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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Läufer. Girrvögel. Kukukstauben.

Von der Hudsonsbay an bis zum Golf von Mejiko und von den Felsgebirgen an bis zur
östlichen Küste findet sich die Wandertaube in allen Staaten Nordamerikas, aber keineswegs
überall in gleicher Menge. Jn den östlicheren Staaten scheint sie, wie Gerhardt sagt, in größeren
Massen aufzutreten "und daher schreiben sich auch die von den glaubwürdigsten Beobachtern aus-
gehenden Beschreibungen ihrer Sitten und Gewohnheiten, welche im Auge manches Europäers ins
Reich der Fabel zu gehören scheinen, weil er vernehmen muß, daß in Nordamerika die Züge wilder
Tauben die Sonne verfinstern, meilengroße Wälder durch ihren scharfen Koth verdorren und starke
Aeste unter ihrer Last brechen machen, einer zahlreichen Menschenmenge nebst ihren Schweinen und
einer Unzahl Raubthieren wochenlang Nahrung bieten und in Wald und Feld wirklich furcht-
baren Schaden thun können". "Die Wandertaube, welche in Amerika Wildtaube genannt
wird", sagt Audubon, "bewegt sich mit außerordentlicher Schnelligkeit und treibt sich durch rasche,
wiederholte Flügelschläge durch die Luft. Sie fliegt oft, wie die zahme während ihrer Liebeszeit, im
Kreise umher, mit beiden im Winkel erhobenen Flügeln sich in der Schwebe erhaltend, bis sie sich
niederläßt. Dann stößt sie die Spitzen der Vorderschwingen an einander und veranlaßt dadurch
ein bis auf dreißig oder vierzig Ellen vernehmbares Geräusch. Bevor sie sich setzt, bricht sie die
Kraft des Fluges durch wiederholte Flügelschläge, um zum ruhigen Erfassen eines Zweiges oder
zum Fußen auf dem Boden gelangen zu können."

"Jch habe meine Beschreibung mit der Schilderung des Fluges begonnen; denn er ist es,
welcher die Gewohnheiten dieser Thiere bestimmt. Jhre Wanderungen geschehen ausschließlich der
Nahrung halbet, nicht, um der Winterstrenge der nördlichen Breiten zu entrinnen, oder um einen
passenden Platz zum Brüten zu suchen. Demgemäß nehmen sie nirgends einen festen Stand,
sondern siedeln sich da an, wo sie Futter finden und verweilen unter Umständen jahrelang da,
wo man sie sonst nie bemerkte. Dann verschwinden sie plötzlich und kehren erst nach Jahren
wieder zurück. Jhre außerordentliche Flugkraft setzt sie in den Stand, Erstannliches zu leisten.
Dies ist erprobt worden durch in Amerika wohlbekannte Thatsachen. Man tödtete in der Um-
gebung Newyorks Wandertauben, deren Kropf mit Reis gefüllt war, welchen sie doch nur in den
Feldern Georgias und Carolinas verzehrt haben konnten. Da ihre Verdauung so rasch vor sich
geht, daß das eingenommene Futter in zwölf Stunden völlig zersetzt ist, mußte man schließen, daß
sie zwischen drei- und vierhundert (englische) Meilen binnen sechs Stunden oder die Meile in einer
Minute zurückgelegt hatten. Hiernach könnten sie bei gleicher Geschwindigkeit in weniger als drei
Tagen nach Europa gelangen. Diese Flugkraft wird unterstützt durch große Sinnesschärfe, welche
sie in den Stand setzt, bei ihren raschen Flügen das Land unter sich abzusuchen und ihr Futter mit
Leichtigkeit zu entdecken. Jch habe beobachtet, daß sie, wenn sie über eine unfruchtbare Gegend
zogen, in hoher Luft dahinstrichen, während sie da, wo die Gegend waldig und nahrungversprechend
war, sich oft herniedersenkten."

