Krüper fand es im Wipfel eines wilden Birnbaumes. Gewöhnlich ist es nicht versteckt, sondern leicht sichtbar zwischen die Astspitzen gesetzt. Jn der Bauart unterscheidet es sich nur dadurch von andern Grasmückennestern, daß es dickwandiger und nicht so lose gebaut ist. Jnwendig sind manche Nester mit Rindenstreifen von Weinreben ausgelegt; Thienemann erwähnt eines, welches sogar mit Fischschuppen ausgekleidet war. Das Gelege besteht aus fünf feinschaligen, feinporigen und glänzenden Eiern, welche auf weißem oder grünlichweißem Grunde violettgraue Unter- und gelb- braune Oberflecken zeigen. Letztere können auch gänzlich fehlen. Das Weibchen scheint, nach Krüper, das Brutgeschäft allein zu übernehmen, und das Männchen sitzt währenddem nicht in der Nähe, sondern in bedeutender Entfernung vom Neste und singt hier seine Liebeslieder. Die Jungen werden noch einige Zeit nach dem Ausfliegen geführt und zwar von beiden Eltern; sobald aber die Mauser eintritt, lösen sich die Familien auf, und jedes einzelne Mitglied treibt sich nun allein umher.
Daß sich der Meistersänger bei geeigneter Pflege im Käfige jahrelang hält, ist durch Homeyer's Beobachtung zur Genüge erwiesen.
Als nordischen Vertreter des vorstehend beschriebenen Südländers darf unsere Gartengras- mücke (Curruca hortensis) angesehen werden. Sie ist 6 Zoll lang, 93/4 Zoll breit; der Fittig mißt 3, der Schwanz 21/2 Zoll. Das Weibchen ist bedeutend kleiner, dem Männchen aber durchaus ähnlich gefärbt. Das Gefieder der Oberseite ist olivengrau, das der Unterseite hellgrau, an der Kehle und am Bauche weißlich; die Schwingen und der Schwanz sind dunkelgrau. Das Auge ist lichtgrau- braun, der Schnabel und der Fuß sind schmuzigbleigrau.
Als die Heimat der Gartengrasmücke darf, wie es scheint, Mitteleuropa angesehen werden. Nach Norden hin verbreitet sie sich bis zu 68° nördl. Breite; nach Süden hin nimmt sie rasch an Anzahl ab. Sie ist in Griechenland, Lindermayer's Beobachtungen, und in Spanien, den unsrigen zufolge, eine seltene Crscheinung, obwohl sie hier wie dort Brutvogel sein dürfte. Jn Süd- frankreich und in Jtalien soll sie sehr häufig sein. Sie trifft bei uns Ende Aprils oder spätestens Anfangs Mai ein und verläßt uns wieder im September. Auch sie bevorzugt den Wald; aber sie macht auch ihrem Namen alle Ehre: denn jeder buschreiche Garten, namentlich jeder Obstgarten, weiß sie zu fesseln, selbstverständlich umso sicherer, je verwilderter er ist, d. h. je mehr dichte Hecken und Gebüsche er hat. Sie treibt sich ebensoviel im niederen Gebüsch wie in den Kronen mittelhoher Bäume umher, wählt aber, wenn sie singen will, gern eine mäßige Höhe.
