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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Stimme. Sinne.
Strophen, welche sich durch größere oder geringere Fülle, Rundung und Stärke der Töne leicht von
ähnlichen unterscheiden lassen; das Lied bewegt sich bei einzelnen in wenigen Tönen, während andere
Oktaven beherrschen. Die einzelnen Töne liegen eine Terz oder eine Quinte aus einander. Werden
die Gesangstheile oder Strophen scharf und bestimmt vorgetragen und deutlich abgesetzt, so nennen
wir das Lied Schlag, während wir von Gesang reden, wenn die Töne zwar fortwährend wechseln, sich
jedoch nicht zu einer Strophe gestalten. Die Nachtigall oder der Edelfink schlagen, die Lerche oder
der Stieglitz singen. Jeder Singvogel weiß übrigens Abwechselung in sein Lied zu bringen, und
gerade deshalb wirkt es so mächtig auf uns. Auch die Gegend trägt zur Aenderung das Jhrige mit
bei; denn dieselben Arten singen im Gebirge anders als in der Ebene, wenn sich auch das Wie nur
von einem Kenner herausfühlen lassen will. Ein guter Schläger oder Sänger in einer gewissen
Gegend kann tüchtige Schüler bilden, ein schlechter aber auch gute verderben: die jüngeren Vögel
lernen von den älteren ihrer Art, nehmen aber leider lieber das Mangelhafte als das Vollendetere
an. Einzelne begnügen sich nicht mit dem ihnen ursprünglich eigenen Liede, sondern mischen ihm
einzelne Töne oder Strophen anderer Vögel oder sogar ihnen auffallende Klänge und Geräusche ein.
Sie nennen wir Spottvögel, obwohl wir ihnen mit dieser Bezeichnung ein großes Unrecht thun.
Singvögel im eigentlichen Sinne des Wortes, also solche, welche nicht blos die Singmuskeln am
unteren Kehlkopfe haben, sondern auch wirklich singen, gibt es in allen Ländern der Erde, jedoch
vorzugsweise in denen der gemäßigten Gürtel.

Schon vorhin wurde angedeutet, daß keine Sinnesfähigkeit der Vögel verkümmert ist. Dieser
Schluß läßt sich aus der einfachen Betrachtung des Sinneswerkzeuges ziehen, erhält aber doch erst
durch Beobachtung seine Bestätigung. Alle Vögel sehen und hören sehr scharf, einzelne besitzen einen
feinen Geruch, andere unleugbar einen, wenn auch beschränkten Geschmack und alle wiederum ein feines
Gefühl, wenigstens soweit es sich um das Empfindungsvermögen handelt. Die leichte, äußere und
innere Beweglichkeit des Auges gestattet dem Vogel, ein sehr großes Gesichtsfeld zu beherrschen und
innerhalb desselben einen Gegenstand mit für uns überraschender Schärfe wahrzunehmen. Raub-
vögel unterscheiden kleine Säugethiere, Kerfjäger fliegende oder sitzende Kerbthiere auf erstaunliche
Entfernung. Jhr Auge bewegt sich aber auch fortwährend, weil der Brennpunkt für jede Entfernung
besonders eingestellt werden muß. Hiervon kann man sich durch einen einfachen Versuch überzeugen.