Gerhardt hat recht, wenn er annimmt, daß man die Schilderungen Wilson's und
Audubon's über die Massenhaftigkeit der Wandertauben für fabelhaft halten kann. "Auf
meinem Wege nach Frankfurt", erzählt Wilson, "durchstrich ich die Wälder, über welchen ich in den
Morgenstunden viele Tauben nach Osten hatte fliegen sehen. Gegen ein Uhr mittags begannen
sie zurückzukehren und zwar in solchen ungeheuren Scharen, daß ich mich nicht erinnern konnte, zuvor
so viele auf einmal gesehen zu haben. Eine Lichtung in der Nähe der Bersoebucht gewährte mir freie
Aussicht, und hier setzte mich Das, was ich sah, vollends in Erstaunen. Die Tauben flogen mit
großer Stetigkeit und Schnelligkeit ungefähr in der Höhe eines Büchsenschusses über mir, mehrere
Schichten dick und so eng neben einander, daß, wenn ein Flintenschuß sie hätte erreichen können, eine
einzige Ladung mehrere von ihnen gefällt haben würde. Von der Rechten zur Linken, so weit das
Auge reichte, erstreckte sich dieser unermeßliche Zug in die Breite und Länge, und überall schien er
gleich gedrängt und gleich dicht zu sein. Neugierig, zu erfahren, wie lange das Schauspiel währen
würde, zog ich meine Uhr, um die Zeit zu bestimmen und setzte mich nieder, um die vorüberziehenden

Die Läufer. Girrvögel. Kukukstauben.

Von der Hudſonsbay an bis zum Golf von Mejiko und von den Felsgebirgen an bis zur
öſtlichen Küſte findet ſich die Wandertaube in allen Staaten Nordamerikas, aber keineswegs
überall in gleicher Menge. Jn den öſtlicheren Staaten ſcheint ſie, wie Gerhardt ſagt, in größeren
Maſſen aufzutreten „und daher ſchreiben ſich auch die von den glaubwürdigſten Beobachtern aus-
gehenden Beſchreibungen ihrer Sitten und Gewohnheiten, welche im Auge manches Europäers ins
Reich der Fabel zu gehören ſcheinen, weil er vernehmen muß, daß in Nordamerika die Züge wilder
Tauben die Sonne verfinſtern, meilengroße Wälder durch ihren ſcharfen Koth verdorren und ſtarke
Aeſte unter ihrer Laſt brechen machen, einer zahlreichen Menſchenmenge nebſt ihren Schweinen und
einer Unzahl Raubthieren wochenlang Nahrung bieten und in Wald und Feld wirklich furcht-
baren Schaden thun können“. „Die Wandertaube, welche in Amerika Wildtaube genannt
wird“, ſagt Audubon, „bewegt ſich mit außerordentlicher Schnelligkeit und treibt ſich durch raſche,
wiederholte Flügelſchläge durch die Luft. Sie fliegt oft, wie die zahme während ihrer Liebeszeit, im
Kreiſe umher, mit beiden im Winkel erhobenen Flügeln ſich in der Schwebe erhaltend, bis ſie ſich
niederläßt. Dann ſtößt ſie die Spitzen der Vorderſchwingen an einander und veranlaßt dadurch
ein bis auf dreißig oder vierzig Ellen vernehmbares Geräuſch. Bevor ſie ſich ſetzt, bricht ſie die
Kraft des Fluges durch wiederholte Flügelſchläge, um zum ruhigen Erfaſſen eines Zweiges oder
zum Fußen auf dem Boden gelangen zu können.“

