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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Wellensittich.

Sofort nachdem die erste Brut selbständig geworden ist, schreiten die Alten zu einer zweiten,
und wenn diese ausgeflogen, gewöhnlich zu einer dritten und vierten; -- ja, F. Schlegel, der
Vorsteher des Thiergartens zu Breslau, hat beobachtet, daß ein Paar ein volles Jahr lang ununter-
brochen brütete! Solche Fälle gehören zu den Ausnahmen: drei Bruten nach einander aber scheinen
nach meinen Erfahrungen Regel zu sein. Die letzten Jungen kann man ohne Sorge mit den Alten
zusammenlassen, und dann darf man auch in den engen Käfig wieder die ersten Jungen einbringen. Diese
zeigen sich gleich von Anfang an ebenso liebenswürdig, wie die Eltern; sie haben eine wahre Sucht,
ihre jüngeren Geschwister zu pflegen und füttern diese trotz der Alten. Dabei äffen sie sich gegenseitig
Alles nach: -- was der eine thut, thut auch der andere, im Klettern, Fliegen, Fressen und Schwatzen.
Der Lärm in solchen Kinderzimmern wird oft betäubend, und manchmal selbst den Alten
zu toll, welche sich dann bemühen, ihm aus dem Wege zu gehen; und wenn nun erst ein ganzer
Schwarm zusammengehalten wird, wenn vielleicht zehn Elternpaare zu gleicher Zeit Junge aus-
brüten und in die Welt schicken, geht es oft gar lustig und erregt im Raume her. Dann wird auch
der Frieden selten gestört; denn die Vorsicht des Männchens kommt kaum oder nicht zur Geltung,
wahrscheinlich weil sie sich nicht auf einen Gegenstand richten kann, sondern auf Hunderte richten müßte.

Wie nothwendig es ist, die Wellensittiche paarweise zusammen zu halten, sieht man erst dann,
wenn man längere Zeit zwei Gefaugene desselben Geschlechts gehabt hat. Wird zu solchen ein Genosse
des anderen Geschlechts gebracht, so gibt es augenblicklich ein Pärchen und große Eifersucht.
Neubert, welcher zwei Paar Wellenpapageien besaß, verlor beide Männchen und erhielt erst nach ge-
raumer Zeit Ersatz für eins von ihnen. Die beiden Wittwen hatten sich recht hübsch zusammen
gefunden; sie waren munter und lebten gemüthlich mit einander, als ob sie Männchen und Weibchen
wären. Als aber das neue Männchen in den Bauer gebracht wurde, änderte sich dieses schöne Ver-
hältniß augenblicklich. "Die beiden Weibchen", erzählt er "saßen in der Höhe des Käfigs dicht bei-
sammen, als das Männchen hineinflog, und beobachteten dasselbe sehr aufmerksam. Nach wenigen
Augenblicken sah es zu ihnen empor, rührte sich aber nicht von der Stelle und gab einen eigen-
thümlichen Lockton von sich, welcher von dem einen Weibchen beantwortet wurde. Als es den
Lockton wiederholte, schoß das antwortende Weibchen herab, und es gab jetzt eine Scene wie nach
lang erwarteter Heimkehr. Das andere Weibchen sah ganz ruhig zu, als aber das Liebespärchen
nach oben und in die Nähe der Wittwe kam, da wurde diese fast rasend, fuhr auf die beglückte
Braut los, hing sich ihr an den Schwanz und zerrte so lange daran, bis die Federn aus-
gingen. Nun war es Zeit einzuschreiten. Sie wurden aus einander getrieben, die Xanthippe gefangen
und von ihrem neuen Herrn, welcher sie vermählen wollte, mitgenommen. Spätere Nachrichten sagten
aber, daß sie sich mit dem ihrer harrenden Bräutigam gar nicht in gutes Vernehmen setzen wollte,
sondern, als seltene Ausnahme, ein sehr mürrisches Leben mit ihm führte."

