sich deshalb die größte Mühe, der harmlosen Geschöpfe habhaft zu werden. Während des Herbstzuges lauern die Jtaliener mit allerlei Netzen und Fallen auch auf die Trauerfliegenfänger, und leider ist ihr Fang nur zu ergiebig. Auf jedem Markte sieht man während der Zugzeit Hunderte dieser Vögel, welche meuchlings gemordet wurden, um die abscheuliche Schleckerei zu befriedigen. Es wird erzählt, daß ehedem auf der Jnsel Cypern die so erbeuteten Fliegenfänger und ähnliche Vögel, mit Weinessig und Gewürz eingemacht und in besonderen Töpfen oder Fässern verpackt wurden. Solche Gefäße sollen zu Hunderten nach Jtalien versandt worden sein. Gegenwärtig scheint man sich nicht mehr so viel Mühe zu geben; der alte Unfug aber steht noch in voller Blüthe, und es zeigt sich auch in dieser Hinficht, daß da, wo Kirchen und Klöster die Schulen ersetzen sollen, Bildung und Gesittung unmöglich sind.
Jm Osten und Südosten unseres Vaterlandes lebt noch ein Mitglied der Familie, der Zwerg- fliegenfänger (Erythrosterna parva), eines der anmuthigsten Vögelchen, welche überhaupt in Deutschland vorkommen. Man hat den Zwergfliegenfänger zum Vertreter einer eigenen Sippe erho- ben, weil sein Schnabel verhältnißmäßig stärker, der Fuß aber höher ist, als bei den Familienver- wandten; die angegebenen Merkmale scheinen aber kaum zu dieser Trennung zu berechtigen. Unser Vögelchen ist 5 Zoll lang und 73/4 bis 8 Zoll breit. Das Gefieder ist nach Geschlecht und Alter so verschieden gefärbt und gezeichnet, daß man wiederholt von zwei in Deutschland vorkommenden Arten dieser Sippe gesprochen hat. Das alte Männchen im Frühjahr ähnelt in der Farbenvertheilung unserm Rothkehlchen. Die Oberseite ist röthlichbraungrau, auf dem Scheitel, dem Oberrücken und den Oberschwanzdeckfedern etwas dunkler als anderwärts, auf den großen Flügeldeckfedern und den hinteren Schwingen lichter gekantet; Kinn, Kehle, Gurgel, Kropf und Oberbrust sind roströthlich; die übrige Unterseite ist trübweiß; die Handschwingen sind schwarzbraungrau, lichter gesäumt. Bei jüngeren Männchen ist das Rothgelb der Kehle blässer, als bei alten. Die Weibchen unterscheiden sich durch düstere, mehr grauliche Farben von den Männchen. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel und die Füße sind schwarz.
Ungeachtet aller Forschungen, welche bis jetzt in Deutschland angestellt worden sind, kann der Verbreitungskreis des Zwergfliegenfängers noch nicht mit Sicherheit angegeben werden. Man hat ihn einzeln in fast allen Gegenden unseres Vaterlandes beobachtet und überall, aber als große Seltenheit verzeichnet; es ist jedoch wahrscheinlich, daß er viel öfter vorkommt, als man annimmt. Schon in Mecklenburg soll er nicht besonders selten sein; in Pommern kommt er regelmäßig vor; in Polen, Galizien und Ungarn ist er stellenweise sogar häufig. Aber der Zwergfliegenfänger gehört durchaus nicht zu den auffallenden Vögeln, und Der, welcher ihn entdecken will, muß ein geübter Beob- achter sein. Waldungen mit hochstämmigen Buchen bilden seinen bevorzugten Aufenthalt. Hier lebt er hauptsächlich in den Kronen der Bäume und kommt nur gelegentlich in die Tiefe herab. Lieb- lingswohnsitze von ihm sind Baumgruppen, welche von dichtem Aufschlag jüngerer Bäume begrenzt werden; denn in den Dickichten findet er bei ungünstiger Witterung und namentlich bei starkem Wind erwünschte Zuflucht. Jn der Nähe bewohnter Gebäude findet er sich nur ausnahmsweise ein: er ist so recht ein eigentlicher Bewohner des stillen Waldes. Wodzicki versichert, daß er hinsichtlich seines Betragens ein wahres Bindeglied sei zwischen Laubsängern und Fliegenfängern und ebenso sehr an die einen wie an die andern erinnere; andere Beobachter behaupten, daß man den Fliegenfänger in ihm nie- mals zu verkennen im Stande sei, weil er im wesentlichen das Gebahren derselben zeige. Der Lockton ist ein lauter Pfiff, welcher dem "Füit" unseres Gartenrothschwanzes ähnelt; er wird auch häufig in den Gesang verflochten. Dieser besteht aus einer Hauptstrophe, welche sich durch die Reinheit der Töne auszeichnet. Baldamus bezeichnet sie durch die Silben "Tink, tink, tink ei -- da, ei -- da, ei -- da" etc. Der Warnungston ist ein gezogenes "Zirr" oder "Zee". Die Jungen rufen "Sisir".
