"Was den Gang der Arbeit betrifft, so windet der Vogel fast immer Wolle, seltener Ziegen- und Wolfs- oder Hundehaare oder Bast und Hanffäden um einen dünnen, herabhängenden Zweig, der sich meist einige Zoll unter dem oberen Anknüpfungspunkte in eine oder mehrere Gabeln spaltet. Zwischen dieser Gabelung werden die Seitenwände angelegt, die daran ihren Halt finden. Der Vogel setzt sodann die Filzwirkerei so lange fort, bis die über die Gabelspitzen herabhängenden Seiten- wände unten zusammengezogen werden können und einen flachen Boden bilden. Das Nest hat jetzt die Gestalt eines flachrandigen Körbchens, und solche Nester sind es, welche man früher als Vergnü- gungsnester der Männchen angesehen hat. Zunächst wird nun der äußere Boden des Nestes durch Verfilzung mehr gefestigt. Der hierzu gebrauchte Stoff ist Pappel- oder Weidenwolle mit ein- gewirkten Bastfäden, Wolle und Haaren; die Samenwolle wird durch den Speichel geballt und in einander gezupft. Das Nest hat jetzt die Gestalt eines Körbchens mit dickerem abgerundeten Boden. Nun beginnt der Bau der einen Seitenöffnung, die bis auf ein kleines rundes Loch geschlossen wird. Währenddem wird auch die andere Seite von unten heraufgeführt. Die eine der runden Oeffnungen wird nunmehr mit einer Röhre, welche ein bis drei Zoll lang ist, versehen, während die andere noch geöffnet bleibt und nur am Rande geglättet und verfilzt wird. Sodann wird die eine Oeffnung geschlossen; doch sah ich auch ein Nest mit doppelter Röhre. Zuletzt wird der innere Boden des Nestes noch mit lockerer ungeballter Blüthenwolle zolldick ausgelegt, und nun endlich ist der Bau vollendet." Das Nest stellt jetzt einen runden Ball oder Beutel dar von sechs bis acht Zoll Höhe und vier bis fünf Zoll Breite, an welchem, dem Halse einer Flasche ähnlich, der bald herabgebogene und an das Nest angeheftete, bald wagerecht abstehende, runde Eingang befestigt ist. Ein solches Nest kann unmöglich mit dem eines andern Vogels verwechselt werden, und deshalb wissen wir auch ganz genau, daß die Beutelmeise wiederholt bei uns in Deutschland genistet hat. Es sind, wie bemerkt, an ver- schiedenen Orten beim Schneiden des Rohres im Winter verlassene Nester aufgefunden worden.
Sehr erklärlich ist, daß der künstliche Bau die Aufmerksamkeit der Menschen in hohem Grade erregt. Die Mongolen z. B. legen, wie uns Radde mittheilt, den Nestern der Beutelmeise beson- dere Heilkräfte bei. "Um Wechselfieber zu heilen, läßt man den Rauch, den ein verkohltes Stückchen entbindet, einathmen; das im heißen Wasser geweichte Nest wird zum Heilen rheumatischer Uebel angewendet, indem man es auf die schmerzenden Körperstellen legt. Außerdem glauben die Mon- golen, daß, im Fall das Nest zwei Oeffnungen besitzt, die darin wohnenden Gatten in Unfrieden leben, dagegen, wenn, wie gewöhnlich, eine Oeffnung da ist, daß das Männchen in dieser während der Brut- zeit wacht."
Baldamus fand nie mehr als sieben Eier, auch immer sieben Junge in einem Neste. Die Schale der Eier ist äußerst zart und dünn, ohne starken Glanz, und feinkörnig, ihre Färbung ein schneereines Weiß, welches aber, so lange der Jnhalt nicht entfernt wurde, blaßröthlich erscheint. Beide Gatten brüten nach Angabe eines ungarischen Beobachters abwechselnd und beide füttern ihre Jungen gemeinschaftlich groß, hauptsächlich mit zarten Räupchen und fliegenden Kerfen, besonders solchen aus dem Mückengeschlechte.
