mütterchen z. B., welches über seinen eigenen Eiern brütet fliegt sogleich von denselben herab, wenn der Kukuk bei seinem Neste ankommt und macht ihm Platz, damit er sein Ei umso bequemer ein- schieben könne. Es hüpft unterdessen um ihn herum und macht durch sein frohes Locken, daß das Männchen auch herbeikommt und Theil an der Ehre und Freiheit nimmt, die ihm dieser große Vogel macht." Das klingt wunderschön, ist aber leider nicht wahr. Alle Vögel, denen die zweifelhafte Ehre zugedacht wird, Kukuke groß zu ziehen, bekunden im Gegentheil in nicht mißzudeutender Weise ihre Angst vor dem ihnen drohenden Geschick und bemühen sich nach allen Kräften, den Kukuk abzu- wehren. Dieser liebt es auch gar nicht, in Gegenwart der Pflegeeltern sein Ei in deren Nest zu legen. Er kommt an "wie ein Dieb in der Nacht", verrichtet sein Geschäft und fliegt eilig davon, sobald es vollendet. Auffallend bleibt es aber doch, daß dieselben Vögel, denen jede Störung ihres Nestes verhaßt ist, und welche in Folge einer solchen aufhören, zu brüten, das Kukuksei nicht aus dem Neste werfen, wie sie es mit andern Eiern, welche ihnen untergeschoben werden, thun, daß sie im Brüten fortfahren, auch nachdem der Kukuk ihre eigenen Eier sämmtlich oder bis auf wenige entfernt hat. Sie hassen die Kukuksmutter, entziehen deren Ei oder Brut ihre Pflege aber nicht.
Der junge Kukuk entschlüpft dem Ei in einem äußerst hilflosen Zustande, "macht sich aber", wie Naumann sagt, "an dem unförmlich dicken Kopf mit den großen Augäpfeln sehr kenntlich. Er wächst anfangs schnell und wenn erst Stoppeln aus der schwärzlichen Haut hervorkeimen, sieht er in der That häßlich aus. Mir wurde einigemale erzählt, daß man im zufälligen Vorübergehen und bei flüchtigem Ansehen geglaubt habe, es säße eine große Kröte im Neste". Ein junger Kukuk, welchen Päßler am 21. Juni fand, war am 24. noch einmal so groß und mit blauschwarzen Kielen und Stoppeln bedeckt, aber noch blind. Am 2. Juli füllte er das ganze Nest aus, ja Kopf und Hals, sowie der Steiß ragten über den Rand des Nestes hinweg. Die Augen waren geöffnet. Er zeigte braune Flügeldeckfedern, blauschwarze Kiele mit dergleichen kurzen Federchen; unter dem Bauche war er ganz kahl. Am 5. Juli war er ausgeflogen. So unbehilflich der eben aus- gekrochene Vogel auch ist, so freßlustig zeigt er sich. Er beansprucht mehr Nahrung, als die Pflegeeltern beschaffen können, und er schnappt dieselbe, wenn wirklich noch Stiefgeschwister im Neste sind, diesen vor dem Schnabel weg, wirft sie auch, wenn sie nicht verhungern oder nicht durch seine Mutter entfernt oder umgebracht werden, schließlich aus dem Neste heraus. Die Pflegeeltern tragen ihm mit rührendem Eifer allerlei kleine Kerbthiere zu. Sie bringen ihm Käferchen, Fliegen, Schnecken, Räupchen, Würmer und plagen sich vom Morgen bis zum Abend, ohne ihm den Mund zu stopfen und sein ewiges heiseres "Zis zisis" verstummen zu machen. Auch nach dem Ausfliegen folgen sie ihm noch tagelang; denn