ihm Zutritt zu dem Jnnern eines Gebäudes gestattet, so benutzt er es regelmäßig; denn er besitzt ein überaus große Ortskenntniß und weiß seinen Weg immer wieder zu finden.
Das Nest gehört unter die künstlichsten Bauten, welche unsere deutschen Vögel errichten. Es ist aber durchaus nicht leicht, es zu beschreiben; denn es wird gebaut nach des Orts Gelegenheit und deshalb außerordentlich verschiedenartig ausgeführt. Auch der Standort wechselt so vielfach ab, daß man etwas Bestimmtes hierüber nicht sagen kann. Man hat Zaunkönigsnester ziemlich hoch oben in Baumwipfeln und auf dem Boden in Erd- oder Baumhöhlen, Mauerlöchern und Felsenspalten, in Köhlerhütten oder unter Hausdächern, im Gestrüpp oder unter Gewurzel, in Holzstößen und in Berg- werkstollen gefunden, immer und überall aber auf sorgfältig gewählten Plätzen, zumal, wenn es sich um das erste Nest im Frühjahre handelte, welches erbaut wurde, bevor noch die Pflanzen sommer- liche Ueppigkeit zeigten. Einzelne Nester bestehen nur aus grünem Mose, welches so dicht zusammen- gefilzt ist, daß es aussieht, als ob das Ganze zusammengeleimt wäre; sie sind auch innen nur mit Mos ausgekleidet; ihre Gestalt ist kugelförmig, und ein hübsches Schlupfloch führt ins Jnnere. Andere gleichen einem wirren Haufen von Blättern und sind im Jnnern mit Federn ausgefüttert; andere wieder sind nichts weiter, als eine Aufbesserung bereits vorgefundener Nester. Wie Dem aber auch sein möge, unter allen Umständen ist das Nest seinem Standorte entsprechend gestaltet und sind die Stoffe der Umgebung entsprechend gewählt, sodaß es oft recht schwer hält, das im Ver- hältniß zur Größe des Zaunkönigs ungeheure Nest zu entdecken. Bemerkenswerth ist, daß der Vogel zuweilen eine gewisse Oertlichkeit entschieden bevorzugt. So erzählt Trinthammer, daß ein im Gebirge lebender Zaunkönig mit den Köhlern oder Pechschmelzern wanderte, d. h. sich immer in der Hütte dieser Leute ansiedelte, und in ihr sein Nest baute, gleichviel ob die Hütte an derselben Stelle wie im vorigen Jahre oder an einem andern Orte errichtet wurde. Die Köhler kannten den Vogel sehr genau: sie wußten, daß es der ihrige war; denn er bekundete Dies durch sein Benehmen. Ebenso muß bemerkt werden, daß der Zaunkönig zuweilen mehr Nester baut, als er zum Brüten nöthig hat, und daß nicht blos ein Pärchen gemeinschaftlich zusammenwirkt, sondern daß auch ein einzelner Vogel, ein Männchen z. B., welches keine Gattin erlangen kann, sehr eifrig sich Nester errichtet, welche im gewissen Sinne als Vergnügungsbauten angesehen werden können. Boenigk hat einen Zaunkönig vom April an bis zum August beobachtet und das Erfahrne sehr ausführlich beschrieben -- in wenig Worten zusammengedrängt, wie folgt: Ein Männchen baut viermal ein fast vollkommenes Nest, bevor es ihm gelingt, eine Gefährtin zu finden. Nachdem es endlich sich gepaart hat, müssen beide Gatten, verfolgt vom Mißgeschick, dreimal bauen, ehe sie zum Eierlegen gelangen können, und als nun das Weibchen, erschreckt durch sein Unglück, flieht, vielleicht um sich einen andern Gatten zu suchen, müht sich das verlassene Männchen noch mehrere Wochen ab und baut in dieser Zeit nochmals zwei Wohnungen fertig, welche es nicht benutzt. Dieses Einzelarbeiten eines Zaunkönigs scheint mit einer andern Eigenthümlichkeit des Vogels zusammenzuhängen. Durch Beobachtungen von Ogilby ist es nämlich festgestellt, daß die Zaunkönige sehr gern in ihren alten Nestern Nachtruhe halten und zwar nicht blos einer oder ein Pärchen, sondern die ganze Familie. Dasselbe hat, nach Päßler, ein Bauer in Anhalt erfahren: er geht an einem Winterabende in den Viehstall, in der Absicht, in einem der dort hängenden Schwalbennester einen Sperling zu fangen, "bekommt aber die ganze Hand voll Vögel und erkennt zu seiner Verwunderung fünf Zaunkönige, welche sich in Eintracht des Nestes als Schlafstätte bedient hatten". Unter regelmäßigen Verhältnissen brütet das Zaunkönigspaar zweimal im Jahre, das erstemal im April, das zweitemal im Juli. Das Gelege besteht aus sechs bis acht ver- hältnißmäßig großen, rundlichen Eiern, welche auf rein- oder gelblichweißem Grunde mit kleinen Pünktchen von rothbrauner oder blutrother Farbe gezeichnet sind, am dicken Ende oft kranzartig. Beide Eltern brüten abwechselnd dreizehn Tage lang, füttern gemeinschaftlich die Jungen groß, halten das Nest ungemein reichlich und sorgen überhaupt in jeder Hinsicht für das Wohl ihrer Familie. Die Jungen bleiben lange im Neste und halten sich auch, wenn sie schon ausgeflogen sind, noch lange Zeit zusammen; wahrscheinlich besuchen sie allnächtlich ihre Kinderwiege wieder.