"Jch habe", sagt Baldamus, "vierzehn Junge längere Zeit immer zusammengehabt und mit süßem Käse und untermengten zerriebenen Hühnerherzen erhalten. Sie gingen sämmtlich sogleich ans Futter, waren stets zutraulich und zahm, stets hungrig und kamen sofort aus ihrem Nest hervor und mir zugeflogen, sobald ich nach kurzer Abwesenheit wieder ins Zimmer trat. Zwar starben auch mir bei sorgfältiger Abwartung einige; es unterliegt indeß keinem Zweifel, daß die niedlichen Vögel aufgefüttert werden können." Daß Baldamus hierin recht hat, geht aus den Beobachtungen des Grafen Gourcy hervor. "Jch erhielt im Juli eine aus dem Neste genommene junge Bartmeise, welche sich bei gewöhnlichem, mit Ameisen untermischten Nachtigallfutter recht gut hielt. Sie sang mehrere zirpende Töne, von denen einige unmelodisch, die andern aber angenehm klangen. Jhr Ruf ist blau- meisenartig; sie hat aber auch einen lauten, durchdringenden, lang gezogenen, eigenthümlichen Pfiff, welcher sehr unangenehm ist. Wie andere Meisen läßt sie den ganzen Tag über feine, schwache, kläg-
Beutelmeiſe.
„Was den Gang der Arbeit betrifft, ſo windet der Vogel faſt immer Wolle, ſeltener Ziegen- und Wolfs- oder Hundehaare oder Baſt und Hanffäden um einen dünnen, herabhängenden Zweig, der ſich meiſt einige Zoll unter dem oberen Anknüpfungspunkte in eine oder mehrere Gabeln ſpaltet. Zwiſchen dieſer Gabelung werden die Seitenwände angelegt, die daran ihren Halt finden. Der Vogel ſetzt ſodann die Filzwirkerei ſo lange fort, bis die über die Gabelſpitzen herabhängenden Seiten- wände unten zuſammengezogen werden können und einen flachen Boden bilden. Das Neſt hat jetzt die Geſtalt eines flachrandigen Körbchens, und ſolche Neſter ſind es, welche man früher als Vergnü- gungsneſter der Männchen angeſehen hat. Zunächſt wird nun der äußere Boden des Neſtes durch Verfilzung mehr gefeſtigt. Der hierzu gebrauchte Stoff iſt Pappel- oder Weidenwolle mit ein- gewirkten Baſtfäden, Wolle und Haaren; die Samenwolle wird durch den Speichel geballt und in einander gezupft. Das Neſt hat jetzt die Geſtalt eines Körbchens mit dickerem abgerundeten Boden. Nun beginnt der Bau der einen Seitenöffnung, die bis auf ein kleines rundes Loch geſchloſſen wird. Währenddem wird auch die andere Seite von unten heraufgeführt. Die eine der runden Oeffnungen wird nunmehr mit einer Röhre, welche ein bis drei Zoll lang iſt, verſehen, während die andere noch geöffnet bleibt und nur am Rande geglättet und verfilzt wird. Sodann wird die eine Oeffnung geſchloſſen; doch ſah ich auch ein Neſt mit doppelter Röhre. Zuletzt wird der innere Boden des Neſtes noch mit lockerer ungeballter Blüthenwolle zolldick ausgelegt, und nun endlich iſt der Bau vollendet.‟ Das Neſt ſtellt jetzt einen runden Ball oder Beutel dar von ſechs bis acht Zoll Höhe und vier bis fünf Zoll Breite, an welchem, dem Halſe einer Flaſche ähnlich, der bald herabgebogene und an das Neſt angeheftete, bald wagerecht abſtehende, runde Eingang befeſtigt iſt. Ein ſolches Neſt kann unmöglich mit dem eines andern Vogels verwechſelt werden, und deshalb wiſſen wir auch ganz genau, daß die Beutelmeiſe wiederholt bei uns in Deutſchland geniſtet hat. Es ſind, wie bemerkt, an ver- ſchiedenen Orten beim Schneiden des Rohres im Winter verlaſſene Neſter aufgefunden worden.
