schwärzliche Ränder haben. Die Länge beträgt 61/2, die Breite 9 2/3 , die Fittiglänge 3, die Schwanz- länge 23/4 Zoll. Das Weibchen ist ein wenig kleiner, als das Männchen.
Die Nachtigall findet sich vom mittleren Schweden an nach Süden hin in ganz Europa, und ebenso in Nordwestafrika und in einem großen Theile des mittleren Asiens, bis gegen die Mitte Sibiriens hin. Nordostafrika berührt sie während ihres Zuges.
Jm Osten Europas, namentlich in Ungarn, Polen, Galizien, wahrscheinlich auch in der Türkei und in Kleinasien, aber nur hier und da in Deutschland, lebt ihr nächster Verwandter, der Sprosser (Luscinia major). Er ist etwas größer, namentlich stärker als die Nachtigall, ihr aber sehr ähnlich. Als wichtigste Unterscheidungsmerkmale gelten die viel kürzere erste Schwinge und die wolkig gefleckte, wie man zu sagen pflegt, "muschelfleckige" Oberbrust.
Hinsichtlich der Lebensweise und des Betragens unterscheiden sich beide Nachtigallen nicht; wohl aber erkennt der Kundige jede von ihnen an ihrem Schlage oder Gesange.
Die Nachtigallen sind Bewohner des Laubwaldes; in Schwarzwäldern sucht man sie vergebens. Der Sprosser lebt fast ausschließlich in Niederungen, und wird deshalb mit vollem Rechte auch Au- nachtigall genannt; seine Verwandte bevorzugt die Ebene, meidet aber auch bergige Gelände nicht gänz- lich, vorausgesetzt, daß es hier an Laubbäumen und Gesträuchen nicht mangelt. Jn der Schweiz ist sie, nach Tschudi, in einem Höhengürtel von 3000 Fuß über dem Meere "nicht ganz selten", in Spanien nach eigenen Beobachtungen in gleicher Höhe noch sehr gemein; sie steigt hier bis gegen 5000 Fuß unbedingter Höhe empor. Waldungen mit viel Unterholz, noch lieber niederes Buschwerk, welches von Bächen und Wassergraben durchschnitten wird, die Ufer größerer Gewässer und Gärten, in denen es heimliche Gebüsche gibt, sind ihre Lieblingsplätze. Hier wohnt Paar an Paar, ein jedes allerdings in einem bestimmt umgrenzten Gebiete, welches streng bewacht und gegen andere muthvoll vertheidigt wird. Wo es Oertlichkeiten gibt, welche ihren Anforderungen genügen, ist sie sehr häufig, auch bei uns zu Lande, noch mehr aber in Südeuropa. Hier hat mich die Menge der Nachtigallen, welche einen und denselben Waldestheil oder Garten bewohnen, in Erstaunen gesetzt. Man sagt kaum zu viel, wenn man behauptet, daß in Spanien z. B. geeigneten Orts in jeder Hecke oder in jedem Busche ein Nachtigallenpärchen herbergt. Ein Frühlingsmorgen auf dem Monserat, eine abendliche Lust- wandlung innerhalb der Ringmauern der Alhambra wird Jedem unvergeßlich bleiben, welcher ein Ohr hat, zu hören. Man vernimmt hundert Nachtigallen zu gleicher Zeit; man hört allüberall das eine Lied. Die ganze, große, grüne Sierra Morena darf als ein einziger Nachtigallengarten angesehen werden, und solcher Gebirge gibt es noch viele. Man begreift nicht, wie es möglich ist, daß ein so kleines Stückchen Erde, wie hier zur Vertheilung kommt, zwei so anspruchsvolle Vögel nebst ihrer zahlreichen Brut ernähren kann.
Da, wo sich die Nachtigall des Schutzes seitens des Menschen versichert hält, siedelt sie sich unmit- telbar bei dessen Behausung an. Sie zeigt dann nicht die mindeste Scheu, -- im Gegentheile, eher eine gewisse Dreistigkeit: sie läßt sich daher ohne Mühe beobachten in ihrem Thun und Treiben.
