darauf folgendes tieferes Pfeifen läßt sie vernehmen; es ist eine leisere Klage, welche sie dem Ohre zuhaucht." ... "Gleich der Nachtigall schlägt sie drei bis vier Mal mit der Silbe "djuu" an, läßt aber dann einen langen Triller folgen, welcher einigermaßen dem der Feldlerche ähnelt. Das Schnar- ren fehlt nicht immer, ist aber stets sehr schwach." Gegen die Brutzeit hin, welche in den Juni fällt, singt das Männchen viel, zumal in den Nachtstunden. Es sitzt dabei gewöhnlich auf dem Wipfel eines kleinen Birken- oder Erlenbaumes, "bläst die Kehle auf, wie unsere Nachtigall thut, breitet, wie das Blaukehlchen, die Flügel etwas aus und trägt zugleich den Schwanz im rechten Winkel aufgehoben, doch ohne ihn auszubreiten oder zu bewegen". -- Die Weibchen halten sich, während das Männchen singt, wie immer sehr verborgen im niederen Gebüsch und kommen nicht oder nur auf Augenblicke zum Vorschein.
Kittlitz, welcher Vorstehendes berichtet, suchte vergeblich nach dem Neste der Calliope; Midden- dorf fand mehrere in der Gegend des Taimyr-Flusses auf. Sie waren immer auf dem Boden angelegt, zwischen den Stämmchen verkrüppelter Weiden, dicht am Flusse, und regelmäßig auf Flächen, welche im Frühjahre überschwemmt und mit Sand- und sonderbar zusammengethürmten Treib- holzhaufen bedeckt worden waren. Das Nest gehört zu den kunstvollen, indem es nicht nur überdacht, sondern überdies mit einer kurzen, dem Sande wagrecht anliegenden Eingangsröhre versehen ist. Das Gelege enthält bis fünf Eier von gleichmäßig blaulichgrüner Farbe, welche denen des Alpenflühvogels täuschend ähnlich sind. Ende Junis brüteten, nach Middendorf's Erfahrungen, die Vögel eifrig. "Näherte man sich einem Neste, so schlüpfte das Weibchen, ohne aufzufliegen, hervor, gewann, in geduckter Stellung forthüpfend, den nächsten Treibholzhaufen und verkroch sich in den Zwischen- räumen." Ende Augusts trugen Junge, welche Kittlitz erlegte, noch das Jugendkleid.
Jn China ist die "Hung-po" (Rothbrust) oder "Chin-po" (Goldbrust), wie die Calliope hier genannt wird, ein allgemein bekannter Liebling der Thierfreunde. Sie wird oft gefangen gehalten und zwar nicht im Gebauer, sondern vermittelst eines ihr um den Hals geschlungenen Fadens, ange- fesselt an einem Zweige, wie es im Norden des himmlischen Reiches, laut Swinhoe, überhaupt üblich ist. Durch Radde erfahren wir, daß die Gefangenen bis gegen den September hin singen.
Wahrscheinlich läßt sich die Calliope ebenso leicht in Fallen berücken, wie unser Blaukehlchen, dem sie auch darin ähnelt, daß sie dem Jäger gegenüber höchst vorsichtig ist. Einige Männchen, welche Radde in einer Hecke auffand, ließen sich erst in der Dämmerung beschleichen, sonst aber kaum nahe kommen. "Hielt ich mich", sagt unser Gewährsmann, "um sie zu schießen, links von der Hecke, so schlüpften sie sehr geschickt durch die kleinen Oeffnungen auf die rechte Seite und umgekehrt." Genau so verfahren, wie wir wissen, die Blaukehlchen.
