nie daran gedacht habe, sie für gleichartig mit den andern zu halten und zwar aus denselben Gründen, da sie die einzige ist, welche im Norden Egyptens brütet und sich auch in der Winterherberge gesondert hält. Aber auch ich muß bekennen, daß es mir nicht möglich gewesen ist, in ihrem Betragen und dem ihrer Verwandten einen Unterschied wahrzunehmen.
Die Schafstelzen sind Feld- oder Sumpfvögel. Jm Walde findet man sie nie, ebensowenig in der Nähe der Dörfer. Am Tanaelv in Finnmarken sah ich freilich viele Schafstelzen in unmittel- barer Nähe eines Hauses sich umhertummeln; aber das Haus war, wie immer im Sommer, unbe- wohnt und der Vogel deshalb nicht gestört. Für Deutschland haben Naumann's Angaben Giltigkeit. Da, wo Schafstelzen brüten, findet man während des Sommers keinen "Raps- oder Rübsen- acker, kein Erbsen-, Bohnen- oder Wickenstück von einiger Bedeutung, kein Kleefeld, keine frei gelegene, fette Wiese und keine baumleere, grasreiche Sumpfstrecke, wo nicht wenigstens einige dieser Vögel hausen. Einzelne Brüche bewohnen sie in unglaublicher Menge. Jn den Marschländern, wo sie außer dem üppigsten Getreide und den fetten Feldfrüchten auch Wassersümpfe, Rohr und Wiesen zusammen finden, wo dazwischen auch Vieh weidet, haben sie Alles, was sie wünschen mögen und sind daher dort änßerst gemein... Sie sind gewöhnlich Gesellschafter der Wiesenpieper, kommen aber auch oft mit Rohrsängern, Rohrammern und Sumpfvögeln zusammen. Bei den Viehherden oder abends im Rohr machen sie mit Staaren, Bachstelzen und Schwalben gemeinschaftliche Sache; auf Wiesen und Aeckern sind die Feldlerchen und die Grauammern ihre Nachbarn".
Jn ihrem Betragen erinnern die Schafstelzen in mancher Hinsicht an die Pieper, demungeachtet bleiben sie doch echte Stelzen. Sie sind nicht so anmuthig, wie die Gebirgsstelzen, aber unzweifelhaft anmuthiger, als die Bachstelzen. Auf ihren Brutplätzen sind sie ebenso zutraulich, wie die letzteren, und lassen sich deshalb sehr leicht beobachten. Während des Zuges sind sie nicht scheu; aber sie unter- scheiden sehr wohl zwischen den Hirten und anderen Leuten: in jenen sehen sie ihre Freunde, diesen trauen sie selten. Jhre Bewegungen ähneln denen der Bachstelze mehr, als denen der Gebirgsstelze. Sie sind gewandt im Laufen, besonders geschickt aber im Fliegen. Wenn sie kurze Räume überfliegen wollen, erscheint ihr Flug, wie Naumann sagt, fast hüpfend, während sie auf der Wanderung außer- ordentlich schnell dahinstreichen. Nicht selten erhalten sie sich flatternd oder rüttelnd längere Zeit in der Luft über ein und derselben Stelle. Häufig stürzen sie sich aus bedeutenden Höhen mit ange- zogenen Flügeln fast senkrecht zum Boden herab. Jhre Lockstimme ist ein pfeifender Laut, welcher wie "bsiüb" oder wie "bilib", sonst aber auch leise wie "sib sib" klingt; der Warnungskon ist ein scharfes "Sri", der Paarungslaut ein gezogenes "Zirr". Der Gesang ähnelt dem der Bachstelze, ist aber noch ärmer.
So gesellig die Schafstelzen nach der Brutzeit sind, so zanksüchtig zeigen sie sich an ihren Brut- plätzen. Sie beginnen Streit mit fast allen kleineren Vögeln, welche sie dort gewahr werden; doch scheint es, als ob sie sich endlich an ihre Nachbarn gewöhnen oder als ob sie durch deren Widerstand sich einschüchtern lassen. "Jhre Unfriedfertigkeit", sagt Naumann, "bricht aber los, sobald sich ein Fremdling ihrem Bezirke nähert. Jn den Brüchen machte mich ihr Betragen oft auf seltenere kleine Vögel aufmerksam. So verfolgten sie Rohrsänger, am meisten den Seggenrohrsänger und zwar so heftig, daß sie mir mehrmals die Jagd nach ihm vereitelten. Sobald ein solcher Vogel aus den Seggenkufen herausflog, verfolgten ihn gleich mehrere Stelzen wie wüthend, stachen nach ihm und ließen nicht zu, daß er sich in der Nähe setzen durfte. Später waren sie an einander gewöhnt und nisteten in friedlicher Nähe."