Durch ihr Betragen unterscheidet sie sich zu ihrem Vortheil von andern Arten ihrer Familie. "Sie ist", wie Naumann sagt, "ein einsamer, harmloser Vogel, welcher sich durch ein stilles, aber thätiges Leben auszeichnet, in steter Bewegung ist, dabei aber keinen der ihn umgebenden Vögel stört oder anfeindet und selbst gegen die Menschen einiges Zutrauen verräth; denn er ist vorsichtig, aber nicht scheu und treibt sein Wesen oft unbekümmert in den Zweigen der Obstbäume, während gerade unter ihm Menschen arbeiten. Er hüpft, wie die andern Grasmücken, in sehr gebückter Stellung leicht und schnell durch die Aeste hin, aber ebenso schwerfällig, schief und selten auf der Erde, wie jene. Da er mehr auf Bäumen, als im Gebüsch lebt, so sieht man ihn auch öfter als andere Arten von Baum zu Baum, selbst über größere freie Flächen fliegen; er schnurrt dann schußweise fort, während er im Wanderfluge eine regelmäßigere Schlangenlinie beschreibt." Die Lockstimme ist ein schnalzendes "Täck täck", der Warnungsruf ein schnarchendes "Nrahr", der Angstruf ein schwer zu beschreibendes Gequak, der Ausdruck des Wohlbehagens ein sanftes, nur in der Nähe vernehmliches "Biwäwäwü". Der Gesang gehört zu den besten, welche in unsern Wäldern oder Gärten laut werden. "Sobald das Männchen", fährt Naumann fort, "im Frühling bei uns ankommt, hört man seinen vortrefflichen, aus lauter flötenartigen, sanften, dabei aber doch lauten und sehr abwechselnden Tönen zusammengesetzten Gesang, dessen lange Melodie im mäßigen Tempo und meistens ohne Unter- brechung vorgetragen wird, aus dem Grün der Bäume erschallen, und zwar vom frühen Morgen bis nach Sonnenuntergang, den ganzen Tag über, bis nach Johannistag. Nur in der Zeit, wenn das
Meiſterſänger. Gartengrasmücke.
Krüper fand es im Wipfel eines wilden Birnbaumes. Gewöhnlich iſt es nicht verſteckt, ſondern leicht ſichtbar zwiſchen die Aſtſpitzen geſetzt. Jn der Bauart unterſcheidet es ſich nur dadurch von andern Grasmückenneſtern, daß es dickwandiger und nicht ſo loſe gebaut iſt. Jnwendig ſind manche Neſter mit Rindenſtreifen von Weinreben ausgelegt; Thienemann erwähnt eines, welches ſogar mit Fiſchſchuppen ausgekleidet war. Das Gelege beſteht aus fünf feinſchaligen, feinporigen und glänzenden Eiern, welche auf weißem oder grünlichweißem Grunde violettgraue Unter- und gelb- braune Oberflecken zeigen. Letztere können auch gänzlich fehlen. Das Weibchen ſcheint, nach Krüper, das Brutgeſchäft allein zu übernehmen, und das Männchen ſitzt währenddem nicht in der Nähe, ſondern in bedeutender Entfernung vom Neſte und ſingt hier ſeine Liebeslieder. Die Jungen werden noch einige Zeit nach dem Ausfliegen geführt und zwar von beiden Eltern; ſobald aber die Mauſer eintritt, löſen ſich die Familien auf, und jedes einzelne Mitglied treibt ſich nun allein umher.
Daß ſich der Meiſterſänger bei geeigneter Pflege im Käfige jahrelang hält, iſt durch Homeyer’s Beobachtung zur Genüge erwieſen.
Als nordiſchen Vertreter des vorſtehend beſchriebenen Südländers darf unſere Gartengras- mücke (Curruca hortensis) angeſehen werden. Sie iſt 6 Zoll lang, 9¾ Zoll breit; der Fittig mißt 3, der Schwanz 2½ Zoll. Das Weibchen iſt bedeutend kleiner, dem Männchen aber durchaus ähnlich gefärbt. Das Gefieder der Oberſeite iſt olivengrau, das der Unterſeite hellgrau, an der Kehle und am Bauche weißlich; die Schwingen und der Schwanz ſind dunkelgrau. Das Auge iſt lichtgrau- braun, der Schnabel und der Fuß ſind ſchmuzigbleigrau.
Als die Heimat der Gartengrasmücke darf, wie es ſcheint, Mitteleuropa angeſehen werden. Nach Norden hin verbreitet ſie ſich bis zu 68° nördl. Breite; nach Süden hin nimmt ſie raſch an Anzahl ab. Sie iſt in Griechenland, Lindermayer’s Beobachtungen, und in Spanien, den unſrigen zufolge, eine ſeltene Crſcheinung, obwohl ſie hier wie dort Brutvogel ſein dürfte. Jn Süd- frankreich und in Jtalien ſoll ſie ſehr häufig ſein. Sie trifft bei uns Ende Aprils oder ſpäteſtens Anfangs Mai ein und verläßt uns wieder im September. Auch ſie bevorzugt den Wald; aber ſie macht auch ihrem Namen alle Ehre: denn jeder buſchreiche Garten, namentlich jeder Obſtgarten, weiß ſie zu feſſeln, ſelbſtverſtändlich umſo ſicherer, je verwilderter er iſt, d. h. je mehr dichte Hecken und Gebüſche er hat. Sie treibt ſich ebenſoviel im niederen Gebüſch wie in den Kronen mittelhoher Bäume umher, wählt aber, wenn ſie ſingen will, gern eine mäßige Höhe.
