allen übrigen Höhlenbrütern in tiefstem Frieden. Die Nisthöhle wird von dem alten Wust einiger- maßen gereinigt und so auf dem Mulm eine ziemlich ebene Unterlage hergestellt. Darauf legt das Weibchen Mitte Mais seine sieben bis elf kleinen, abgestumpften, zartschaligen, reinweißen Eier. Es bebrütet dieselben etwa vierzehn Tage lang, größtentheils allein, denn es läßt sich nur in den Mittags- stunden von dem Männchen ablösen: aber es bebrütet sie mit dem größten Eifer. Nach meinen Beobachtungen gelingt es selten, ein auf den Eiern sitzendes Wendehalsweibchen aus dem Neste zu jagen. Klopfen am Baumstamme, welches alle übrigen Höhlenbrüter aufscheucht, stört es gar nicht, und selbst dann, wenn man oben zum Nistloche hereinschaut, bleibt es noch über den Eiern sitzen. Aber es zischt wie eine Schlange, wiederum in der Absicht, zu schrecken. Die Jungen sind, wenn sie dem Ei entschlüpften, beinahe nackt oder nur mit wenigen grauen Dunenfasern bekleidet. Sie wachsen jedoch ziemlich rasch heran, weil beide Eltern sich nach Kräften bemühen, ihnen Nahrung in Fülle herbeizuschaffen. Doch verlassen sie das Nest erst, wenn sie vollkommen flugbar geworden sind. So sorgsam die Alten für das Wohl der zahlreichen Kinderschar bedacht sind -- Eins verstehen auch sie nicht: die Reinigung der Nestkammer. Der Wiedehopf ist wegen dieser Nachlässigkeit bei Jeder- mann verschrieen, der Wendehals ist um kein Haar besser als er; denn auch sein Nest wird zuletzt "ein stinkender Pfuhl". Die ausgeflogenen Jungen werden von den Eltern noch längere Zeit geführt und sorgfältig im Gewerbe unterrichtet. Erst um die Mitte des Juli vereinzeln sich die Familien, welche bisher treulich zusammenhielten, und jeder einzelne lebt nun still bis zu dem Tage, welcher der Beginn seiner Winterreise ist.
Es hält nicht schwer, den Wendehals an ein passendes Stubenfutter zu gewöhnen. Einzelne sind jedoch sogenannte Trotzköpfe, welche nur Ameiseneier genießen wollen. Einer, welchen Naumann besaß, litt bei vorgelegten Schmetterlingen, Raupen, Käfern und Käferlarven, Libellen, Fliegen, Spinnen und selbst Ameisen den bittersten Hunger; sobald aber Ameisenpuppen gebracht wurden, machte er sich sogleich darüber her, langte begierig mit der Zunge wie mit einer Gabel zu und zog, was außerhalb des Käfigs, aber im Bereich seiner Zunge lag, ebenfalls behend hinein. Nach und nach bequemt sich der Wendehals aber auch, anderes Futter zu sich zu nehmen: so wenigstens thaten die Gefangenen, welche ich hielt und einer, von welchem Frauenfeld berichtet. Letztgenannter Forscher bestätigt die bekannte Erfahrung, daß der Wendehals ungemein zahm wird und seinen Herrn genau kennen lernt. Jm Anfang freilich schneidet ein solcher Gefangener bei jeder Gelegenheit seine Grimassen. "Den so ich ein zeitlang erhalten", sagt Geßner, "der flohe nicht bald, wenn ein Mensch herzukam; doch ward er zornig, er richtet seinen Halß auff, vnd stieß mit seinem Schnabel, er beiß aber nicht, vnd diesen zog er offt hinder sich vnnd streckt jhn widerumb herfür, also träwend erzeigt er seinen Zorn. Darzwischen waren seine Federn, fürauß auff dem Halß, starrend, vnnd der Schwantz zerthan vnnd auffgericht." Aus Frauenfeld's Beobachtungen geht deutlich hervor, daß der Wendehals seine Grimassen blos in der Absicht schneidet, um andere Thiere zu schrecken. Seine Gefangenen und zwei Buntspechte, welche er ebenfalls hielt, bekamen des Morgens die Erlaubniß, frei im Zimmer umherzufliegen. Wenn einer der Spechte dem Wendehals zu nahe kam, geberdete sich dieser in der bekannten Weise, um die Spechte zu erschrecken, und Dies gelang ihm auch immer; denn die Spechte flogen jedesmal davon, wenn der Wendehals die Schlange nachahmte. Anfangs geberdete er sich in ähnlicher Weise gegen seinen Gebieter; später hatte er sich mit diesem so vollständig vertraut gemacht, daß er ihm niemals mehr drohete. Uebrigens wiederholt der Wende- hals, wie Frauenfeld sagt, "seine Geberden ganz rhythmisch. Während er den Leib flach niederge- streckt vorwärts schiebt, streckt er den Hals so lang als möglich aus, spreizt den Schwanz, sträubt die Kopffedern hoch empor und schnellt dann, wenn er sich langsam dehnend, so weit er vermochte, aus- gestreckt hatte, plötzlich mit raschem Ruck den Kopf zurück. Dieses Dehnen und Zurückschnellen wiederholt er vier- bis fünfmal, bis sich sein Gegner entfernt. Noch auffallender ist sein Benehmen außerhalb des Käfigs, den er übrigens nicht gern verläßt. Er sucht dann häufig ein Versteck auf und weiß sich hier so vortrefflich zu verbergen, daß man ihn zuweilen längere Zeit vergeblich suchen muß.
