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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Lebensweise der Schwirrvögel.
nicht bemerkte. Dasselbe beobachtete Reeves bei Rio-Janeiro; dasselbe Bates während
seiner elfjährigen Forschungen am Amazonenstrome; dasselbe erfuhren alle übrigen Forscher,
welche diesen merkwürdigen Geschöpfen längere Zeit, d. h. Monate oder Jahre nach einander,
ihre Aufmerksamkeit widmen konnten. Wahrscheinlich streichen alle Arten mehr oder weniger weit
im Lande umher. Die, welche die Höhe bewohnen, werden zeitweilig gezwungen sein, sich in tiefere
Gegenden zu begeben, und die, welche da leben, wo ewiger Frühling herrscht oder doch ein fort-
währendes Erneuen der Pflanzenwelt stattfindet, wo es das ganze Jahr hindurch Blüthen und
Blumen gibt, diese Glücklichen werden sich wenigstens der Blüthen halber von einem Ort zum andern
begeben müssen. Es ist bekannt, daß die Kolibris gewisse Bäume massenhaft besuchen, so lange sie
in Blüthe stehen, sich sonst aber um dieselben wenig bekümmern; man hat auch beobachtet, daß sie sich,
wenn ein Baum gerade zu blühen begonnen, oft ungewöhnlich zahlreich einstellen, ganz ebenso, wie es
die honigsuchenden Kerbthiere thun. Sie fliegen dann plötzlich von allen Seiten herbei, ohne daß
man weiß, woher sie kommen, und sie besuchen den Baum tagtäglich, so lange er blüht. Diese Orts-
veränderungen sind aber mit den eigentlichen Wanderungen nicht zu vergleichen. Einen regelmäßigen
Zug haben diejenigen Arten, welche in dem nördlichen oder südlichen gemäßigten Gürtel heimisch
sind. Sie erscheinen fast mit derselben Regelmäßigkeit, wie bei uns die Schwalben, verweilen im
Lande, brüten und treten mit Einbruch der kalten Jahreszeit wiederum eine Reise nach wärmeren
Gegenden an. Der nordamerikanische Kolibri (Trochilus colubris) trifft, nach Audubon, in Louisiana
selten vor dem 10. März ein, in den mittleren Staaten selten vor dem 15. April, gewöhnlich erst zu
Anfang des Mai, und verweilt bis Ende September, in Florida bis zum November. Die Art,
welche im Westen Nordamerikas vorkommt (Selasphorus rufus), stellt sich, nach Nuttal's Beobach-
tungen, Anfangs April ein und kehrt um dieselbe Zeit wie jener, nach dem Süden und zwar nach Mejiko
zurück, wo sie den Winter verbringt. King's Kolibri (Eustephanus galeritus, derselbe, welcher auf
dem Feuerlande gefunden wurde und sich über einen Raum von 2500 engl. Meilen längs der West-
küste Amerikas verbreitet), kommt auch nur im Frühlinge, erklärlicher Weise zu Anfang des Frühlings
des südlichen Gürtels in Chile an; zwei andere Arten, welche hier wohnen, sind ebenfalls Zug-
vögel: sie zeigen sich im Oktober und wenden sich, um die Mitte des März, wieder den Gleicher-
ländern zu. Jedoch soll es vorkommen, daß einzelne jahraus, jahrein im Süden verweilen, und
dasselbe ist von nordischen Arten behauptet worden. Audubon meint, daß die Wanderung des Nachts
geschehe, kann aber selbstverständlich Bestimmtes hierüber nicht angeben. Jch sage selbstverständlich;
denn die Beobachtung der Schwirrvögel hat ihre Schwierigkeiten. Andere Zugvögel kann man mit
dem Gesicht und dem Gehör verfolgen: bei den Kolibris versagen die Sinne uns ihre Dienste. Auch das
schärfste Auge verliert den fliegenden Schwirrvogel: es ist nicht mehr fähig, ihn wahrzunehmen, und
ebensowenig kann das Ohr Aufschluß geben über die Richtung und Entfernung, in welcher er sich
bewegt. Der Kolibri überrascht stets; denn er macht immer den Eindruck eines zauberhaften Er-
scheinens. Er ist plötzlich da, ohne daß man eigentlich recht weiß, woher er gekommen und verschwindet
ebenso plötzlich wieder. Wenn man in Nordamerika erst Einen gesehen hat, bemerkt man sie bald überall.