Durch ihr Betragen unterſcheidet ſie ſich zu ihrem Vortheil von andern Arten ihrer Familie. „Sie iſt‟, wie Naumann ſagt, „ein einſamer, harmloſer Vogel, welcher ſich durch ein ſtilles, aber thätiges Leben auszeichnet, in ſteter Bewegung iſt, dabei aber keinen der ihn umgebenden Vögel ſtört oder anfeindet und ſelbſt gegen die Menſchen einiges Zutrauen verräth; denn er iſt vorſichtig, aber nicht ſcheu und treibt ſein Weſen oft unbekümmert in den Zweigen der Obſtbäume, während gerade unter ihm Menſchen arbeiten. Er hüpft, wie die andern Grasmücken, in ſehr gebückter Stellung leicht und ſchnell durch die Aeſte hin, aber ebenſo ſchwerfällig, ſchief und ſelten auf der Erde, wie jene. Da er mehr auf Bäumen, als im Gebüſch lebt, ſo ſieht man ihn auch öfter als andere Arten von Baum zu Baum, ſelbſt über größere freie Flächen fliegen; er ſchnurrt dann ſchußweiſe fort, während er im Wanderfluge eine regelmäßigere Schlangenlinie beſchreibt.‟ Die Lockſtimme iſt ein ſchnalzendes „Täck täck‟, der Warnungsruf ein ſchnarchendes „Nrahr‟, der Angſtruf ein ſchwer zu beſchreibendes Gequak, der Ausdruck des Wohlbehagens ein ſanftes, nur in der Nähe vernehmliches „Biwäwäwü‟. Der Geſang gehört zu den beſten, welche in unſern Wäldern oder Gärten laut werden. „Sobald das Männchen‟, fährt Naumann fort, „im Frühling bei uns ankommt, hört man ſeinen vortrefflichen, aus lauter flötenartigen, ſanften, dabei aber doch lauten und ſehr abwechſelnden Tönen zuſammengeſetzten Geſang, deſſen lange Melodie im mäßigen Tempo und meiſtens ohne Unter- brechung vorgetragen wird, aus dem Grün der Bäume erſchallen, und zwar vom frühen Morgen bis nach Sonnenuntergang, den ganzen Tag über, bis nach Johannistag. Nur in der Zeit, wenn das
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Meiſterſänger. Gartengrasmücke.
Krüper fand es im Wipfel eines wilden Birnbaumes. Gewöhnlich iſt es nicht verſteckt, ſondern
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andern Grasmückenneſtern, daß es dickwandiger und nicht ſo loſe gebaut iſt. Jnwendig ſind manche
Neſter mit Rindenſtreifen von Weinreben ausgelegt; Thienemann erwähnt eines, welches ſogar
mit Fiſchſchuppen ausgekleidet war. Das Gelege beſteht aus fünf feinſchaligen, feinporigen und
glänzenden Eiern, welche auf weißem oder grünlichweißem Grunde violettgraue Unter- und gelb-
braune Oberflecken zeigen. Letztere können auch gänzlich fehlen. Das Weibchen ſcheint, nach Krüper,
das Brutgeſchäft allein zu übernehmen, und das Männchen ſitzt währenddem nicht in der Nähe, ſondern
in bedeutender Entfernung vom Neſte und ſingt hier ſeine Liebeslieder. Die Jungen werden noch
einige Zeit nach dem Ausfliegen geführt und zwar von beiden Eltern; ſobald aber die Mauſer eintritt,
löſen ſich die Familien auf, und jedes einzelne Mitglied treibt ſich nun allein umher.
Daß ſich der Meiſterſänger bei geeigneter Pflege im Käfige jahrelang hält, iſt durch Homeyer’s
Beobachtung zur Genüge erwieſen.