Brehm, Thierleben. III. 47
Halsband- und Zwergfliegenfänger.
ſich deshalb die größte Mühe, der harmloſen Geſchöpfe habhaft zu werden. Während des Herbſtzuges lauern die Jtaliener mit allerlei Netzen und Fallen auch auf die Trauerfliegenfänger, und leider iſt ihr Fang nur zu ergiebig. Auf jedem Markte ſieht man während der Zugzeit Hunderte dieſer Vögel, welche meuchlings gemordet wurden, um die abſcheuliche Schleckerei zu befriedigen. Es wird erzählt, daß ehedem auf der Jnſel Cypern die ſo erbeuteten Fliegenfänger und ähnliche Vögel, mit Weineſſig und Gewürz eingemacht und in beſonderen Töpfen oder Fäſſern verpackt wurden. Solche Gefäße ſollen zu Hunderten nach Jtalien verſandt worden ſein. Gegenwärtig ſcheint man ſich nicht mehr ſo viel Mühe zu geben; der alte Unfug aber ſteht noch in voller Blüthe, und es zeigt ſich auch in dieſer Hinficht, daß da, wo Kirchen und Klöſter die Schulen erſetzen ſollen, Bildung und Geſittung unmöglich ſind.
Jm Oſten und Südoſten unſeres Vaterlandes lebt noch ein Mitglied der Familie, der Zwerg- fliegenfänger (Erythrosterna parva), eines der anmuthigſten Vögelchen, welche überhaupt in Deutſchland vorkommen. Man hat den Zwergfliegenfänger zum Vertreter einer eigenen Sippe erho- ben, weil ſein Schnabel verhältnißmäßig ſtärker, der Fuß aber höher iſt, als bei den Familienver- wandten; die angegebenen Merkmale ſcheinen aber kaum zu dieſer Trennung zu berechtigen. Unſer Vögelchen iſt 5 Zoll lang und 7¾ bis 8 Zoll breit. Das Gefieder iſt nach Geſchlecht und Alter ſo verſchieden gefärbt und gezeichnet, daß man wiederholt von zwei in Deutſchland vorkommenden Arten dieſer Sippe geſprochen hat. Das alte Männchen im Frühjahr ähnelt in der Farbenvertheilung unſerm Rothkehlchen. Die Oberſeite iſt röthlichbraungrau, auf dem Scheitel, dem Oberrücken und den Oberſchwanzdeckfedern etwas dunkler als anderwärts, auf den großen Flügeldeckfedern und den hinteren Schwingen lichter gekantet; Kinn, Kehle, Gurgel, Kropf und Oberbruſt ſind roſtröthlich; die übrige Unterſeite iſt trübweiß; die Handſchwingen ſind ſchwarzbraungrau, lichter geſäumt. Bei jüngeren Männchen iſt das Rothgelb der Kehle bläſſer, als bei alten. Die Weibchen unterſcheiden ſich durch düſtere, mehr grauliche Farben von den Männchen. Das Auge iſt dunkelbraun, der Schnabel und die Füße ſind ſchwarz.