Das letzte Mitglied der Familie, welches ich zu schildern habe, ist unser allbekanntes Roth- kehlchen oder Rothbrüstchen, Kehl-, Wald-, oder Winterröthchen, Rothkröpfchen oder Rothbärtchen (Rubecula sylvestris). Ein drosselartiger, auf der Oberfirste etwas gebogener, vor dem angedeuteten Haken seicht eingekerbter Schnabel, mittelhohe, schwache Füße, ziemlich kurze und schwächliche Flügel, in denen die vierte und fünfte Schwinge die andern an Länge überragen, ein mittellanger, aus zugespitzten Federn bestehender, in der Mitte leicht ausgeschnittener Schwanz und ein lockeres, weitstrahliges, bei beiden Geschlechtern gleichfarbiges, in der Jugend geflecktes Gefieder sind die Kennzeichen der Sippe, deren Vertreter es ist. Die Oberseite ist dunkelolivengrau, die Unter- seite graulich, Stirn, Kehle und Oberbrust sind gelbroth. Das Weibchen ist etwas blässer, als das Männchen; die Jungen zeigen oben auf olivengrauem Grunde rostgelbe Schaftflecken, unten auf matt- rostgelbem Grunde graue Schaftflecken und Ränder. Das große Auge ist braun, der Schnabel schwärzlichbraun, der Fuß röthlich hornfarben. Die Länge beträgt 51/2, die Breite 81/2, die Fittig- länge 23/4, die Schwanzlänge 21/2 Zoll.
Es scheint, daß unser Rothkehlchen nur in Europa heimisch ist, sich wenigstens nicht weit über die Grenzen dieses Erdtheils hinaus verbreitet. Auf seinem Zuge besucht es Nordwestafrika und
Die Fänger. Singvögel. Erdſänger.
darauf folgendes tieferes Pfeifen läßt ſie vernehmen; es iſt eine leiſere Klage, welche ſie dem Ohre zuhaucht.‟ … „Gleich der Nachtigall ſchlägt ſie drei bis vier Mal mit der Silbe „djuu‟ an, läßt aber dann einen langen Triller folgen, welcher einigermaßen dem der Feldlerche ähnelt. Das Schnar- ren fehlt nicht immer, iſt aber ſtets ſehr ſchwach.‟ Gegen die Brutzeit hin, welche in den Juni fällt, ſingt das Männchen viel, zumal in den Nachtſtunden. Es ſitzt dabei gewöhnlich auf dem Wipfel eines kleinen Birken- oder Erlenbaumes, „bläſt die Kehle auf, wie unſere Nachtigall thut, breitet, wie das Blaukehlchen, die Flügel etwas aus und trägt zugleich den Schwanz im rechten Winkel aufgehoben, doch ohne ihn auszubreiten oder zu bewegen‟. — Die Weibchen halten ſich, während das Männchen ſingt, wie immer ſehr verborgen im niederen Gebüſch und kommen nicht oder nur auf Augenblicke zum Vorſchein.
Kittlitz, welcher Vorſtehendes berichtet, ſuchte vergeblich nach dem Neſte der Calliope; Midden- dorf fand mehrere in der Gegend des Taimyr-Fluſſes auf. Sie waren immer auf dem Boden angelegt, zwiſchen den Stämmchen verkrüppelter Weiden, dicht am Fluſſe, und regelmäßig auf Flächen, welche im Frühjahre überſchwemmt und mit Sand- und ſonderbar zuſammengethürmten Treib- holzhaufen bedeckt worden waren. Das Neſt gehört zu den kunſtvollen, indem es nicht nur überdacht, ſondern überdies mit einer kurzen, dem Sande wagrecht anliegenden Eingangsröhre verſehen iſt. Das Gelege enthält bis fünf Eier von gleichmäßig blaulichgrüner Farbe, welche denen des Alpenflühvogels täuſchend ähnlich ſind. Ende Junis brüteten, nach Middendorf’s Erfahrungen, die Vögel eifrig. „Näherte man ſich einem Neſte, ſo ſchlüpfte das Weibchen, ohne aufzufliegen, hervor, gewann, in geduckter Stellung forthüpfend, den nächſten Treibholzhaufen und verkroch ſich in den Zwiſchen- räumen.‟ Ende Auguſts trugen Junge, welche Kittlitz erlegte, noch das Jugendkleid.
Jn China iſt die „Hung-po‟ (Rothbruſt) oder „Chin-po‟ (Goldbruſt), wie die Calliope hier genannt wird, ein allgemein bekannter Liebling der Thierfreunde. Sie wird oft gefangen gehalten und zwar nicht im Gebauer, ſondern vermittelſt eines ihr um den Hals geſchlungenen Fadens, ange- feſſelt an einem Zweige, wie es im Norden des himmliſchen Reiches, laut Swinhoe, überhaupt üblich iſt. Durch Radde erfahren wir, daß die Gefangenen bis gegen den September hin ſingen.
