Leine. Dabei kam es oft vor, daß zwei einander im Fluge verfolgten. Es schien mir, als ob diese Begegnungen freundschaftlicher Art seien. Nach genauerer Beobachtung wurde ich überzeugt, daß dieses beständige Abfliegen von der Leine nur den Zweck hatte, kleine, dem menschlichen Auge unsicht- bare Kerbthiere zu fangen. Sehr häufig hörte ich das Schnappen mit dem Schnabel, und ein- oder zweimal sah ich auch, wie eine Fliege gefangen wurde, welche für die Sehkraft des menschlichen Auges eben noch groß genug war. Gewöhnlich waren diese Ausflüge sehr kurz. Der Vogel durch- maß höchstens einen oder zwei Fuß Entfernung und kehrte dann nach seinem Sitze zurück, ganz wie es die echten Fliegenfänger thun; denn Fliegenfänger und zwar sehr vollkommene Fliegen- fänger sind auch die Kolibris. Einer niedrigen Schätzung nach darf ich annehmen, daß jeder wenigstens drei Kerbthiere in der Minute fing und zwar mit wenig Unterbrechung in der Zeit vom frühen Morgen bis zum Abend. Jn der Freiheit werden sie wahrscheinlich nicht so viel Beute auf diese Weise machen, weil sie hier hauptsächlich den kleinen Kerfen nachstreben, welche das Jnnere der Blumen bewohnen; aber auch hier sieht man sie beständig in der angegebenen Weise ausfliegen. Meine Gefangenen flogen gelegentlich auch gegen die Wände und nahmen Fliegen aus den Spinnennetzen."
"Eigenthümlich war die Art und Weise ihres Herabkommens, wenn sie trinken wollten. Anstatt nämlich auf das Gefäß loszufliegen, führten sie unabänderlich zwölf bis zwanzig Schrauben- gänge aus, von denen sie ein jeder ein wenig tiefer brachte. Sie kamen sehr häufig, um zu saugen, nahmen aber niemals viel auf einmal. Doch leerten ihrer fünf immerhin ein Weinglas täglich. Jhr Koth war stets flüssig und gleich dem Syrup, welchen sie eingenommen hatten."
"Alle gingen erst spät zur Ruhe, und oft sah man sie noch bis zur Dämmerung jagen und umherschweifen. Sie waren auch während der Nacht sehr unruhig und konnten leicht aufgeregt werden. Trat man mit einem Licht in das Zimmer, so setzte man jederzeit einen oder zwei von ihnen in Bewegung. Sie schienen dann denselben Schrecken zu empfinden, wie im Anfange ihrer Gefangen- schaft, flogen auch wie früher gegen die Wände und starben sogar vor Angst, wenn man nicht besonders auf sie achtete."
"Nachdem meine Gefangenen den erwähnten Raum einige Zeit bewohnt hatten, setzte ich sie, fünf an der Zahl, in einen großen Käfig, dessen eine Seite mit Draht vergittert war. Jch hatte diesen Wechsel sehr gefürchtet und brachte sie deshalb des Abends in den Käfig, in der Hoffnung, daß die Nacht sie beruhigen werde. Schon früher waren sie durch das Syrupgefäß nach und nach in das Jnnere des Käfigs gewöhnt worden, und so war derselbe ihnen wenigstens kein unbekannter Raum mehr. Nachdem die Thür geschlossen war, flatterten sie ein Weilchen; aber am nächsten Tage sah ich zu meinem Vergnügen, daß alle ruhig auf den Springhölzern saßen und auch von dem Syrup nahmen. Bald darauf brachte ich noch zwei Männchen mehr zu ihnen und später auch ein Weibchen. Das letztere hatte sich schon am nächsten Tage zu einem langschwänzigen Männchen gestellt, welches bis dahin einen Sitzplatz allein innegehabt, und bemühete sich augenscheinlich, Liebe zu erwerben. Es hüpfte seitwärts auf der Sitzstange gegen ihn hin, bis es ihn berührte, es spielte ihm zart in seinem Gesicht, schlug mit den Flügeln, erhob sich fliegend über ihn und that, als ob es sich auf seinen Rücken setzen wollte u. s. w. Er aber schien, wie ich zu meinem Bedauern sagen muß, höchst unhöflich oder gleichgiltig gegen derartige Liebkosungen zu sein."
