Sommer, wenn es auf den Höhen allzuheftig stürmt, sammelt er sich scharenweise in mehr geschützten Gründen, im Herbst geht er nach den Sümpfen, Seen und Flüssen der Ebene oder auf die Dünger- stätten der Dörfer. Ein kleinerer Theil überwintert auch daselbst, der größere fliegt in losen Scharen nach Jtalien. Die andern halten sich an seichten, wasserzügigen Stellen, an den Abzugsgräben der Wiesen und Weinberge auf und übernachten im dürren Laub der Eichelbüsche. Wenn die Kälte steigt, ziehen sie nach den tieferen Reisländern und gewässerten Wiesen. Gegen den Frühling sammeln sie sich scharenweise auf hohen Pappelgipfeln und reisen dann, die Männchen voran, wieder den Alpen zu." Einzelne gehen gelegentlich ihrer Wanderung auch weiter nach Süden. So finden sie sich in strengen Wintern zuweilen an der Meeresküste Griechenlands oder selbst Egyptens und regelmäßig
[Abbildung]
Der Wasserpieper (Anthus aquaticus).
in Spanien. Wie weit sie nach Norden hinaufgehen, ist aus dem Grunde nicht zu sagen, weil eine Streitsrage noch nicht entschieden ist: ein dem Wasserpieper sehr ähnlicher Vogel nämlich, der Strandpieper (Anthus rupestris) wird von einigen Naturforschern nicht als Art, sondern höchstens als Abart von jenem angesehen; der Strandpieper aber ist es, welcher den ganzen Norden Europas, namentlich Skandinavien, sehr häufig bewohnt.
Die Lebensweise unseres Vogels ist am genauesten von Gloger beobachtet worden. "Der Wasserpieper", sagt er, "findet sich weit oben auf den rauhen Hochgebirgen, wo schon die Baumwälder aufhören und fast blos noch Knieholz wächst, oft auch noch höher. Er kommt hier unbedingt überall vor, wo letzteres irgend gedeiht und geht so weit gegen den Schneegürtel aufwärts, bis diese Holzarten
Baum- und Waſſerpieper.
Sommer, wenn es auf den Höhen allzuheftig ſtürmt, ſammelt er ſich ſcharenweiſe in mehr geſchützten Gründen, im Herbſt geht er nach den Sümpfen, Seen und Flüſſen der Ebene oder auf die Dünger- ſtätten der Dörfer. Ein kleinerer Theil überwintert auch daſelbſt, der größere fliegt in loſen Scharen nach Jtalien. Die andern halten ſich an ſeichten, waſſerzügigen Stellen, an den Abzugsgräben der Wieſen und Weinberge auf und übernachten im dürren Laub der Eichelbüſche. Wenn die Kälte ſteigt, ziehen ſie nach den tieferen Reisländern und gewäſſerten Wieſen. Gegen den Frühling ſammeln ſie ſich ſcharenweiſe auf hohen Pappelgipfeln und reiſen dann, die Männchen voran, wieder den Alpen zu.‟ Einzelne gehen gelegentlich ihrer Wanderung auch weiter nach Süden. So finden ſie ſich in ſtrengen Wintern zuweilen an der Meeresküſte Griechenlands oder ſelbſt Egyptens und regelmäßig
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Der Waſſerpieper (Anthus aquaticus).
in Spanien. Wie weit ſie nach Norden hinaufgehen, iſt aus dem Grunde nicht zu ſagen, weil eine Streitſrage noch nicht entſchieden iſt: ein dem Waſſerpieper ſehr ähnlicher Vogel nämlich, der Strandpieper (Anthus rupestris) wird von einigen Naturforſchern nicht als Art, ſondern höchſtens als Abart von jenem angeſehen; der Strandpieper aber iſt es, welcher den ganzen Norden Europas, namentlich Skandinavien, ſehr häufig bewohnt.
Die Lebensweiſe unſeres Vogels iſt am genaueſten von Gloger beobachtet worden. „Der Waſſerpieper‟, ſagt er, „findet ſich weit oben auf den rauhen Hochgebirgen, wo ſchon die Baumwälder aufhören und faſt blos noch Knieholz wächſt, oft auch noch höher. Er kommt hier unbedingt überall vor, wo letzteres irgend gedeiht und geht ſo weit gegen den Schneegürtel aufwärts, bis dieſe Holzarten
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Baum- und Waſſerpieper.
Sommer, wenn es auf den Höhen allzuheftig ſtürmt, ſammelt er ſich ſcharenweiſe in mehr geſchützten
Gründen, im Herbſt geht er nach den Sümpfen, Seen und Flüſſen der Ebene oder auf die Dünger-
ſtätten der Dörfer. Ein kleinerer Theil überwintert auch daſelbſt, der größere fliegt in loſen Scharen
nach Jtalien. Die andern halten ſich an ſeichten, waſſerzügigen Stellen, an den Abzugsgräben der
Wieſen und Weinberge auf und übernachten im dürren Laub der Eichelbüſche. Wenn die Kälte ſteigt,
ziehen ſie nach den tieferen Reisländern und gewäſſerten Wieſen. Gegen den Frühling ſammeln ſie
ſich ſcharenweiſe auf hohen Pappelgipfeln und reiſen dann, die Männchen voran, wieder den Alpen
zu.‟ Einzelne gehen gelegentlich ihrer Wanderung auch weiter nach Süden. So finden ſie ſich in
ſtrengen Wintern zuweilen an der Meeresküſte Griechenlands oder ſelbſt Egyptens und regelmäßig
[Abbildung Der Waſſerpieper (Anthus aquaticus).]
in Spanien. Wie weit ſie nach Norden hinaufgehen, iſt aus dem Grunde nicht zu ſagen, weil eine
Streitſrage noch nicht entſchieden iſt: ein dem Waſſerpieper ſehr ähnlicher Vogel nämlich, der
Strandpieper (Anthus rupestris) wird von einigen Naturforſchern nicht als Art, ſondern
höchſtens als Abart von jenem angeſehen; der Strandpieper aber iſt es, welcher den ganzen Norden
Europas, namentlich Skandinavien, ſehr häufig bewohnt.
Die Lebensweiſe unſeres Vogels iſt am genaueſten von Gloger beobachtet worden. „Der
Waſſerpieper‟, ſagt er, „findet ſich weit oben auf den rauhen Hochgebirgen, wo ſchon die Baumwälder
aufhören und faſt blos noch Knieholz wächſt, oft auch noch höher. Er kommt hier unbedingt überall
vor, wo letzteres irgend gedeiht und geht ſo weit gegen den Schneegürtel aufwärts, bis dieſe Holzarten
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 893. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/941>, abgerufen am 25.11.2024.
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