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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Lebensweise der Schwirrvögel.
Am 8. April besuchte ich den Ort wieder und fand, daß das Nest vollendet war und zwei Eier
enthielt. Am 1. Mai sandte ich meinen Diener aus mit dem Auftrage, das Nest und die brütende
Alte mir zu bringen. Er fand das Weibchen auf den noch nicht ausgeschlüpften Eiern sitzend, fing
es ohne Mühe und brachte mir es nebst dem Neste. Jch setzte Nest und Alte in einen Käfig. Die
Alte aber war mürrisch, verließ das Nest augenblicklich und saß traurig auf einer Sitzstange. Am
nächsten Morgen war sie todt."

Audubon sagt, daß zehn Tage nothwendig seien, um die Eier zu zeitigen, und daß die
Jungen in einer Woche groß wüchsen, aber von ihren Eltern noch ungefähr eine zweite Woche
gefüttert würden. Diese Angabe scheint nicht ganz richtig zu sein. Wir wissen von andern Schrift-
stellern, daß die Jungen, wenn sie ausschlüpfen, nackt und blind zur Welt kommen und so schwach
sind, daß sie "kaum ihren kleinen Schnabel öffnen können, um das Futter von ihren Eltern anzu-
nehmen". Jm Verlauf der nächsten Tage erhalten sie zunächst einen graulichen Flaum, und später
das Gefieder der Oberseite. Burmeister gibt an, daß die Jungen nach sechszehntägiger Bebrütung
dem Ei entschlüpfen, nach vierzehn Tagen die Augen öffnen, nach vier Wochen flügge sind, bis dahin
aber im Neste bleiben, und daß dieses von der Mutter größer gebaut wird, wenn die Jungen allmählich
größer werden. Alle diese Angaben scheinen jedoch nicht auf selbständiger Beobachtung zu beruhen;
dagegen theilt uns Salvin seine eigenen Erfahrungen mit. "Dem Weibchen", sagt er, "dürfte
ausschließlich die Sorge obliegen, die Jungen groß zu ziehen; ich habe wenigstens niemals ein
Männchen nahe dem Neste, ja nicht einmal in dem Garten gesehen. Als das Weibchen saß,
gestattete es mir, dicht zu ihm heranzutreten, ja selbst den vom Wind hin- und herbewegten Zweig
festzuhalten. Doch war Dies nur dann der Fall, wenn die Sonne schien, während ich mich bei
düsterem Himmel oder bei Regenwetter höchstens auf fünf Ellen nähern durfte. Wenn ich es auf-
gescheucht hatte, blieb ich oft in der Nähe sitzen, um seine Rückkehr abzuwarten. Dabei bemerkte
ich, daß es jedesmal beim Zurückkommen ein kleines Stückchen Flechte mitbrachte, welches es, nach-
dem es sich bequem in das Nest gesetzt hatte, der Außenseite derselben einwob. Dies geschah in
einer so vertrauensvollen und furchtlosen Weise, daß es schien, als ob es glauben machen wollte, es
sei blos weggeflogen, um diese Flechte zu suchen, nicht aber aus Furcht vor dem Menschen. Die
eben ausgekrochenen Jungen waren kleine, schwarze, formlose Dinger mit langen Hälsen und nur
einem Ansatz von Schnabel. Sie wuchsen aber rasch heran und füllten bald das Nest vollständig
aus. Niemals sah ich die Alte in der Brutstellung auf dem Neste sitzen, nachdem die Jungen aus-
gekrochen waren; diese schienen der Sonne und dem Regen rücksichtslos preisgegeben zu sein. Beim
Aezen stand das Weibchen auf einer Ecke des Nestes mit hoch aufgerichtetem Leibe. Das erste
von den Jungen flog am 15. Oktober aus, fiel aber schon zwischen den nächsten Blumen nieder.
Jch brachte es ins Nest zurück; doch verließ es dasselbe sofort wiederum und diesmal mit besserem
Erfolge. Am Abend desselben Tags sah ich, daß die Alte ihm Futter brachte, später bemerkte ich,
daß es einem zweiten Baum zuflog, und nunmehr sah ich es nicht mehr. Das zweite Junge verließ
das Nest zwei Tage später."