Sehr erklärlich iſt, daß der künſtliche Bau die Aufmerkſamkeit der Menſchen in hohem Grade erregt. Die Mongolen z. B. legen, wie uns Radde mittheilt, den Neſtern der Beutelmeiſe beſon- dere Heilkräfte bei. „Um Wechſelfieber zu heilen, läßt man den Rauch, den ein verkohltes Stückchen entbindet, einathmen; das im heißen Waſſer geweichte Neſt wird zum Heilen rheumatiſcher Uebel angewendet, indem man es auf die ſchmerzenden Körperſtellen legt. Außerdem glauben die Mon- golen, daß, im Fall das Neſt zwei Oeffnungen beſitzt, die darin wohnenden Gatten in Unfrieden leben, dagegen, wenn, wie gewöhnlich, eine Oeffnung da iſt, daß das Männchen in dieſer während der Brut- zeit wacht.‟
Baldamus fand nie mehr als ſieben Eier, auch immer ſieben Junge in einem Neſte. Die Schale der Eier iſt äußerſt zart und dünn, ohne ſtarken Glanz, und feinkörnig, ihre Färbung ein ſchneereines Weiß, welches aber, ſo lange der Jnhalt nicht entfernt wurde, blaßröthlich erſcheint. Beide Gatten brüten nach Angabe eines ungariſchen Beobachters abwechſelnd und beide füttern ihre Jungen gemeinſchaftlich groß, hauptſächlich mit zarten Räupchen und fliegenden Kerfen, beſonders ſolchen aus dem Mückengeſchlechte.
„Jch habe‟, ſagt Baldamus, „vierzehn Junge längere Zeit immer zuſammengehabt und mit ſüßem Käſe und untermengten zerriebenen Hühnerherzen erhalten. Sie gingen ſämmtlich ſogleich ans Futter, waren ſtets zutraulich und zahm, ſtets hungrig und kamen ſofort aus ihrem Neſt hervor und mir zugeflogen, ſobald ich nach kurzer Abweſenheit wieder ins Zimmer trat. Zwar ſtarben auch mir bei ſorgfältiger Abwartung einige; es unterliegt indeß keinem Zweifel, daß die niedlichen Vögel aufgefüttert werden können.‟ Daß Baldamus hierin recht hat, geht aus den Beobachtungen des Grafen Gourcy hervor. „Jch erhielt im Juli eine aus dem Neſte genommene junge Bartmeiſe, welche ſich bei gewöhnlichem, mit Ameiſen untermiſchten Nachtigallfutter recht gut hielt. Sie ſang mehrere zirpende Töne, von denen einige unmelodiſch, die andern aber angenehm klangen. Jhr Ruf iſt blau- meiſenartig; ſie hat aber auch einen lauten, durchdringenden, lang gezogenen, eigenthümlichen Pfiff, welcher ſehr unangenehm iſt. Wie andere Meiſen läßt ſie den ganzen Tag über feine, ſchwache, kläg-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0973"n="925"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Beutelmeiſe.</hi></fw><lb/><p>„Was den Gang der Arbeit betrifft, ſo windet der Vogel faſt immer Wolle, ſeltener Ziegen- und<lb/>
Wolfs- oder Hundehaare oder Baſt und Hanffäden um einen dünnen, herabhängenden Zweig, der ſich<lb/>
meiſt einige Zoll unter dem oberen Anknüpfungspunkte in eine oder mehrere Gabeln ſpaltet.<lb/>
Zwiſchen dieſer Gabelung werden die Seitenwände angelegt, die daran ihren Halt finden. Der<lb/>