er achtet ihrer Führung nicht, sondern fliegt nach seinem Belieben umher und die treuen Pfleger gehen ihm nach. Zuweilen kommt es vor, daß er nicht im Stande ist, sich durch die enge Oeffnung einer Baumhöhlung zu drängen; dann verweilen seine Pflegeeltern ihm zu Gefallen selbst bis in den Spätherbst und füttern ihn ununterbrochen. Man hat Bach- stelzenweibchen beobachtet, welche noch ihre Pfleglinge fütterten, als schon alle Artgenossen die Wanderung nach dem Süden angetreten hatten. Soweit aber, wie Bechstein es ausdehnt, geht es doch nicht. Er erzählt sehr anmuthig, welche Freude es sei, einen jungen ausgeflogenen Kukuk seine Stimme erheben zu hören und eine Menge Vögel herbeifliegen zu sehen, welche ihm dann Nahrung bringen. Der junge Kukuk wäre zuletzt nicht mehr im Stande, seinen Schnabel oft genug zu öffnen, um das ihm von allen Seiten dargereichte Futter zu verschlucken. Hierauf folgen einige Bemerkungen über die weisen Einrichtungen des Schöpfers, ohne welche der junge Kukuk unfehlbar Hungers sterben müßte -- ein Biedermann kann sich daran wahrhaft erbanen. Leider ist auch diese Behauptung Bechstein's nicht wahr. Mein Vater setzte einen jungen Kukuk, als er recht hungrig war, auf das Hausdach. Es liefen Bachstelzen und Hausrothschwänze auf dem Dache herum: sie besahen ihn, brachten ihm aber Nichts zu fressen. Ein anderer junger Kukuk wurde auf demselben Dache ausgesetzt und spärlich gefüttert, sodaß er immer schrie. Aber kein Sänger, keine Bachstelze erbarmete sich seiner. "Um meiner Sache gewiß zu werden", sagt mein Vater, "nahm ich ihn von
Die Späher. Leichtſchnäbler. Kukuke.
mütterchen z. B., welches über ſeinen eigenen Eiern brütet fliegt ſogleich von denſelben herab, wenn der Kukuk bei ſeinem Neſte ankommt und macht ihm Platz, damit er ſein Ei umſo bequemer ein- ſchieben könne. Es hüpft unterdeſſen um ihn herum und macht durch ſein frohes Locken, daß das Männchen auch herbeikommt und Theil an der Ehre und Freiheit nimmt, die ihm dieſer große Vogel macht.“ Das klingt wunderſchön, iſt aber leider nicht wahr. Alle Vögel, denen die zweifelhafte Ehre zugedacht wird, Kukuke groß zu ziehen, bekunden im Gegentheil in nicht mißzudeutender Weiſe ihre Angſt vor dem ihnen drohenden Geſchick und bemühen ſich nach allen Kräften, den Kukuk abzu- wehren. Dieſer liebt es auch gar nicht, in Gegenwart der Pflegeeltern ſein Ei in deren Neſt zu legen. Er kommt an „wie ein Dieb in der Nacht“, verrichtet ſein Geſchäft und fliegt eilig davon, ſobald es vollendet. Auffallend bleibt es aber doch, daß dieſelben Vögel, denen jede Störung ihres Neſtes verhaßt iſt, und welche in Folge einer ſolchen aufhören, zu brüten, das Kukuksei nicht aus dem Neſte werfen, wie ſie es mit andern Eiern, welche ihnen untergeſchoben werden, thun, daß ſie im Brüten fortfahren, auch nachdem der Kukuk ihre eigenen Eier ſämmtlich oder bis auf wenige entfernt hat. Sie haſſen die Kukuksmutter, entziehen deren Ei oder Brut ihre Pflege aber nicht.