Eine sonderbare Beobachtung hat der Prinz von Wied gemacht. Jn einem Neste, welches
er fand, lagen zwei völlig nackte Junge, an welchen große, dicke Maden dergestalt umherkrochen,
daß sie die Vögel öfters beinahe verbargen. "Wie diese Maden hier entstanden waren, wage ich
nicht zu entscheiden; man sagt aber, daß sie an diesen jungen Vögeln häufig vorkommen." Bur-
meister
meint, daß die Maden schwerlich den jungen Vögeln, sondern vielmehr dem Kothe derselben
nachstellen dürften und ihre Anwesenheit zur Reinhaltung des Nestes von Nöthen wäre, erklärt jedoch
damit die Sache durchaus nicht, da wir nicht annehmen können, daß einzelne Schwirrvögel ihre
Nester reinhalten, die andern aber ihre Jungen, nach Art unseres Wiedehopfs oder der Blaurake, im
Schmuze sitzen lassen sollten. So häufig, wie die Brasilianer behaupten, mögen diese Maden
übrigens nicht beobachtet werden, da keiner der späteren Reisenden und Forscher etwas Aehnliches
erwähnt.

Lebensweiſe der Schwirrvögel.
Am 8. April beſuchte ich den Ort wieder und fand, daß das Neſt vollendet war und zwei Eier
enthielt. Am 1. Mai ſandte ich meinen Diener aus mit dem Auftrage, das Neſt und die brütende
Alte mir zu bringen. Er fand das Weibchen auf den noch nicht ausgeſchlüpften Eiern ſitzend, fing
es ohne Mühe und brachte mir es nebſt dem Neſte. Jch ſetzte Neſt und Alte in einen Käfig. Die
Alte aber war mürriſch, verließ das Neſt augenblicklich und ſaß traurig auf einer Sitzſtange. Am
nächſten Morgen war ſie todt.“

Audubon ſagt, daß zehn Tage nothwendig ſeien, um die Eier zu zeitigen, und daß die
Jungen in einer Woche groß wüchſen, aber von ihren Eltern noch ungefähr eine zweite Woche
gefüttert würden. Dieſe Angabe ſcheint nicht ganz richtig zu ſein. Wir wiſſen von andern Schrift-
ſtellern, daß die Jungen, wenn ſie ausſchlüpfen, nackt und blind zur Welt kommen und ſo ſchwach
ſind, daß ſie „kaum ihren kleinen Schnabel öffnen können, um das Futter von ihren Eltern anzu-
nehmen“. Jm Verlauf der nächſten Tage erhalten ſie zunächſt einen graulichen Flaum, und ſpäter
das Gefieder der Oberſeite. Burmeiſter gibt an, daß die Jungen nach ſechszehntägiger Bebrütung
dem Ei entſchlüpfen, nach vierzehn Tagen die Augen öffnen, nach vier Wochen flügge ſind, bis dahin
aber im Neſte bleiben, und daß dieſes von der Mutter größer gebaut wird, wenn die Jungen allmählich
größer werden. Alle dieſe Angaben ſcheinen jedoch nicht auf ſelbſtändiger Beobachtung zu beruhen;
dagegen theilt uns Salvin ſeine eigenen Erfahrungen mit. „Dem Weibchen“, ſagt er, „dürfte
ausſchließlich die Sorge obliegen, die Jungen groß zu ziehen; ich habe wenigſtens niemals ein
Männchen nahe dem Neſte, ja nicht einmal in dem Garten geſehen. Als das Weibchen ſaß,
geſtattete es mir, dicht zu ihm heranzutreten, ja ſelbſt den vom Wind hin- und herbewegten Zweig
feſtzuhalten. Doch war Dies nur dann der Fall, wenn die Sonne ſchien, während ich mich bei
düſterem Himmel oder bei Regenwetter höchſtens auf fünf Ellen nähern durfte. Wenn ich es auf-
geſcheucht hatte, blieb ich oft in der Nähe ſitzen, um ſeine Rückkehr abzuwarten. Dabei bemerkte
ich, daß es jedesmal beim Zurückkommen ein kleines Stückchen Flechte mitbrachte, welches es, nach-
dem es ſich bequem in das Neſt geſetzt hatte, der Außenſeite derſelben einwob. Dies geſchah in
einer ſo vertrauensvollen und furchtloſen Weiſe, daß es ſchien, als ob es glauben machen wollte, es
ſei blos weggeflogen, um dieſe Flechte zu ſuchen, nicht aber aus Furcht vor dem Menſchen. Die
eben ausgekrochenen Jungen waren kleine, ſchwarze, formloſe Dinger mit langen Hälſen und nur
einem Anſatz von Schnabel. Sie wuchſen aber raſch heran und füllten bald das Neſt vollſtändig
aus. Niemals ſah ich die Alte in der Brutſtellung auf dem Neſte ſitzen, nachdem die Jungen aus-
gekrochen waren; dieſe ſchienen der Sonne und dem Regen rückſichtslos preisgegeben zu ſein. Beim
Aezen ſtand das Weibchen auf einer Ecke des Neſtes mit hoch aufgerichtetem Leibe. Das erſte
von den Jungen flog am 15. Oktober aus, fiel aber ſchon zwiſchen den nächſten Blumen nieder.