Ein Beobachter, welcher über ihr Erscheinen einen anziehenden Bericht gegeben hat, sagt, daß er eines
Morgens mit der Nachricht geweckt worden wäre: "Die Kolibris sind da", sie zuerst an einem gerade
in Blüthe stehenden Tulpenbaum beobachtet, bald darauf überall bemerkt und in großer Anzahl
zusammen gesehen habe. Er fand aber, daß die Anzahl rasch abnahm. "Nach mehreren Tagen",
bemerkt er, "erschien kaum noch einer dann und wann. Auch hörten wir bald nachher in der
Stadt nur noch hier und da von einem einzelnen versprengten Vögelchen. Daraus schien mir
hervorzugehen, daß die Wanderung der Kolibris und ihr Einbruch in die Städte und Gärten zuerst
in Menge und in einem großen Heere geschieht. Sie kommen wie die Fluth mit einer stark aufge-
schwollenen Welle. Diese Fluth zieht von Süden her durchs Land, läßt überall einige Ansiedler
zurück und fluthet, sich allmählich verlierend, nach Norden weiter. Es mag indeß auch sein, daß jene
von uns beobachtete Magnolie auch nur deswegen anfänglich so zahlreich besucht war, weil sie wegen

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Lebensweiſe der Schwirrvögel.
nicht bemerkte. Daſſelbe beobachtete Reeves bei Rio-Janeiro; daſſelbe Bates während
ſeiner elfjährigen Forſchungen am Amazonenſtrome; daſſelbe erfuhren alle übrigen Forſcher,
welche dieſen merkwürdigen Geſchöpfen längere Zeit, d. h. Monate oder Jahre nach einander,
ihre Aufmerkſamkeit widmen konnten. Wahrſcheinlich ſtreichen alle Arten mehr oder weniger weit
im Lande umher. Die, welche die Höhe bewohnen, werden zeitweilig gezwungen ſein, ſich in tiefere
Gegenden zu begeben, und die, welche da leben, wo ewiger Frühling herrſcht oder doch ein fort-
währendes Erneuen der Pflanzenwelt ſtattfindet, wo es das ganze Jahr hindurch Blüthen und
Blumen gibt, dieſe Glücklichen werden ſich wenigſtens der Blüthen halber von einem Ort zum andern
begeben müſſen. Es iſt bekannt, daß die Kolibris gewiſſe Bäume maſſenhaft beſuchen, ſo lange ſie
in Blüthe ſtehen, ſich ſonſt aber um dieſelben wenig bekümmern; man hat auch beobachtet, daß ſie ſich,
wenn ein Baum gerade zu blühen begonnen, oft ungewöhnlich zahlreich einſtellen, ganz ebenſo, wie es
die honigſuchenden Kerbthiere thun. Sie fliegen dann plötzlich von allen Seiten herbei, ohne daß
man weiß, woher ſie kommen, und ſie beſuchen den Baum tagtäglich, ſo lange er blüht. Dieſe Orts-
veränderungen ſind aber mit den eigentlichen Wanderungen nicht zu vergleichen. Einen regelmäßigen
Zug haben diejenigen Arten, welche in dem nördlichen oder ſüdlichen gemäßigten Gürtel heimiſch
ſind. Sie erſcheinen faſt mit derſelben Regelmäßigkeit, wie bei uns die Schwalben, verweilen im
Lande, brüten und treten mit Einbruch der kalten Jahreszeit wiederum eine Reiſe nach wärmeren
Gegenden an. Der nordamerikaniſche Kolibri (Trochilus colubris) trifft, nach Audubon, in Louiſiana
ſelten vor dem 10. März ein, in den mittleren Staaten ſelten vor dem 15. April, gewöhnlich erſt zu
Anfang des Mai, und verweilt bis Ende September, in Florida bis zum November. Die Art,
welche im Weſten Nordamerikas vorkommt (Selasphorus rufus), ſtellt ſich, nach Nuttal’s Beobach-
tungen, Anfangs April ein und kehrt um dieſelbe Zeit wie jener, nach dem Süden und zwar nach Mejiko
zurück, wo ſie den Winter verbringt. King’s Kolibri (Eustephanus galeritus, derſelbe, welcher auf
dem Feuerlande gefunden wurde und ſich über einen Raum von 2500 engl. Meilen längs der Weſt-
küſte Amerikas verbreitet), kommt auch nur im Frühlinge, erklärlicher Weiſe zu Anfang des Frühlings
