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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Singvögel. Grasmücken.

"Alle Mönche, selbst die Wildfänge, werden außerordentlich zahm und sind dann ihrem Herrn
so zugethan, daß sie ihn oft schon von Weitem mit Gesang begrüßen und sich darin, selbst wenn er
ihren Käfig umherträgt, nicht stören lassen. Einen solchen hatte ich über elf, einen andern neun
Jahre. ... Er ist leicht zu erhalten und verlangt nicht so gutes Futter, wie die Nachtigallen oder
die andern Grasmücken. Jch kenne Liebhaber, welche ihrem Plattmönch nichts Anderes als unter-
einander geriebene Semmel und Rüben geben und ihn doch gesund erhalten." Beeren scheinen seinem
Wohlbefinden sehr förderlich zu sein.

Von einem gefangenen Mönch erzählt Bolle das Nachstehende. "Die Hauptstadt Canaria's
erinnert sich noch des Capirote einer früheren Nonne, die täglich, wenn sie dem noch jungen Vögelchen
Futter reichte, wiederholt: "mi ninno chiceritito" (mein allerliebstes Kindchen) zu ihm sagte, welche
Worte dasselbe bald ohne alle Mühe, laut und tönend, nachsprechen lernte. Das Volk war außer
sich ob der wundersamen Erscheinung eines sprechenden Singvogels. Jahrelang machte er das Ent-
zücken der Bevölkerung aus, und große Summen wurden der Besitzerin für ihn geboten. Umsonst!
Sie vermochte nicht, sich von ihrem Lieblinge zu trennen, in dem sie die ganze Freude, das einzige Glück
ihres Lebens fand. Aber was glänzende Versprechungen außer Stande gewesen waren, ihr zu ent-
reißen, das raubte der Armen die, selbst unter den sanften, freundlichen Sitten der Canarier nicht
ganz schlummernde Bosheit: der Vogel ward von neidischer Hand vergiftet. Sein Ruf aber hat ihn
überlebt, und noch lange wird man von ihm in der Ciudad de las Palmas sprechen."

Als Brutvogel kommt in Deutschland noch eine Art der Familie vor: die Dorngrasmücke,
der Hagschlüpfer, Wald- oder Nachtsänger und Dornreich, die graue, fahle, braune etc.
Grasmücke, das Weißkehlchen und wie sie sonst noch heißt (Curruca cinerea). Sie ist 53/4 Zoll
lang, 81/4 Zoll breit; ihr Fittig mißt 21/2 Zoll und der Schwanz ebensoviel. Unter ihren deutschen
Verwandten zeichnet sie sich durch ihren schlanken Leib und den verhältnißmäßig langen Schwanz, die
weiße Kehle und die rostfarben gekanteten Oberflügel aus. Der Kopf, Hinterhals, Rücken, Steiß
und Bürzel sind fahlaschgrau, rostgrau überflogen; der Unterkörper ist weiß, an der Brust rosengrau
überlaufen; die Schwingen, Steuer- und Flügeldeckfedern sind grauschwarz, letztere breit rostroth
gesäumt. Das Auge ist bräunlichgelb, der Oberschnabel dunkelgrau, der Unterschnabel röthlichgrau,
der Fuß graugelb. Bei den Weibchen und den Jungen sind die Farben minder rein, als bei
den Männchen.

Von Schweden und Rußland an verbreitet sich die Dorngrasmücke nach Süden hin über den
größten Theil Europas. Jm Norden Spaniens, namentlich in Catalonien, und auf Sardinien ist
sie noch Brutvogel, in Griechenland und Südspanien nur Zugvogel. Auf ihrer Winterreise durch-
wandert sie einen großen Theil Afrikas: ich habe sie in den Waldungen Ost-Sudahns aufgefunden;
andere Forscher haben sie in Westafrika beobachtet. Jn Nordwestasien soll sie ebenfalls Sommergaft
sein. Bei uns zu Lande bevorzugt sie niedere Dorngebüsche jeder andern Oertlichkeit; in Spanien
lebt sie mit den kleinen Arten der Familie in dem eigenthümlichen Niederwald, von welcher ich weiter
unten zu reden haben werde. Auf dem Zuge besucht sie zuweilen die Fruchtfelder, in Deutschland
Roggen- oder Weizenfelder, im Süden Europas Maispflanzungen.

