und unfähig sind, andere auszubeuten. Einzelne Arten mögen allerdings nicht besonders wählerisch sein: -- vom nordamerikanischen Kolibri behauptet Wilson, daß die Hälfte der Flora seiner Heimat ihm zollen müsse; andere aber beschränken sich nicht blos auf gewisse Bäume, sondern sogar auf eine gewisse Wipfelhöhe derselben. Die einen bevorzugen die Blüthen der oberen Zweige, die anderen tiefer stehende, wieder andere Blätter: vom Zwergkolibri sagt Gosse, daß er fast nur die Blüthen der niederen Pflanzen hart über dem Boden ausbeutet; die Sonnenvögel sieht man, laut Bates, nur selten auf Blumen oder Blüthen, welche in den von ihnen bewohnten schattigen Wäldern eine Seltenheit sind: sie lesen vielmehr ihre Kerbthiernahrung von den Blättern ab, indem sie sich mit unvergleichlicher Gewandtheit in dem Gelaube bewegen und jedes einzelne Blatt von oben und unten besichtigen. Kurz, die Abhängigkeit unserer Vögel von bestimmten Pflanzen ist nicht in Abrede zu stellen. So nimmt es uns auch nicht Wunder, wenn wir bemerken, daß viele Jnseln ihre besonderen Kolibris beherbergen, daß z. B. auf Juan Fernandez zwei Arten vorkommen, welche auf den benachbarten Eilanden nicht gefunden werden, daß der Zwergkolibri von Jamaika sich nicht bis nach Cuba verfliegt. An Fähigkeit, größere Reisen zu machen, fehlt es den Schwirrvögeln aber durchaus nicht; Dies beweisen viele Arten zur Genüge. Auch findet das Gegentheil von dem eben Gesagten insofern statt, als einzelne Arten sich über den halben Erdtheil verbreiten.
Mit dieser Abhängigkeit der Schwirrvögel steht im Einklang, daß die Gleicherländer Amerikas besonders reich an Arten sind. Doch würde man irren, wenn man glauben wollte, daß die Waldungen der Tiefe, in denen das Pflanzenleben die höchste Entwicklung erreicht hat, die eigentlichen Paradiese für die Schwirrvögel wären. Die wunderbar-prächtigen Blumen jener Waldungen werden selbstver- ständlich nicht verschmäht, sondern im Gegentheil, wenigstens zeitweilig, von unseren Vögeln umschwärmt und durchsucht: aber nicht die Menge der Blüthen ist es, welche den Artenreichthum der Kolibris bedingt, sondern die Manchfaltigkeit derselben. Nach dem Stande unserer derzeitigen Forschungen dürfen wir annehmen, daß die Gebirgsgegenden Süd- und Mittelamerikas es sind, welche die größte Artenzahl von Kolibris beherbergen, in denen sich der Gestaltenreichthum dieser Ordnung am augenfälligsten offenbart. Ein bevorzugtes Land scheint Mejiko zu sein: es ist die Heimat von mehr als einem Fünftheil aller Schwirrvögel, welche bis jetzt bekannt geworden sind, und es läßt sich annehmen, daß zu denen, welche man hier fand, noch sehr viele bisher unbekannte kommen werden, wenn das weite und noch wenig untersuchte Reich besser durchforscht werden wird. Mejiko vereinigt freilich auch alle Bedingungen für eine solche Manchfaltigkeit: es ist das wechselreichste Land Mittelamerikas; es besitzt alle Gürtel der Höhe und damit gleichzeitig die verschiedenen Jahreszeiten oder wenigstens die Wärme- grade derselben. Deshalb sieht sich der Beobachter, welcher dieses wunderbare Stück Erde betritt, auch überall umschwebt von den schimmernden Gestalten. Er findet sie in der heißen Tiefe, wie in der eisigen Höhe, da, wo das Wasser seine belebende Kraft äußerte und die ganze Fülle der Gleicherländer erzeugte, dort, wo die sonnenverbrannte Ebene nur den Kaktus ernährt, und vonhieraus bis zu den steinigten Halden der Feuerberge empor. "Sie tragen", wie Gould sich ausdrückt, "ihren unnach- ahmlichen Schmuck selbst in die Spalten der vulkanischen Ruinen; sie beleben die Gegenden, in welche sich kein menschlicher Fuß verirrt; sie flüstern dem stumpfen Ohr der kalten Einöde ihre zarten Töne zu."