Nähert man die Hand dem Auge eines Raubvogels, beispielsweise dem eines Königsgeiers, dessen
lichtfarbige Regenbogenhaut die Beobachtung erleichtert, und merkt man auf die Größe des Sternes,
so wird man sehen müssen, daß diese sich beständig in demselben Maße verengert und erweitert, als
man die Hand entfernt oder nähert. Nur hierdurch wird es erklärlich, daß diese Vögel, wenn sie
Tausende von Fuß über dem Erdboden schweben, kleinere Gegenstände wahrnehmen und auch in der
Nähe sehr scharf sehen können. Von dem vortrefflichen Gehör der Vögel gibt schon ihr Gesang uns
Kunde, da dieser, wie bemerkt, keineswegs eine "Begabung von oben" ist, sondern erst eingelernt
werden muß. Wir können uns jedoch von seiner Schärfe auch durch unmittelbare Beobachtungen
überzeugen. Scheue Vögel werden oft nur durch das Gehör auf eine Gefahr aufmerksam gemacht,
gewöhnte Hausvögel achten auf den leisesten Anruf. Daß die großöhrigen Eulen bei ihrer Jagd das
Gehör ebensowohl benutzen werden, als das Gesicht, läßt sich mit Bestimmtheit annehmen, wenn
schon bis jetzt noch nicht beweisen; doch stehen auch sie den feinhörigen Säugethieren wahrscheinlich
noch nach; es liegen wenigstens keine Beobachtungen vor, welche uns glauben machen können, daß
irgend ein Vogel ebenso fein hört wie eine Fledermaus, eine Katze oder ein Wiederkäuer. Ueber
den Geruchssinn herrschen noch heutigentages sehr verschiedene Meinungen, weil man sich in entschiedenen
Fabeleien gefallen hat. Daß der Rabe das Pulver im Gewehre rieche, ist heutigentages noch bei
vielen Jägern eine ausgemachte Sache, daß der Geier auf Meilen hin Aasgeruch wahrnehme, wird
selbst noch von manchem Forscher geglaubt: daß ersteres nicht der Fall, braucht nicht erwähnt zu
werden, daß letzteres unrichtig, kann ich, auf vielfache Beobachtungen gestützt, mit Entschiedenheit
behaupten. Ein gewisses Maß von Geruch ist gewiß nicht zu leugnen: Dies beweisen uns alle

Stimme. Sinne.
Strophen, welche ſich durch größere oder geringere Fülle, Rundung und Stärke der Töne leicht von
ähnlichen unterſcheiden laſſen; das Lied bewegt ſich bei einzelnen in wenigen Tönen, während andere
Oktaven beherrſchen. Die einzelnen Töne liegen eine Terz oder eine Quinte aus einander. Werden
die Geſangstheile oder Strophen ſcharf und beſtimmt vorgetragen und deutlich abgeſetzt, ſo nennen
wir das Lied Schlag, während wir von Geſang reden, wenn die Töne zwar fortwährend wechſeln, ſich
jedoch nicht zu einer Strophe geſtalten. Die Nachtigall oder der Edelfink ſchlagen, die Lerche oder
der Stieglitz ſingen. Jeder Singvogel weiß übrigens Abwechſelung in ſein Lied zu bringen, und
gerade deshalb wirkt es ſo mächtig auf uns. Auch die Gegend trägt zur Aenderung das Jhrige mit
bei; denn dieſelben Arten ſingen im Gebirge anders als in der Ebene, wenn ſich auch das Wie nur
von einem Kenner herausfühlen laſſen will. Ein guter Schläger oder Sänger in einer gewiſſen
Gegend kann tüchtige Schüler bilden, ein ſchlechter aber auch gute verderben: die jüngeren Vögel
lernen von den älteren ihrer Art, nehmen aber leider lieber das Mangelhafte als das Vollendetere
an. Einzelne begnügen ſich nicht mit dem ihnen urſprünglich eigenen Liede, ſondern miſchen ihm
einzelne Töne oder Strophen anderer Vögel oder ſogar ihnen auffallende Klänge und Geräuſche ein.
Sie nennen wir Spottvögel, obwohl wir ihnen mit dieſer Bezeichnung ein großes Unrecht thun.
Singvögel im eigentlichen Sinne des Wortes, alſo ſolche, welche nicht blos die Singmuskeln am
unteren Kehlkopfe haben, ſondern auch wirklich ſingen, gibt es in allen Ländern der Erde, jedoch
vorzugsweiſe in denen der gemäßigten Gürtel.

Schon vorhin wurde angedeutet, daß keine Sinnesfähigkeit der Vögel verkümmert iſt. Dieſer
Schluß läßt ſich aus der einfachen Betrachtung des Sinneswerkzeuges ziehen, erhält aber doch erſt
durch Beobachtung ſeine Beſtätigung. Alle Vögel ſehen und hören ſehr ſcharf, einzelne beſitzen einen
feinen Geruch, andere unleugbar einen, wenn auch beſchränkten Geſchmack und alle wiederum ein feines
Gefühl, wenigſtens ſoweit es ſich um das Empfindungsvermögen handelt. Die leichte, äußere und
innere Beweglichkeit des Auges geſtattet dem Vogel, ein ſehr großes Geſichtsfeld zu beherrſchen und
innerhalb deſſelben einen Gegenſtand mit für uns überraſchender Schärfe wahrzunehmen. Raub-
vögel unterſcheiden kleine Säugethiere, Kerfjäger fliegende oder ſitzende Kerbthiere auf erſtaunliche
Entfernung. Jhr Auge bewegt ſich aber auch fortwährend, weil der Brennpunkt für jede Entfernung
beſonders eingeſtellt werden muß. Hiervon kann man ſich durch einen einfachen Verſuch überzeugen.