„Jch habe meine Beſchreibung mit der Schilderung des Fluges begonnen; denn er iſt es,
welcher die Gewohnheiten dieſer Thiere beſtimmt. Jhre Wanderungen geſchehen ausſchließlich der
Nahrung halbet, nicht, um der Winterſtrenge der nördlichen Breiten zu entrinnen, oder um einen
paſſenden Platz zum Brüten zu ſuchen. Demgemäß nehmen ſie nirgends einen feſten Stand,
ſondern ſiedeln ſich da an, wo ſie Futter finden und verweilen unter Umſtänden jahrelang da,
wo man ſie ſonſt nie bemerkte. Dann verſchwinden ſie plötzlich und kehren erſt nach Jahren
wieder zurück. Jhre außerordentliche Flugkraft ſetzt ſie in den Stand, Erſtannliches zu leiſten.
Dies iſt erprobt worden durch in Amerika wohlbekannte Thatſachen. Man tödtete in der Um-
gebung Newyorks Wandertauben, deren Kropf mit Reis gefüllt war, welchen ſie doch nur in den
Feldern Georgias und Carolinas verzehrt haben konnten. Da ihre Verdauung ſo raſch vor ſich
geht, daß das eingenommene Futter in zwölf Stunden völlig zerſetzt iſt, mußte man ſchließen, daß
ſie zwiſchen drei- und vierhundert (engliſche) Meilen binnen ſechs Stunden oder die Meile in einer
Minute zurückgelegt hatten. Hiernach könnten ſie bei gleicher Geſchwindigkeit in weniger als drei
Tagen nach Europa gelangen. Dieſe Flugkraft wird unterſtützt durch große Sinnesſchärfe, welche
ſie in den Stand ſetzt, bei ihren raſchen Flügen das Land unter ſich abzuſuchen und ihr Futter mit
Leichtigkeit zu entdecken. Jch habe beobachtet, daß ſie, wenn ſie über eine unfruchtbare Gegend
zogen, in hoher Luft dahinſtrichen, während ſie da, wo die Gegend waldig und nahrungverſprechend
war, ſich oft herniederſenkten.“

Gerhardt hat recht, wenn er annimmt, daß man die Schilderungen Wilſon’s und
Audubon’s über die Maſſenhaftigkeit der Wandertauben für fabelhaft halten kann. „Auf
meinem Wege nach Frankfurt“, erzählt Wilſon, „durchſtrich ich die Wälder, über welchen ich in den
Morgenſtunden viele Tauben nach Oſten hatte fliegen ſehen. Gegen ein Uhr mittags begannen
ſie zurückzukehren und zwar in ſolchen ungeheuren Scharen, daß ich mich nicht erinnern konnte, zuvor
ſo viele auf einmal geſehen zu haben. Eine Lichtung in der Nähe der Berſoebucht gewährte mir freie
Ausſicht, und hier ſetzte mich Das, was ich ſah, vollends in Erſtaunen. Die Tauben flogen mit
großer Stetigkeit und Schnelligkeit ungefähr in der Höhe eines Büchſenſchuſſes über mir, mehrere
Schichten dick und ſo eng neben einander, daß, wenn ein Flintenſchuß ſie hätte erreichen können, eine
einzige Ladung mehrere von ihnen gefällt haben würde. Von der Rechten zur Linken, ſo weit das
Auge reichte, erſtreckte ſich dieſer unermeßliche Zug in die Breite und Länge, und überall ſchien er
gleich gedrängt und gleich dicht zu ſein. Neugierig, zu erfahren, wie lange das Schauſpiel währen
würde, zog ich meine Uhr, um die Zeit zu beſtimmen und ſetzte mich nieder, um die vorüberziehenden