Zaunkönig.
ihm Zutritt zu dem Jnnern eines Gebäudes geſtattet, ſo benutzt er es regelmäßig; denn er beſitzt ein überaus große Ortskenntniß und weiß ſeinen Weg immer wieder zu finden.
Das Neſt gehört unter die künſtlichſten Bauten, welche unſere deutſchen Vögel errichten. Es iſt aber durchaus nicht leicht, es zu beſchreiben; denn es wird gebaut nach des Orts Gelegenheit und deshalb außerordentlich verſchiedenartig ausgeführt. Auch der Standort wechſelt ſo vielfach ab, daß man etwas Beſtimmtes hierüber nicht ſagen kann. Man hat Zaunkönigsneſter ziemlich hoch oben in Baumwipfeln und auf dem Boden in Erd- oder Baumhöhlen, Mauerlöchern und Felſenſpalten, in Köhlerhütten oder unter Hausdächern, im Geſtrüpp oder unter Gewurzel, in Holzſtößen und in Berg- werkſtollen gefunden, immer und überall aber auf ſorgfältig gewählten Plätzen, zumal, wenn es ſich um das erſte Neſt im Frühjahre handelte, welches erbaut wurde, bevor noch die Pflanzen ſommer- liche Ueppigkeit zeigten. Einzelne Neſter beſtehen nur aus grünem Moſe, welches ſo dicht zuſammen- gefilzt iſt, daß es ausſieht, als ob das Ganze zuſammengeleimt wäre; ſie ſind auch innen nur mit Mos ausgekleidet; ihre Geſtalt iſt kugelförmig, und ein hübſches Schlupfloch führt ins Jnnere. Andere gleichen einem wirren Haufen von Blättern und ſind im Jnnern mit Federn ausgefüttert; andere wieder ſind nichts weiter, als eine Aufbeſſerung bereits vorgefundener Neſter. Wie Dem aber auch ſein möge, unter allen Umſtänden iſt das Neſt ſeinem Standorte entſprechend geſtaltet und ſind die Stoffe der Umgebung entſprechend gewählt, ſodaß es oft recht ſchwer hält, das im Ver- hältniß zur Größe des Zaunkönigs ungeheure Neſt zu entdecken. Bemerkenswerth iſt, daß der Vogel zuweilen eine gewiſſe Oertlichkeit entſchieden bevorzugt. So erzählt Trinthammer, daß ein im Gebirge lebender Zaunkönig mit den Köhlern oder Pechſchmelzern wanderte, d. h. ſich immer in der Hütte dieſer Leute anſiedelte, und in ihr ſein Neſt baute, gleichviel ob die Hütte an derſelben Stelle wie im vorigen Jahre oder an einem andern Orte errichtet wurde. Die Köhler kannten den Vogel ſehr genau: ſie wußten, daß es der ihrige war; denn er bekundete Dies durch ſein Benehmen. Ebenſo muß bemerkt werden, daß der Zaunkönig zuweilen mehr Neſter baut, als er zum Brüten nöthig hat, und daß nicht blos ein Pärchen gemeinſchaftlich zuſammenwirkt, ſondern daß auch ein einzelner Vogel, ein Männchen z. B., welches keine Gattin erlangen kann, ſehr eifrig ſich Neſter errichtet, welche im gewiſſen Sinne als Vergnügungsbauten angeſehen werden können. Boenigk hat einen Zaunkönig vom April an bis zum Auguſt beobachtet und das Erfahrne ſehr ausführlich beſchrieben — in wenig Worten zuſammengedrängt, wie folgt: Ein Männchen baut viermal ein faſt vollkommenes Neſt, bevor es ihm gelingt, eine Gefährtin zu finden. Nachdem es endlich ſich gepaart hat, müſſen beide Gatten, verfolgt vom Mißgeſchick, dreimal bauen, ehe ſie zum Eierlegen gelangen