Es wäre mir leicht, noch verschiedene Einzelheiten der Fortpflanzung dieser Vögel zu erzählen;
doch glaube ich, daß das Vorstehende genügen darf. Dafür will ich noch eine Beobachtung mittheilen,
welche ich selbst an meinen Papageien machte. Das erste Pärchen, welches ich besaß, liebte sich eben-
falls sehr zärtlich, dachte aber nicht an die Fortpflanzung, weil die rechte Zeit hierzu noch nicht ge-
kommen war. Es bewohnte einen großen Bauer und schien sich in demselben sehr wohl zu fühlen:
die goldene Sonne aber, welche oft freundlich durch das Fenster hereinlachte, mochte doch in ihm
Sehnsucht nach der Freiheit erweckt haben. Eines Tages hatte sich das Weibchen geschickt einen Aus-
gang zu verschaffen gewußt, und ehe wir es uns versahen, war es durch das Fenster hinaus ins Freie
entflohen. Jch lernte es jetzt von einer ganz anderen Seite kennen als bisher; denn ich hatte Gele-
genheit, den prachtvollen Flug zu beobachten. Und ich muß gestehen, dieser Flug entzückte mich so, daß
mein Aerger über den wahrscheinlichen Verlust des Vogels mit jedem Augenblicke mehr zu schwinden
begann. Der Entflohene stieg hoch auf in die Luft und schwirrte und schwebte mit unvergleichlicher
Schnelligkeit über den benachbarten Garten dahin. Er flog ganz anders, als die mir sonst noch be-
kannten Papageien, fast schwalben- oder falkenartig. Bald hatte er sich meinen Blicken gänzlich ent-

Wellenſittich.

Sofort nachdem die erſte Brut ſelbſtändig geworden iſt, ſchreiten die Alten zu einer zweiten,
und wenn dieſe ausgeflogen, gewöhnlich zu einer dritten und vierten; — ja, F. Schlegel, der
Vorſteher des Thiergartens zu Breslau, hat beobachtet, daß ein Paar ein volles Jahr lang ununter-
brochen brütete! Solche Fälle gehören zu den Ausnahmen: drei Bruten nach einander aber ſcheinen
nach meinen Erfahrungen Regel zu ſein. Die letzten Jungen kann man ohne Sorge mit den Alten
zuſammenlaſſen, und dann darf man auch in den engen Käfig wieder die erſten Jungen einbringen. Dieſe
zeigen ſich gleich von Anfang an ebenſo liebenswürdig, wie die Eltern; ſie haben eine wahre Sucht,
ihre jüngeren Geſchwiſter zu pflegen und füttern dieſe trotz der Alten. Dabei äffen ſie ſich gegenſeitig
Alles nach: — was der eine thut, thut auch der andere, im Klettern, Fliegen, Freſſen und Schwatzen.
Der Lärm in ſolchen Kinderzimmern wird oft betäubend, und manchmal ſelbſt den Alten
zu toll, welche ſich dann bemühen, ihm aus dem Wege zu gehen; und wenn nun erſt ein ganzer
Schwarm zuſammengehalten wird, wenn vielleicht zehn Elternpaare zu gleicher Zeit Junge aus-
brüten und in die Welt ſchicken, geht es oft gar luſtig und erregt im Raume her. Dann wird auch
der Frieden ſelten geſtört; denn die Vorſicht des Männchens kommt kaum oder nicht zur Geltung,
wahrſcheinlich weil ſie ſich nicht auf einen Gegenſtand richten kann, ſondern auf Hunderte richten müßte.

Wie nothwendig es iſt, die Wellenſittiche paarweiſe zuſammen zu halten, ſieht man erſt dann,
wenn man längere Zeit zwei Gefaugene deſſelben Geſchlechts gehabt hat. Wird zu ſolchen ein Genoſſe
des anderen Geſchlechts gebracht, ſo gibt es augenblicklich ein Pärchen und große Eiferſucht.
Neubert, welcher zwei Paar Wellenpapageien beſaß, verlor beide Männchen und erhielt erſt nach ge-
raumer Zeit Erſatz für eins von ihnen. Die beiden Wittwen hatten ſich recht hübſch zuſammen
gefunden; ſie waren munter und lebten gemüthlich mit einander, als ob ſie Männchen und Weibchen
wären. Als aber das neue Männchen in den Bauer gebracht wurde, änderte ſich dieſes ſchöne Ver-
hältniß augenblicklich. „Die beiden Weibchen‟, erzählt er „ſaßen in der Höhe des Käfigs dicht bei-
ſammen, als das Männchen hineinflog, und beobachteten daſſelbe ſehr aufmerkſam. Nach wenigen
Augenblicken ſah es zu ihnen empor, rührte ſich aber nicht von der Stelle und gab einen eigen-
thümlichen Lockton von ſich, welcher von dem einen Weibchen beantwortet wurde. Als es den
Lockton wiederholte, ſchoß das antwortende Weibchen herab, und es gab jetzt eine Scene wie nach
lang erwarteter Heimkehr. Das andere Weibchen ſah ganz ruhig zu, als aber das Liebespärchen
nach oben und in die Nähe der Wittwe kam, da wurde dieſe faſt raſend, fuhr auf die beglückte
Braut los, hing ſich ihr an den Schwanz und zerrte ſo lange daran, bis die Federn aus-
gingen. Nun war es Zeit einzuſchreiten. Sie wurden aus einander getrieben, die Xanthippe gefangen
und von ihrem neuen Herrn, welcher ſie vermählen wollte, mitgenommen. Spätere Nachrichten ſagten
aber, daß ſie ſich mit dem ihrer harrenden Bräutigam gar nicht in gutes Vernehmen ſetzen wollte,
ſondern, als ſeltene Ausnahme, ein ſehr mürriſches Leben mit ihm führte.‟

