ungeachtet ihrer geringen Größe zu den muthigsten, raubsüchtigsten und mordlustigsten Vögeln, welche wir kennen. Jhre Begabungen sind nicht besonders ausgezeichnet, aber sehr manchfaltig: sie verstehen von Allem Etwas. Jhr Flug ist schlecht und unregelmäßig und der Gang hüpfend; dem- ungeachtet wissen sie nicht blos Kerbthiere, sondern auch höhere Wirbelthiere, welche viel gewandter sind, als sie selbst, zu überraschen und trotz ihrer verhältnißmäßig schwachen Waffen umzubringen. Jhre Stimme ist von Haus aus eintönig und ihr eigentlicher Gesang kaum der Rede werth; sie aber verstehen dem natürlichen Mangel in bewunderungswürdiger Weise abzuhelfen, indem sie, scheinbar mit größter Mühe und Sorgfalt, anderer Vögel Lieder oder wenigstens einzelne Strophen und Töne der- selben ablauschen und das nach und nach Erlernte, in sonderbarer Weise vereinigt und verschmolzen, zum Besten geben. Einzelne Arten sind, Dank dieser Gewohnheit, wahrhaft beliebte Singvögel: sie sind die Freude und der Stolz einzelner Liebhaber.
Kerbthiere sind es vorzüglich, denen die Würger nachstreben; ihre Mordlust aber begnügt sich selten mit dieser Beute, treibt sie vielmehr, auch höhere Thiere anzugreifen. Die meisten Würger haben dem sämmtlichen Kleingeflügel den Krieg erklärt und werden um so gefährlicher, als sie von den meisten kleinen Vögeln gar nicht gewürdigt und mit einem Vertrauen beehrt werden, welches sie in der schändlichsten Weise mißbrauchen. Ruhig sitzen sie minutenlang unter Sing- und Sper- lingsvögeln, singen wohl auch mit diesen und machen sie förmlich sicher: da plötzlich erheben sie sich, packen unversehens einen der nächstsitzenden und würgen ihn ab trotz eines Raubvogels. Sonderbar ist ihre Gewohnheit, gefangene Beute auf spitze Dornen zu spießen. Da, wo ein Pärchen dieser Vögel haust, wird man selten vergeblich nach derartig aufbewahrten Kerbthieren und selbst kleinen Vögeln oder Lurchen suchen: es ist, als ob der Henker sich an dem Anblick seiner Schlachtopfer weide. Von dieser Gewohnheit her rührt denn auch der Name Neuntödter, welchen das Volk gerade diesen Räubern gegeben hat.
Das Nest ist gewöhnlich ein ziemlich kunstreicher Bau, welcher im dickesten Gestrüpp oder wenigstens im dichtesten Geäst angelegt und meist mit grünen Pflanzentheilen geschmückt ist. Das Gelege besteht aus vier bis sechs Eiern, welche vom Weibchen allein ausgebrütet werden, während das Männchen inzwischen die Ernährung seiner Gattin übernimmt. Die ausgeschlüpften Jungen werden von beiden Eltern geäzt, ungemein geliebt und bei Gefahr auf das Muthigste vertheidigt, auch nach dem Ausfliegen noch längere Zeit geführt, geleitet und unterrichtet und erst spät im Herbste, ja wahrscheinlich sogar erst in der Winterherberge der elterlichen Obhut entlassen; denn, ungestört, brüten die Würger nur einmal im Jahre.
Die Familie ist neuerdings in viele Sippen zerfällt worden, dieselben kommen aber in allen wesentlichen Punkten mit einander überein, und die Unterscheidungsmerkmale beschränken sich fast ausschließlich auf verschiedene Bildung des Schnabels, falls man nicht auf die Verschiedenheit oder Gleichmäßigkeit des Kleides der beiden Geschlechter ein besonderes Gewicht legen will. Eine dieser Sippen vertritt der Raubwürger (Lanius Excubitor), welcher sonst auch der große oder graue Würger, der Würgvogel und Würgengel, Wächter, Buschfalk, Otter- und Wahr- vogel, Waldherr, Wildwald, Metzger und Abdecker oder die Berg-, Busch-, Kriek-, Kriegel-, Wild-, Kraus- und Straußelster genannt wird. Er ist der größte Würger Deutschlands; seine Länge beträgt 91/2 bis 10, die Breite 131/2 bis 14 Zoll, der Fittig mißt 4, der Schwanz 41/2 -- 43/4 Zoll. Das Gefieder ist auf der Oberseite gleichmäßig hellaschgrau, auf der Unterseite reinweiß; ein breiter schwarzer Zügelstreif verläuft durch das Auge; in dem Flügel sind die großen Handschwingen von der Wurzel bis zur Hälfte, die Armschwingen an der Wurzel, die Oberarmschwingen an der Spitze und inneren Fahne weiß, im Uebrigen aber wie die Deckfedern der
Raubwürger.
