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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Pitpit.
stehende Moringa von einem Paar dieser lieblichen Geschöpfe vor meinen Augen durchsucht, während
an einer anderen Stelle ein kleiner Kolibri von einer Blüthe zur andern dahinschießt und anderwärts
wieder die prächtige Urania (ein Schmetterling) sich zu ihnen gesellt. Von unserem Vogel allein
ertönt oft ein sanftes Pfeifen bei seinem Geschäfte."

"Das Nest des Pitpit findet sich gewöhnlich im niederen Gebüsch, nahe bei den Nestern der
Papierwespen, welche von dessen Zweigen herabhängen. Auch verwandte Vögel sollen Zuneigung
zu dieser Nachbarschaft zeigen: sie glauben sich ohne Zweifel durch die Nähe dieser gefürchteten Kerb-
thiere gesichert und vertheidigt. Das Brutgeschäft fällt in die Monate Mai, Juni und Juli. Am
4. Mai sah ich einen Pitpit Seidenwolle zum Neste tragen. Der Bau, welcher oft nur Grundlage
war, deutete auf eine Wölbung und bestand nur aus dieser Baumwollenseide. Später sah ich
mehrere vollständige Nester. Jhre Gestalt ist die einer Kugel, das Eingangsloch befindet sich seitlich
und unten. Die sehr dicken Wände bestehen aus Hen, welches mit der seidigen Wolle einer
Asclepias gemischt ist. Jn einem andern Neste fand ich zwei Eier, welche auf grünlich weißem
Grunde dicht mit röthlichen Flecken gezeichnet waren."



Jn der alten Welt werden die Blumenvögel durch die Honigsauger (Nectariniae) vertreten.
Sie sind kleine, zierlich gebaute Vögel, welche theilweise in den prachtvollsten Farben prangen und
dadurch auch an die Kolibris erinnern. Doch unterscheiden sie sich von diesen sofort durch ihre kurzen
Flügel und die langläufigen Füße, demgemäß aber auch durch die Lebensweise, und deshalb ist es
gewiß nicht richtig, sie, wie es oft geschehen ist, als die altweltlichen Vertreter der Kolibris anzusehen.
Die Kennzeichen der Honigsauger sind ein gedrungener Leib, ein gestreckter, sanft gebogener, dünner
und spitziger Schnabel, ziemlich hochläufige und schlankzehige Füße, mittellange Flügel, deren Hand-
theil aus zehn Schwingen besteht, und ein entweder gerade abgestutzter oder zugerundeter oder keil-
förmig zugespitzter Schwanz, dessen beide Mittelfedern außerdem noch sehr verlängert sein können.
Die Zunge ist lang, röhrenförmig, tief gespalten und ausstreckbar. Das Gefieder ist nicht blos nach
den Geschlechtern, sondern auch nach der Jahreszeit verschieden gefärbt; denn die Honigsauger mau-
sern zweimal im Jahre und tragen nur während der Zeit der Liebe ihr prachtvolles Kleid, nach der
Fortpflanzung hingegen ein höchst unscheinbares, wie es sonst den Weibchen und den Jungen
eigen ist.

Die Familie verbreitet sich über Afrika, Asien und Oceanien; der erstgenannte Erdtheil ist
besonders reich an Arten. Wo die Honigsauger vorkommen, sind sie häufig und deshalb eine außer-
ordentliche Zierde der Wälder, Gebüsche und Gärten. Jhr Wesen und Treiben ist höchst anziehend;
denn sie gehören zu den begabtesten und liebenswürdigsten Mitgliedern ihrer Ordnung. Man findet
sie regelmäßig paarweise und nur kurz nach der Brutzeit in kleinen Gesellschaften, welche sich bald in
einzelne Paare auflösen. Von diesen erwählt sich dann jedes einzelne ein Gebiet von ziemlichem
Umfange und bewacht es vorsichtig gegen andere derselben Art, während es artlich verschiedene
Verwandte duldet. Jnnerhalb dieses Gebiets machen sich die Honigsauger sehr bemerklich.
Sie erscheinen mit einer gewissen Regelmäßigkeit an bestimmten Plätzen, da, wo gerade ein Baum in
Blüthe steht, gewiß. Deshalb kommen sie auch oft in Gärten herein und treiben sich dann ungescheut
vor den Menschen in unmittelbarer Nähe der Wohnungen umher. Wenn in Nordostafrika der
Feigenkaktus in Blüthe steht, wird er zum Vereinigungsort aller Arten, welche die Gegend beher-
bergt. Dasselbe gilt für die Wälder, wenn hier eine blühende Mimose vereinzelt unter andern
Bäumen steht; Dies gilt für alle Bäume, deren Blüthen Kerbthiere herbeilocken: denn ihnen stellen
die Honigsauger nach -- Blüthenstaub und Blüthenhonig verzehren sie nur nebenbei, unwillkürlich,
um mich so auszudrücken.