Jch brachte es ins Neſt zurück; doch verließ es daſſelbe ſofort wiederum und diesmal mit beſſerem
Erfolge. Am Abend deſſelben Tags ſah ich, daß die Alte ihm Futter brachte, ſpäter bemerkte ich,
daß es einem zweiten Baum zuflog, und nunmehr ſah ich es nicht mehr. Das zweite Junge verließ
das Neſt zwei Tage ſpäter.“

Eine ſonderbare Beobachtung hat der Prinz von Wied gemacht. Jn einem Neſte, welches
er fand, lagen zwei völlig nackte Junge, an welchen große, dicke Maden dergeſtalt umherkrochen,
daß ſie die Vögel öfters beinahe verbargen. „Wie dieſe Maden hier entſtanden waren, wage ich
nicht zu entſcheiden; man ſagt aber, daß ſie an dieſen jungen Vögeln häufig vorkommen.“ Bur-
meiſter
meint, daß die Maden ſchwerlich den jungen Vögeln, ſondern vielmehr dem Kothe derſelben
nachſtellen dürften und ihre Anweſenheit zur Reinhaltung des Neſtes von Nöthen wäre, erklärt jedoch
damit die Sache durchaus nicht, da wir nicht annehmen können, daß einzelne Schwirrvögel ihre
Neſter reinhalten, die andern aber ihre Jungen, nach Art unſeres Wiedehopfs oder der Blaurake, im
Schmuze ſitzen laſſen ſollten. So häufig, wie die Braſilianer behaupten, mögen dieſe Maden
übrigens nicht beobachtet werden, da keiner der ſpäteren Reiſenden und Forſcher etwas Aehnliches
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[127/0141] Lebensweiſe der Schwirrvögel. Am 8. April beſuchte ich den Ort wieder und fand, daß das Neſt vollendet war und zwei Eier enthielt. Am 1. Mai ſandte ich meinen Diener aus mit dem Auftrage, das Neſt und die brütende Alte mir zu bringen. Er fand das Weibchen auf den noch nicht ausgeſchlüpften Eiern ſitzend, fing es ohne Mühe und brachte mir es nebſt dem Neſte. Jch ſetzte Neſt und Alte in einen Käfig. Die Alte aber war mürriſch, verließ das Neſt augenblicklich und ſaß traurig auf einer Sitzſtange. Am nächſten Morgen war ſie todt.“ Audubon ſagt, daß zehn Tage nothwendig ſeien, um die Eier zu zeitigen, und daß die Jungen in einer Woche groß wüchſen, aber von ihren Eltern noch ungefähr eine zweite Woche gefüttert würden. Dieſe Angabe ſcheint nicht ganz richtig zu ſein. Wir wiſſen von andern Schrift- ſtellern, daß die Jungen, wenn ſie ausſchlüpfen, nackt und blind zur Welt kommen und ſo ſchwach ſind, daß ſie „kaum ihren kleinen Schnabel öffnen können, um das Futter von ihren Eltern anzu- nehmen“. Jm Verlauf der nächſten Tage erhalten ſie zunächſt einen graulichen Flaum, und ſpäter das Gefieder der Oberſeite. Burmeiſter gibt an, daß die Jungen nach ſechszehntägiger Bebrütung dem Ei entſchlüpfen, nach vierzehn Tagen die Augen öffnen, nach vier Wochen flügge ſind, bis dahin aber im Neſte bleiben, und daß dieſes von der Mutter größer gebaut wird, wenn die Jungen allmählich größer werden. Alle dieſe Angaben ſcheinen jedoch nicht auf ſelbſtändiger Beobachtung zu beruhen; dagegen theilt uns Salvin ſeine eigenen Erfahrungen mit. „Dem Weibchen“, ſagt