ungeachtet ihrer geringen Größe zu den muthigſten, raubſüchtigſten und mordluſtigſten Vögeln, welche wir kennen. Jhre Begabungen ſind nicht beſonders ausgezeichnet, aber ſehr manchfaltig: ſie verſtehen von Allem Etwas. Jhr Flug iſt ſchlecht und unregelmäßig und der Gang hüpfend; dem- ungeachtet wiſſen ſie nicht blos Kerbthiere, ſondern auch höhere Wirbelthiere, welche viel gewandter ſind, als ſie ſelbſt, zu überraſchen und trotz ihrer verhältnißmäßig ſchwachen Waffen umzubringen. Jhre Stimme iſt von Haus aus eintönig und ihr eigentlicher Geſang kaum der Rede werth; ſie aber verſtehen dem natürlichen Mangel in bewunderungswürdiger Weiſe abzuhelfen, indem ſie, ſcheinbar mit größter Mühe und Sorgfalt, anderer Vögel Lieder oder wenigſtens einzelne Strophen und Töne der- ſelben ablauſchen und das nach und nach Erlernte, in ſonderbarer Weiſe vereinigt und verſchmolzen, zum Beſten geben. Einzelne Arten ſind, Dank dieſer Gewohnheit, wahrhaft beliebte Singvögel: ſie ſind die Freude und der Stolz einzelner Liebhaber.
Kerbthiere ſind es vorzüglich, denen die Würger nachſtreben; ihre Mordluſt aber begnügt ſich ſelten mit dieſer Beute, treibt ſie vielmehr, auch höhere Thiere anzugreifen. Die meiſten Würger haben dem ſämmtlichen Kleingeflügel den Krieg erklärt und werden um ſo gefährlicher, als ſie von den meiſten kleinen Vögeln gar nicht gewürdigt und mit einem Vertrauen beehrt werden, welches ſie in der ſchändlichſten Weiſe mißbrauchen. Ruhig ſitzen ſie minutenlang unter Sing- und Sper- lingsvögeln, ſingen wohl auch mit dieſen und machen ſie förmlich ſicher: da plötzlich erheben ſie ſich, packen unverſehens einen der nächſtſitzenden und würgen ihn ab trotz eines Raubvogels. Sonderbar iſt ihre Gewohnheit, gefangene Beute auf ſpitze Dornen zu ſpießen. Da, wo ein Pärchen dieſer Vögel hauſt, wird man ſelten vergeblich nach derartig aufbewahrten Kerbthieren und ſelbſt kleinen Vögeln oder Lurchen ſuchen: es iſt, als ob der Henker ſich an dem Anblick ſeiner Schlachtopfer weide. Von dieſer Gewohnheit her rührt denn auch der Name Neuntödter, welchen das Volk gerade dieſen Räubern gegeben hat.
Das Neſt iſt gewöhnlich ein ziemlich kunſtreicher Bau, welcher im dickeſten Geſtrüpp oder wenigſtens im dichteſten Geäſt angelegt und meiſt mit grünen Pflanzentheilen geſchmückt iſt. Das Gelege beſteht aus vier bis ſechs Eiern, welche vom Weibchen allein ausgebrütet werden, während das Männchen inzwiſchen die Ernährung ſeiner Gattin übernimmt. Die ausgeſchlüpften Jungen werden von beiden Eltern geäzt, ungemein geliebt und bei Gefahr auf das Muthigſte vertheidigt, auch nach dem Ausfliegen noch längere Zeit geführt, geleitet und unterrichtet und erſt ſpät im Herbſte, ja wahrſcheinlich ſogar erſt in der Winterherberge der elterlichen Obhut entlaſſen; denn, ungeſtört, brüten die Würger nur einmal im Jahre.