Das Nest steht auf dem Boden, zwischen Gras, Getreide oder Sumpfpflanzen, meist in einer kleinen Vertiefung, zuweilen auch unter Gewurzel. Es ähnelt einem Lerchen- oder Pieperneste. Feine Wurzeln, Halme, Blätter, trockene Grasblätter und grünes Erdmos bilden ein lockeres, kunstloses Gewebe, Hälmchen, Distelflocken, Wolle, einzelne Pferdehaare und Federn die innere Aus- fütterung. Die vier bis sechs zartschaligen Eier sind auf schmuzigweißem oder gelblichen, röthlichen und graulichen Grunde mit gilblichen, grauen oder braungrauen, auch rostfarbenen und violettfarbigen
Feldſtelze.
nie daran gedacht habe, ſie für gleichartig mit den andern zu halten und zwar aus denſelben Gründen, da ſie die einzige iſt, welche im Norden Egyptens brütet und ſich auch in der Winterherberge geſondert hält. Aber auch ich muß bekennen, daß es mir nicht möglich geweſen iſt, in ihrem Betragen und dem ihrer Verwandten einen Unterſchied wahrzunehmen.
Die Schafſtelzen ſind Feld- oder Sumpfvögel. Jm Walde findet man ſie nie, ebenſowenig in der Nähe der Dörfer. Am Tanaelv in Finnmarken ſah ich freilich viele Schafſtelzen in unmittel- barer Nähe eines Hauſes ſich umhertummeln; aber das Haus war, wie immer im Sommer, unbe- wohnt und der Vogel deshalb nicht geſtört. Für Deutſchland haben Naumann’s Angaben Giltigkeit. Da, wo Schafſtelzen brüten, findet man während des Sommers keinen „Raps- oder Rübſen- acker, kein Erbſen-, Bohnen- oder Wickenſtück von einiger Bedeutung, kein Kleefeld, keine frei gelegene, fette Wieſe und keine baumleere, grasreiche Sumpfſtrecke, wo nicht wenigſtens einige dieſer Vögel hauſen. Einzelne Brüche bewohnen ſie in unglaublicher Menge. Jn den Marſchländern, wo ſie außer dem üppigſten Getreide und den fetten Feldfrüchten auch Waſſerſümpfe, Rohr und Wieſen zuſammen finden, wo dazwiſchen auch Vieh weidet, haben ſie Alles, was ſie wünſchen mögen und ſind daher dort änßerſt gemein… Sie ſind gewöhnlich Geſellſchafter der Wieſenpieper, kommen aber auch oft mit Rohrſängern, Rohrammern und Sumpfvögeln zuſammen. Bei den Viehherden oder abends im Rohr machen ſie mit Staaren, Bachſtelzen und Schwalben gemeinſchaftliche Sache; auf Wieſen und Aeckern ſind die Feldlerchen und die Grauammern ihre Nachbarn‟.
Jn ihrem Betragen erinnern die Schafſtelzen in mancher Hinſicht an die Pieper, demungeachtet bleiben ſie doch echte Stelzen. Sie ſind nicht ſo anmuthig, wie die Gebirgsſtelzen, aber unzweifelhaft anmuthiger, als die Bachſtelzen. Auf ihren Brutplätzen ſind ſie ebenſo zutraulich, wie die letzteren, und laſſen ſich deshalb ſehr leicht beobachten. Während des Zuges ſind ſie nicht ſcheu; aber ſie unter- ſcheiden ſehr wohl zwiſchen den Hirten und anderen Leuten: in jenen ſehen ſie ihre Freunde, dieſen trauen ſie ſelten. Jhre Bewegungen ähneln denen der Bachſtelze mehr, als denen der Gebirgsſtelze. Sie ſind gewandt im Laufen, beſonders geſchickt aber im Fliegen. Wenn ſie kurze Räume überfliegen wollen, erſcheint ihr Flug, wie Naumann ſagt, faſt hüpfend, während ſie auf der Wanderung außer- ordentlich ſchnell dahinſtreichen. Nicht ſelten erhalten ſie ſich flatternd oder rüttelnd längere Zeit in der Luft über ein und derſelben Stelle. Häufig ſtürzen ſie ſich aus bedeutenden Höhen mit ange- zogenen Flügeln faſt ſenkrecht zum Boden herab. Jhre Lockſtimme iſt ein pfeifender Laut, welcher wie „bſiüb‟ oder wie „bilib‟, ſonſt aber auch leiſe wie „ſib ſib‟ klingt; der Warnungskon iſt ein ſcharfes „Sri‟, der Paarungslaut ein gezogenes „Zirr‟. Der Geſang ähnelt dem der Bachſtelze, iſt aber noch ärmer.