Die Späher. Klettervögel. Wendehälſe.
allen übrigen Höhlenbrütern in tiefſtem Frieden. Die Niſthöhle wird von dem alten Wuſt einiger- maßen gereinigt und ſo auf dem Mulm eine ziemlich ebene Unterlage hergeſtellt. Darauf legt das Weibchen Mitte Mais ſeine ſieben bis elf kleinen, abgeſtumpften, zartſchaligen, reinweißen Eier. Es bebrütet dieſelben etwa vierzehn Tage lang, größtentheils allein, denn es läßt ſich nur in den Mittags- ſtunden von dem Männchen ablöſen: aber es bebrütet ſie mit dem größten Eifer. Nach meinen Beobachtungen gelingt es ſelten, ein auf den Eiern ſitzendes Wendehalsweibchen aus dem Neſte zu jagen. Klopfen am Baumſtamme, welches alle übrigen Höhlenbrüter aufſcheucht, ſtört es gar nicht, und ſelbſt dann, wenn man oben zum Niſtloche hereinſchaut, bleibt es noch über den Eiern ſitzen. Aber es ziſcht wie eine Schlange, wiederum in der Abſicht, zu ſchrecken. Die Jungen ſind, wenn ſie dem Ei entſchlüpften, beinahe nackt oder nur mit wenigen grauen Dunenfaſern bekleidet. Sie wachſen jedoch ziemlich raſch heran, weil beide Eltern ſich nach Kräften bemühen, ihnen Nahrung in Fülle herbeizuſchaffen. Doch verlaſſen ſie das Neſt erſt, wenn ſie vollkommen flugbar geworden ſind. So ſorgſam die Alten für das Wohl der zahlreichen Kinderſchar bedacht ſind — Eins verſtehen auch ſie nicht: die Reinigung der Neſtkammer. Der Wiedehopf iſt wegen dieſer Nachläſſigkeit bei Jeder- mann verſchrieen, der Wendehals iſt um kein Haar beſſer als er; denn auch ſein Neſt wird zuletzt „ein ſtinkender Pfuhl“. Die ausgeflogenen Jungen werden von den Eltern noch längere Zeit geführt und ſorgfältig im Gewerbe unterrichtet. Erſt um die Mitte des Juli vereinzeln ſich die Familien, welche bisher treulich zuſammenhielten, und jeder einzelne lebt nun ſtill bis zu dem Tage, welcher der Beginn ſeiner Winterreiſe iſt.
