dem Beobachter zukehren, erſcheinen ſie bald blau, bald purpurn. So ziehen ſie niedrig über den Wäldern dahin, verſchwinden zeitweilig im Laubwerk, erheben ſich wieder und ſtreichen in höheren Schichten fort. Endlich laſſen ſie ſich nieder; aber im nächſten Augenblick erheben ſie ſich, plötzlich erſchreckt, unter einem donnerähnlichen Dröhnen und vergewiſſern ſich fliegend über die vermeintliche Gefahr. Der Hunger bringt ſie jedoch bald wieder auf den Boden herab. Sobald ſie gefußt haben, ſieht man ſie emſig die welken Blätter durchſtöbern, um nach der zum Boden gefallenen Eichelmaſt zu ſuchen. Unabläſſig erheben ſich einzelne Züge, ſtreichen über die Hauptmaſſe dahin und laſſen ſich wieder nieder; Dies geſchieht aber in ſo raſcher Folge, daß der ganze Zug beſtändig zu fliegen ſcheint. Die Nahrungsmenge, welche vom Boden aufgeſucht wird, iſt erſtaunlich groß; aber das Aufſuchen geſchieht ſo vollkommen, daß eine Nachleſe vergebliche Arbeit ſein würde. Während ſie freſſen, ſind ſie zuweilen ſo gierig, daß ſie beim Verſchlucken einer Nuß oder Eichel keuchen, als ob ſie erſticken müßten. Ungefähr um die Mitte des Tages, nachdem ſie ſich geſättigt haben, laſſen ſie ſich auf den Bäumen nieder, um zu ruhen und zu verdauen. Auf den Zweigen laufen ſie gemächlich hin und her, breiten ihren ſchönen Schwanz und bewegen den Hals vor- und rückwärts in ſehr anmuthiger Weiſe. Wenn die Sonne niederſinkt, fliegen ſie maſſenhaft den Schlafplätzen zu, welche gar nicht ſelten Hunderte von Meilen von den Futterplätzen entfernt liegen.“ „Betrachten wir nun einen dieſer Schlafplätze, meinetwegen den an dem Grünen Fluſſe in Kentucky, welchen ich wiederholt beſucht habe. Er befand ſich in einem hochbeſtandenen Walde, welcher nur wenig Unterwuchs hatte. Jch ritt vierzig Meilen in ihm dahin und fand, da ich ihn an verſchiedenen Stellen kreuzte, daß er mehr als drei Meilen breit war. Als ich ihn das erſte Mal beſuchte, war er ungefähr vor vierzehn Tagen in Beſitz genommen worden. Zwei Stunden vor Sonnenuntergang kam ich an. Wenig Tauben waren zu ſehen; aber viele Leute mit Pferden und Wagen, Gewehren und Schießvorrath hatten ſich rings an den Rändern aufgeſtellt. Zwei Land- wirthe hatten über dreihundert Schweine mehr als hundert Meilen weit hergetrieben, in der Abſicht, ſie mit Taubenfleiſch zu mäſten. Ueberall ſah man Leute beſchäftigt, Tauben einzuſalzen, und aller- orten lagen Haufen von erlegten Vögeln. Der herabgefallene Miſt bedeckte den Boden mehrere Zoll hoch, in der ganzen Ausdehnung des Schlaſplatzes, ſo dicht wie Schnee. Viele Bäume, deren Stämme etwa zwei Fuß im Durchmeſſer hatten, waren niedrig über dem Boden abgebrochen, und die Aeſte der größten und ſtärkſten herabgeſtürzt, als ob ein Orkan im Walde gewüthet hätte. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß die Anzahl der Vögel, welche hier gehauſt hatten, eine über alle Begriffe große ſein mußte. Als der Zeitpunkt des Eintreffens der Tauben herannahete, bereiteten

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/298>, abgerufen am 29.11.2024.