"Jch hegte nun die größte Hoffnung, sie lebend nach England zu bringen, da ich meinte, daß die ärgsten Schwierigkeiten jetzt vorüber seien. Aber alle meine Hoffnungen wurden bald zerstört; denn schon eine Woche, nachdem ich sie in den Käfig gebracht hatte, begann das Verderben. Zuweilen starben zwei an einem Tage. Jn der nächsten Woche hatte ich blos noch einen einzigen, welcher den andern auch bald nachfolgte. Jch versuchte vergeblich, sie durch neue zu ersetzen; die ergiebigsten Jagdgründe waren aber jetzt verödet. Die Todesursache der Gefangenen war unzweifelhaft der Mangel an Kerbthiernahrung; denn wenn sie auch fortwährend Syrup nahmen, so konnte derselbe doch nicht genügen, sie zu erhalten. Alle, welche starben, waren ausnehmend mager und ihr Magen so
Die Späher. Schwirrvögel.
Leine. Dabei kam es oft vor, daß zwei einander im Fluge verfolgten. Es ſchien mir, als ob dieſe Begegnungen freundſchaftlicher Art ſeien. Nach genauerer Beobachtung wurde ich überzeugt, daß dieſes beſtändige Abfliegen von der Leine nur den Zweck hatte, kleine, dem menſchlichen Auge unſicht- bare Kerbthiere zu fangen. Sehr häufig hörte ich das Schnappen mit dem Schnabel, und ein- oder zweimal ſah ich auch, wie eine Fliege gefangen wurde, welche für die Sehkraft des menſchlichen Auges eben noch groß genug war. Gewöhnlich waren dieſe Ausflüge ſehr kurz. Der Vogel durch- maß höchſtens einen oder zwei Fuß Entfernung und kehrte dann nach ſeinem Sitze zurück, ganz wie es die echten Fliegenfänger thun; denn Fliegenfänger und zwar ſehr vollkommene Fliegen- fänger ſind auch die Kolibris. Einer niedrigen Schätzung nach darf ich annehmen, daß jeder wenigſtens drei Kerbthiere in der Minute fing und zwar mit wenig Unterbrechung in der Zeit vom frühen Morgen bis zum Abend. Jn der Freiheit werden ſie wahrſcheinlich nicht ſo viel Beute auf dieſe Weiſe machen, weil ſie hier hauptſächlich den kleinen Kerfen nachſtreben, welche das Jnnere der Blumen bewohnen; aber auch hier ſieht man ſie beſtändig in der angegebenen Weiſe ausfliegen. Meine Gefangenen flogen gelegentlich auch gegen die Wände und nahmen Fliegen aus den Spinnennetzen.“
„Eigenthümlich war die Art und Weiſe ihres Herabkommens, wenn ſie trinken wollten. Anſtatt nämlich auf das Gefäß loszufliegen, führten ſie unabänderlich zwölf bis zwanzig Schrauben- gänge aus, von denen ſie ein jeder ein wenig tiefer brachte. Sie kamen ſehr häufig, um zu ſaugen, nahmen aber niemals viel auf einmal. Doch leerten ihrer fünf immerhin ein Weinglas täglich. Jhr Koth war ſtets flüſſig und gleich dem Syrup, welchen ſie eingenommen hatten.“
„Alle gingen erſt ſpät zur Ruhe, und oft ſah man ſie noch bis zur Dämmerung jagen und umherſchweifen. Sie waren auch während der Nacht ſehr unruhig und konnten leicht aufgeregt werden. Trat man mit einem Licht in das Zimmer, ſo ſetzte man jederzeit einen oder zwei von ihnen in Bewegung. Sie ſchienen dann denſelben Schrecken zu empfinden, wie im Anfange ihrer Gefangen- ſchaft, flogen auch wie früher gegen die Wände und ſtarben ſogar vor Angſt, wenn man nicht beſonders auf ſie achtete.“