Der junge Kukuk entſchlüpft dem Ei in einem äußerſt hilfloſen Zuſtande, „macht ſich aber“, wie Naumann ſagt, „an dem unförmlich dicken Kopf mit den großen Augäpfeln ſehr kenntlich. Er wächſt anfangs ſchnell und wenn erſt Stoppeln aus der ſchwärzlichen Haut hervorkeimen, ſieht er in der That häßlich aus. Mir wurde einigemale erzählt, daß man im zufälligen Vorübergehen und bei flüchtigem Anſehen geglaubt habe, es ſäße eine große Kröte im Neſte“. Ein junger Kukuk, welchen Päßler am 21. Juni fand, war am 24. noch einmal ſo groß und mit blauſchwarzen Kielen und Stoppeln bedeckt, aber noch blind. Am 2. Juli füllte er das ganze Neſt aus, ja Kopf und Hals, ſowie der Steiß ragten über den Rand des Neſtes hinweg. Die Augen waren geöffnet. Er zeigte braune Flügeldeckfedern, blauſchwarze Kiele mit dergleichen kurzen Federchen; unter dem Bauche war er ganz kahl. Am 5. Juli war er ausgeflogen. So unbehilflich der eben aus- gekrochene Vogel auch iſt, ſo freßluſtig zeigt er ſich. Er beanſprucht mehr Nahrung, als die Pflegeeltern beſchaffen können, und er ſchnappt dieſelbe, wenn wirklich noch Stiefgeſchwiſter im Neſte ſind, dieſen vor dem Schnabel weg, wirft ſie auch, wenn ſie nicht verhungern oder nicht durch ſeine Mutter entfernt oder umgebracht werden, ſchließlich aus dem Neſte heraus. Die Pflegeeltern tragen ihm mit rührendem Eifer allerlei kleine Kerbthiere zu. Sie bringen ihm Käferchen, Fliegen, Schnecken, Räupchen, Würmer und plagen ſich vom Morgen bis zum Abend, ohne ihm den Mund zu ſtopfen und ſein ewiges heiſeres „Zis ziſis“ verſtummen zu machen. Auch nach dem Ausfliegen folgen ſie ihm noch tagelang; denn er achtet ihrer Führung nicht, ſondern fliegt nach ſeinem Belieben umher und die treuen Pfleger gehen ihm nach. Zuweilen kommt es vor, daß er nicht im Stande iſt, ſich durch die enge Oeffnung einer Baumhöhlung zu drängen; dann verweilen ſeine Pflegeeltern ihm zu Gefallen ſelbſt bis in den Spätherbſt und füttern ihn ununterbrochen. Man hat Bach- ſtelzenweibchen beobachtet, welche noch ihre Pfleglinge fütterten, als ſchon alle Artgenoſſen die Wanderung nach dem Süden angetreten hatten. Soweit aber, wie Bechſtein es ausdehnt, geht es doch nicht. Er erzählt ſehr anmuthig, welche Freude es ſei, einen jungen ausgeflogenen Kukuk ſeine Stimme erheben zu hören und eine Menge Vögel herbeifliegen zu ſehen, welche ihm dann Nahrung bringen. Der junge Kukuk wäre zuletzt nicht mehr im Stande, ſeinen Schnabel oft genug zu öffnen, um das ihm von allen Seiten dargereichte Futter zu verſchlucken. Hierauf folgen einige Bemerkungen über die weiſen Einrichtungen des Schöpfers, ohne welche der junge Kukuk unfehlbar Hungers ſterben müßte — ein Biedermann kann ſich daran wahrhaft erbanen. Leider iſt auch dieſe Behauptung Bechſtein’s nicht wahr. Mein Vater ſetzte einen jungen Kukuk, als er recht hungrig war, auf das Hausdach. Es liefen Bachſtelzen und Hausrothſchwänze auf dem Dache herum: ſie beſahen ihn, brachten ihm aber Nichts zu freſſen. Ein anderer junger Kukuk wurde auf demſelben Dache ausgeſetzt und ſpärlich gefüttert, ſodaß er immer ſchrie. Aber kein Sänger, keine Bachſtelze erbarmete ſich ſeiner. „Um meiner Sache gewiß zu werden“, ſagt mein Vater, „nahm ich ihn von