Wahrſcheinlich läßt ſich die Calliope ebenſo leicht in Fallen berücken, wie unſer Blaukehlchen, dem ſie auch darin ähnelt, daß ſie dem Jäger gegenüber höchſt vorſichtig iſt. Einige Männchen, welche Radde in einer Hecke auffand, ließen ſich erſt in der Dämmerung beſchleichen, ſonſt aber kaum nahe kommen. „Hielt ich mich‟, ſagt unſer Gewährsmann, „um ſie zu ſchießen, links von der Hecke, ſo ſchlüpften ſie ſehr geſchickt durch die kleinen Oeffnungen auf die rechte Seite und umgekehrt.‟ Genau ſo verfahren, wie wir wiſſen, die Blaukehlchen.
Das letzte Mitglied der Familie, welches ich zu ſchildern habe, iſt unſer allbekanntes Roth- kehlchen oder Rothbrüſtchen, Kehl-, Wald-, oder Winterröthchen, Rothkröpfchen oder Rothbärtchen (Rubecula sylvestris). Ein droſſelartiger, auf der Oberfirſte etwas gebogener, vor dem angedeuteten Haken ſeicht eingekerbter Schnabel, mittelhohe, ſchwache Füße, ziemlich kurze und ſchwächliche Flügel, in denen die vierte und fünfte Schwinge die andern an Länge überragen, ein mittellanger, aus zugeſpitzten Federn beſtehender, in der Mitte leicht ausgeſchnittener Schwanz und ein lockeres, weitſtrahliges, bei beiden Geſchlechtern gleichfarbiges, in der Jugend geflecktes Gefieder ſind die Kennzeichen der Sippe, deren Vertreter es iſt. Die Oberſeite iſt dunkelolivengrau, die Unter- ſeite graulich, Stirn, Kehle und Oberbruſt ſind gelbroth. Das Weibchen iſt etwas bläſſer, als das Männchen; die Jungen zeigen oben auf olivengrauem Grunde roſtgelbe Schaftflecken, unten auf matt- roſtgelbem Grunde graue Schaftflecken und Ränder. Das große Auge iſt braun, der Schnabel ſchwärzlichbraun, der Fuß röthlich hornfarben. Die Länge beträgt 5½, die Breite 8½, die Fittig- länge 2¾, die Schwanzlänge 2½ Zoll.
Es ſcheint, daß unſer Rothkehlchen nur in Europa heimiſch iſt, ſich wenigſtens nicht weit über die Grenzen dieſes Erdtheils hinaus verbreitet. Auf ſeinem Zuge beſucht es Nordweſtafrika und
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Die Fänger. Singvögel. Erdſänger.
darauf folgendes tieferes Pfeifen läßt ſie vernehmen; es iſt eine leiſere Klage, welche ſie dem Ohre
zuhaucht.‟ … „Gleich der Nachtigall ſchlägt ſie drei bis vier Mal mit der Silbe „djuu‟ an, läßt
aber dann einen langen Triller folgen, welcher einigermaßen dem der Feldlerche ähnelt. Das Schnar-
ren fehlt nicht immer, iſt aber ſtets ſehr ſchwach.‟ Gegen die Brutzeit hin, welche in den Juni fällt,
ſingt das Männchen viel, zumal in den Nachtſtunden. Es ſitzt dabei gewöhnlich auf dem Wipfel
eines kleinen Birken- oder Erlenbaumes, „bläſt die Kehle auf, wie unſere Nachtigall thut, breitet, wie
das Blaukehlchen, die Flügel etwas aus und trägt zugleich den Schwanz im rechten Winkel aufgehoben,
doch ohne ihn auszubreiten oder zu bewegen‟. — Die Weibchen halten ſich, während das Männchen
ſingt, wie immer ſehr verborgen im niederen Gebüſch und kommen nicht oder nur auf Augenblicke
zum Vorſchein.