Nähert man die Hand dem Auge eines Raubvogels, beiſpielsweiſe dem eines Königsgeiers, deſſen
lichtfarbige Regenbogenhaut die Beobachtung erleichtert, und merkt man auf die Größe des Sternes,
ſo wird man ſehen müſſen, daß dieſe ſich beſtändig in demſelben Maße verengert und erweitert, als
man die Hand entfernt oder nähert. Nur hierdurch wird es erklärlich, daß dieſe Vögel, wenn ſie
Tauſende von Fuß über dem Erdboden ſchweben, kleinere Gegenſtände wahrnehmen und auch in der
Nähe ſehr ſcharf ſehen können. Von dem vortrefflichen Gehör der Vögel gibt ſchon ihr Geſang uns
Kunde, da dieſer, wie bemerkt, keineswegs eine „Begabung von oben“ iſt, ſondern erſt eingelernt
werden muß. Wir können uns jedoch von ſeiner Schärfe auch durch unmittelbare Beobachtungen
überzeugen. Scheue Vögel werden oft nur durch das Gehör auf eine Gefahr aufmerkſam gemacht,
gewöhnte Hausvögel achten auf den leiſeſten Anruf. Daß die großöhrigen Eulen bei ihrer Jagd das
Gehör ebenſowohl benutzen werden, als das Geſicht, läßt ſich mit Beſtimmtheit annehmen, wenn
ſchon bis jetzt noch nicht beweiſen; doch ſtehen auch ſie den feinhörigen Säugethieren wahrſcheinlich
noch nach; es liegen wenigſtens keine Beobachtungen vor, welche uns glauben machen können, daß
irgend ein Vogel ebenſo fein hört wie eine Fledermaus, eine Katze oder ein Wiederkäuer. Ueber
den Geruchsſinn herrſchen noch heutigentages ſehr verſchiedene Meinungen, weil man ſich in entſchiedenen
Fabeleien gefallen hat. Daß der Rabe das Pulver im Gewehre rieche, iſt heutigentages noch bei
vielen Jägern eine ausgemachte Sache, daß der Geier auf Meilen hin Aasgeruch wahrnehme, wird
ſelbſt noch von manchem Forſcher geglaubt: daß erſteres nicht der Fall, braucht nicht erwähnt zu
werden, daß letzteres unrichtig, kann ich, auf vielfache Beobachtungen geſtützt, mit Entſchiedenheit
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[981/1035] Stimme. Sinne. Strophen, welche ſich durch größere oder geringere Fülle, Rundung und Stärke der Töne leicht von ähnlichen unterſcheiden laſſen; das Lied bewegt ſich bei einzelnen in wenigen Tönen, während andere Oktaven beherrſchen. Die einzelnen Töne liegen eine Terz oder eine Quinte aus einander. Werden die Geſangstheile oder Strophen ſcharf und beſtimmt vorgetragen und deutlich abgeſetzt, ſo nennen wir das Lied Schlag, während wir von Geſang reden, wenn die Töne zwar fortwährend wechſeln, ſich jedoch nicht zu einer Strophe geſtalten. Die Nachtigall oder der Edelfink ſchlagen, die Lerche oder der Stieglitz ſingen. Jeder Singvogel weiß übrigens Abwechſelung in ſein Lied zu bringen, und gerade deshalb wirkt es ſo mächtig auf uns. Auch die Gegend trägt zur Aenderung das Jhrige mit bei; denn dieſelben Arten ſingen im Gebirge anders als in der Ebene, wenn ſich auch das Wie nur von einem Kenner herausfühlen laſſen will. Ein guter Schläger oder Sänger in einer gewiſſen Gegend kann tüchtige Schüler bilden, ein ſchlechter aber auch gute verderben: die jüngeren Vögel lernen von den älteren ihrer Art, nehmen aber leider lieber das Mangelhafte als das Vollendetere an. Einzelne begnügen ſich nicht mit dem ihnen urſprünglich eigenen Liede, ſondern miſchen ihm einzelne Töne oder Strophen anderer Vögel oder ſogar ihnen auffallende Klänge und Geräuſche ein. Sie nennen wir Spottvögel, obwohl wir ihnen mit dieſer