Die Familie iſt neuerdings in viele Sippen zerfällt worden, dieſelben kommen aber in allen weſentlichen Punkten mit einander überein, und die Unterſcheidungsmerkmale beſchränken ſich faſt ausſchließlich auf verſchiedene Bildung des Schnabels, falls man nicht auf die Verſchiedenheit oder Gleichmäßigkeit des Kleides der beiden Geſchlechter ein beſonderes Gewicht legen will. Eine dieſer Sippen vertritt der Raubwürger (Lanius Excubitor), welcher ſonſt auch der große oder graue Würger, der Würgvogel und Würgengel, Wächter, Buſchfalk, Otter- und Wahr- vogel, Waldherr, Wildwald, Metzger und Abdecker oder die Berg-, Buſch-, Kriek-, Kriegel-, Wild-, Kraus- und Straußelſter genannt wird. Er iſt der größte Würger Deutſchlands; ſeine Länge beträgt 9½ bis 10, die Breite 13½ bis 14 Zoll, der Fittig mißt 4, der Schwanz 4½ — 4¾ Zoll. Das Gefieder iſt auf der Oberſeite gleichmäßig hellaſchgrau, auf der Unterſeite reinweiß; ein breiter ſchwarzer Zügelſtreif verläuft durch das Auge; in dem Flügel ſind die großen Handſchwingen von der Wurzel bis zur Hälfte, die Armſchwingen an der Wurzel, die Oberarmſchwingen an der Spitze und inneren Fahne weiß, im Uebrigen aber wie die Deckfedern der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0733"n="693"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Raubwürger.</hi></fw><lb/>
ungeachtet ihrer geringen Größe zu den muthigſten, raubſüchtigſten und mordluſtigſten Vögeln, welche<lb/>
wir kennen. Jhre Begabungen ſind nicht beſonders ausgezeichnet, aber ſehr manchfaltig: ſie<lb/>
verſtehen von Allem Etwas. Jhr Flug iſt ſchlecht und unregelmäßig und der Gang hüpfend; dem-<lb/>
ungeachtet wiſſen ſie nicht blos Kerbthiere, ſondern auch höhere Wirbelthiere, welche viel gewandter<lb/>ſind, als ſie ſelbſt, zu überraſchen und trotz ihrer verhältnißmäßig ſchwachen Waffen umzubringen.<lb/>
Jhre Stimme iſt von Haus aus eintönig und ihr eigentlicher Geſang kaum der Rede werth; ſie aber<lb/>
verſtehen dem natürlichen Mangel in bewunderungswürdiger Weiſe abzuhelfen, indem ſie, ſcheinbar mit<lb/>
größter Mühe und Sorgfalt, anderer Vögel Lieder oder wenigſtens einzelne Strophen und Töne der-<lb/>ſelben ablauſchen und das nach und nach Erlernte, in ſonderbarer Weiſe vereinigt und verſchmolzen,<lb/>
zum Beſten geben. Einzelne Arten ſind, Dank dieſer Gewohnheit, wahrhaft beliebte Singvögel: ſie<lb/>ſind die Freude und der Stolz einzelner Liebhaber.</p><lb/><p>Kerbthiere ſind es vorzüglich, denen die Würger nachſtreben; ihre Mordluſt aber begnügt ſich<lb/>ſelten mit dieſer Beute, treibt ſie vielmehr, auch höhere Thiere anzugreifen. Die meiſten Würger<lb/>
haben dem ſämmtlichen Kleingeflügel den Krieg erklärt und werden um ſo gefährlicher, als ſie<lb/>
von den meiſten kleinen Vögeln gar nicht gewürdigt und mit einem Vertrauen beehrt werden, welches<lb/>ſie in der ſchändlichſten Weiſe mißbrauchen. Ruhig ſitzen ſie minutenlang unter Sing- und Sper-<lb/>
lingsvögeln, ſingen wohl auch mit dieſen und machen ſie förmlich ſicher: da plötzlich erheben ſie ſich,<lb/>
packen unverſehens einen der nächſtſitzenden und würgen ihn ab trotz eines Raubvogels. Sonderbar<lb/>
iſt ihre Gewohnheit, gefangene Beute auf ſpitze Dornen zu ſpießen. Da, wo ein Pärchen dieſer Vögel<lb/>
hauſt, wird man ſelten vergeblich nach derartig aufbewahrten Kerbthieren und ſelbſt kleinen Vögeln<lb/>
oder Lurchen ſuchen: es iſt, als ob der Henker ſich an dem Anblick ſeiner Schlachtopfer weide. Von<lb/>
dieſer Gewohnheit her rührt denn auch der Name <hirendition="#g">Neuntödter,</hi> welchen das Volk gerade dieſen<lb/>
Räubern gegeben hat.</p><lb/><p>Das Neſt iſt gewöhnlich ein ziemlich kunſtreicher Bau, welcher im dickeſten Geſtrüpp oder<lb/>