"Jm Betragen der Nachtigall", sagt Naumann, dessen Schilderung ich folgen werde, "zeigt sich ein bedächtiges, ernstes Wesen. Jhre Bewegungen geschehen mit Ueberlegung und Würde; ihre Stellungen verrathen Stolz, und sie steht durch diese Eigenschaften gewissermaßen über alle einhei- mischen Sänger erhaben. Jhre Geberden scheinen anzudeuten, sie wisse, daß ihr dieser Vorzug allgemein zuerkannt wird. Sie ist sehr zutraulich gegen die Menschen, wohnt gern in ihrer Nähe und zeichnet sich durch ein ruhiges stilles Benehmen aus. Gegen andere Vögel zeigt sie sich sehr friedfertig; auch sieht man sie nur selten mit Jhresgleichen zanken." Gewöhnlich gewahrt man sie, niedrig über dem Boden auf Zweigen sitzend, ziemlich aufgerichtet, den Schwanz erhoben, die Flügel so tief gesenkt, daß ihre Spitzen unter die Schwanzwurzel zu liegen kommen. Jm Gezweig hüpft sie selten umher, wenn es aber geschieht, mit großen Sprüngen; auf dem Boden trägt sie sich hochaufgerichtet und hüpft, den Schwanz gestelzt, mit förmlichen Sätzen, wie Naumann sagt, "stolz" dahin, immer in Absätzen, welche durch einen Augenblick der Ruhe unterbrochen werden. Erregt irgend Etwas ihre Aufmerksamkeit,
Nachtigall und Sproſſer.
ſchwärzliche Ränder haben. Die Länge beträgt 6½, die Breite 9⅔, die Fittiglänge 3, die Schwanz- länge 2¾ Zoll. Das Weibchen iſt ein wenig kleiner, als das Männchen.
Die Nachtigall findet ſich vom mittleren Schweden an nach Süden hin in ganz Europa, und ebenſo in Nordweſtafrika und in einem großen Theile des mittleren Aſiens, bis gegen die Mitte Sibiriens hin. Nordoſtafrika berührt ſie während ihres Zuges.
Jm Oſten Europas, namentlich in Ungarn, Polen, Galizien, wahrſcheinlich auch in der Türkei und in Kleinaſien, aber nur hier und da in Deutſchland, lebt ihr nächſter Verwandter, der Sproſſer (Luscinia major). Er iſt etwas größer, namentlich ſtärker als die Nachtigall, ihr aber ſehr ähnlich. Als wichtigſte Unterſcheidungsmerkmale gelten die viel kürzere erſte Schwinge und die wolkig gefleckte, wie man zu ſagen pflegt, „muſchelfleckige‟ Oberbruſt.
Hinſichtlich der Lebensweiſe und des Betragens unterſcheiden ſich beide Nachtigallen nicht; wohl aber erkennt der Kundige jede von ihnen an ihrem Schlage oder Geſange.
Die Nachtigallen ſind Bewohner des Laubwaldes; in Schwarzwäldern ſucht man ſie vergebens. Der Sproſſer lebt faſt ausſchließlich in Niederungen, und wird deshalb mit vollem Rechte auch Au- nachtigall genannt; ſeine Verwandte bevorzugt die Ebene, meidet aber auch bergige Gelände nicht gänz- lich, vorausgeſetzt, daß es hier an Laubbäumen und Geſträuchen nicht mangelt. Jn der Schweiz iſt ſie, nach Tſchudi, in einem Höhengürtel von 3000 Fuß über dem Meere „nicht ganz ſelten‟, in Spanien nach eigenen Beobachtungen in gleicher Höhe noch ſehr gemein; ſie ſteigt hier bis gegen 5000 Fuß unbedingter Höhe empor. Waldungen mit viel Unterholz, noch lieber niederes Buſchwerk, welches von Bächen und Waſſergraben durchſchnitten wird, die Ufer größerer Gewäſſer und Gärten, in denen es heimliche Gebüſche gibt, ſind ihre Lieblingsplätze. Hier wohnt Paar an Paar, ein jedes allerdings in einem beſtimmt umgrenzten Gebiete, welches ſtreng bewacht und gegen andere muthvoll vertheidigt wird. Wo es Oertlichkeiten gibt, welche ihren Anforderungen genügen, iſt ſie ſehr häufig, auch bei uns zu Lande, noch mehr aber in Südeuropa. Hier hat mich die Menge der Nachtigallen, welche einen und denſelben Waldestheil oder Garten bewohnen, in Erſtaunen geſetzt. Man ſagt kaum zu viel, wenn man behauptet, daß in Spanien z. B. geeigneten Orts in jeder Hecke oder in jedem Buſche ein Nachtigallenpärchen herbergt. Ein Frühlingsmorgen auf dem Monſerat, eine abendliche Luſt- wandlung innerhalb der Ringmauern der Alhambra wird Jedem unvergeßlich bleiben, welcher ein Ohr hat, zu hören. Man vernimmt hundert Nachtigallen zu gleicher Zeit; man hört allüberall das eine Lied. Die ganze, große, grüne Sierra Morena darf als ein einziger Nachtigallengarten angeſehen werden, und ſolcher Gebirge gibt es noch viele. Man begreift nicht, wie es möglich iſt, daß ein ſo kleines Stückchen Erde, wie hier zur Vertheilung kommt, zwei ſo anſpruchsvolle Vögel nebſt ihrer zahlreichen Brut ernähren kann.
