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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Wellensittich.
und über einander liegen, damit auf möglichst wenig Raum die größtmöglichste Anzahl von Vögeln
Platz finden kann. Ein solches Reisegebauer gewährt ein überaus liebliches Bild. Die ganze Ge-
sellschaft sitzt auf den Stangen in Reih und Glied, und eine Reihe Gesichter schaut über die Köpfe
der anderen herüber; aller Augen richten sich nach dem Beschauer, und jeder scheint um Erlösung aus
der engen Haft zu bitten. Streit und Zank, wie er bei anderen Papageien so häufig vorkommt,
werden bei dem Wellensittich nicht beobachtet. Bis zur Brutzeit leben Tausende äußerst verträglich
unter einander und zwar die gleichen Geschlechter ebensowohl, wie die Pärchen. Jch habe in London
das große Zimmer eines Vogelhändlers, welcher eben eine neue Sendung der Wellensittiche erhalten
hatte, mit mehr als tausend Paaren dieser Vögel erfüllt gesehen und auch hier dieselbe Eintracht be-
merkt, wie im Käfig.

Der Wellensittich gehört nicht zu den Unzertrennlichen d. h. zu denjenigen Arten, welche aus
Trauer über den Verlust ihres Gefährten oft dahin welken und sterben; er verlangt aber Gesellschaft und
erklärlicherweise am liebsten die des entgegengesetzten Geschlechts seiner eigenen Art. Jm Nothfall fin-
det er auch in einem verschiedenartigen kleinen Papagei einen Ersatz; niemals jedoch behandelt er einen
anderen Vogel mit jener liebenswürdigen Zärtlichkeit, welche er gegen Seinesgleichen an den Tag legt.
Es ist deshalb nothwendig, ihn immer paarweise zu halten; erst dann gibt er seine ganze Liebens-
würdigkeit kund. Sollte einer der Gatten des Paares durch irgend welchen unglücklichen Zufall
sein Leben verlieren, so ersetzt ein anderer Gefährte des betreffenden Geschlechts den Verlorenen rasch
und vollständig wieder.

Ein wesentlicher Vorzug des Wellensittich ist seine Genügsamkeit. Kein zweiter Stubenvogel
verlangt so wenig Abwechselung in seinem Futter, wie jener kleine Papagei. Jhm genügt ein und
dieselbe Nahrung jahrelang. Wir ersetzen ihm die Grassämereien Australiens durch Hirsen- und
Kanariensamen, dabei befindet er sich wohl und zufrieden. Vielfache Versuche, welche man gemacht hat,
ihn an andere Körner zu gewöhnen, haben keinen Erfolg gehabt. Dagegen nimmt er gerne saftige
Pflanzenblätter zu sich, vor Allem Kohl, Kraut und ähnliches Grünzeug, Mäusegeschirr und der-
gleichen. Früchte, Zucker und andere Leckereien verschmäht er. Trotz seiner Liebhaberei für trockenes
Futter trinkt er sehr wenig, zuweilen wochenlang nicht; demungeachtet darf man nicht versäumen,
ihn fortwährend mit frischem Wasser zu versehen. Es springt in die Augen, daß die Leichtigkeit
der Erhaltung ganz wesentlich dazu beiträgt, den Vogel beliebt zu machen.

Aber der Wellensittich versteht es auch noch in anderer Weise, sich die Zuneigung des Menschen
zu erwerben. Die meisten anderen Papageien werden, so liebenswürdig sie sonst sind, zuweilen uner-
träglich durch ihre Stimme, selbst jene Arten, welche wahre Menschenvögel genannt werden können.
Diejenigen unter ihnen, welche sich in Worten mit ihren Pflegern unterhalten, können ihrem angebo-
renen Hang zum Lärmen nicht widerstehen, und zwischen den nachgeschwatzten Worten der menschlichen
Sprache gellt das abscheuliche Kreischen hindurch. Es gibt wenige Menschen, welche diese Ungezo-
genheit der Papageien auf die Dauer ertragen können. Ganz anders ist es bei den Wellensittichen.
Auch sie haben reiche Stimmmittel; aber sie verwenden diese niemals in lästiger, vielmehr in höchst
erfreulicher Weise. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, daß der männliche Wellen-
papagei den Singvögeln beigezählt werden muß; denn sein Geplauder ist mehr, als ein Gezwitscher:
es wird zu einem, wenn auch bescheidenen, so doch recht ansprechenden Liedchen. Für mich hat der
Gesang dieses Prachtvogels etwas höchst Angenehmes, und andere Thierzüchter sind nicht blos der-
selben Meinung, sondern haben auch erfahren, daß der Wellensittich Lehre annimmt, die reichen Lieder
anderer guter Sänger nämlich, welche er hört, bald täuschend nachahmt.