„Nachdem meine Gefangenen den erwähnten Raum einige Zeit bewohnt hatten, ſetzte ich ſie, fünf an der Zahl, in einen großen Käfig, deſſen eine Seite mit Draht vergittert war. Jch hatte dieſen Wechſel ſehr gefürchtet und brachte ſie deshalb des Abends in den Käfig, in der Hoffnung, daß die Nacht ſie beruhigen werde. Schon früher waren ſie durch das Syrupgefäß nach und nach in das Jnnere des Käfigs gewöhnt worden, und ſo war derſelbe ihnen wenigſtens kein unbekannter Raum mehr. Nachdem die Thür geſchloſſen war, flatterten ſie ein Weilchen; aber am nächſten Tage ſah ich zu meinem Vergnügen, daß alle ruhig auf den Springhölzern ſaßen und auch von dem Syrup nahmen. Bald darauf brachte ich noch zwei Männchen mehr zu ihnen und ſpäter auch ein Weibchen. Das letztere hatte ſich ſchon am nächſten Tage zu einem langſchwänzigen Männchen geſtellt, welches bis dahin einen Sitzplatz allein innegehabt, und bemühete ſich augenſcheinlich, Liebe zu erwerben. Es hüpfte ſeitwärts auf der Sitzſtange gegen ihn hin, bis es ihn berührte, es ſpielte ihm zart in ſeinem Geſicht, ſchlug mit den Flügeln, erhob ſich fliegend über ihn und that, als ob es ſich auf ſeinen Rücken ſetzen wollte u. ſ. w. Er aber ſchien, wie ich zu meinem Bedauern ſagen muß, höchſt unhöflich oder gleichgiltig gegen derartige Liebkoſungen zu ſein.“
„Jch hegte nun die größte Hoffnung, ſie lebend nach England zu bringen, da ich meinte, daß die ärgſten Schwierigkeiten jetzt vorüber ſeien. Aber alle meine Hoffnungen wurden bald zerſtört; denn ſchon eine Woche, nachdem ich ſie in den Käfig gebracht hatte, begann das Verderben. Zuweilen ſtarben zwei an einem Tage. Jn der nächſten Woche hatte ich blos noch einen einzigen, welcher den andern auch bald nachfolgte. Jch verſuchte vergeblich, ſie durch neue zu erſetzen; die ergiebigſten Jagdgründe waren aber jetzt verödet. Die Todesurſache der Gefangenen war unzweifelhaft der Mangel an Kerbthiernahrung; denn wenn ſie auch fortwährend Syrup nahmen, ſo konnte derſelbe doch nicht genügen, ſie zu erhalten. Alle, welche ſtarben, waren ausnehmend mager und ihr Magen ſo
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[132/0146]
Die Späher. Schwirrvögel.
Leine. Dabei kam es oft vor, daß zwei einander im Fluge verfolgten. Es ſchien mir, als ob dieſe
Begegnungen freundſchaftlicher Art ſeien. Nach genauerer Beobachtung wurde ich überzeugt, daß
dieſes beſtändige Abfliegen von der Leine nur den Zweck hatte, kleine, dem menſchlichen Auge unſicht-
bare Kerbthiere zu fangen. Sehr häufig hörte ich das Schnappen mit dem Schnabel, und ein- oder
zweimal ſah ich auch, wie eine Fliege gefangen wurde, welche für die Sehkraft des menſchlichen
Auges eben noch groß genug war. Gewöhnlich waren dieſe Ausflüge ſehr kurz. Der Vogel durch-
maß höchſtens einen oder zwei Fuß Entfernung und kehrte dann nach ſeinem Sitze zurück, ganz wie es
die echten Fliegenfänger thun; denn Fliegenfänger und zwar ſehr vollkommene Fliegen-
fänger ſind auch die Kolibris. Einer niedrigen Schätzung nach darf ich annehmen, daß jeder
wenigſtens drei Kerbthiere in der Minute fing und zwar mit wenig Unterbrechung in der Zeit vom
frühen Morgen bis zum Abend. Jn der Freiheit werden ſie wahrſcheinlich nicht ſo viel Beute auf
dieſe Weiſe machen, weil ſie hier hauptſächlich den kleinen Kerfen nachſtreben, welche das Jnnere der
Blumen bewohnen; aber auch hier ſieht man ſie beſtändig in der angegebenen Weiſe ausfliegen.