des ſüdlichen Gürtels in Chile an; zwei andere Arten, welche hier wohnen, ſind ebenfalls Zug-
vögel: ſie zeigen ſich im Oktober und wenden ſich, um die Mitte des März, wieder den Gleicher-
ländern zu. Jedoch ſoll es vorkommen, daß einzelne jahraus, jahrein im Süden verweilen, und
daſſelbe iſt von nordiſchen Arten behauptet worden. Audubon meint, daß die Wanderung des Nachts
geſchehe, kann aber ſelbſtverſtändlich Beſtimmtes hierüber nicht angeben. Jch ſage ſelbſtverſtändlich;
denn die Beobachtung der Schwirrvögel hat ihre Schwierigkeiten. Andere Zugvögel kann man mit
dem Geſicht und dem Gehör verfolgen: bei den Kolibris verſagen die Sinne uns ihre Dienſte. Auch das
ſchärfſte Auge verliert den fliegenden Schwirrvogel: es iſt nicht mehr fähig, ihn wahrzunehmen, und
ebenſowenig kann das Ohr Aufſchluß geben über die Richtung und Entfernung, in welcher er ſich
bewegt. Der Kolibri überraſcht ſtets; denn er macht immer den Eindruck eines zauberhaften Er-
ſcheinens. Er iſt plötzlich da, ohne daß man eigentlich recht weiß, woher er gekommen und verſchwindet
ebenſo plötzlich wieder. Wenn man in Nordamerika erſt Einen geſehen hat, bemerkt man ſie bald überall.
Ein Beobachter, welcher über ihr Erſcheinen einen anziehenden Bericht gegeben hat, ſagt, daß er eines
Morgens mit der Nachricht geweckt worden wäre: „Die Kolibris ſind da“, ſie zuerſt an einem gerade
in Blüthe ſtehenden Tulpenbaum beobachtet, bald darauf überall bemerkt und in großer Anzahl
zuſammen geſehen habe. Er fand aber, daß die Anzahl raſch abnahm. „Nach mehreren Tagen“,
bemerkt er, „erſchien kaum noch einer dann und wann. Auch hörten wir bald nachher in der
Stadt nur noch hier und da von einem einzelnen verſprengten Vögelchen. Daraus ſchien mir
hervorzugehen, daß die Wanderung der Kolibris und ihr Einbruch in die Städte und Gärten zuerſt
in Menge und in einem großen Heere geſchieht. Sie kommen wie die Fluth mit einer ſtark aufge-
ſchwollenen Welle. Dieſe Fluth zieht von Süden her durchs Land, läßt überall einige Anſiedler
zurück und fluthet, ſich allmählich verlierend, nach Norden weiter. Es mag indeß auch ſein, daß jene
von uns beobachtete Magnolie auch nur deswegen anfänglich ſo zahlreich beſucht war, weil ſie wegen

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[115/0129] Lebensweiſe der Schwirrvögel. nicht bemerkte. Daſſelbe beobachtete Reeves bei Rio-Janeiro; daſſelbe Bates während ſeiner elfjährigen Forſchungen am Amazonenſtrome; daſſelbe erfuhren alle übrigen Forſcher, welche dieſen merkwürdigen Geſchöpfen längere Zeit, d. h. Monate oder Jahre nach einander, ihre Aufmerkſamkeit widmen konnten. Wahrſcheinlich ſtreichen alle Arten mehr oder weniger weit im Lande umher. Die, welche die Höhe bewohnen, werden zeitweilig gezwungen ſein, ſich in tiefere Gegenden zu begeben, und die, welche da leben, wo ewiger Frühling herrſcht oder doch ein fort- währendes Erneuen der Pflanzenwelt ſtattfindet, wo es das ganze Jahr hindurch Blüthen und Blumen gibt, dieſe Glücklichen werden ſich wenigſtens der Blüthen halber von einem Ort zum andern begeben müſſen. Es iſt bekannt, daß die Kolibris gewiſſe Bäume maſſenhaft beſuchen, ſo lange ſie in Blüthe ſtehen, ſich ſonſt aber um dieſelben wenig bekümmern; man hat auch beobachtet, daß ſie ſich, wenn ein Baum gerade zu blühen begonnen, oft ungewöhnlich zahlreich einſtellen, ganz ebenſo, wie es die honigſuchenden Kerbthiere thun. Sie fliegen dann plötzlich von allen Seiten herbei, ohne daß man weiß, woher ſie kommen, und ſie beſuchen