Kittlitz, welcher Vorſtehendes berichtet, ſuchte vergeblich nach dem Neſte der Calliope; Midden-
dorf fand mehrere in der Gegend des Taimyr-Fluſſes auf. Sie waren immer auf dem Boden
angelegt, zwiſchen den Stämmchen verkrüppelter Weiden, dicht am Fluſſe, und regelmäßig auf Flächen,
welche im Frühjahre überſchwemmt und mit Sand- und ſonderbar zuſammengethürmten Treib-
holzhaufen bedeckt worden waren. Das Neſt gehört zu den kunſtvollen, indem es nicht nur überdacht,
ſondern überdies mit einer kurzen, dem Sande wagrecht anliegenden Eingangsröhre verſehen iſt. Das
Gelege enthält bis fünf Eier von gleichmäßig blaulichgrüner Farbe, welche denen des Alpenflühvogels
täuſchend ähnlich ſind. Ende Junis brüteten, nach Middendorf’s Erfahrungen, die Vögel eifrig.
„Näherte man ſich einem Neſte, ſo ſchlüpfte das Weibchen, ohne aufzufliegen, hervor, gewann, in
geduckter Stellung forthüpfend, den nächſten Treibholzhaufen und verkroch ſich in den Zwiſchen-
räumen.‟ Ende Auguſts trugen Junge, welche Kittlitz erlegte, noch das Jugendkleid.
Jn China iſt die „Hung-po‟ (Rothbruſt) oder „Chin-po‟ (Goldbruſt), wie die Calliope hier
genannt wird, ein allgemein bekannter Liebling der Thierfreunde. Sie wird oft gefangen gehalten
und zwar nicht im Gebauer, ſondern vermittelſt eines ihr um den Hals geſchlungenen Fadens, ange-
feſſelt an einem Zweige, wie es im Norden des himmliſchen Reiches, laut Swinhoe, überhaupt üblich
iſt. Durch Radde erfahren wir, daß die Gefangenen bis gegen den September hin ſingen.
Wahrſcheinlich läßt ſich die Calliope ebenſo leicht in Fallen berücken, wie unſer Blaukehlchen,
dem ſie auch darin ähnelt, daß ſie dem Jäger gegenüber höchſt vorſichtig iſt. Einige Männchen, welche
Radde in einer Hecke auffand, ließen ſich erſt in der Dämmerung beſchleichen, ſonſt aber kaum nahe
kommen. „Hielt ich mich‟, ſagt unſer Gewährsmann, „um ſie zu ſchießen, links von der Hecke, ſo
ſchlüpften ſie ſehr geſchickt durch die kleinen Oeffnungen auf die rechte Seite und umgekehrt.‟ Genau
ſo verfahren, wie wir wiſſen, die Blaukehlchen.
Das letzte Mitglied der Familie, welches ich zu ſchildern habe, iſt unſer allbekanntes Roth-
kehlchen oder Rothbrüſtchen, Kehl-, Wald-, oder Winterröthchen, Rothkröpfchen oder
Rothbärtchen (Rubecula sylvestris). Ein droſſelartiger, auf der Oberfirſte etwas gebogener, vor
dem angedeuteten Haken ſeicht eingekerbter Schnabel, mittelhohe, ſchwache Füße, ziemlich kurze und
ſchwächliche Flügel, in denen die vierte und fünfte Schwinge die andern an Länge überragen, ein
mittellanger, aus zugeſpitzten Federn beſtehender, in der Mitte leicht ausgeſchnittener Schwanz und
ein lockeres, weitſtrahliges, bei beiden Geſchlechtern gleichfarbiges, in der Jugend geflecktes Gefieder
ſind die Kennzeichen der Sippe, deren Vertreter es iſt. Die Oberſeite iſt dunkelolivengrau, die Unter-
ſeite graulich, Stirn, Kehle und Oberbruſt ſind gelbroth. Das Weibchen iſt etwas bläſſer, als das
Männchen; die Jungen zeigen oben auf olivengrauem Grunde roſtgelbe Schaftflecken, unten auf matt-
roſtgelbem Grunde graue Schaftflecken und Ränder. Das große Auge iſt braun, der Schnabel
ſchwärzlichbraun, der Fuß röthlich hornfarben. Die Länge beträgt 5½, die Breite 8½, die Fittig-
länge 2¾, die Schwanzlänge 2½ Zoll.
Es ſcheint, daß unſer Rothkehlchen nur in Europa heimiſch iſt, ſich wenigſtens nicht weit über
die Grenzen dieſes Erdtheils hinaus verbreitet. Auf ſeinem Zuge beſucht es Nordweſtafrika und
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 770. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/814>, abgerufen am 22.11.2024.
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