Meine Gefangenen flogen gelegentlich auch gegen die Wände und nahmen Fliegen aus den
Spinnennetzen.“
„Eigenthümlich war die Art und Weiſe ihres Herabkommens, wenn ſie trinken wollten.
Anſtatt nämlich auf das Gefäß loszufliegen, führten ſie unabänderlich zwölf bis zwanzig Schrauben-
gänge aus, von denen ſie ein jeder ein wenig tiefer brachte. Sie kamen ſehr häufig, um zu ſaugen,
nahmen aber niemals viel auf einmal. Doch leerten ihrer fünf immerhin ein Weinglas täglich.
Jhr Koth war ſtets flüſſig und gleich dem Syrup, welchen ſie eingenommen hatten.“
„Alle gingen erſt ſpät zur Ruhe, und oft ſah man ſie noch bis zur Dämmerung jagen und
umherſchweifen. Sie waren auch während der Nacht ſehr unruhig und konnten leicht aufgeregt
werden. Trat man mit einem Licht in das Zimmer, ſo ſetzte man jederzeit einen oder zwei von ihnen
in Bewegung. Sie ſchienen dann denſelben Schrecken zu empfinden, wie im Anfange ihrer Gefangen-
ſchaft, flogen auch wie früher gegen die Wände und ſtarben ſogar vor Angſt, wenn man nicht
beſonders auf ſie achtete.“
„Nachdem meine Gefangenen den erwähnten Raum einige Zeit bewohnt hatten, ſetzte ich ſie,
fünf an der Zahl, in einen großen Käfig, deſſen eine Seite mit Draht vergittert war. Jch hatte
dieſen Wechſel ſehr gefürchtet und brachte ſie deshalb des Abends in den Käfig, in der Hoffnung,
daß die Nacht ſie beruhigen werde. Schon früher waren ſie durch das Syrupgefäß nach und nach in
das Jnnere des Käfigs gewöhnt worden, und ſo war derſelbe ihnen wenigſtens kein unbekannter
Raum mehr. Nachdem die Thür geſchloſſen war, flatterten ſie ein Weilchen; aber am nächſten Tage
ſah ich zu meinem Vergnügen, daß alle ruhig auf den Springhölzern ſaßen und auch von dem
Syrup nahmen. Bald darauf brachte ich noch zwei Männchen mehr zu ihnen und ſpäter auch ein
Weibchen. Das letztere hatte ſich ſchon am nächſten Tage zu einem langſchwänzigen Männchen
geſtellt, welches bis dahin einen Sitzplatz allein innegehabt, und bemühete ſich augenſcheinlich, Liebe
zu erwerben. Es hüpfte ſeitwärts auf der Sitzſtange gegen ihn hin, bis es ihn berührte, es ſpielte
ihm zart in ſeinem Geſicht, ſchlug mit den Flügeln, erhob ſich fliegend über ihn und that, als ob es
ſich auf ſeinen Rücken ſetzen wollte u. ſ. w. Er aber ſchien, wie ich zu meinem Bedauern ſagen
muß, höchſt unhöflich oder gleichgiltig gegen derartige Liebkoſungen zu ſein.“
„Jch hegte nun die größte Hoffnung, ſie lebend nach England zu bringen, da ich meinte, daß
die ärgſten Schwierigkeiten jetzt vorüber ſeien. Aber alle meine Hoffnungen wurden bald zerſtört;
denn ſchon eine Woche, nachdem ich ſie in den Käfig gebracht hatte, begann das Verderben. Zuweilen
ſtarben zwei an einem Tage. Jn der nächſten Woche hatte ich blos noch einen einzigen, welcher den
andern auch bald nachfolgte. Jch verſuchte vergeblich, ſie durch neue zu erſetzen; die ergiebigſten
Jagdgründe waren aber jetzt verödet. Die Todesurſache der Gefangenen war unzweifelhaft der Mangel
an Kerbthiernahrung; denn wenn ſie auch fortwährend Syrup nahmen, ſo konnte derſelbe doch nicht
genügen, ſie zu erhalten. Alle, welche ſtarben, waren ausnehmend mager und ihr Magen ſo
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/146>, abgerufen am 23.11.2024.
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