Es wäre mir leicht, noch verſchiedene Einzelheiten der Fortpflanzung dieſer Vögel zu erzählen;
doch glaube ich, daß das Vorſtehende genügen darf. Dafür will ich noch eine Beobachtung mittheilen,
welche ich ſelbſt an meinen Papageien machte. Das erſte Pärchen, welches ich beſaß, liebte ſich eben-
falls ſehr zärtlich, dachte aber nicht an die Fortpflanzung, weil die rechte Zeit hierzu noch nicht ge-
kommen war. Es bewohnte einen großen Bauer und ſchien ſich in demſelben ſehr wohl zu fühlen:
die goldene Sonne aber, welche oft freundlich durch das Fenſter hereinlachte, mochte doch in ihm
Sehnſucht nach der Freiheit erweckt haben. Eines Tages hatte ſich das Weibchen geſchickt einen Aus-
gang zu verſchaffen gewußt, und ehe wir es uns verſahen, war es durch das Fenſter hinaus ins Freie
entflohen. Jch lernte es jetzt von einer ganz anderen Seite kennen als bisher; denn ich hatte Gele-
genheit, den prachtvollen Flug zu beobachten. Und ich muß geſtehen, dieſer Flug entzückte mich ſo, daß
mein Aerger über den wahrſcheinlichen Verluſt des Vogels mit jedem Augenblicke mehr zu ſchwinden
begann. Der Entflohene ſtieg hoch auf in die Luft und ſchwirrte und ſchwebte mit unvergleichlicher
Schnelligkeit über den benachbarten Garten dahin. Er flog ganz anders, als die mir ſonſt noch be-
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[79/0095] Wellenſittich. Sofort nachdem die erſte Brut ſelbſtändig geworden iſt, ſchreiten die Alten zu einer zweiten, und wenn dieſe ausgeflogen, gewöhnlich zu einer dritten und vierten; — ja, F. Schlegel, der Vorſteher des Thiergartens zu Breslau, hat beobachtet, daß ein Paar ein volles Jahr lang ununter- brochen brütete! Solche Fälle gehören zu den Ausnahmen: drei Bruten nach einander aber ſcheinen nach meinen Erfahrungen Regel zu ſein. Die letzten Jungen kann man ohne Sorge mit den Alten zuſammenlaſſen, und dann darf man auch in den engen Käfig wieder die erſten Jungen einbringen. Dieſe zeigen ſich gleich von Anfang an ebenſo liebenswürdig, wie die Eltern; ſie haben eine wahre Sucht, ihre jüngeren Geſchwiſter zu pflegen und füttern dieſe trotz der Alten. Dabei äffen ſie ſich gegenſeitig Alles nach: — was der eine thut, thut auch der andere, im Klettern, Fliegen, Freſſen und Schwatzen. Der Lärm in ſolchen Kinderzimmern wird oft betäubend, und manchmal ſelbſt den Alten zu toll, welche ſich dann bemühen, ihm aus dem Wege zu gehen; und wenn nun erſt ein ganzer Schwarm zuſammengehalten wird, wenn vielleicht zehn Elternpaare zu gleicher Zeit Junge aus- brüten und in die Welt ſchicken, geht es oft gar luſtig und erregt im Raume her. Dann wird auch der Frieden ſelten geſtört; denn die Vorſicht des Männchens kommt kaum oder nicht zur Geltung, wahrſcheinlich weil ſie ſich nicht auf einen Gegenſtand richten kann, ſondern auf Hunderte richten müßte. Wie nothwendig es iſt, die Wellenſittiche paarweiſe zuſammen zu halten, ſieht man erſt dann, wenn man längere Zeit zwei Gefaugene deſſelben Geſchlechts gehabt hat. Wird zu ſolchen ein Genoſſe des anderen Geſchlechts