Bezeichnung ein großes Unrecht thun. Singvögel im eigentlichen Sinne des Wortes, alſo ſolche, welche nicht blos die Singmuskeln am unteren Kehlkopfe haben, ſondern auch wirklich ſingen, gibt es in allen Ländern der Erde, jedoch vorzugsweiſe in denen der gemäßigten Gürtel. Schon vorhin wurde angedeutet, daß keine Sinnesfähigkeit der Vögel verkümmert iſt. Dieſer Schluß läßt ſich aus der einfachen Betrachtung des Sinneswerkzeuges ziehen, erhält aber doch erſt durch Beobachtung ſeine Beſtätigung. Alle Vögel ſehen und hören ſehr ſcharf, einzelne beſitzen einen feinen Geruch, andere unleugbar einen, wenn auch beſchränkten Geſchmack und alle wiederum ein feines Gefühl, wenigſtens ſoweit es ſich um das Empfindungsvermögen handelt. Die leichte, äußere und innere Beweglichkeit des Auges geſtattet dem Vogel, ein ſehr großes Geſichtsfeld zu beherrſchen und innerhalb deſſelben einen Gegenſtand mit für uns überraſchender Schärfe wahrzunehmen. Raub- vögel unterſcheiden kleine Säugethiere, Kerfjäger fliegende oder ſitzende Kerbthiere auf erſtaunliche Entfernung. Jhr Auge bewegt ſich aber auch fortwährend, weil der Brennpunkt für jede Entfernung beſonders eingeſtellt werden muß. Hiervon kann man ſich durch einen einfachen Verſuch überzeugen. Nähert man die Hand dem Auge eines Raubvogels, beiſpielsweiſe dem eines Königsgeiers, deſſen lichtfarbige Regenbogenhaut die Beobachtung erleichtert, und merkt man auf die Größe des Sternes, ſo wird man ſehen müſſen, daß dieſe ſich beſtändig in demſelben Maße verengert und erweitert, als man die Hand entfernt oder nähert. Nur hierdurch wird es erklärlich, daß dieſe Vögel, wenn ſie Tauſende von Fuß über dem Erdboden ſchweben, kleinere Gegenſtände wahrnehmen und auch in der Nähe ſehr ſcharf ſehen können. Von dem vortrefflichen Gehör der Vögel gibt ſchon ihr Geſang uns Kunde, da dieſer, wie bemerkt, keineswegs eine „Begabung von oben“ iſt, ſondern erſt eingelernt werden muß. Wir können uns jedoch von ſeiner Schärfe auch durch unmittelbare Beobachtungen überzeugen. Scheue Vögel werden oft nur durch das Gehör auf eine Gefahr aufmerkſam gemacht, gewöhnte Hausvögel achten auf den leiſeſten Anruf. Daß die großöhrigen Eulen bei ihrer Jagd das Gehör ebenſowohl benutzen werden, als das Geſicht, läßt ſich mit Beſtimmtheit annehmen, wenn ſchon bis jetzt noch nicht beweiſen; doch ſtehen auch ſie den feinhörigen Säugethieren wahrſcheinlich noch nach; es liegen wenigſtens keine Beobachtungen vor, welche uns glauben machen können, daß irgend ein Vogel ebenſo fein hört wie eine Fledermaus, eine Katze oder ein Wiederkäuer. Ueber den Geruchsſinn herrſchen noch heutigentages ſehr verſchiedene Meinungen, weil man ſich in entſchiedenen Fabeleien gefallen hat. Daß der Rabe das Pulver im Gewehre rieche, iſt heutigentages noch bei vielen Jägern eine ausgemachte Sache, daß der Geier auf Meilen hin Aasgeruch wahrnehme, wird ſelbſt noch von manchem Forſcher geglaubt: daß erſteres nicht der Fall, braucht nicht erwähnt zu werden, daß letzteres unrichtig, kann ich, auf vielfache Beobachtungen geſtützt, mit Entſchiedenheit behaupten. Ein gewiſſes Maß von Geruch iſt gewiß nicht zu leugnen: Dies beweiſen uns alle

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 981. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/1035>, abgerufen am 22.11.2024.