Pitpit.
ſtehende Moringa von einem Paar dieſer lieblichen Geſchöpfe vor meinen Augen durchſucht, während
an einer anderen Stelle ein kleiner Kolibri von einer Blüthe zur andern dahinſchießt und anderwärts
wieder die prächtige Urania (ein Schmetterling) ſich zu ihnen geſellt. Von unſerem Vogel allein
ertönt oft ein ſanftes Pfeifen bei ſeinem Geſchäfte.“

„Das Neſt des Pitpit findet ſich gewöhnlich im niederen Gebüſch, nahe bei den Neſtern der
Papierweſpen, welche von deſſen Zweigen herabhängen. Auch verwandte Vögel ſollen Zuneigung
zu dieſer Nachbarſchaft zeigen: ſie glauben ſich ohne Zweifel durch die Nähe dieſer gefürchteten Kerb-
thiere geſichert und vertheidigt. Das Brutgeſchäft fällt in die Monate Mai, Juni und Juli. Am
4. Mai ſah ich einen Pitpit Seidenwolle zum Neſte tragen. Der Bau, welcher oft nur Grundlage
war, deutete auf eine Wölbung und beſtand nur aus dieſer Baumwollenſeide. Später ſah ich
mehrere vollſtändige Neſter. Jhre Geſtalt iſt die einer Kugel, das Eingangsloch befindet ſich ſeitlich
und unten. Die ſehr dicken Wände beſtehen aus Hen, welches mit der ſeidigen Wolle einer
Asclepias gemiſcht iſt. Jn einem andern Neſte fand ich zwei Eier, welche auf grünlich weißem
Grunde dicht mit röthlichen Flecken gezeichnet waren.“



Jn der alten Welt werden die Blumenvögel durch die Honigſauger (Nectariniae) vertreten.
Sie ſind kleine, zierlich gebaute Vögel, welche theilweiſe in den prachtvollſten Farben prangen und
dadurch auch an die Kolibris erinnern. Doch unterſcheiden ſie ſich von dieſen ſofort durch ihre kurzen
Flügel und die langläufigen Füße, demgemäß aber auch durch die Lebensweiſe, und deshalb iſt es
gewiß nicht richtig, ſie, wie es oft geſchehen iſt, als die altweltlichen Vertreter der Kolibris anzuſehen.
Die Kennzeichen der Honigſauger ſind ein gedrungener Leib, ein geſtreckter, ſanft gebogener, dünner
und ſpitziger Schnabel, ziemlich hochläufige und ſchlankzehige Füße, mittellange Flügel, deren Hand-
theil aus zehn Schwingen beſteht, und ein entweder gerade abgeſtutzter oder zugerundeter oder keil-
förmig zugeſpitzter Schwanz, deſſen beide Mittelfedern außerdem noch ſehr verlängert ſein können.
Die Zunge iſt lang, röhrenförmig, tief geſpalten und ausſtreckbar. Das Gefieder iſt nicht blos nach
den Geſchlechtern, ſondern auch nach der Jahreszeit verſchieden gefärbt; denn die Honigſauger mau-
ſern zweimal im Jahre und tragen nur während der Zeit der Liebe ihr prachtvolles Kleid, nach der
Fortpflanzung hingegen ein höchſt unſcheinbares, wie es ſonſt den Weibchen und den Jungen
eigen iſt.

Die Familie verbreitet ſich über Afrika, Aſien und Oceanien; der erſtgenannte Erdtheil iſt
beſonders reich an Arten. Wo die Honigſauger vorkommen, ſind ſie häufig und deshalb eine außer-
ordentliche Zierde der Wälder, Gebüſche und Gärten. Jhr Weſen und Treiben iſt höchſt anziehend;
denn ſie gehören zu den begabteſten und liebenswürdigſten Mitgliedern ihrer Ordnung. Man findet
ſie regelmäßig paarweiſe und nur kurz nach der Brutzeit in kleinen Geſellſchaften, welche ſich bald in
einzelne Paare auflöſen. Von dieſen erwählt ſich dann jedes einzelne ein Gebiet von ziemlichem
Umfange und bewacht es vorſichtig gegen andere derſelben Art, während es artlich verſchiedene
Verwandte duldet. Jnnerhalb dieſes Gebiets machen ſich die Honigſauger ſehr bemerklich.
Sie erſcheinen mit einer gewiſſen Regelmäßigkeit an beſtimmten Plätzen, da, wo gerade ein Baum in
Blüthe ſteht, gewiß. Deshalb kommen ſie auch oft in Gärten herein und treiben ſich dann ungeſcheut
vor den Menſchen in unmittelbarer Nähe der Wohnungen umher. Wenn in Nordoſtafrika der
Feigenkaktus in Blüthe ſteht, wird er zum Vereinigungsort aller Arten, welche die Gegend beher-
bergt. Daſſelbe gilt für die Wälder, wenn hier eine blühende Mimoſe vereinzelt unter andern
Bäumen ſteht; Dies gilt für alle Bäume, deren Blüthen Kerbthiere herbeilocken: denn ihnen ſtellen
die Honigſauger nach — Blüthenſtaub und Blüthenhonig verzehren ſie nur nebenbei, unwillkürlich,
um mich ſo auszudrücken.