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[274/0296] Die Läufer. Girrvögel. Kukukstauben. Von der Hudſonsbay an bis zum Golf von Mejiko und von den Felsgebirgen an bis zur öſtlichen Küſte findet ſich die Wandertaube in allen Staaten Nordamerikas, aber keineswegs überall in gleicher Menge. Jn den öſtlicheren Staaten ſcheint ſie, wie Gerhardt ſagt, in größeren Maſſen aufzutreten „und daher ſchreiben ſich auch die von den glaubwürdigſten Beobachtern aus- gehenden Beſchreibungen ihrer Sitten und Gewohnheiten, welche im Auge manches Europäers ins Reich der Fabel zu gehören ſcheinen, weil er vernehmen muß, daß in Nordamerika die Züge wilder Tauben die Sonne verfinſtern, meilengroße Wälder durch ihren ſcharfen Koth verdorren und ſtarke Aeſte unter ihrer Laſt brechen machen, einer zahlreichen Menſchenmenge nebſt ihren Schweinen und einer Unzahl Raubthieren wochenlang Nahrung bieten und in Wald und Feld wirklich furcht- baren Schaden thun können“. „Die Wandertaube, welche in Amerika Wildtaube genannt wird“, ſagt Audubon, „bewegt ſich mit außerordentlicher Schnelligkeit und treibt ſich durch raſche, wiederholte Flügelſchläge durch die Luft. Sie fliegt oft, wie die zahme während ihrer Liebeszeit, im Kreiſe umher, mit beiden im Winkel erhobenen Flügeln ſich in der Schwebe erhaltend, bis ſie ſich niederläßt. Dann ſtößt ſie die Spitzen der Vorderſchwingen an einander und veranlaßt dadurch ein bis auf dreißig oder vierzig Ellen vernehmbares Geräuſch. Bevor ſie ſich ſetzt, bricht ſie die Kraft des Fluges durch wiederholte Flügelſchläge, um zum ruhigen Erfaſſen eines Zweiges oder zum Fußen auf dem Boden gelangen zu können.“ „Jch habe meine Beſchreibung mit der Schilderung des Fluges begonnen; denn er iſt es, welcher die Gewohnheiten dieſer Thiere beſtimmt. Jhre Wanderungen geſchehen ausſchließlich der Nahrung halbet, nicht, um der Winterſtrenge der nördlichen Breiten zu entrinnen, oder um einen paſſenden Platz zum Brüten zu ſuchen. Demgemäß nehmen ſie nirgends einen feſten Stand, ſondern ſiedeln ſich da an, wo ſie Futter finden und verweilen unter Umſtänden jahrelang da, wo man ſie ſonſt nie bemerkte. Dann verſchwinden ſie plötzlich und kehren erſt nach Jahren wieder zurück. Jhre außerordentliche Flugkraft ſetzt ſie in den Stand, Erſtannliches zu leiſten. Dies iſt erprobt worden durch in Amerika wohlbekannte Thatſachen. Man tödtete in der Um- gebung Newyorks Wandertauben, deren Kropf mit Reis gefüllt war, welchen ſie doch nur in den Feldern Georgias und Carolinas verzehrt haben konnten. Da ihre Verdauung ſo raſch vor ſich geht, daß das eingenommene Futter in zwölf Stunden völlig zerſetzt iſt, mußte man ſchließen, daß ſie zwiſchen drei- und vierhundert (engliſche) Meilen binnen ſechs Stunden oder die Meile in einer Minute zurückgelegt hatten. Hiernach könnten ſie bei gleicher Geſchwindigkeit in weniger als drei Tagen nach Europa gelangen. Dieſe Flugkraft wird unterſtützt durch große Sinnesſchärfe, welche ſie in den Stand ſetzt, bei ihren raſchen Flügen das Land unter ſich abzuſuchen und ihr Futter mit Leichtigkeit zu entdecken. Jch habe beobachtet, daß ſie, wenn ſie über eine unfruchtbare Gegend zogen, in hoher Luft dahinſtrichen, während ſie da, wo die Gegend waldig und nahrungverſprechend war, ſich oft herniederſenkten.“ Gerhardt hat recht, wenn er annimmt, daß man die Schilderungen Wilſon’s und Audubon’s über die Maſſenhaftigkeit der Wandertauben für fabelhaft halten kann. „Auf meinem Wege nach Frankfurt“, erzählt Wilſon, „durchſtrich ich die Wälder, über welchen ich in den Morgenſtunden viele Tauben nach Oſten hatte fliegen ſehen. Gegen ein Uhr mittags begannen ſie zurückzukehren und zwar in ſolchen ungeheuren Scharen, daß ich mich nicht erinnern konnte, zuvor ſo viele auf einmal geſehen zu haben. Eine Lichtung in der Nähe der Berſoebucht gewährte mir freie Ausſicht, und hier ſetzte mich Das, was ich ſah, vollends in Erſtaunen. Die Tauben flogen mit großer Stetigkeit und Schnelligkeit ungefähr in der Höhe eines Büchſenſchuſſes über mir, mehrere Schichten dick und ſo eng neben einander, daß, wenn ein Flintenſchuß ſie hätte erreichen können, eine einzige Ladung mehrere von ihnen gefällt haben würde. Von der Rechten zur Linken, ſo weit das Auge reichte, erſtreckte ſich dieſer unermeßliche Zug in die Breite und Länge, und überall ſchien er gleich gedrängt und gleich dicht zu ſein. Neugierig, zu erfahren, wie lange das Schauſpiel währen würde, zog ich meine Uhr, um die Zeit zu beſtimmen und ſetzte mich nieder, um die vorüberziehenden

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/296>, abgerufen am 28.11.2024.