Noch ist nicht mit Sicherheit festgestellt, in wie weit auch diejenigen Kolibris, welche nicht wandern, als Standvögel anzusehen sind. Es läßt sich aber annehmen, daß keine einzige Art jahraus jahrein in derselben Oertlichkeit verweilt, vielmehr, der Jahres- oder wenigstens der Blüthenzeit entsprechend, bald hierhin, bald dorthin sich wendet, möglicherweise mit Ausschluß der Nistzeit beständig herum streicht. Alle Beobachter, welche längere Zeit an ein und demselben Orte lebten, stimmen darin überein, daß sich gewisse Arten nur zu bestimmten Jahreszeiten zeigen. So versichert Bullock, daß viele der in Mejiko lebenden Kolibris sich blos im Vorsommer sehen lassen. Einzelne erschienen im Mai und Juni massenhaft in dem botanischen Garten der Stadt Mejiko, und es war dann leicht, viele von ihnen zu erhalten, während man dieselben Arten zu andern Zeiten des Jahres
Die Späher. Schwirrvögel.
und unfähig ſind, andere auszubeuten. Einzelne Arten mögen allerdings nicht beſonders wähleriſch ſein: — vom nordamerikaniſchen Kolibri behauptet Wilſon, daß die Hälfte der Flora ſeiner Heimat ihm zollen müſſe; andere aber beſchränken ſich nicht blos auf gewiſſe Bäume, ſondern ſogar auf eine gewiſſe Wipfelhöhe derſelben. Die einen bevorzugen die Blüthen der oberen Zweige, die anderen tiefer ſtehende, wieder andere Blätter: vom Zwergkolibri ſagt Goſſe, daß er faſt nur die Blüthen der niederen Pflanzen hart über dem Boden ausbeutet; die Sonnenvögel ſieht man, laut Bates, nur ſelten auf Blumen oder Blüthen, welche in den von ihnen bewohnten ſchattigen Wäldern eine Seltenheit ſind: ſie leſen vielmehr ihre Kerbthiernahrung von den Blättern ab, indem ſie ſich mit unvergleichlicher Gewandtheit in dem Gelaube bewegen und jedes einzelne Blatt von oben und unten beſichtigen. Kurz, die Abhängigkeit unſerer Vögel von beſtimmten Pflanzen iſt nicht in Abrede zu ſtellen. So nimmt es uns auch nicht Wunder, wenn wir bemerken, daß viele Jnſeln ihre beſonderen Kolibris beherbergen, daß z. B. auf Juan Fernandez zwei Arten vorkommen, welche auf den benachbarten Eilanden nicht gefunden werden, daß der Zwergkolibri von Jamaika ſich nicht bis nach Cuba verfliegt. An Fähigkeit, größere Reiſen zu machen, fehlt es den Schwirrvögeln aber durchaus nicht; Dies beweiſen viele Arten zur Genüge. Auch findet das Gegentheil von dem eben Geſagten inſofern ſtatt, als einzelne Arten ſich über den halben Erdtheil verbreiten.