können, und als nun das Weibchen, erſchreckt durch ſein Unglück, flieht, vielleicht um ſich einen andern Gatten zu ſuchen, müht ſich das verlaſſene Männchen noch mehrere Wochen ab und baut in dieſer Zeit nochmals zwei Wohnungen fertig, welche es nicht benutzt. Dieſes Einzelarbeiten eines Zaunkönigs ſcheint mit einer andern Eigenthümlichkeit des Vogels zuſammenzuhängen. Durch Beobachtungen von Ogilby iſt es nämlich feſtgeſtellt, daß die Zaunkönige ſehr gern in ihren alten Neſtern Nachtruhe halten und zwar nicht blos einer oder ein Pärchen, ſondern die ganze Familie. Daſſelbe hat, nach Päßler, ein Bauer in Anhalt erfahren: er geht an einem Winterabende in den Viehſtall, in der Abſicht, in einem der dort hängenden Schwalbenneſter einen Sperling zu fangen, „bekommt aber die ganze Hand voll Vögel und erkennt zu ſeiner Verwunderung fünf Zaunkönige, welche ſich in Eintracht des Neſtes als Schlafſtätte bedient hatten‟. Unter regelmäßigen Verhältniſſen brütet das Zaunkönigspaar zweimal im Jahre, das erſtemal im April, das zweitemal im Juli. Das Gelege beſteht aus ſechs bis acht ver- hältnißmäßig großen, rundlichen Eiern, welche auf rein- oder gelblichweißem Grunde mit kleinen Pünktchen von rothbrauner oder blutrother Farbe gezeichnet ſind, am dicken Ende oft kranzartig. Beide Eltern brüten abwechſelnd dreizehn Tage lang, füttern gemeinſchaftlich die Jungen groß, halten das Neſt ungemein reichlich und ſorgen überhaupt in jeder Hinſicht für das Wohl ihrer Familie. Die Jungen bleiben lange im Neſte und halten ſich auch, wenn ſie ſchon ausgeflogen ſind, noch lange Zeit zuſammen; wahrſcheinlich beſuchen ſie allnächtlich ihre Kinderwiege wieder.
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Zaunkönig.
ihm Zutritt zu dem Jnnern eines Gebäudes geſtattet, ſo benutzt er es regelmäßig; denn er beſitzt ein
überaus große Ortskenntniß und weiß ſeinen Weg immer wieder zu finden.
Das Neſt gehört unter die künſtlichſten Bauten, welche unſere deutſchen Vögel errichten. Es iſt
aber durchaus nicht leicht, es zu beſchreiben; denn es wird gebaut nach des Orts Gelegenheit und
deshalb außerordentlich verſchiedenartig ausgeführt. Auch der Standort wechſelt ſo vielfach ab, daß
man etwas Beſtimmtes hierüber nicht ſagen kann. Man hat Zaunkönigsneſter ziemlich hoch oben in
Baumwipfeln und auf dem Boden in Erd- oder Baumhöhlen, Mauerlöchern und Felſenſpalten, in
Köhlerhütten oder unter Hausdächern, im Geſtrüpp oder unter Gewurzel, in Holzſtößen und in Berg-
werkſtollen gefunden, immer und überall aber auf ſorgfältig gewählten Plätzen, zumal, wenn es ſich
um das erſte Neſt im Frühjahre handelte, welches erbaut wurde, bevor noch die Pflanzen ſommer-
liche Ueppigkeit zeigten. Einzelne Neſter beſtehen nur aus grünem Moſe, welches ſo dicht zuſammen-
gefilzt iſt, daß es ausſieht, als ob das Ganze zuſammengeleimt wäre; ſie ſind auch innen nur mit
Mos ausgekleidet; ihre Geſtalt iſt kugelförmig, und ein hübſches Schlupfloch führt ins Jnnere.