Ungeachtet aller Forſchungen, welche bis jetzt in Deutſchland angeſtellt worden ſind, kann der Verbreitungskreis des Zwergfliegenfängers noch nicht mit Sicherheit angegeben werden. Man hat ihn einzeln in faſt allen Gegenden unſeres Vaterlandes beobachtet und überall, aber als große Seltenheit verzeichnet; es iſt jedoch wahrſcheinlich, daß er viel öfter vorkommt, als man annimmt. Schon in Mecklenburg ſoll er nicht beſonders ſelten ſein; in Pommern kommt er regelmäßig vor; in Polen, Galizien und Ungarn iſt er ſtellenweiſe ſogar häufig. Aber der Zwergfliegenfänger gehört durchaus nicht zu den auffallenden Vögeln, und Der, welcher ihn entdecken will, muß ein geübter Beob- achter ſein. Waldungen mit hochſtämmigen Buchen bilden ſeinen bevorzugten Aufenthalt. Hier lebt er hauptſächlich in den Kronen der Bäume und kommt nur gelegentlich in die Tiefe herab. Lieb- lingswohnſitze von ihm ſind Baumgruppen, welche von dichtem Aufſchlag jüngerer Bäume begrenzt werden; denn in den Dickichten findet er bei ungünſtiger Witterung und namentlich bei ſtarkem Wind erwünſchte Zuflucht. Jn der Nähe bewohnter Gebäude findet er ſich nur ausnahmsweiſe ein: er iſt ſo recht ein eigentlicher Bewohner des ſtillen Waldes. Wodzicki verſichert, daß er hinſichtlich ſeines Betragens ein wahres Bindeglied ſei zwiſchen Laubſängern und Fliegenfängern und ebenſo ſehr an die einen wie an die andern erinnere; andere Beobachter behaupten, daß man den Fliegenfänger in ihm nie- mals zu verkennen im Stande ſei, weil er im weſentlichen das Gebahren derſelben zeige. Der Lockton iſt ein lauter Pfiff, welcher dem „Füit‟ unſeres Gartenrothſchwanzes ähnelt; er wird auch häufig in den Geſang verflochten. Dieſer beſteht aus einer Hauptſtrophe, welche ſich durch die Reinheit der Töne auszeichnet. Baldamus bezeichnet ſie durch die Silben „Tink, tink, tink ei — da, ei — da, ei — da‟ ꝛc. Der Warnungston iſt ein gezogenes „Zirr‟ oder „Zee‟. Die Jungen rufen „Siſir‟.
Brehm, Thierleben. III. 47
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[737/0781]
Halsband- und Zwergfliegenfänger.
ſich deshalb die größte Mühe, der harmloſen Geſchöpfe habhaft zu werden. Während des Herbſtzuges
lauern die Jtaliener mit allerlei Netzen und Fallen auch auf die Trauerfliegenfänger, und leider iſt
ihr Fang nur zu ergiebig. Auf jedem Markte ſieht man während der Zugzeit Hunderte dieſer Vögel,
welche meuchlings gemordet wurden, um die abſcheuliche Schleckerei zu befriedigen. Es wird erzählt,
daß ehedem auf der Jnſel Cypern die ſo erbeuteten Fliegenfänger und ähnliche Vögel, mit Weineſſig
und Gewürz eingemacht und in beſonderen Töpfen oder Fäſſern verpackt wurden. Solche Gefäße
ſollen zu Hunderten nach Jtalien verſandt worden ſein. Gegenwärtig ſcheint man ſich nicht mehr ſo
viel Mühe zu geben; der alte Unfug aber ſteht noch in voller Blüthe, und es zeigt ſich auch in dieſer
Hinficht, daß da, wo Kirchen und Klöſter die Schulen erſetzen ſollen, Bildung und Geſittung
unmöglich ſind.