Mit dieſer Abhängigkeit der Schwirrvögel ſteht im Einklang, daß die Gleicherländer Amerikas beſonders reich an Arten ſind. Doch würde man irren, wenn man glauben wollte, daß die Waldungen der Tiefe, in denen das Pflanzenleben die höchſte Entwicklung erreicht hat, die eigentlichen Paradieſe für die Schwirrvögel wären. Die wunderbar-prächtigen Blumen jener Waldungen werden ſelbſtver- ſtändlich nicht verſchmäht, ſondern im Gegentheil, wenigſtens zeitweilig, von unſeren Vögeln umſchwärmt und durchſucht: aber nicht die Menge der Blüthen iſt es, welche den Artenreichthum der Kolibris bedingt, ſondern die Manchfaltigkeit derſelben. Nach dem Stande unſerer derzeitigen Forſchungen dürfen wir annehmen, daß die Gebirgsgegenden Süd- und Mittelamerikas es ſind, welche die größte Artenzahl von Kolibris beherbergen, in denen ſich der Geſtaltenreichthum dieſer Ordnung am augenfälligſten offenbart. Ein bevorzugtes Land ſcheint Mejiko zu ſein: es iſt die Heimat von mehr als einem Fünftheil aller Schwirrvögel, welche bis jetzt bekannt geworden ſind, und es läßt ſich annehmen, daß zu denen, welche man hier fand, noch ſehr viele bisher unbekannte kommen werden, wenn das weite und noch wenig unterſuchte Reich beſſer durchforſcht werden wird. Mejiko vereinigt freilich auch alle Bedingungen für eine ſolche Manchfaltigkeit: es iſt das wechſelreichſte Land Mittelamerikas; es beſitzt alle Gürtel der Höhe und damit gleichzeitig die verſchiedenen Jahreszeiten oder wenigſtens die Wärme- grade derſelben. Deshalb ſieht ſich der Beobachter, welcher dieſes wunderbare Stück Erde betritt, auch überall umſchwebt von den ſchimmernden Geſtalten. Er findet ſie in der heißen Tiefe, wie in der eiſigen Höhe, da, wo das Waſſer ſeine belebende Kraft äußerte und die ganze Fülle der Gleicherländer erzeugte, dort, wo die ſonnenverbrannte Ebene nur den Kaktus ernährt, und vonhieraus bis zu den ſteinigten Halden der Feuerberge empor. „Sie tragen“, wie Gould ſich ausdrückt, „ihren unnach- ahmlichen Schmuck ſelbſt in die Spalten der vulkaniſchen Ruinen; ſie beleben die Gegenden, in welche ſich kein menſchlicher Fuß verirrt; ſie flüſtern dem ſtumpfen Ohr der kalten Einöde ihre zarten Töne zu.“
Noch iſt nicht mit Sicherheit feſtgeſtellt, in wie weit auch diejenigen Kolibris, welche nicht wandern, als Standvögel anzuſehen ſind. Es läßt ſich aber annehmen, daß keine einzige Art jahraus jahrein in derſelben Oertlichkeit verweilt, vielmehr, der Jahres- oder wenigſtens der Blüthenzeit entſprechend, bald hierhin, bald dorthin ſich wendet, möglicherweiſe mit Ausſchluß der Niſtzeit beſtändig herum ſtreicht. Alle Beobachter, welche längere Zeit an ein und demſelben Orte lebten, ſtimmen darin überein, daß ſich gewiſſe Arten nur zu beſtimmten Jahreszeiten zeigen. So verſichert Bullock, daß viele der in Mejiko lebenden Kolibris ſich blos im Vorſommer ſehen laſſen. Einzelne erſchienen im Mai und Juni maſſenhaft in dem botaniſchen Garten der Stadt Mejiko, und es war dann leicht, viele von ihnen zu erhalten, während man dieſelben Arten zu andern Zeiten des Jahres
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[114/0128]
Die Späher. Schwirrvögel.
und unfähig ſind, andere auszubeuten. Einzelne Arten mögen allerdings nicht beſonders wähleriſch
ſein: — vom nordamerikaniſchen Kolibri behauptet Wilſon, daß die Hälfte der Flora ſeiner Heimat
ihm zollen müſſe; andere aber beſchränken ſich nicht blos auf gewiſſe Bäume, ſondern ſogar auf eine
gewiſſe Wipfelhöhe derſelben. Die einen bevorzugen die Blüthen der oberen Zweige, die anderen
tiefer ſtehende, wieder andere Blätter: vom Zwergkolibri ſagt Goſſe, daß er faſt nur die Blüthen
der niederen Pflanzen hart über dem Boden ausbeutet; die Sonnenvögel ſieht man, laut Bates,
nur ſelten auf Blumen oder Blüthen, welche in den von ihnen bewohnten ſchattigen Wäldern eine
Seltenheit ſind: ſie leſen vielmehr ihre Kerbthiernahrung von den Blättern ab, indem ſie ſich mit
unvergleichlicher Gewandtheit in dem Gelaube bewegen und jedes einzelne Blatt von oben und unten
beſichtigen. Kurz, die Abhängigkeit unſerer Vögel von beſtimmten Pflanzen iſt nicht in Abrede zu
ſtellen. So nimmt es uns auch nicht Wunder, wenn wir bemerken, daß viele Jnſeln ihre beſonderen
Kolibris beherbergen, daß z. B. auf Juan Fernandez zwei Arten vorkommen, welche auf den
benachbarten Eilanden nicht gefunden werden, daß der Zwergkolibri von Jamaika ſich nicht bis nach
Cuba verfliegt. An Fähigkeit, größere Reiſen zu machen, fehlt es den Schwirrvögeln aber durchaus
nicht; Dies beweiſen viele Arten zur Genüge. Auch findet das Gegentheil von dem eben Geſagten
inſofern ſtatt, als einzelne Arten ſich über den halben Erdtheil verbreiten.