"Sie ist", sagt mein Vater, "ein äußerst lebhafter, rascher und gewandter Vogel, ruht keinen
Augenblick, sondern hüpft unaufhörlich in den Gebüschen herum und durchkriecht vermöge ihres
schlanken Leibes mit ungemeiner Geschicklichkeit auch die dichtesten, durchsucht Alles und kommt sehr
oft lange Zeit nicht zum Vorschein. Dann aber hüpft sie wieder herauf, setzt sich auf die Spitze eines
vorstehenden Zweiges, sieht sich um und verbirgt sich von neuem. Dies geht den ganzen Tag ununter-
brochen so fort. Jhr Flug ist geschwind, mit starkem Schwingenschlag, geht aber gewöhnlich tief über
dem Boden dahin und nur kurze Strecken in Einem fort. Jhr Lockton lautet "gät gät scheh scheh" und
drückt verschiedene Gemüthszustände aus. Das Männchen hat einen zwar manchfachen, aber wenig
klangvollen Gesang, welcher aus vielen abgebrochenen Tönen zusammengesetzt ist und an Anmuth und

Die Fänger. Singvögel. Grasmücken.

„Alle Mönche, ſelbſt die Wildfänge, werden außerordentlich zahm und ſind dann ihrem Herrn
ſo zugethan, daß ſie ihn oft ſchon von Weitem mit Geſang begrüßen und ſich darin, ſelbſt wenn er
ihren Käfig umherträgt, nicht ſtören laſſen. Einen ſolchen hatte ich über elf, einen andern neun
Jahre. … Er iſt leicht zu erhalten und verlangt nicht ſo gutes Futter, wie die Nachtigallen oder
die andern Grasmücken. Jch kenne Liebhaber, welche ihrem Plattmönch nichts Anderes als unter-
einander geriebene Semmel und Rüben geben und ihn doch geſund erhalten.‟ Beeren ſcheinen ſeinem
Wohlbefinden ſehr förderlich zu ſein.

Von einem gefangenen Mönch erzählt Bolle das Nachſtehende. „Die Hauptſtadt Canaria’s
erinnert ſich noch des Capirote einer früheren Nonne, die täglich, wenn ſie dem noch jungen Vögelchen
Futter reichte, wiederholt: „mi niño chiceritito‟ (mein allerliebſtes Kindchen) zu ihm ſagte, welche
Worte daſſelbe bald ohne alle Mühe, laut und tönend, nachſprechen lernte. Das Volk war außer
ſich ob der wunderſamen Erſcheinung eines ſprechenden Singvogels. Jahrelang machte er das Ent-
zücken der Bevölkerung aus, und große Summen wurden der Beſitzerin für ihn geboten. Umſonſt!
Sie vermochte nicht, ſich von ihrem Lieblinge zu trennen, in dem ſie die ganze Freude, das einzige Glück
ihres Lebens fand. Aber was glänzende Verſprechungen außer Stande geweſen waren, ihr zu ent-
reißen, das raubte der Armen die, ſelbſt unter den ſanften, freundlichen Sitten der Canarier nicht
ganz ſchlummernde Bosheit: der Vogel ward von neidiſcher Hand vergiftet. Sein Ruf aber hat ihn
überlebt, und noch lange wird man von ihm in der Ciudad de las Palmas ſprechen.‟

Als Brutvogel kommt in Deutſchland noch eine Art der Familie vor: die Dorngrasmücke,
der Hagſchlüpfer, Wald- oder Nachtſänger und Dornreich, die graue, fahle, braune ꝛc.
Grasmücke, das Weißkehlchen und wie ſie ſonſt noch heißt (Curruca cinerea). Sie iſt 5¾ Zoll
lang, 8¼ Zoll breit; ihr Fittig mißt 2½ Zoll und der Schwanz ebenſoviel. Unter ihren deutſchen
Verwandten zeichnet ſie ſich durch ihren ſchlanken Leib und den verhältnißmäßig langen Schwanz, die
weiße Kehle und die roſtfarben gekanteten Oberflügel aus. Der Kopf, Hinterhals, Rücken, Steiß
und Bürzel ſind fahlaſchgrau, roſtgrau überflogen; der Unterkörper iſt weiß, an der Bruſt roſengrau
überlaufen; die Schwingen, Steuer- und Flügeldeckfedern ſind grauſchwarz, letztere breit roſtroth
geſäumt. Das Auge iſt bräunlichgelb, der Oberſchnabel dunkelgrau, der Unterſchnabel röthlichgrau,
der Fuß graugelb. Bei den Weibchen und den Jungen ſind die Farben minder rein, als bei
den Männchen.