Da, wo ſich die Nachtigall des Schutzes ſeitens des Menſchen verſichert hält, ſiedelt ſie ſich unmit- telbar bei deſſen Behauſung an. Sie zeigt dann nicht die mindeſte Scheu, — im Gegentheile, eher eine gewiſſe Dreiſtigkeit: ſie läßt ſich daher ohne Mühe beobachten in ihrem Thun und Treiben.
„Jm Betragen der Nachtigall‟, ſagt Naumann, deſſen Schilderung ich folgen werde, „zeigt ſich ein bedächtiges, ernſtes Weſen. Jhre Bewegungen geſchehen mit Ueberlegung und Würde; ihre Stellungen verrathen Stolz, und ſie ſteht durch dieſe Eigenſchaften gewiſſermaßen über alle einhei- miſchen Sänger erhaben. Jhre Geberden ſcheinen anzudeuten, ſie wiſſe, daß ihr dieſer Vorzug allgemein zuerkannt wird. Sie iſt ſehr zutraulich gegen die Menſchen, wohnt gern in ihrer Nähe und zeichnet ſich durch ein ruhiges ſtilles Benehmen aus. Gegen andere Vögel zeigt ſie ſich ſehr friedfertig; auch ſieht man ſie nur ſelten mit Jhresgleichen zanken.‟ Gewöhnlich gewahrt man ſie, niedrig über dem Boden auf Zweigen ſitzend, ziemlich aufgerichtet, den Schwanz erhoben, die Flügel ſo tief geſenkt, daß ihre Spitzen unter die Schwanzwurzel zu liegen kommen. Jm Gezweig hüpft ſie ſelten umher, wenn es aber geſchieht, mit großen Sprüngen; auf dem Boden trägt ſie ſich hochaufgerichtet und hüpft, den Schwanz geſtelzt, mit förmlichen Sätzen, wie Naumann ſagt, „ſtolz‟ dahin, immer in Abſätzen, welche durch einen Augenblick der Ruhe unterbrochen werden. Erregt irgend Etwas ihre Aufmerkſamkeit,
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[759/0803]
Nachtigall und Sproſſer.
ſchwärzliche Ränder haben. Die Länge beträgt 6½, die Breite 9⅔, die Fittiglänge 3, die Schwanz-
länge 2¾ Zoll. Das Weibchen iſt ein wenig kleiner, als das Männchen.
Die Nachtigall findet ſich vom mittleren Schweden an nach Süden hin in ganz Europa, und
ebenſo in Nordweſtafrika und in einem großen Theile des mittleren Aſiens, bis gegen die Mitte
Sibiriens hin. Nordoſtafrika berührt ſie während ihres Zuges.
Jm Oſten Europas, namentlich in Ungarn, Polen, Galizien, wahrſcheinlich auch in der Türkei
und in Kleinaſien, aber nur hier und da in Deutſchland, lebt ihr nächſter Verwandter, der Sproſſer
(Luscinia major). Er iſt etwas größer, namentlich ſtärker als die Nachtigall, ihr aber ſehr ähnlich.
Als wichtigſte Unterſcheidungsmerkmale gelten die viel kürzere erſte Schwinge und die wolkig gefleckte,
wie man zu ſagen pflegt, „muſchelfleckige‟ Oberbruſt.
Hinſichtlich der Lebensweiſe und des Betragens unterſcheiden ſich beide Nachtigallen nicht; wohl
aber erkennt der Kundige jede von ihnen an ihrem Schlage oder Geſange.
Die Nachtigallen ſind Bewohner des Laubwaldes; in Schwarzwäldern ſucht man ſie vergebens.