Es hält nicht ſchwer, den Wendehals an ein paſſendes Stubenfutter zu gewöhnen. Einzelne ſind jedoch ſogenannte Trotzköpfe, welche nur Ameiſeneier genießen wollen. Einer, welchen Naumann beſaß, litt bei vorgelegten Schmetterlingen, Raupen, Käfern und Käferlarven, Libellen, Fliegen, Spinnen und ſelbſt Ameiſen den bitterſten Hunger; ſobald aber Ameiſenpuppen gebracht wurden, machte er ſich ſogleich darüber her, langte begierig mit der Zunge wie mit einer Gabel zu und zog, was außerhalb des Käfigs, aber im Bereich ſeiner Zunge lag, ebenfalls behend hinein. Nach und nach bequemt ſich der Wendehals aber auch, anderes Futter zu ſich zu nehmen: ſo wenigſtens thaten die Gefangenen, welche ich hielt und einer, von welchem Frauenfeld berichtet. Letztgenannter Forſcher beſtätigt die bekannte Erfahrung, daß der Wendehals ungemein zahm wird und ſeinen Herrn genau kennen lernt. Jm Anfang freilich ſchneidet ein ſolcher Gefangener bei jeder Gelegenheit ſeine Grimaſſen. „Den ſo ich ein zeitlang erhalten“, ſagt Geßner, „der flohe nicht bald, wenn ein Menſch herzukam; doch ward er zornig, er richtet ſeinen Halß auff, vnd ſtieß mit ſeinem Schnabel, er beiß aber nicht, vnd dieſen zog er offt hinder ſich vnnd ſtreckt jhn widerumb herfür, alſo träwend erzeigt er ſeinen Zorn. Darzwiſchen waren ſeine Federn, fürauß auff dem Halß, ſtarrend, vnnd der Schwantz zerthan vnnd auffgericht.“ Aus Frauenfeld’s Beobachtungen geht deutlich hervor, daß der Wendehals ſeine Grimaſſen blos in der Abſicht ſchneidet, um andere Thiere zu ſchrecken. Seine Gefangenen und zwei Buntſpechte, welche er ebenfalls hielt, bekamen des Morgens die Erlaubniß, frei im Zimmer umherzufliegen. Wenn einer der Spechte dem Wendehals zu nahe kam, geberdete ſich dieſer in der bekannten Weiſe, um die Spechte zu erſchrecken, und Dies gelang ihm auch immer; denn die Spechte flogen jedesmal davon, wenn der Wendehals die Schlange nachahmte. Anfangs geberdete er ſich in ähnlicher Weiſe gegen ſeinen Gebieter; ſpäter hatte er ſich mit dieſem ſo vollſtändig vertraut gemacht, daß er ihm niemals mehr drohete. Uebrigens wiederholt der Wende- hals, wie Frauenfeld ſagt, „ſeine Geberden ganz rhythmiſch. Während er den Leib flach niederge- ſtreckt vorwärts ſchiebt, ſtreckt er den Hals ſo lang als möglich aus, ſpreizt den Schwanz, ſträubt die Kopffedern hoch empor und ſchnellt dann, wenn er ſich langſam dehnend, ſo weit er vermochte, aus- geſtreckt hatte, plötzlich mit raſchem Ruck den Kopf zurück. Dieſes Dehnen und Zurückſchnellen wiederholt er vier- bis fünfmal, bis ſich ſein Gegner entfernt. Noch auffallender iſt ſein Benehmen außerhalb des Käfigs, den er übrigens nicht gern verläßt. Er ſucht dann häufig ein Verſteck auf und weiß ſich hier ſo vortrefflich zu verbergen, daß man ihn zuweilen längere Zeit vergeblich ſuchen muß.
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Die Späher. Klettervögel. Wendehälſe.
allen übrigen Höhlenbrütern in tiefſtem Frieden. Die Niſthöhle wird von dem alten Wuſt einiger-
maßen gereinigt und ſo auf dem Mulm eine ziemlich ebene Unterlage hergeſtellt. Darauf legt das
Weibchen Mitte Mais ſeine ſieben bis elf kleinen, abgeſtumpften, zartſchaligen, reinweißen Eier. Es
bebrütet dieſelben etwa vierzehn Tage lang, größtentheils allein, denn es läßt ſich nur in den Mittags-
ſtunden von dem Männchen ablöſen: aber es bebrütet ſie mit dem größten Eifer. Nach meinen
Beobachtungen gelingt es ſelten, ein auf den Eiern ſitzendes Wendehalsweibchen aus dem Neſte
zu jagen. Klopfen am Baumſtamme, welches alle übrigen Höhlenbrüter aufſcheucht, ſtört es gar
nicht, und ſelbſt dann, wenn man oben zum Niſtloche hereinſchaut, bleibt es noch über den Eiern ſitzen.
Aber es ziſcht wie eine Schlange, wiederum in der Abſicht, zu ſchrecken. Die Jungen ſind, wenn
ſie dem Ei entſchlüpften, beinahe nackt oder nur mit wenigen grauen Dunenfaſern bekleidet. Sie
wachſen jedoch ziemlich raſch heran, weil beide Eltern ſich nach Kräften bemühen, ihnen Nahrung in
Fülle herbeizuſchaffen. Doch verlaſſen ſie das Neſt erſt, wenn ſie vollkommen flugbar geworden ſind.