Von Schweden und Rußland an verbreitet ſich die Dorngrasmücke nach Süden hin über den
größten Theil Europas. Jm Norden Spaniens, namentlich in Catalonien, und auf Sardinien iſt
ſie noch Brutvogel, in Griechenland und Südſpanien nur Zugvogel. Auf ihrer Winterreiſe durch-
wandert ſie einen großen Theil Afrikas: ich habe ſie in den Waldungen Oſt-Sudahns aufgefunden;
andere Forſcher haben ſie in Weſtafrika beobachtet. Jn Nordweſtaſien ſoll ſie ebenfalls Sommergaft
ſein. Bei uns zu Lande bevorzugt ſie niedere Dorngebüſche jeder andern Oertlichkeit; in Spanien
lebt ſie mit den kleinen Arten der Familie in dem eigenthümlichen Niederwald, von welcher ich weiter
unten zu reden haben werde. Auf dem Zuge beſucht ſie zuweilen die Fruchtfelder, in Deutſchland
Roggen- oder Weizenfelder, im Süden Europas Maispflanzungen.

„Sie iſt‟, ſagt mein Vater, „ein äußerſt lebhafter, raſcher und gewandter Vogel, ruht keinen
Augenblick, ſondern hüpft unaufhörlich in den Gebüſchen herum und durchkriecht vermöge ihres
ſchlanken Leibes mit ungemeiner Geſchicklichkeit auch die dichteſten, durchſucht Alles und kommt ſehr
oft lange Zeit nicht zum Vorſchein. Dann aber hüpft ſie wieder herauf, ſetzt ſich auf die Spitze eines
vorſtehenden Zweiges, ſieht ſich um und verbirgt ſich von neuem. Dies geht den ganzen Tag ununter-
brochen ſo fort. Jhr Flug iſt geſchwind, mit ſtarkem Schwingenſchlag, geht aber gewöhnlich tief über
dem Boden dahin und nur kurze Strecken in Einem fort. Jhr Lockton lautet „gät gät ſcheh ſcheh‟ und
drückt verſchiedene Gemüthszuſtände aus. Das Männchen hat einen zwar manchfachen, aber wenig
klangvollen Geſang, welcher aus vielen abgebrochenen Tönen zuſammengeſetzt iſt und an Anmuth und