Vogel ſetzt ſodann die Filzwirkerei ſo lange fort, bis die über die Gabelſpitzen herabhängenden Seiten-<lb/>
wände unten zuſammengezogen werden können und einen flachen Boden bilden. Das Neſt hat jetzt<lb/>
die Geſtalt eines flachrandigen Körbchens, und ſolche Neſter ſind es, welche man früher als Vergnü-<lb/>
gungsneſter der Männchen angeſehen hat. Zunächſt wird nun der äußere Boden des Neſtes durch<lb/>
Verfilzung mehr gefeſtigt. Der hierzu gebrauchte Stoff iſt Pappel- oder Weidenwolle mit ein-<lb/>
gewirkten Baſtfäden, Wolle und Haaren; die Samenwolle wird durch den Speichel geballt und in<lb/>
einander gezupft. Das Neſt hat jetzt die Geſtalt eines Körbchens mit dickerem abgerundeten Boden.<lb/>
Nun beginnt der Bau der einen Seitenöffnung, die bis auf ein kleines rundes Loch geſchloſſen wird.<lb/>
Währenddem wird auch die andere Seite von unten heraufgeführt. Die eine der runden Oeffnungen<lb/>
wird nunmehr mit einer Röhre, welche ein bis drei Zoll lang iſt, verſehen, während die andere noch<lb/>
geöffnet bleibt und nur am Rande geglättet und verfilzt wird. Sodann wird die eine Oeffnung<lb/>
geſchloſſen; doch ſah ich auch ein Neſt mit doppelter Röhre. Zuletzt wird der innere Boden des Neſtes<lb/>
noch mit lockerer ungeballter Blüthenwolle zolldick ausgelegt, und nun endlich iſt der Bau vollendet.‟<lb/>
Das Neſt ſtellt jetzt einen runden Ball oder Beutel dar von ſechs bis acht Zoll Höhe und vier bis<lb/>
fünf Zoll Breite, an welchem, dem Halſe einer Flaſche ähnlich, der bald herabgebogene und an das<lb/>
Neſt angeheftete, bald wagerecht abſtehende, runde Eingang befeſtigt iſt. Ein ſolches Neſt kann<lb/>
unmöglich mit dem eines andern Vogels verwechſelt werden, und deshalb wiſſen wir auch ganz genau,<lb/>
daß die Beutelmeiſe wiederholt bei uns in Deutſchland geniſtet hat. Es ſind, wie bemerkt, an ver-<lb/>ſchiedenen Orten beim Schneiden des Rohres im Winter verlaſſene Neſter aufgefunden worden.</p><lb/><p>Sehr erklärlich iſt, daß der künſtliche Bau die Aufmerkſamkeit der Menſchen in hohem Grade<lb/>
erregt. Die Mongolen z. B. legen, wie uns <hirendition="#g">Radde</hi> mittheilt, den Neſtern der Beutelmeiſe beſon-<lb/>
dere Heilkräfte bei. „Um Wechſelfieber zu heilen, läßt man den Rauch, den ein verkohltes Stückchen<lb/>
entbindet, einathmen; das im heißen Waſſer geweichte Neſt wird zum Heilen rheumatiſcher Uebel<lb/>
angewendet, indem man es auf die ſchmerzenden Körperſtellen legt. Außerdem glauben die Mon-<lb/>
golen, daß, im Fall das Neſt zwei Oeffnungen beſitzt, die darin wohnenden Gatten in Unfrieden leben,<lb/>
dagegen, wenn, wie gewöhnlich, eine Oeffnung da iſt, daß das Männchen in dieſer während der Brut-<lb/>
zeit wacht.‟</p><lb/><p><hirendition="#g">Baldamus</hi> fand nie mehr als ſieben Eier, auch immer ſieben Junge in einem Neſte. Die<lb/>