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[9/0021] Pitpit. ſtehende Moringa von einem Paar dieſer lieblichen Geſchöpfe vor meinen Augen durchſucht, während an einer anderen Stelle ein kleiner Kolibri von einer Blüthe zur andern dahinſchießt und anderwärts wieder die prächtige Urania (ein Schmetterling) ſich zu ihnen geſellt. Von unſerem Vogel allein ertönt oft ein ſanftes Pfeifen bei ſeinem Geſchäfte.“ „Das Neſt des Pitpit findet ſich gewöhnlich im niederen Gebüſch, nahe bei den Neſtern der Papierweſpen, welche von deſſen Zweigen herabhängen. Auch verwandte Vögel ſollen Zuneigung zu dieſer Nachbarſchaft zeigen: ſie glauben ſich ohne Zweifel durch die Nähe dieſer gefürchteten Kerb- thiere geſichert und vertheidigt. Das Brutgeſchäft fällt in die Monate Mai, Juni und Juli. Am 4. Mai ſah ich einen Pitpit Seidenwolle zum Neſte tragen. Der Bau, welcher oft nur Grundlage war, deutete auf eine Wölbung und beſtand nur aus dieſer Baumwollenſeide. Später ſah ich mehrere vollſtändige Neſter. Jhre Geſtalt iſt die einer Kugel, das Eingangsloch befindet ſich ſeitlich und unten. Die ſehr dicken Wände beſtehen aus Hen, welches mit der ſeidigen Wolle einer Asclepias gemiſcht iſt. Jn einem andern Neſte fand ich zwei Eier, welche auf grünlich weißem Grunde dicht mit röthlichen Flecken gezeichnet waren.“ Jn der alten Welt werden die Blumenvögel durch die Honigſauger (Nectariniae) vertreten. Sie ſind kleine, zierlich gebaute Vögel, welche theilweiſe in den prachtvollſten Farben prangen und dadurch auch an die Kolibris erinnern. Doch unterſcheiden ſie ſich von dieſen ſofort durch ihre kurzen Flügel und die langläufigen Füße, demgemäß aber auch durch die Lebensweiſe, und deshalb iſt es gewiß nicht richtig, ſie, wie es oft geſchehen iſt, als die altweltlichen Vertreter der Kolibris anzuſehen. Die Kennzeichen der Honigſauger ſind ein gedrungener Leib, ein geſtreckter, ſanft gebogener, dünner und ſpitziger Schnabel, ziemlich hochläufige und ſchlankzehige Füße, mittellange Flügel, deren Hand- theil aus zehn Schwingen beſteht, und ein entweder gerade abgeſtutzter oder zugerundeter oder keil- förmig zugeſpitzter Schwanz, deſſen beide Mittelfedern außerdem noch ſehr verlängert ſein können. Die Zunge iſt lang, röhrenförmig, tief geſpalten und ausſtreckbar. Das Gefieder iſt nicht blos nach den Geſchlechtern, ſondern auch nach der Jahreszeit verſchieden gefärbt; denn die Honigſauger mau- ſern zweimal im Jahre und tragen nur während der Zeit der Liebe ihr prachtvolles Kleid, nach der Fortpflanzung hingegen ein höchſt unſcheinbares, wie es ſonſt den Weibchen und den Jungen eigen iſt. Die Familie verbreitet ſich über Afrika, Aſien und Oceanien; der erſtgenannte Erdtheil iſt beſonders reich an Arten. Wo die Honigſauger vorkommen, ſind ſie häufig und deshalb eine außer- ordentliche Zierde der Wälder, Gebüſche und Gärten. Jhr Weſen und Treiben iſt höchſt anziehend; denn ſie gehören zu den begabteſten und liebenswürdigſten Mitgliedern ihrer Ordnung. Man findet ſie regelmäßig paarweiſe und nur kurz nach der Brutzeit in kleinen Geſellſchaften, welche ſich bald in einzelne Paare auflöſen. Von dieſen erwählt ſich dann jedes einzelne ein Gebiet von ziemlichem Umfange und bewacht es vorſichtig gegen andere derſelben Art, während es artlich verſchiedene Verwandte duldet. Jnnerhalb dieſes Gebiets machen ſich die Honigſauger ſehr bemerklich. Sie erſcheinen mit einer gewiſſen Regelmäßigkeit an beſtimmten Plätzen, da, wo gerade ein Baum in Blüthe ſteht, gewiß. Deshalb kommen ſie auch oft in Gärten herein und treiben ſich dann ungeſcheut vor den Menſchen in unmittelbarer Nähe der Wohnungen umher. Wenn in Nordoſtafrika der Feigenkaktus in Blüthe ſteht, wird er zum Vereinigungsort aller Arten, welche die Gegend beher- bergt. Daſſelbe gilt für die Wälder, wenn hier eine blühende Mimoſe vereinzelt unter andern Bäumen ſteht; Dies gilt für alle Bäume, deren Blüthen Kerbthiere herbeilocken: denn ihnen ſtellen die Honigſauger nach — Blüthenſtaub und Blüthenhonig verzehren ſie nur nebenbei, unwillkürlich, um mich ſo auszudrücken.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/21>, abgerufen am 27.11.2024.