gebracht, ſo gibt es augenblicklich ein Pärchen und große Eiferſucht. Neubert, welcher zwei Paar Wellenpapageien beſaß, verlor beide Männchen und erhielt erſt nach ge- raumer Zeit Erſatz für eins von ihnen. Die beiden Wittwen hatten ſich recht hübſch zuſammen gefunden; ſie waren munter und lebten gemüthlich mit einander, als ob ſie Männchen und Weibchen wären. Als aber das neue Männchen in den Bauer gebracht wurde, änderte ſich dieſes ſchöne Ver- hältniß augenblicklich. „Die beiden Weibchen‟, erzählt er „ſaßen in der Höhe des Käfigs dicht bei- ſammen, als das Männchen hineinflog, und beobachteten daſſelbe ſehr aufmerkſam. Nach wenigen Augenblicken ſah es zu ihnen empor, rührte ſich aber nicht von der Stelle und gab einen eigen- thümlichen Lockton von ſich, welcher von dem einen Weibchen beantwortet wurde. Als es den Lockton wiederholte, ſchoß das antwortende Weibchen herab, und es gab jetzt eine Scene wie nach lang erwarteter Heimkehr. Das andere Weibchen ſah ganz ruhig zu, als aber das Liebespärchen nach oben und in die Nähe der Wittwe kam, da wurde dieſe faſt raſend, fuhr auf die beglückte Braut los, hing ſich ihr an den Schwanz und zerrte ſo lange daran, bis die Federn aus- gingen. Nun war es Zeit einzuſchreiten. Sie wurden aus einander getrieben, die Xanthippe gefangen und von ihrem neuen Herrn, welcher ſie vermählen wollte, mitgenommen. Spätere Nachrichten ſagten aber, daß ſie ſich mit dem ihrer harrenden Bräutigam gar nicht in gutes Vernehmen ſetzen wollte, ſondern, als ſeltene Ausnahme, ein ſehr mürriſches Leben mit ihm führte.‟ Es wäre mir leicht, noch verſchiedene Einzelheiten der Fortpflanzung dieſer Vögel zu erzählen; doch glaube ich, daß das Vorſtehende genügen darf. Dafür will ich noch eine Beobachtung mittheilen, welche ich ſelbſt an meinen Papageien machte. Das erſte Pärchen, welches ich beſaß, liebte ſich eben- falls ſehr zärtlich, dachte aber nicht an die Fortpflanzung, weil die rechte Zeit hierzu noch nicht ge- kommen war. Es bewohnte einen großen Bauer und ſchien ſich in demſelben ſehr wohl zu fühlen: die goldene Sonne aber, welche oft freundlich durch das Fenſter hereinlachte, mochte doch in ihm Sehnſucht nach der Freiheit erweckt haben. Eines Tages hatte ſich das Weibchen geſchickt einen Aus- gang zu verſchaffen gewußt, und ehe wir es uns verſahen, war es durch das Fenſter hinaus ins Freie entflohen. Jch lernte es jetzt von einer ganz anderen Seite kennen als bisher; denn ich hatte Gele- genheit, den prachtvollen Flug zu beobachten. Und ich muß geſtehen, dieſer Flug entzückte mich ſo, daß mein Aerger über den wahrſcheinlichen Verluſt des Vogels mit jedem Augenblicke mehr zu ſchwinden begann. Der Entflohene ſtieg hoch auf in die Luft und ſchwirrte und ſchwebte mit unvergleichlicher Schnelligkeit über den benachbarten Garten dahin. Er flog ganz anders, als die mir ſonſt noch be- kannten Papageien, faſt ſchwalben- oder falkenartig. Bald hatte er ſich meinen Blicken gänzlich ent-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/95>, abgerufen am 23.11.2024.