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[846/0894] Die Fänger. Singvögel. Grasmücken. „Alle Mönche, ſelbſt die Wildfänge, werden außerordentlich zahm und ſind dann ihrem Herrn ſo zugethan, daß ſie ihn oft ſchon von Weitem mit Geſang begrüßen und ſich darin, ſelbſt wenn er ihren Käfig umherträgt, nicht ſtören laſſen. Einen ſolchen hatte ich über elf, einen andern neun Jahre. … Er iſt leicht zu erhalten und verlangt nicht ſo gutes Futter, wie die Nachtigallen oder die andern Grasmücken. Jch kenne Liebhaber, welche ihrem Plattmönch nichts Anderes als unter- einander geriebene Semmel und Rüben geben und ihn doch geſund erhalten.‟ Beeren ſcheinen ſeinem Wohlbefinden ſehr förderlich zu ſein. Von einem gefangenen Mönch erzählt Bolle das Nachſtehende. „Die Hauptſtadt Canaria’s erinnert ſich noch des Capirote einer früheren Nonne, die täglich, wenn ſie dem noch jungen Vögelchen Futter reichte, wiederholt: „mi niño chiceritito‟ (mein allerliebſtes Kindchen) zu ihm ſagte, welche Worte daſſelbe bald ohne alle Mühe, laut und tönend, nachſprechen lernte. Das Volk war außer ſich ob der wunderſamen Erſcheinung eines ſprechenden Singvogels. Jahrelang machte er das Ent- zücken der Bevölkerung aus, und große Summen wurden der Beſitzerin für ihn geboten. Umſonſt! Sie vermochte nicht, ſich von ihrem Lieblinge zu trennen, in dem ſie die ganze Freude, das einzige Glück ihres Lebens fand. Aber was glänzende Verſprechungen außer Stande geweſen waren, ihr zu ent- reißen, das raubte der Armen die, ſelbſt unter den ſanften, freundlichen Sitten der Canarier nicht ganz ſchlummernde Bosheit: der Vogel ward von neidiſcher Hand vergiftet. Sein Ruf aber hat ihn überlebt, und noch lange wird man von ihm in der Ciudad de las Palmas ſprechen.‟ Als Brutvogel kommt in Deutſchland noch eine Art der Familie vor: die Dorngrasmücke, der Hagſchlüpfer, Wald- oder Nachtſänger und Dornreich, die graue, fahle, braune ꝛc. Grasmücke, das Weißkehlchen und wie ſie ſonſt noch heißt (Curruca cinerea). Sie iſt 5¾ Zoll lang, 8¼ Zoll breit; ihr Fittig mißt 2½ Zoll und der Schwanz ebenſoviel. Unter ihren deutſchen Verwandten zeichnet ſie ſich durch ihren ſchlanken Leib und den verhältnißmäßig langen Schwanz, die weiße Kehle und die roſtfarben gekanteten Oberflügel aus. Der Kopf, Hinterhals, Rücken, Steiß und Bürzel ſind fahlaſchgrau, roſtgrau überflogen; der Unterkörper iſt weiß, an der Bruſt roſengrau überlaufen; die Schwingen, Steuer- und Flügeldeckfedern ſind grauſchwarz, letztere breit roſtroth geſäumt. Das Auge iſt bräunlichgelb, der Oberſchnabel dunkelgrau, der Unterſchnabel röthlichgrau, der Fuß graugelb. Bei den Weibchen und den Jungen ſind die Farben minder rein, als bei den Männchen. Von Schweden und Rußland an verbreitet ſich die Dorngrasmücke nach Süden hin über den größten Theil Europas. Jm Norden Spaniens, namentlich in Catalonien, und auf Sardinien iſt ſie noch Brutvogel, in Griechenland und Südſpanien nur Zugvogel. Auf ihrer Winterreiſe durch- wandert ſie einen großen Theil Afrikas: ich habe ſie in den Waldungen Oſt-Sudahns aufgefunden; andere Forſcher haben ſie in Weſtafrika beobachtet. Jn Nordweſtaſien ſoll ſie ebenfalls Sommergaft ſein. Bei uns zu Lande bevorzugt ſie niedere Dorngebüſche jeder andern Oertlichkeit; in Spanien lebt ſie mit den kleinen Arten der Familie in dem eigenthümlichen Niederwald, von welcher ich weiter unten zu reden haben werde. Auf dem Zuge beſucht ſie zuweilen die Fruchtfelder, in Deutſchland Roggen- oder Weizenfelder, im Süden Europas Maispflanzungen. „Sie iſt‟, ſagt mein Vater, „ein äußerſt lebhafter, raſcher und gewandter Vogel, ruht keinen Augenblick, ſondern hüpft unaufhörlich in den Gebüſchen herum und durchkriecht vermöge ihres ſchlanken Leibes mit ungemeiner Geſchicklichkeit auch die dichteſten, durchſucht Alles und kommt ſehr oft lange Zeit nicht zum Vorſchein. Dann aber hüpft ſie wieder herauf, ſetzt ſich auf die Spitze eines vorſtehenden Zweiges, ſieht ſich um und verbirgt ſich von neuem. Dies geht den ganzen Tag ununter- brochen ſo fort. Jhr Flug iſt geſchwind, mit ſtarkem Schwingenſchlag, geht aber gewöhnlich tief über dem Boden dahin und nur kurze Strecken in Einem fort. Jhr Lockton lautet „gät gät ſcheh ſcheh‟ und drückt verſchiedene Gemüthszuſtände aus. Das Männchen hat einen zwar manchfachen, aber wenig klangvollen Geſang, welcher aus vielen abgebrochenen Tönen zuſammengeſetzt iſt und an Anmuth und

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 846. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/894>, abgerufen am 22.11.2024.