Mit dieſer Abhängigkeit der Schwirrvögel ſteht im Einklang, daß die Gleicherländer Amerikas
beſonders reich an Arten ſind. Doch würde man irren, wenn man glauben wollte, daß die Waldungen
der Tiefe, in denen das Pflanzenleben die höchſte Entwicklung erreicht hat, die eigentlichen Paradieſe
für die Schwirrvögel wären. Die wunderbar-prächtigen Blumen jener Waldungen werden ſelbſtver-
ſtändlich nicht verſchmäht, ſondern im Gegentheil, wenigſtens zeitweilig, von unſeren Vögeln umſchwärmt
und durchſucht: aber nicht die Menge der Blüthen iſt es, welche den Artenreichthum der Kolibris bedingt,
ſondern die Manchfaltigkeit derſelben. Nach dem Stande unſerer derzeitigen Forſchungen dürfen wir
annehmen, daß die Gebirgsgegenden Süd- und Mittelamerikas es ſind, welche die größte Artenzahl
von Kolibris beherbergen, in denen ſich der Geſtaltenreichthum dieſer Ordnung am augenfälligſten
offenbart. Ein bevorzugtes Land ſcheint Mejiko zu ſein: es iſt die Heimat von mehr als einem
Fünftheil aller Schwirrvögel, welche bis jetzt bekannt geworden ſind, und es läßt ſich annehmen, daß
zu denen, welche man hier fand, noch ſehr viele bisher unbekannte kommen werden, wenn das weite
und noch wenig unterſuchte Reich beſſer durchforſcht werden wird. Mejiko vereinigt freilich auch alle
Bedingungen für eine ſolche Manchfaltigkeit: es iſt das wechſelreichſte Land Mittelamerikas; es beſitzt
alle Gürtel der Höhe und damit gleichzeitig die verſchiedenen Jahreszeiten oder wenigſtens die Wärme-
grade derſelben. Deshalb ſieht ſich der Beobachter, welcher dieſes wunderbare Stück Erde betritt, auch
überall umſchwebt von den ſchimmernden Geſtalten. Er findet ſie in der heißen Tiefe, wie in der
eiſigen Höhe, da, wo das Waſſer ſeine belebende Kraft äußerte und die ganze Fülle der Gleicherländer
erzeugte, dort, wo die ſonnenverbrannte Ebene nur den Kaktus ernährt, und vonhieraus bis zu den
ſteinigten Halden der Feuerberge empor. „Sie tragen“, wie Gould ſich ausdrückt, „ihren unnach-
ahmlichen Schmuck ſelbſt in die Spalten der vulkaniſchen Ruinen; ſie beleben die Gegenden, in welche
ſich kein menſchlicher Fuß verirrt; ſie flüſtern dem ſtumpfen Ohr der kalten Einöde ihre zarten
Töne zu.“
Noch iſt nicht mit Sicherheit feſtgeſtellt, in wie weit auch diejenigen Kolibris, welche nicht
wandern, als Standvögel anzuſehen ſind. Es läßt ſich aber annehmen, daß keine einzige Art
jahraus jahrein in derſelben Oertlichkeit verweilt, vielmehr, der Jahres- oder wenigſtens der Blüthenzeit
entſprechend, bald hierhin, bald dorthin ſich wendet, möglicherweiſe mit Ausſchluß der Niſtzeit
beſtändig herum ſtreicht. Alle Beobachter, welche längere Zeit an ein und demſelben Orte lebten,
ſtimmen darin überein, daß ſich gewiſſe Arten nur zu beſtimmten Jahreszeiten zeigen. So verſichert
Bullock, daß viele der in Mejiko lebenden Kolibris ſich blos im Vorſommer ſehen laſſen. Einzelne
erſchienen im Mai und Juni maſſenhaft in dem botaniſchen Garten der Stadt Mejiko, und es war
dann leicht, viele von ihnen zu erhalten, während man dieſelben Arten zu andern Zeiten des Jahres
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/128>, abgerufen am 23.11.2024.
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