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0220"n="198"/><fwplace="top"type="header">Die Späher. Leichtſchnäbler. Kukuke.</fw><lb/>
mütterchen z. B., welches über ſeinen eigenen Eiern brütet fliegt ſogleich von denſelben herab, wenn<lb/>
der Kukuk bei ſeinem Neſte ankommt und macht ihm Platz, damit er ſein Ei umſo bequemer ein-<lb/>ſchieben könne. Es hüpft unterdeſſen um ihn herum und macht durch ſein frohes Locken, daß das<lb/>
Männchen auch herbeikommt und Theil an der Ehre und Freiheit nimmt, die ihm dieſer große Vogel<lb/>
macht.“ Das klingt wunderſchön, iſt aber leider nicht wahr. Alle Vögel, denen die zweifelhafte<lb/>
Ehre zugedacht wird, Kukuke groß zu ziehen, bekunden im Gegentheil in nicht mißzudeutender Weiſe<lb/>
ihre Angſt vor dem ihnen drohenden Geſchick und bemühen ſich nach allen Kräften, den Kukuk abzu-<lb/>
wehren. Dieſer liebt es auch gar nicht, in Gegenwart der Pflegeeltern ſein Ei in deren Neſt zu<lb/>
legen. Er kommt an „wie ein Dieb in der Nacht“, verrichtet ſein Geſchäft und fliegt eilig davon,<lb/>ſobald es vollendet. Auffallend bleibt es aber doch, daß dieſelben Vögel, denen jede Störung ihres<lb/>
Neſtes verhaßt iſt, und welche in Folge einer ſolchen aufhören, zu brüten, das Kukuksei <hirendition="#g">nicht</hi> aus<lb/>
dem Neſte werfen, wie ſie es mit andern Eiern, welche ihnen untergeſchoben werden, thun, daß ſie<lb/>
im Brüten fortfahren, auch nachdem der Kukuk ihre eigenen Eier ſämmtlich oder bis auf wenige<lb/>
entfernt hat. Sie haſſen die Kukuksmutter, entziehen deren Ei oder Brut ihre Pflege aber nicht.</p><lb/><p>Der junge Kukuk entſchlüpft dem Ei in einem äußerſt hilfloſen Zuſtande, „macht ſich aber“, wie<lb/><hirendition="#g">Naumann</hi>ſagt, „an dem unförmlich dicken Kopf mit den großen Augäpfeln ſehr kenntlich. Er<lb/>
wächſt anfangs ſchnell und wenn erſt Stoppeln aus der ſchwärzlichen Haut hervorkeimen, ſieht er in<lb/>
der That häßlich aus. Mir wurde einigemale erzählt, daß man im zufälligen Vorübergehen und<lb/>
bei flüchtigem Anſehen geglaubt habe, es ſäße eine große Kröte im Neſte“. Ein junger Kukuk,<lb/>
welchen <hirendition="#g">Päßler</hi> am 21. Juni fand, war am 24. noch einmal ſo groß und mit blauſchwarzen Kielen<lb/>
und Stoppeln bedeckt, aber noch blind. Am 2. Juli füllte er das ganze Neſt aus, ja Kopf und<lb/>
Hals, ſowie der Steiß ragten über den Rand des Neſtes hinweg. Die Augen waren geöffnet. Er<lb/>
zeigte braune Flügeldeckfedern, blauſchwarze Kiele mit dergleichen kurzen Federchen; unter dem<lb/>
Bauche war er ganz kahl. Am 5. Juli war er ausgeflogen. So unbehilflich der eben aus-<lb/>
gekrochene Vogel auch iſt, ſo freßluſtig zeigt er ſich. Er beanſprucht mehr Nahrung, als die<lb/>
Pflegeeltern beſchaffen können, und er ſchnappt dieſelbe, wenn wirklich noch Stiefgeſchwiſter im Neſte<lb/>ſind, dieſen vor dem Schnabel weg, wirft ſie auch, wenn ſie nicht verhungern oder nicht durch ſeine<lb/>
Mutter entfernt oder umgebracht werden, ſchließlich aus dem Neſte heraus. Die Pflegeeltern<lb/>
tragen ihm mit rührendem Eifer allerlei kleine Kerbthiere zu. Sie bringen ihm Käferchen, Fliegen,<lb/>
Schnecken, Räupchen, Würmer und plagen ſich vom Morgen bis zum Abend, ohne ihm den Mund<lb/>
zu ſtopfen und ſein ewiges heiſeres „Zis ziſis“ verſtummen zu machen. Auch nach dem Ausfliegen<lb/>