Der Thierzüchter, welcher Wellensittiche paarweise hält, sie entsprechend pflegt, möglichst wenig
stört und ihnen passende Nisthöhlen schafft, wird fast ausnahmslos die Freude erleben, daß sich seine
Gefangenen vermehren. Am vortheilhaftesten ist es freilich, wenn man einen Schwarm dieser Vögel
zusammenbringen und ihm einen größeren Raum gewähren kann. Dann erregt ein Männchen das
andere, die Eifersucht thut das Jhrige und läßt die Liebe eher und stärker zum Durchbruch kommen.

Wellenſittich.
und über einander liegen, damit auf möglichſt wenig Raum die größtmöglichſte Anzahl von Vögeln
Platz finden kann. Ein ſolches Reiſegebauer gewährt ein überaus liebliches Bild. Die ganze Ge-
ſellſchaft ſitzt auf den Stangen in Reih und Glied, und eine Reihe Geſichter ſchaut über die Köpfe
der anderen herüber; aller Augen richten ſich nach dem Beſchauer, und jeder ſcheint um Erlöſung aus
der engen Haft zu bitten. Streit und Zank, wie er bei anderen Papageien ſo häufig vorkommt,
werden bei dem Wellenſittich nicht beobachtet. Bis zur Brutzeit leben Tauſende äußerſt verträglich
unter einander und zwar die gleichen Geſchlechter ebenſowohl, wie die Pärchen. Jch habe in London
das große Zimmer eines Vogelhändlers, welcher eben eine neue Sendung der Wellenſittiche erhalten
hatte, mit mehr als tauſend Paaren dieſer Vögel erfüllt geſehen und auch hier dieſelbe Eintracht be-
merkt, wie im Käfig.

Der Wellenſittich gehört nicht zu den Unzertrennlichen d. h. zu denjenigen Arten, welche aus
Trauer über den Verluſt ihres Gefährten oft dahin welken und ſterben; er verlangt aber Geſellſchaft und
erklärlicherweiſe am liebſten die des entgegengeſetzten Geſchlechts ſeiner eigenen Art. Jm Nothfall fin-
det er auch in einem verſchiedenartigen kleinen Papagei einen Erſatz; niemals jedoch behandelt er einen
anderen Vogel mit jener liebenswürdigen Zärtlichkeit, welche er gegen Seinesgleichen an den Tag legt.
Es iſt deshalb nothwendig, ihn immer paarweiſe zu halten; erſt dann gibt er ſeine ganze Liebens-
würdigkeit kund. Sollte einer der Gatten des Paares durch irgend welchen unglücklichen Zufall
ſein Leben verlieren, ſo erſetzt ein anderer Gefährte des betreffenden Geſchlechts den Verlorenen raſch
und vollſtändig wieder.

Ein weſentlicher Vorzug des Wellenſittich iſt ſeine Genügſamkeit. Kein zweiter Stubenvogel
verlangt ſo wenig Abwechſelung in ſeinem Futter, wie jener kleine Papagei. Jhm genügt ein und
dieſelbe Nahrung jahrelang. Wir erſetzen ihm die Grasſämereien Auſtraliens durch Hirſen- und
Kanarienſamen, dabei befindet er ſich wohl und zufrieden. Vielfache Verſuche, welche man gemacht hat,
ihn an andere Körner zu gewöhnen, haben keinen Erfolg gehabt. Dagegen nimmt er gerne ſaftige
Pflanzenblätter zu ſich, vor Allem Kohl, Kraut und ähnliches Grünzeug, Mäuſegeſchirr und der-
gleichen. Früchte, Zucker und andere Leckereien verſchmäht er. Trotz ſeiner Liebhaberei für trockenes
Futter trinkt er ſehr wenig, zuweilen wochenlang nicht; demungeachtet darf man nicht verſäumen,
ihn fortwährend mit friſchem Waſſer zu verſehen. Es ſpringt in die Augen, daß die Leichtigkeit
der Erhaltung ganz weſentlich dazu beiträgt, den Vogel beliebt zu machen.