So ſorgſam die Alten für das Wohl der zahlreichen Kinderſchar bedacht ſind — Eins verſtehen auch
ſie nicht: die Reinigung der Neſtkammer. Der Wiedehopf iſt wegen dieſer Nachläſſigkeit bei Jeder-
mann verſchrieen, der Wendehals iſt um kein Haar beſſer als er; denn auch ſein Neſt wird zuletzt „ein
ſtinkender Pfuhl“. Die ausgeflogenen Jungen werden von den Eltern noch längere Zeit geführt und
ſorgfältig im Gewerbe unterrichtet. Erſt um die Mitte des Juli vereinzeln ſich die Familien, welche
bisher treulich zuſammenhielten, und jeder einzelne lebt nun ſtill bis zu dem Tage, welcher der Beginn
ſeiner Winterreiſe iſt.
Es hält nicht ſchwer, den Wendehals an ein paſſendes Stubenfutter zu gewöhnen. Einzelne
ſind jedoch ſogenannte Trotzköpfe, welche nur Ameiſeneier genießen wollen. Einer, welchen
Naumann beſaß, litt bei vorgelegten Schmetterlingen, Raupen, Käfern und Käferlarven, Libellen,
Fliegen, Spinnen und ſelbſt Ameiſen den bitterſten Hunger; ſobald aber Ameiſenpuppen gebracht
wurden, machte er ſich ſogleich darüber her, langte begierig mit der Zunge wie mit einer Gabel zu und
zog, was außerhalb des Käfigs, aber im Bereich ſeiner Zunge lag, ebenfalls behend hinein. Nach
und nach bequemt ſich der Wendehals aber auch, anderes Futter zu ſich zu nehmen: ſo wenigſtens
thaten die Gefangenen, welche ich hielt und einer, von welchem Frauenfeld berichtet. Letztgenannter
Forſcher beſtätigt die bekannte Erfahrung, daß der Wendehals ungemein zahm wird und ſeinen Herrn
genau kennen lernt. Jm Anfang freilich ſchneidet ein ſolcher Gefangener bei jeder Gelegenheit ſeine
Grimaſſen. „Den ſo ich ein zeitlang erhalten“, ſagt Geßner, „der flohe nicht bald, wenn ein
Menſch herzukam; doch ward er zornig, er richtet ſeinen Halß auff, vnd ſtieß mit ſeinem Schnabel, er
beiß aber nicht, vnd dieſen zog er offt hinder ſich vnnd ſtreckt jhn widerumb herfür, alſo träwend erzeigt
er ſeinen Zorn. Darzwiſchen waren ſeine Federn, fürauß auff dem Halß, ſtarrend, vnnd der
Schwantz zerthan vnnd auffgericht.“ Aus Frauenfeld’s Beobachtungen geht deutlich hervor,
daß der Wendehals ſeine Grimaſſen blos in der Abſicht ſchneidet, um andere Thiere zu ſchrecken.
Seine Gefangenen und zwei Buntſpechte, welche er ebenfalls hielt, bekamen des Morgens die
Erlaubniß, frei im Zimmer umherzufliegen. Wenn einer der Spechte dem Wendehals zu nahe kam,
geberdete ſich dieſer in der bekannten Weiſe, um die Spechte zu erſchrecken, und Dies gelang ihm auch
immer; denn die Spechte flogen jedesmal davon, wenn der Wendehals die Schlange nachahmte.
Anfangs geberdete er ſich in ähnlicher Weiſe gegen ſeinen Gebieter; ſpäter hatte er ſich mit dieſem ſo
vollſtändig vertraut gemacht, daß er ihm niemals mehr drohete. Uebrigens wiederholt der Wende-
hals, wie Frauenfeld ſagt, „ſeine Geberden ganz rhythmiſch. Während er den Leib flach niederge-
ſtreckt vorwärts ſchiebt, ſtreckt er den Hals ſo lang als möglich aus, ſpreizt den Schwanz, ſträubt die
Kopffedern hoch empor und ſchnellt dann, wenn er ſich langſam dehnend, ſo weit er vermochte, aus-
geſtreckt hatte, plötzlich mit raſchem Ruck den Kopf zurück. Dieſes Dehnen und Zurückſchnellen
wiederholt er vier- bis fünfmal, bis ſich ſein Gegner entfernt. Noch auffallender iſt ſein Benehmen
außerhalb des Käfigs, den er übrigens nicht gern verläßt. Er ſucht dann häufig ein Verſteck auf und
weiß ſich hier ſo vortrefflich zu verbergen, daß man ihn zuweilen längere Zeit vergeblich ſuchen muß.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/106>, abgerufen am 23.11.2024.
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