folgen ſie ihm noch tagelang; denn er achtet ihrer Führung nicht, ſondern fliegt nach ſeinem Belieben<lb/>
umher und die treuen Pfleger gehen ihm nach. Zuweilen kommt es vor, daß er nicht im Stande<lb/>
iſt, ſich durch die enge Oeffnung einer Baumhöhlung zu drängen; dann verweilen ſeine Pflegeeltern<lb/>
ihm zu Gefallen ſelbſt bis in den Spätherbſt und füttern ihn ununterbrochen. Man hat Bach-<lb/>ſtelzenweibchen beobachtet, welche noch ihre Pfleglinge fütterten, als ſchon alle Artgenoſſen die<lb/>
Wanderung nach dem Süden angetreten hatten. Soweit aber, wie <hirendition="#g">Bechſtein</hi> es ausdehnt, geht<lb/>
es doch nicht. Er erzählt ſehr anmuthig, welche Freude es ſei, einen jungen ausgeflogenen Kukuk<lb/>ſeine Stimme erheben zu hören und eine Menge Vögel herbeifliegen zu ſehen, welche ihm dann<lb/>
Nahrung bringen. Der junge Kukuk wäre zuletzt nicht mehr im Stande, ſeinen Schnabel oft genug<lb/>
zu öffnen, um das ihm von allen Seiten dargereichte Futter zu verſchlucken. Hierauf folgen einige<lb/>
Bemerkungen über die weiſen Einrichtungen des Schöpfers, ohne welche der junge Kukuk unfehlbar<lb/>
Hungers ſterben müßte — ein Biedermann kann ſich daran wahrhaft erbanen. Leider iſt auch dieſe<lb/>
Behauptung <hirendition="#g">Bechſtein’s</hi> nicht wahr. Mein Vater ſetzte einen jungen Kukuk, als er recht hungrig<lb/>
war, auf das Hausdach. Es liefen Bachſtelzen und Hausrothſchwänze auf dem Dache herum: ſie<lb/>
beſahen ihn, brachten ihm aber Nichts zu freſſen. Ein anderer junger Kukuk wurde auf demſelben<lb/>
Dache ausgeſetzt und ſpärlich gefüttert, ſodaß er immer ſchrie. Aber kein Sänger, keine Bachſtelze<lb/>
erbarmete ſich ſeiner. „Um meiner Sache gewiß zu werden“, ſagt mein Vater, „nahm ich ihn von<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[198/0220]
Die Späher. Leichtſchnäbler. Kukuke.
mütterchen z. B., welches über ſeinen eigenen Eiern brütet fliegt ſogleich von denſelben herab, wenn
der Kukuk bei ſeinem Neſte ankommt und macht ihm Platz, damit er ſein Ei umſo bequemer ein-
ſchieben könne. Es hüpft unterdeſſen um ihn herum und macht durch ſein frohes Locken, daß das
Männchen auch herbeikommt und Theil an der Ehre und Freiheit nimmt, die ihm dieſer große Vogel
macht.“ Das klingt wunderſchön, iſt aber leider nicht wahr. Alle Vögel, denen die zweifelhafte
Ehre zugedacht wird, Kukuke groß zu ziehen, bekunden im Gegentheil in nicht mißzudeutender Weiſe
ihre Angſt vor dem ihnen drohenden Geſchick und bemühen ſich nach allen Kräften, den Kukuk abzu-
wehren. Dieſer liebt es auch gar nicht, in Gegenwart der Pflegeeltern ſein Ei in deren Neſt zu
legen. Er kommt an „wie ein Dieb in der Nacht“, verrichtet ſein Geſchäft und fliegt eilig davon,
ſobald es vollendet. Auffallend bleibt es aber doch, daß dieſelben Vögel, denen jede Störung ihres
Neſtes verhaßt iſt, und welche in Folge einer ſolchen aufhören, zu brüten, das Kukuksei nicht aus
dem Neſte werfen, wie ſie es mit andern Eiern, welche ihnen untergeſchoben werden, thun, daß ſie
im Brüten fortfahren, auch nachdem der Kukuk ihre eigenen Eier ſämmtlich oder bis auf wenige
entfernt hat. Sie haſſen die Kukuksmutter, entziehen deren Ei oder Brut ihre Pflege aber nicht.