Aber der Wellenſittich verſteht es auch noch in anderer Weiſe, ſich die Zuneigung des Menſchen
zu erwerben. Die meiſten anderen Papageien werden, ſo liebenswürdig ſie ſonſt ſind, zuweilen uner-
träglich durch ihre Stimme, ſelbſt jene Arten, welche wahre Menſchenvögel genannt werden können.
Diejenigen unter ihnen, welche ſich in Worten mit ihren Pflegern unterhalten, können ihrem angebo-
renen Hang zum Lärmen nicht widerſtehen, und zwiſchen den nachgeſchwatzten Worten der menſchlichen
Sprache gellt das abſcheuliche Kreiſchen hindurch. Es gibt wenige Menſchen, welche dieſe Ungezo-
genheit der Papageien auf die Dauer ertragen können. Ganz anders iſt es bei den Wellenſittichen.
Auch ſie haben reiche Stimmmittel; aber ſie verwenden dieſe niemals in läſtiger, vielmehr in höchſt
erfreulicher Weiſe. Es iſt nicht zuviel geſagt, wenn man behauptet, daß der männliche Wellen-
papagei den Singvögeln beigezählt werden muß; denn ſein Geplauder iſt mehr, als ein Gezwitſcher:
es wird zu einem, wenn auch beſcheidenen, ſo doch recht anſprechenden Liedchen. Für mich hat der
Geſang dieſes Prachtvogels etwas höchſt Angenehmes, und andere Thierzüchter ſind nicht blos der-
ſelben Meinung, ſondern haben auch erfahren, daß der Wellenſittich Lehre annimmt, die reichen Lieder
anderer guter Sänger nämlich, welche er hört, bald täuſchend nachahmt.

Der Thierzüchter, welcher Wellenſittiche paarweiſe hält, ſie entſprechend pflegt, möglichſt wenig
ſtört und ihnen paſſende Niſthöhlen ſchafft, wird faſt ausnahmslos die Freude erleben, daß ſich ſeine
Gefangenen vermehren. Am vortheilhafteſten iſt es freilich, wenn man einen Schwarm dieſer Vögel
zuſammenbringen und ihm einen größeren Raum gewähren kann. Dann erregt ein Männchen das
andere, die Eiferſucht thut das Jhrige und läßt die Liebe eher und ſtärker zum Durchbruch kommen.