Der Sproſſer lebt faſt ausſchließlich in Niederungen, und wird deshalb mit vollem Rechte auch Au-
nachtigall genannt; ſeine Verwandte bevorzugt die Ebene, meidet aber auch bergige Gelände nicht gänz-
lich, vorausgeſetzt, daß es hier an Laubbäumen und Geſträuchen nicht mangelt. Jn der Schweiz iſt
ſie, nach Tſchudi, in einem Höhengürtel von 3000 Fuß über dem Meere „nicht ganz ſelten‟, in
Spanien nach eigenen Beobachtungen in gleicher Höhe noch ſehr gemein; ſie ſteigt hier bis gegen 5000
Fuß unbedingter Höhe empor. Waldungen mit viel Unterholz, noch lieber niederes Buſchwerk,
welches von Bächen und Waſſergraben durchſchnitten wird, die Ufer größerer Gewäſſer und Gärten,
in denen es heimliche Gebüſche gibt, ſind ihre Lieblingsplätze. Hier wohnt Paar an Paar, ein jedes
allerdings in einem beſtimmt umgrenzten Gebiete, welches ſtreng bewacht und gegen andere muthvoll
vertheidigt wird. Wo es Oertlichkeiten gibt, welche ihren Anforderungen genügen, iſt ſie ſehr häufig,
auch bei uns zu Lande, noch mehr aber in Südeuropa. Hier hat mich die Menge der Nachtigallen, welche
einen und denſelben Waldestheil oder Garten bewohnen, in Erſtaunen geſetzt. Man ſagt kaum zu
viel, wenn man behauptet, daß in Spanien z. B. geeigneten Orts in jeder Hecke oder in jedem Buſche
ein Nachtigallenpärchen herbergt. Ein Frühlingsmorgen auf dem Monſerat, eine abendliche Luſt-
wandlung innerhalb der Ringmauern der Alhambra wird Jedem unvergeßlich bleiben, welcher ein
Ohr hat, zu hören. Man vernimmt hundert Nachtigallen zu gleicher Zeit; man hört allüberall das eine
Lied. Die ganze, große, grüne Sierra Morena darf als ein einziger Nachtigallengarten angeſehen
werden, und ſolcher Gebirge gibt es noch viele. Man begreift nicht, wie es möglich iſt, daß ein ſo
kleines Stückchen Erde, wie hier zur Vertheilung kommt, zwei ſo anſpruchsvolle Vögel nebſt ihrer
zahlreichen Brut ernähren kann.
Da, wo ſich die Nachtigall des Schutzes ſeitens des Menſchen verſichert hält, ſiedelt ſie ſich unmit-
telbar bei deſſen Behauſung an. Sie zeigt dann nicht die mindeſte Scheu, — im Gegentheile, eher
eine gewiſſe Dreiſtigkeit: ſie läßt ſich daher ohne Mühe beobachten in ihrem Thun und Treiben.
„Jm Betragen der Nachtigall‟, ſagt Naumann, deſſen Schilderung ich folgen werde, „zeigt
ſich ein bedächtiges, ernſtes Weſen. Jhre Bewegungen geſchehen mit Ueberlegung und Würde; ihre
Stellungen verrathen Stolz, und ſie ſteht durch dieſe Eigenſchaften gewiſſermaßen über alle einhei-
miſchen Sänger erhaben. Jhre Geberden ſcheinen anzudeuten, ſie wiſſe, daß ihr dieſer Vorzug allgemein
zuerkannt wird. Sie iſt ſehr zutraulich gegen die Menſchen, wohnt gern in ihrer Nähe und zeichnet
ſich durch ein ruhiges ſtilles Benehmen aus. Gegen andere Vögel zeigt ſie ſich ſehr friedfertig; auch
ſieht man ſie nur ſelten mit Jhresgleichen zanken.‟ Gewöhnlich gewahrt man ſie, niedrig über dem
Boden auf Zweigen ſitzend, ziemlich aufgerichtet, den Schwanz erhoben, die Flügel ſo tief geſenkt, daß
ihre Spitzen unter die Schwanzwurzel zu liegen kommen. Jm Gezweig hüpft ſie ſelten umher, wenn
es aber geſchieht, mit großen Sprüngen; auf dem Boden trägt ſie ſich hochaufgerichtet und hüpft, den
Schwanz geſtelzt, mit förmlichen Sätzen, wie Naumann ſagt, „ſtolz‟ dahin, immer in Abſätzen, welche
durch einen Augenblick der Ruhe unterbrochen werden. Erregt irgend Etwas ihre Aufmerkſamkeit,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 759. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/803>, abgerufen am 22.11.2024.
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