Andere gleichen einem wirren Haufen von Blättern und ſind im Jnnern mit Federn ausgefüttert;
andere wieder ſind nichts weiter, als eine Aufbeſſerung bereits vorgefundener Neſter. Wie Dem
aber auch ſein möge, unter allen Umſtänden iſt das Neſt ſeinem Standorte entſprechend geſtaltet und
ſind die Stoffe der Umgebung entſprechend gewählt, ſodaß es oft recht ſchwer hält, das im Ver-
hältniß zur Größe des Zaunkönigs ungeheure Neſt zu entdecken. Bemerkenswerth iſt, daß der Vogel
zuweilen eine gewiſſe Oertlichkeit entſchieden bevorzugt. So erzählt Trinthammer, daß ein im
Gebirge lebender Zaunkönig mit den Köhlern oder Pechſchmelzern wanderte, d. h. ſich immer in der
Hütte dieſer Leute anſiedelte, und in ihr ſein Neſt baute, gleichviel ob die Hütte an derſelben Stelle
wie im vorigen Jahre oder an einem andern Orte errichtet wurde. Die Köhler kannten den Vogel
ſehr genau: ſie wußten, daß es der ihrige war; denn er bekundete Dies durch ſein Benehmen. Ebenſo
muß bemerkt werden, daß der Zaunkönig zuweilen mehr Neſter baut, als er zum Brüten nöthig hat, und
daß nicht blos ein Pärchen gemeinſchaftlich zuſammenwirkt, ſondern daß auch ein einzelner Vogel, ein
Männchen z. B., welches keine Gattin erlangen kann, ſehr eifrig ſich Neſter errichtet, welche im
gewiſſen Sinne als Vergnügungsbauten angeſehen werden können. Boenigk hat einen Zaunkönig
vom April an bis zum Auguſt beobachtet und das Erfahrne ſehr ausführlich beſchrieben — in wenig
Worten zuſammengedrängt, wie folgt: Ein Männchen baut viermal ein faſt vollkommenes Neſt,
bevor es ihm gelingt, eine Gefährtin zu finden. Nachdem es endlich ſich gepaart hat, müſſen beide
Gatten, verfolgt vom Mißgeſchick, dreimal bauen, ehe ſie zum Eierlegen gelangen können, und als nun
das Weibchen, erſchreckt durch ſein Unglück, flieht, vielleicht um ſich einen andern Gatten zu ſuchen,
müht ſich das verlaſſene Männchen noch mehrere Wochen ab und baut in dieſer Zeit nochmals zwei
Wohnungen fertig, welche es nicht benutzt. Dieſes Einzelarbeiten eines Zaunkönigs ſcheint mit einer
andern Eigenthümlichkeit des Vogels zuſammenzuhängen. Durch Beobachtungen von Ogilby iſt
es nämlich feſtgeſtellt, daß die Zaunkönige ſehr gern in ihren alten Neſtern Nachtruhe halten und zwar
nicht blos einer oder ein Pärchen, ſondern die ganze Familie. Daſſelbe hat, nach Päßler, ein
Bauer in Anhalt erfahren: er geht an einem Winterabende in den Viehſtall, in der Abſicht, in einem
der dort hängenden Schwalbenneſter einen Sperling zu fangen, „bekommt aber die ganze Hand voll
Vögel und erkennt zu ſeiner Verwunderung fünf Zaunkönige, welche ſich in Eintracht des Neſtes als
Schlafſtätte bedient hatten‟. Unter regelmäßigen Verhältniſſen brütet das Zaunkönigspaar zweimal
im Jahre, das erſtemal im April, das zweitemal im Juli. Das Gelege beſteht aus ſechs bis acht ver-
hältnißmäßig großen, rundlichen Eiern, welche auf rein- oder gelblichweißem Grunde mit kleinen
Pünktchen von rothbrauner oder blutrother Farbe gezeichnet ſind, am dicken Ende oft kranzartig.
Beide Eltern brüten abwechſelnd dreizehn Tage lang, füttern gemeinſchaftlich die Jungen groß, halten
das Neſt ungemein reichlich und ſorgen überhaupt in jeder Hinſicht für das Wohl ihrer Familie. Die
Jungen bleiben lange im Neſte und halten ſich auch, wenn ſie ſchon ausgeflogen ſind, noch lange Zeit
zuſammen; wahrſcheinlich beſuchen ſie allnächtlich ihre Kinderwiege wieder.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 885. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/933>, abgerufen am 22.11.2024.
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