er, „dürfte ausſchließlich die Sorge obliegen, die Jungen groß zu ziehen; ich habe wenigſtens niemals ein Männchen nahe dem Neſte, ja nicht einmal in dem Garten geſehen. Als das Weibchen ſaß, geſtattete es mir, dicht zu ihm heranzutreten, ja ſelbſt den vom Wind hin- und herbewegten Zweig feſtzuhalten. Doch war Dies nur dann der Fall, wenn die Sonne ſchien, während ich mich bei düſterem Himmel oder bei Regenwetter höchſtens auf fünf Ellen nähern durfte. Wenn ich es auf- geſcheucht hatte, blieb ich oft in der Nähe ſitzen, um ſeine Rückkehr abzuwarten. Dabei bemerkte ich, daß es jedesmal beim Zurückkommen ein kleines Stückchen Flechte mitbrachte, welches es, nach- dem es ſich bequem in das Neſt geſetzt hatte, der Außenſeite derſelben einwob. Dies geſchah in einer ſo vertrauensvollen und furchtloſen Weiſe, daß es ſchien, als ob es glauben machen wollte, es ſei blos weggeflogen, um dieſe Flechte zu ſuchen, nicht aber aus Furcht vor dem Menſchen. Die eben ausgekrochenen Jungen waren kleine, ſchwarze, formloſe Dinger mit langen Hälſen und nur einem Anſatz von Schnabel. Sie wuchſen aber raſch heran und füllten bald das Neſt vollſtändig aus. Niemals ſah ich die Alte in der Brutſtellung auf dem Neſte ſitzen, nachdem die Jungen aus- gekrochen waren; dieſe ſchienen der Sonne und dem Regen rückſichtslos preisgegeben zu ſein. Beim Aezen ſtand das Weibchen auf einer Ecke des Neſtes mit hoch aufgerichtetem Leibe. Das erſte von den Jungen flog am 15. Oktober aus, fiel aber ſchon zwiſchen den nächſten Blumen nieder. Jch brachte es ins Neſt zurück; doch verließ es daſſelbe ſofort wiederum und diesmal mit beſſerem Erfolge. Am Abend deſſelben Tags ſah ich, daß die Alte ihm Futter brachte, ſpäter bemerkte ich, daß es einem zweiten Baum zuflog, und nunmehr ſah ich es nicht mehr. Das zweite Junge verließ das Neſt zwei Tage ſpäter.“ Eine ſonderbare Beobachtung hat der Prinz von Wied gemacht. Jn einem Neſte, welches er fand, lagen zwei völlig nackte Junge, an welchen große, dicke Maden dergeſtalt umherkrochen, daß ſie die Vögel öfters beinahe verbargen. „Wie dieſe Maden hier entſtanden waren, wage ich nicht zu entſcheiden; man ſagt aber, daß ſie an dieſen jungen Vögeln häufig vorkommen.“ Bur- meiſter meint, daß die Maden ſchwerlich den jungen Vögeln, ſondern vielmehr dem Kothe derſelben nachſtellen dürften und ihre Anweſenheit zur Reinhaltung des Neſtes von Nöthen wäre, erklärt jedoch damit die Sache durchaus nicht, da wir nicht annehmen können, daß einzelne Schwirrvögel ihre Neſter reinhalten, die andern aber ihre Jungen, nach Art unſeres Wiedehopfs oder der Blaurake, im Schmuze ſitzen laſſen ſollten. So häufig, wie die Braſilianer behaupten, mögen dieſe Maden übrigens nicht beobachtet werden, da keiner der ſpäteren Reiſenden und Forſcher etwas Aehnliches erwähnt.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/141>, abgerufen am 23.11.2024.