So geſellig die Schafſtelzen nach der Brutzeit ſind, ſo zankſüchtig zeigen ſie ſich an ihren Brut- plätzen. Sie beginnen Streit mit faſt allen kleineren Vögeln, welche ſie dort gewahr werden; doch ſcheint es, als ob ſie ſich endlich an ihre Nachbarn gewöhnen oder als ob ſie durch deren Widerſtand ſich einſchüchtern laſſen. „Jhre Unfriedfertigkeit‟, ſagt Naumann, „bricht aber los, ſobald ſich ein Fremdling ihrem Bezirke nähert. Jn den Brüchen machte mich ihr Betragen oft auf ſeltenere kleine Vögel aufmerkſam. So verfolgten ſie Rohrſänger, am meiſten den Seggenrohrſänger und zwar ſo heftig, daß ſie mir mehrmals die Jagd nach ihm vereitelten. Sobald ein ſolcher Vogel aus den Seggenkufen herausflog, verfolgten ihn gleich mehrere Stelzen wie wüthend, ſtachen nach ihm und ließen nicht zu, daß er ſich in der Nähe ſetzen durfte. Später waren ſie an einander gewöhnt und niſteten in friedlicher Nähe.‟
Das Neſt ſteht auf dem Boden, zwiſchen Gras, Getreide oder Sumpfpflanzen, meiſt in einer kleinen Vertiefung, zuweilen auch unter Gewurzel. Es ähnelt einem Lerchen- oder Pieperneſte. Feine Wurzeln, Halme, Blätter, trockene Grasblätter und grünes Erdmos bilden ein lockeres, kunſtloſes Gewebe, Hälmchen, Diſtelflocken, Wolle, einzelne Pferdehaare und Federn die innere Aus- fütterung. Die vier bis ſechs zartſchaligen Eier ſind auf ſchmuzigweißem oder gelblichen, röthlichen und graulichen Grunde mit gilblichen, grauen oder braungrauen, auch roſtfarbenen und violettfarbigen
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[907/0955]
Feldſtelze.
nie daran gedacht habe, ſie für gleichartig mit den andern zu halten und zwar aus denſelben Gründen,
da ſie die einzige iſt, welche im Norden Egyptens brütet und ſich auch in der Winterherberge geſondert
hält. Aber auch ich muß bekennen, daß es mir nicht möglich geweſen iſt, in ihrem Betragen und dem
ihrer Verwandten einen Unterſchied wahrzunehmen.
Die Schafſtelzen ſind Feld- oder Sumpfvögel. Jm Walde findet man ſie nie, ebenſowenig
in der Nähe der Dörfer. Am Tanaelv in Finnmarken ſah ich freilich viele Schafſtelzen in unmittel-
barer Nähe eines Hauſes ſich umhertummeln; aber das Haus war, wie immer im Sommer, unbe-
wohnt und der Vogel deshalb nicht geſtört. Für Deutſchland haben Naumann’s Angaben
Giltigkeit. Da, wo Schafſtelzen brüten, findet man während des Sommers keinen „Raps- oder Rübſen-
acker, kein Erbſen-, Bohnen- oder Wickenſtück von einiger Bedeutung, kein Kleefeld, keine frei
gelegene, fette Wieſe und keine baumleere, grasreiche Sumpfſtrecke, wo nicht wenigſtens einige dieſer
Vögel hauſen. Einzelne Brüche bewohnen ſie in unglaublicher Menge. Jn den Marſchländern, wo
ſie außer dem üppigſten Getreide und den fetten Feldfrüchten auch Waſſerſümpfe, Rohr und Wieſen
zuſammen finden, wo dazwiſchen auch Vieh weidet, haben ſie Alles, was ſie wünſchen mögen und ſind
daher dort änßerſt gemein… Sie ſind gewöhnlich Geſellſchafter der Wieſenpieper, kommen aber
auch oft mit Rohrſängern, Rohrammern und Sumpfvögeln zuſammen. Bei den Viehherden oder
abends im Rohr machen ſie mit Staaren, Bachſtelzen und Schwalben gemeinſchaftliche Sache; auf
Wieſen und Aeckern ſind die Feldlerchen und die Grauammern ihre Nachbarn‟.