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[77/0093] Wellenſittich. und über einander liegen, damit auf möglichſt wenig Raum die größtmöglichſte Anzahl von Vögeln Platz finden kann. Ein ſolches Reiſegebauer gewährt ein überaus liebliches Bild. Die ganze Ge- ſellſchaft ſitzt auf den Stangen in Reih und Glied, und eine Reihe Geſichter ſchaut über die Köpfe der anderen herüber; aller Augen richten ſich nach dem Beſchauer, und jeder ſcheint um Erlöſung aus der engen Haft zu bitten. Streit und Zank, wie er bei anderen Papageien ſo häufig vorkommt, werden bei dem Wellenſittich nicht beobachtet. Bis zur Brutzeit leben Tauſende äußerſt verträglich unter einander und zwar die gleichen Geſchlechter ebenſowohl, wie die Pärchen. Jch habe in London das große Zimmer eines Vogelhändlers, welcher eben eine neue Sendung der Wellenſittiche erhalten hatte, mit mehr als tauſend Paaren dieſer Vögel erfüllt geſehen und auch hier dieſelbe Eintracht be- merkt, wie im Käfig. Der Wellenſittich gehört nicht zu den Unzertrennlichen d. h. zu denjenigen Arten, welche aus Trauer über den Verluſt ihres Gefährten oft dahin welken und ſterben; er verlangt aber Geſellſchaft und erklärlicherweiſe am liebſten die des entgegengeſetzten Geſchlechts ſeiner eigenen Art. Jm Nothfall fin- det er auch in einem verſchiedenartigen kleinen Papagei einen Erſatz; niemals jedoch behandelt er einen anderen Vogel mit jener liebenswürdigen Zärtlichkeit, welche er gegen Seinesgleichen an den Tag legt. Es iſt deshalb nothwendig, ihn immer paarweiſe zu halten; erſt dann gibt er ſeine ganze Liebens- würdigkeit kund. Sollte einer der Gatten des Paares durch irgend welchen unglücklichen Zufall ſein Leben verlieren, ſo erſetzt ein anderer Gefährte des betreffenden Geſchlechts den Verlorenen raſch und vollſtändig wieder. Ein weſentlicher Vorzug des Wellenſittich iſt ſeine Genügſamkeit. Kein zweiter Stubenvogel verlangt ſo wenig Abwechſelung in ſeinem Futter, wie jener kleine Papagei. Jhm genügt ein und dieſelbe Nahrung jahrelang. Wir erſetzen ihm die Grasſämereien Auſtraliens durch Hirſen- und Kanarienſamen, dabei befindet er ſich wohl und zufrieden. Vielfache Verſuche, welche man gemacht hat, ihn an andere Körner zu gewöhnen, haben keinen Erfolg gehabt. Dagegen nimmt er gerne ſaftige Pflanzenblätter zu ſich, vor Allem Kohl, Kraut und ähnliches Grünzeug, Mäuſegeſchirr und der- gleichen. Früchte, Zucker und andere Leckereien verſchmäht er. Trotz ſeiner Liebhaberei für trockenes Futter trinkt er ſehr wenig, zuweilen wochenlang nicht; demungeachtet darf man nicht verſäumen, ihn fortwährend mit friſchem Waſſer zu verſehen. Es ſpringt in die Augen, daß die Leichtigkeit der Erhaltung ganz weſentlich dazu beiträgt, den Vogel beliebt zu machen. Aber der Wellenſittich verſteht es auch noch in anderer Weiſe, ſich die Zuneigung des Menſchen zu erwerben. Die meiſten anderen Papageien werden, ſo liebenswürdig ſie ſonſt ſind, zuweilen uner- träglich durch ihre Stimme, ſelbſt jene Arten, welche wahre Menſchenvögel genannt werden können. Diejenigen unter ihnen, welche ſich in Worten mit ihren Pflegern unterhalten, können ihrem angebo- renen Hang zum Lärmen nicht widerſtehen, und zwiſchen den nachgeſchwatzten Worten der menſchlichen Sprache gellt das abſcheuliche Kreiſchen hindurch. Es gibt wenige Menſchen, welche dieſe Ungezo- genheit der Papageien auf die Dauer ertragen können. Ganz anders iſt es bei den Wellenſittichen. Auch ſie haben reiche Stimmmittel; aber ſie verwenden dieſe niemals in läſtiger, vielmehr in höchſt erfreulicher Weiſe. Es iſt nicht zuviel geſagt, wenn man behauptet, daß der männliche Wellen- papagei den Singvögeln beigezählt werden muß; denn ſein Geplauder iſt mehr, als ein Gezwitſcher: es wird zu einem, wenn auch beſcheidenen, ſo doch recht anſprechenden Liedchen. Für mich hat der Geſang dieſes Prachtvogels etwas höchſt Angenehmes, und andere Thierzüchter ſind nicht blos der- ſelben Meinung, ſondern haben auch erfahren, daß der Wellenſittich Lehre annimmt, die reichen Lieder anderer guter Sänger nämlich, welche er hört, bald täuſchend nachahmt. Der Thierzüchter, welcher Wellenſittiche paarweiſe hält, ſie entſprechend pflegt, möglichſt wenig ſtört und ihnen paſſende Niſthöhlen ſchafft, wird faſt ausnahmslos die Freude erleben, daß ſich ſeine Gefangenen vermehren. Am vortheilhafteſten iſt es freilich, wenn man einen Schwarm dieſer Vögel zuſammenbringen und ihm einen größeren Raum gewähren kann. Dann erregt ein Männchen das andere, die Eiferſucht thut das Jhrige und läßt die Liebe eher und ſtärker zum Durchbruch kommen.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/93>, abgerufen am 23.11.2024.