Schale der Eier iſt äußerſt zart und dünn, ohne ſtarken Glanz, und feinkörnig, ihre Färbung ein<lb/>ſchneereines Weiß, welches aber, ſo lange der Jnhalt nicht entfernt wurde, blaßröthlich erſcheint.<lb/>
Beide Gatten brüten nach Angabe eines ungariſchen Beobachters abwechſelnd und beide füttern ihre<lb/>
Jungen gemeinſchaftlich groß, hauptſächlich mit zarten Räupchen und fliegenden Kerfen, beſonders<lb/>ſolchen aus dem Mückengeſchlechte.</p><lb/><p>„Jch habe‟, ſagt <hirendition="#g">Baldamus,</hi>„vierzehn Junge längere Zeit immer zuſammengehabt und mit<lb/>ſüßem Käſe und untermengten zerriebenen Hühnerherzen erhalten. Sie gingen ſämmtlich ſogleich<lb/>
ans Futter, waren ſtets zutraulich und zahm, ſtets hungrig und kamen ſofort aus ihrem Neſt hervor<lb/>
und mir zugeflogen, ſobald ich nach kurzer Abweſenheit wieder ins Zimmer trat. Zwar ſtarben auch<lb/>
mir bei ſorgfältiger Abwartung einige; es unterliegt indeß keinem Zweifel, daß die niedlichen Vögel<lb/>
aufgefüttert werden können.‟ Daß <hirendition="#g">Baldamus</hi> hierin recht hat, geht aus den Beobachtungen des<lb/>
Grafen <hirendition="#g">Gourcy</hi> hervor. „Jch erhielt im Juli eine aus dem Neſte genommene junge Bartmeiſe, welche<lb/>ſich bei gewöhnlichem, mit Ameiſen untermiſchten Nachtigallfutter recht gut hielt. Sie ſang mehrere<lb/>
zirpende Töne, von denen einige unmelodiſch, die andern aber angenehm klangen. Jhr Ruf iſt blau-<lb/>
meiſenartig; ſie hat aber auch einen lauten, durchdringenden, lang gezogenen, eigenthümlichen Pfiff,<lb/>
welcher ſehr unangenehm iſt. Wie andere Meiſen läßt ſie den ganzen Tag über feine, ſchwache, kläg-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[925/0973]
Beutelmeiſe.
„Was den Gang der Arbeit betrifft, ſo windet der Vogel faſt immer Wolle, ſeltener Ziegen- und
Wolfs- oder Hundehaare oder Baſt und Hanffäden um einen dünnen, herabhängenden Zweig, der ſich
meiſt einige Zoll unter dem oberen Anknüpfungspunkte in eine oder mehrere Gabeln ſpaltet.
Zwiſchen dieſer Gabelung werden die Seitenwände angelegt, die daran ihren Halt finden. Der
Vogel ſetzt ſodann die Filzwirkerei ſo lange fort, bis die über die Gabelſpitzen herabhängenden Seiten-
wände unten zuſammengezogen werden können und einen flachen Boden bilden. Das Neſt hat jetzt
die Geſtalt eines flachrandigen Körbchens, und ſolche Neſter ſind es, welche man früher als Vergnü-
gungsneſter der Männchen angeſehen hat. Zunächſt wird nun der äußere Boden des Neſtes durch
Verfilzung mehr gefeſtigt. Der hierzu gebrauchte Stoff iſt Pappel- oder Weidenwolle mit ein-
gewirkten Baſtfäden, Wolle und Haaren; die Samenwolle wird durch den Speichel geballt und in
einander gezupft. Das Neſt hat jetzt die Geſtalt eines Körbchens mit dickerem abgerundeten Boden.
Nun beginnt der Bau der einen Seitenöffnung, die bis auf ein kleines rundes Loch geſchloſſen wird.