Jm Oſten und Südoſten unſeres Vaterlandes lebt noch ein Mitglied der Familie, der Zwerg-
fliegenfänger (Erythrosterna parva), eines der anmuthigſten Vögelchen, welche überhaupt in
Deutſchland vorkommen. Man hat den Zwergfliegenfänger zum Vertreter einer eigenen Sippe erho-
ben, weil ſein Schnabel verhältnißmäßig ſtärker, der Fuß aber höher iſt, als bei den Familienver-
wandten; die angegebenen Merkmale ſcheinen aber kaum zu dieſer Trennung zu berechtigen. Unſer
Vögelchen iſt 5 Zoll lang und 7¾ bis 8 Zoll breit. Das Gefieder iſt nach Geſchlecht und Alter ſo
verſchieden gefärbt und gezeichnet, daß man wiederholt von zwei in Deutſchland vorkommenden Arten
dieſer Sippe geſprochen hat. Das alte Männchen im Frühjahr ähnelt in der Farbenvertheilung
unſerm Rothkehlchen. Die Oberſeite iſt röthlichbraungrau, auf dem Scheitel, dem Oberrücken und
den Oberſchwanzdeckfedern etwas dunkler als anderwärts, auf den großen Flügeldeckfedern und den
hinteren Schwingen lichter gekantet; Kinn, Kehle, Gurgel, Kropf und Oberbruſt ſind roſtröthlich;
die übrige Unterſeite iſt trübweiß; die Handſchwingen ſind ſchwarzbraungrau, lichter geſäumt. Bei
jüngeren Männchen iſt das Rothgelb der Kehle bläſſer, als bei alten. Die Weibchen unterſcheiden
ſich durch düſtere, mehr grauliche Farben von den Männchen. Das Auge iſt dunkelbraun, der
Schnabel und die Füße ſind ſchwarz.
Ungeachtet aller Forſchungen, welche bis jetzt in Deutſchland angeſtellt worden ſind, kann
der Verbreitungskreis des Zwergfliegenfängers noch nicht mit Sicherheit angegeben werden. Man
hat ihn einzeln in faſt allen Gegenden unſeres Vaterlandes beobachtet und überall, aber als große
Seltenheit verzeichnet; es iſt jedoch wahrſcheinlich, daß er viel öfter vorkommt, als man annimmt.
Schon in Mecklenburg ſoll er nicht beſonders ſelten ſein; in Pommern kommt er regelmäßig vor; in
Polen, Galizien und Ungarn iſt er ſtellenweiſe ſogar häufig. Aber der Zwergfliegenfänger gehört
durchaus nicht zu den auffallenden Vögeln, und Der, welcher ihn entdecken will, muß ein geübter Beob-
achter ſein. Waldungen mit hochſtämmigen Buchen bilden ſeinen bevorzugten Aufenthalt. Hier
lebt er hauptſächlich in den Kronen der Bäume und kommt nur gelegentlich in die Tiefe herab. Lieb-
lingswohnſitze von ihm ſind Baumgruppen, welche von dichtem Aufſchlag jüngerer Bäume begrenzt
werden; denn in den Dickichten findet er bei ungünſtiger Witterung und namentlich bei ſtarkem Wind
erwünſchte Zuflucht. Jn der Nähe bewohnter Gebäude findet er ſich nur ausnahmsweiſe ein: er iſt
ſo recht ein eigentlicher Bewohner des ſtillen Waldes. Wodzicki verſichert, daß er hinſichtlich ſeines
Betragens ein wahres Bindeglied ſei zwiſchen Laubſängern und Fliegenfängern und ebenſo ſehr an die
einen wie an die andern erinnere; andere Beobachter behaupten, daß man den Fliegenfänger in ihm nie-
mals zu verkennen im Stande ſei, weil er im weſentlichen das Gebahren derſelben zeige. Der Lockton
iſt ein lauter Pfiff, welcher dem „Füit‟ unſeres Gartenrothſchwanzes ähnelt; er wird auch häufig
in den Geſang verflochten. Dieſer beſteht aus einer Hauptſtrophe, welche ſich durch die Reinheit der
Töne auszeichnet. Baldamus bezeichnet ſie durch die Silben „Tink, tink, tink ei — da, ei — da, ei
— da‟ ꝛc. Der Warnungston iſt ein gezogenes „Zirr‟ oder „Zee‟. Die Jungen rufen „Siſir‟.
Brehm, Thierleben. III. 47
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 737. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/781>, abgerufen am 25.11.2024.
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