den Baum tagtäglich, ſo lange er blüht. Dieſe Orts- veränderungen ſind aber mit den eigentlichen Wanderungen nicht zu vergleichen. Einen regelmäßigen Zug haben diejenigen Arten, welche in dem nördlichen oder ſüdlichen gemäßigten Gürtel heimiſch ſind. Sie erſcheinen faſt mit derſelben Regelmäßigkeit, wie bei uns die Schwalben, verweilen im Lande, brüten und treten mit Einbruch der kalten Jahreszeit wiederum eine Reiſe nach wärmeren Gegenden an. Der nordamerikaniſche Kolibri (Trochilus colubris) trifft, nach Audubon, in Louiſiana ſelten vor dem 10. März ein, in den mittleren Staaten ſelten vor dem 15. April, gewöhnlich erſt zu Anfang des Mai, und verweilt bis Ende September, in Florida bis zum November. Die Art, welche im Weſten Nordamerikas vorkommt (Selasphorus rufus), ſtellt ſich, nach Nuttal’s Beobach- tungen, Anfangs April ein und kehrt um dieſelbe Zeit wie jener, nach dem Süden und zwar nach Mejiko zurück, wo ſie den Winter verbringt. King’s Kolibri (Eustephanus galeritus, derſelbe, welcher auf dem Feuerlande gefunden wurde und ſich über einen Raum von 2500 engl. Meilen längs der Weſt- küſte Amerikas verbreitet), kommt auch nur im Frühlinge, erklärlicher Weiſe zu Anfang des Frühlings des ſüdlichen Gürtels in Chile an; zwei andere Arten, welche hier wohnen, ſind ebenfalls Zug- vögel: ſie zeigen ſich im Oktober und wenden ſich, um die Mitte des März, wieder den Gleicher- ländern zu. Jedoch ſoll es vorkommen, daß einzelne jahraus, jahrein im Süden verweilen, und daſſelbe iſt von nordiſchen Arten behauptet worden. Audubon meint, daß die Wanderung des Nachts geſchehe, kann aber ſelbſtverſtändlich Beſtimmtes hierüber nicht angeben. Jch ſage ſelbſtverſtändlich; denn die Beobachtung der Schwirrvögel hat ihre Schwierigkeiten. Andere Zugvögel kann man mit dem Geſicht und dem Gehör verfolgen: bei den Kolibris verſagen die Sinne uns ihre Dienſte. Auch das ſchärfſte Auge verliert den fliegenden Schwirrvogel: es iſt nicht mehr fähig, ihn wahrzunehmen, und ebenſowenig kann das Ohr Aufſchluß geben über die Richtung und Entfernung, in welcher er ſich bewegt. Der Kolibri überraſcht ſtets; denn er macht immer den Eindruck eines zauberhaften Er- ſcheinens. Er iſt plötzlich da, ohne daß man eigentlich recht weiß, woher er gekommen und verſchwindet ebenſo plötzlich wieder. Wenn man in Nordamerika erſt Einen geſehen hat, bemerkt man ſie bald überall. Ein Beobachter, welcher über ihr Erſcheinen einen anziehenden Bericht gegeben hat, ſagt, daß er eines Morgens mit der Nachricht geweckt worden wäre: „Die Kolibris ſind da“, ſie zuerſt an einem gerade in Blüthe ſtehenden Tulpenbaum beobachtet, bald darauf überall bemerkt und in großer Anzahl zuſammen geſehen habe. Er fand aber, daß die Anzahl raſch abnahm. „Nach mehreren Tagen“, bemerkt er, „erſchien kaum noch einer dann und wann. Auch hörten wir bald nachher in der Stadt nur noch hier und da von einem einzelnen verſprengten Vögelchen. Daraus ſchien mir hervorzugehen, daß die Wanderung der Kolibris und ihr Einbruch in die Städte und Gärten zuerſt in Menge und in einem großen Heere geſchieht. Sie kommen wie die Fluth mit einer ſtark aufge- ſchwollenen Welle. Dieſe Fluth zieht von Süden her durchs Land, läßt überall einige Anſiedler zurück und fluthet, ſich allmählich verlierend, nach Norden weiter. Es mag indeß auch ſein, daß jene von uns beobachtete Magnolie auch nur deswegen anfänglich ſo zahlreich beſucht war, weil ſie wegen 8*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/129>, abgerufen am 23.11.2024.