Jn ihrem Betragen erinnern die Schafſtelzen in mancher Hinſicht an die Pieper, demungeachtet
bleiben ſie doch echte Stelzen. Sie ſind nicht ſo anmuthig, wie die Gebirgsſtelzen, aber unzweifelhaft
anmuthiger, als die Bachſtelzen. Auf ihren Brutplätzen ſind ſie ebenſo zutraulich, wie die letzteren,
und laſſen ſich deshalb ſehr leicht beobachten. Während des Zuges ſind ſie nicht ſcheu; aber ſie unter-
ſcheiden ſehr wohl zwiſchen den Hirten und anderen Leuten: in jenen ſehen ſie ihre Freunde, dieſen
trauen ſie ſelten. Jhre Bewegungen ähneln denen der Bachſtelze mehr, als denen der Gebirgsſtelze.
Sie ſind gewandt im Laufen, beſonders geſchickt aber im Fliegen. Wenn ſie kurze Räume überfliegen
wollen, erſcheint ihr Flug, wie Naumann ſagt, faſt hüpfend, während ſie auf der Wanderung außer-
ordentlich ſchnell dahinſtreichen. Nicht ſelten erhalten ſie ſich flatternd oder rüttelnd längere Zeit in
der Luft über ein und derſelben Stelle. Häufig ſtürzen ſie ſich aus bedeutenden Höhen mit ange-
zogenen Flügeln faſt ſenkrecht zum Boden herab. Jhre Lockſtimme iſt ein pfeifender Laut, welcher
wie „bſiüb‟ oder wie „bilib‟, ſonſt aber auch leiſe wie „ſib ſib‟ klingt; der Warnungskon iſt ein
ſcharfes „Sri‟, der Paarungslaut ein gezogenes „Zirr‟. Der Geſang ähnelt dem der Bachſtelze, iſt
aber noch ärmer.
So geſellig die Schafſtelzen nach der Brutzeit ſind, ſo zankſüchtig zeigen ſie ſich an ihren Brut-
plätzen. Sie beginnen Streit mit faſt allen kleineren Vögeln, welche ſie dort gewahr werden; doch
ſcheint es, als ob ſie ſich endlich an ihre Nachbarn gewöhnen oder als ob ſie durch deren Widerſtand
ſich einſchüchtern laſſen. „Jhre Unfriedfertigkeit‟, ſagt Naumann, „bricht aber los, ſobald ſich ein
Fremdling ihrem Bezirke nähert. Jn den Brüchen machte mich ihr Betragen oft auf ſeltenere kleine
Vögel aufmerkſam. So verfolgten ſie Rohrſänger, am meiſten den Seggenrohrſänger und zwar
ſo heftig, daß ſie mir mehrmals die Jagd nach ihm vereitelten. Sobald ein ſolcher Vogel aus den
Seggenkufen herausflog, verfolgten ihn gleich mehrere Stelzen wie wüthend, ſtachen nach ihm und
ließen nicht zu, daß er ſich in der Nähe ſetzen durfte. Später waren ſie an einander gewöhnt und
niſteten in friedlicher Nähe.‟
Das Neſt ſteht auf dem Boden, zwiſchen Gras, Getreide oder Sumpfpflanzen, meiſt in einer
kleinen Vertiefung, zuweilen auch unter Gewurzel. Es ähnelt einem Lerchen- oder Pieperneſte.
Feine Wurzeln, Halme, Blätter, trockene Grasblätter und grünes Erdmos bilden ein lockeres,
kunſtloſes Gewebe, Hälmchen, Diſtelflocken, Wolle, einzelne Pferdehaare und Federn die innere Aus-
fütterung. Die vier bis ſechs zartſchaligen Eier ſind auf ſchmuzigweißem oder gelblichen, röthlichen
und graulichen Grunde mit gilblichen, grauen oder braungrauen, auch roſtfarbenen und violettfarbigen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 907. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/955>, abgerufen am 22.11.2024.
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