Der junge Kukuk entſchlüpft dem Ei in einem äußerſt hilfloſen Zuſtande, „macht ſich aber“, wie
Naumann ſagt, „an dem unförmlich dicken Kopf mit den großen Augäpfeln ſehr kenntlich. Er
wächſt anfangs ſchnell und wenn erſt Stoppeln aus der ſchwärzlichen Haut hervorkeimen, ſieht er in
der That häßlich aus. Mir wurde einigemale erzählt, daß man im zufälligen Vorübergehen und
bei flüchtigem Anſehen geglaubt habe, es ſäße eine große Kröte im Neſte“. Ein junger Kukuk,
welchen Päßler am 21. Juni fand, war am 24. noch einmal ſo groß und mit blauſchwarzen Kielen
und Stoppeln bedeckt, aber noch blind. Am 2. Juli füllte er das ganze Neſt aus, ja Kopf und
Hals, ſowie der Steiß ragten über den Rand des Neſtes hinweg. Die Augen waren geöffnet. Er
zeigte braune Flügeldeckfedern, blauſchwarze Kiele mit dergleichen kurzen Federchen; unter dem
Bauche war er ganz kahl. Am 5. Juli war er ausgeflogen. So unbehilflich der eben aus-
gekrochene Vogel auch iſt, ſo freßluſtig zeigt er ſich. Er beanſprucht mehr Nahrung, als die
Pflegeeltern beſchaffen können, und er ſchnappt dieſelbe, wenn wirklich noch Stiefgeſchwiſter im Neſte
ſind, dieſen vor dem Schnabel weg, wirft ſie auch, wenn ſie nicht verhungern oder nicht durch ſeine
Mutter entfernt oder umgebracht werden, ſchließlich aus dem Neſte heraus. Die Pflegeeltern
tragen ihm mit rührendem Eifer allerlei kleine Kerbthiere zu. Sie bringen ihm Käferchen, Fliegen,
Schnecken, Räupchen, Würmer und plagen ſich vom Morgen bis zum Abend, ohne ihm den Mund
zu ſtopfen und ſein ewiges heiſeres „Zis ziſis“ verſtummen zu machen. Auch nach dem Ausfliegen
folgen ſie ihm noch tagelang; denn er achtet ihrer Führung nicht, ſondern fliegt nach ſeinem Belieben
umher und die treuen Pfleger gehen ihm nach. Zuweilen kommt es vor, daß er nicht im Stande
iſt, ſich durch die enge Oeffnung einer Baumhöhlung zu drängen; dann verweilen ſeine Pflegeeltern
ihm zu Gefallen ſelbſt bis in den Spätherbſt und füttern ihn ununterbrochen. Man hat Bach-
ſtelzenweibchen beobachtet, welche noch ihre Pfleglinge fütterten, als ſchon alle Artgenoſſen die
Wanderung nach dem Süden angetreten hatten. Soweit aber, wie Bechſtein es ausdehnt, geht
es doch nicht. Er erzählt ſehr anmuthig, welche Freude es ſei, einen jungen ausgeflogenen Kukuk
ſeine Stimme erheben zu hören und eine Menge Vögel herbeifliegen zu ſehen, welche ihm dann
Nahrung bringen. Der junge Kukuk wäre zuletzt nicht mehr im Stande, ſeinen Schnabel oft genug
zu öffnen, um das ihm von allen Seiten dargereichte Futter zu verſchlucken. Hierauf folgen einige
Bemerkungen über die weiſen Einrichtungen des Schöpfers, ohne welche der junge Kukuk unfehlbar
Hungers ſterben müßte — ein Biedermann kann ſich daran wahrhaft erbanen. Leider iſt auch dieſe
Behauptung Bechſtein’s nicht wahr. Mein Vater ſetzte einen jungen Kukuk, als er recht hungrig
war, auf das Hausdach. Es liefen Bachſtelzen und Hausrothſchwänze auf dem Dache herum: ſie
beſahen ihn, brachten ihm aber Nichts zu freſſen. Ein anderer junger Kukuk wurde auf demſelben
Dache ausgeſetzt und ſpärlich gefüttert, ſodaß er immer ſchrie. Aber kein Sänger, keine Bachſtelze
erbarmete ſich ſeiner. „Um meiner Sache gewiß zu werden“, ſagt mein Vater, „nahm ich ihn von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/220>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.