Als nordiſchen Vertreter des vorſtehend beſchriebenen Südländers darf unſere Gartengras-
mücke (Curruca hortensis) angeſehen werden. Sie iſt 6 Zoll lang, 9¾ Zoll breit; der Fittig mißt 3,
der Schwanz 2½ Zoll. Das Weibchen iſt bedeutend kleiner, dem Männchen aber durchaus ähnlich
gefärbt. Das Gefieder der Oberſeite iſt olivengrau, das der Unterſeite hellgrau, an der Kehle und
am Bauche weißlich; die Schwingen und der Schwanz ſind dunkelgrau. Das Auge iſt lichtgrau-
braun, der Schnabel und der Fuß ſind ſchmuzigbleigrau.
Als die Heimat der Gartengrasmücke darf, wie es ſcheint, Mitteleuropa angeſehen werden.
Nach Norden hin verbreitet ſie ſich bis zu 68° nördl. Breite; nach Süden hin nimmt ſie raſch an
Anzahl ab. Sie iſt in Griechenland, Lindermayer’s Beobachtungen, und in Spanien, den
unſrigen zufolge, eine ſeltene Crſcheinung, obwohl ſie hier wie dort Brutvogel ſein dürfte. Jn Süd-
frankreich und in Jtalien ſoll ſie ſehr häufig ſein. Sie trifft bei uns Ende Aprils oder ſpäteſtens
Anfangs Mai ein und verläßt uns wieder im September. Auch ſie bevorzugt den Wald; aber ſie
macht auch ihrem Namen alle Ehre: denn jeder buſchreiche Garten, namentlich jeder Obſtgarten, weiß
ſie zu feſſeln, ſelbſtverſtändlich umſo ſicherer, je verwilderter er iſt, d. h. je mehr dichte Hecken und
Gebüſche er hat. Sie treibt ſich ebenſoviel im niederen Gebüſch wie in den Kronen mittelhoher Bäume
umher, wählt aber, wenn ſie ſingen will, gern eine mäßige Höhe.
Durch ihr Betragen unterſcheidet ſie ſich zu ihrem Vortheil von andern Arten ihrer Familie.
„Sie iſt‟, wie Naumann ſagt, „ein einſamer, harmloſer Vogel, welcher ſich durch ein ſtilles, aber
thätiges Leben auszeichnet, in ſteter Bewegung iſt, dabei aber keinen der ihn umgebenden Vögel ſtört
oder anfeindet und ſelbſt gegen die Menſchen einiges Zutrauen verräth; denn er iſt vorſichtig, aber
nicht ſcheu und treibt ſein Weſen oft unbekümmert in den Zweigen der Obſtbäume, während gerade
unter ihm Menſchen arbeiten. Er hüpft, wie die andern Grasmücken, in ſehr gebückter Stellung
leicht und ſchnell durch die Aeſte hin, aber ebenſo ſchwerfällig, ſchief und ſelten auf der Erde, wie jene.
Da er mehr auf Bäumen, als im Gebüſch lebt, ſo ſieht man ihn auch öfter als andere Arten von
Baum zu Baum, ſelbſt über größere freie Flächen fliegen; er ſchnurrt dann ſchußweiſe fort,
während er im Wanderfluge eine regelmäßigere Schlangenlinie beſchreibt.‟ Die Lockſtimme iſt ein
ſchnalzendes „Täck täck‟, der Warnungsruf ein ſchnarchendes „Nrahr‟, der Angſtruf ein ſchwer zu
beſchreibendes Gequak, der Ausdruck des Wohlbehagens ein ſanftes, nur in der Nähe vernehmliches
„Biwäwäwü‟. Der Geſang gehört zu den beſten, welche in unſern Wäldern oder Gärten laut
werden. „Sobald das Männchen‟, fährt Naumann fort, „im Frühling bei uns ankommt, hört
man ſeinen vortrefflichen, aus lauter flötenartigen, ſanften, dabei aber doch lauten und ſehr abwechſelnden
Tönen zuſammengeſetzten Geſang, deſſen lange Melodie im mäßigen Tempo und meiſtens ohne Unter-
brechung vorgetragen wird, aus dem Grün der Bäume erſchallen, und zwar vom frühen Morgen bis
nach Sonnenuntergang, den ganzen Tag über, bis nach Johannistag. Nur in der Zeit, wenn das
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 841. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/889>, abgerufen am 22.11.2024.
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