Währenddem wird auch die andere Seite von unten heraufgeführt. Die eine der runden Oeffnungen
wird nunmehr mit einer Röhre, welche ein bis drei Zoll lang iſt, verſehen, während die andere noch
geöffnet bleibt und nur am Rande geglättet und verfilzt wird. Sodann wird die eine Oeffnung
geſchloſſen; doch ſah ich auch ein Neſt mit doppelter Röhre. Zuletzt wird der innere Boden des Neſtes
noch mit lockerer ungeballter Blüthenwolle zolldick ausgelegt, und nun endlich iſt der Bau vollendet.‟
Das Neſt ſtellt jetzt einen runden Ball oder Beutel dar von ſechs bis acht Zoll Höhe und vier bis
fünf Zoll Breite, an welchem, dem Halſe einer Flaſche ähnlich, der bald herabgebogene und an das
Neſt angeheftete, bald wagerecht abſtehende, runde Eingang befeſtigt iſt. Ein ſolches Neſt kann
unmöglich mit dem eines andern Vogels verwechſelt werden, und deshalb wiſſen wir auch ganz genau,
daß die Beutelmeiſe wiederholt bei uns in Deutſchland geniſtet hat. Es ſind, wie bemerkt, an ver-
ſchiedenen Orten beim Schneiden des Rohres im Winter verlaſſene Neſter aufgefunden worden.
Sehr erklärlich iſt, daß der künſtliche Bau die Aufmerkſamkeit der Menſchen in hohem Grade
erregt. Die Mongolen z. B. legen, wie uns Radde mittheilt, den Neſtern der Beutelmeiſe beſon-
dere Heilkräfte bei. „Um Wechſelfieber zu heilen, läßt man den Rauch, den ein verkohltes Stückchen
entbindet, einathmen; das im heißen Waſſer geweichte Neſt wird zum Heilen rheumatiſcher Uebel
angewendet, indem man es auf die ſchmerzenden Körperſtellen legt. Außerdem glauben die Mon-
golen, daß, im Fall das Neſt zwei Oeffnungen beſitzt, die darin wohnenden Gatten in Unfrieden leben,
dagegen, wenn, wie gewöhnlich, eine Oeffnung da iſt, daß das Männchen in dieſer während der Brut-
zeit wacht.‟
Baldamus fand nie mehr als ſieben Eier, auch immer ſieben Junge in einem Neſte. Die
Schale der Eier iſt äußerſt zart und dünn, ohne ſtarken Glanz, und feinkörnig, ihre Färbung ein
ſchneereines Weiß, welches aber, ſo lange der Jnhalt nicht entfernt wurde, blaßröthlich erſcheint.
Beide Gatten brüten nach Angabe eines ungariſchen Beobachters abwechſelnd und beide füttern ihre
Jungen gemeinſchaftlich groß, hauptſächlich mit zarten Räupchen und fliegenden Kerfen, beſonders
ſolchen aus dem Mückengeſchlechte.
„Jch habe‟, ſagt Baldamus, „vierzehn Junge längere Zeit immer zuſammengehabt und mit
ſüßem Käſe und untermengten zerriebenen Hühnerherzen erhalten. Sie gingen ſämmtlich ſogleich
ans Futter, waren ſtets zutraulich und zahm, ſtets hungrig und kamen ſofort aus ihrem Neſt hervor
und mir zugeflogen, ſobald ich nach kurzer Abweſenheit wieder ins Zimmer trat. Zwar ſtarben auch
mir bei ſorgfältiger Abwartung einige; es unterliegt indeß keinem Zweifel, daß die niedlichen Vögel
aufgefüttert werden können.‟ Daß Baldamus hierin recht hat, geht aus den Beobachtungen des
Grafen Gourcy hervor. „Jch erhielt im Juli eine aus dem Neſte genommene junge Bartmeiſe, welche
ſich bei gewöhnlichem, mit Ameiſen untermiſchten Nachtigallfutter recht gut hielt. Sie ſang mehrere
zirpende Töne, von denen einige unmelodiſch, die andern aber angenehm klangen. Jhr Ruf iſt blau-
meiſenartig; ſie hat aber auch einen lauten, durchdringenden, lang gezogenen, eigenthümlichen Pfiff,
welcher ſehr unangenehm iſt. Wie andere Meiſen läßt ſie den ganzen Tag über feine, ſchwache, kläg-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 925. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/973>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.