wenigſtens im dichteſten Geäſt angelegt und meiſt mit grünen Pflanzentheilen geſchmückt iſt. Das<lb/>
Gelege beſteht aus vier bis ſechs Eiern, welche vom Weibchen allein ausgebrütet werden, während<lb/>
das Männchen inzwiſchen die Ernährung ſeiner Gattin übernimmt. Die ausgeſchlüpften Jungen<lb/>
werden von beiden Eltern geäzt, ungemein geliebt und bei Gefahr auf das Muthigſte vertheidigt,<lb/>
auch nach dem Ausfliegen noch längere Zeit geführt, geleitet und unterrichtet und erſt ſpät im Herbſte,<lb/>
ja wahrſcheinlich ſogar erſt in der Winterherberge der elterlichen Obhut entlaſſen; denn, ungeſtört,<lb/>
brüten die Würger nur einmal im Jahre.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Die Familie iſt neuerdings in viele Sippen zerfällt worden, dieſelben kommen aber in allen<lb/>
weſentlichen Punkten mit einander überein, und die Unterſcheidungsmerkmale beſchränken ſich faſt<lb/>
ausſchließlich auf verſchiedene Bildung des Schnabels, falls man nicht auf die Verſchiedenheit oder<lb/>
Gleichmäßigkeit des Kleides der beiden Geſchlechter ein beſonderes Gewicht legen will. Eine dieſer<lb/>
Sippen vertritt der <hirendition="#g">Raubwürger</hi> (<hirendition="#aq">Lanius Excubitor</hi>), welcher ſonſt auch der große oder graue<lb/><hirendition="#g">Würger,</hi> der <hirendition="#g">Würgvogel</hi> und <hirendition="#g">Würgengel, Wächter, Buſchfalk, Otter-</hi> und <hirendition="#g">Wahr-<lb/>
vogel, Waldherr, Wildwald, Metzger</hi> und <hirendition="#g">Abdecker</hi> oder die <hirendition="#g">Berg-, Buſch-, Kriek-,<lb/>
Kriegel-, Wild-, Kraus-</hi> und <hirendition="#g">Straußelſter</hi> genannt wird. Er iſt der größte Würger<lb/>
Deutſchlands; ſeine Länge beträgt 9½ bis 10, die Breite 13½ bis 14 Zoll, der Fittig mißt 4, der<lb/>
Schwanz 4½ — 4¾ Zoll. Das Gefieder iſt auf der Oberſeite gleichmäßig hellaſchgrau, auf der<lb/>
Unterſeite reinweiß; ein breiter ſchwarzer Zügelſtreif verläuft durch das Auge; in dem Flügel<lb/>ſind die großen Handſchwingen von der Wurzel bis zur Hälfte, die Armſchwingen an der Wurzel, die<lb/>
Oberarmſchwingen an der Spitze und inneren Fahne weiß, im Uebrigen aber wie die Deckfedern der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[693/0733]
Raubwürger.
ungeachtet ihrer geringen Größe zu den muthigſten, raubſüchtigſten und mordluſtigſten Vögeln, welche
wir kennen. Jhre Begabungen ſind nicht beſonders ausgezeichnet, aber ſehr manchfaltig: ſie
verſtehen von Allem Etwas. Jhr Flug iſt ſchlecht und unregelmäßig und der Gang hüpfend; dem-
ungeachtet wiſſen ſie nicht blos Kerbthiere, ſondern auch höhere Wirbelthiere, welche viel gewandter
ſind, als ſie ſelbſt, zu überraſchen und trotz ihrer verhältnißmäßig ſchwachen Waffen umzubringen.
Jhre Stimme iſt von Haus aus eintönig und ihr eigentlicher Geſang kaum der Rede werth; ſie aber
verſtehen dem natürlichen Mangel in bewunderungswürdiger Weiſe abzuhelfen, indem ſie, ſcheinbar mit
größter Mühe und Sorgfalt, anderer Vögel Lieder oder wenigſtens einzelne Strophen und Töne der-
ſelben ablauſchen und das nach und nach Erlernte, in ſonderbarer Weiſe vereinigt und verſchmolzen,
zum Beſten geben. Einzelne Arten ſind, Dank dieſer Gewohnheit, wahrhaft beliebte Singvögel: ſie
ſind die Freude und der Stolz einzelner Liebhaber.
Kerbthiere ſind es vorzüglich, denen die Würger nachſtreben; ihre Mordluſt aber begnügt ſich
ſelten mit dieſer Beute, treibt ſie vielmehr, auch höhere Thiere anzugreifen. Die meiſten Würger
haben dem ſämmtlichen Kleingeflügel den Krieg erklärt und werden um ſo gefährlicher, als ſie
von den meiſten kleinen Vögeln gar nicht gewürdigt und mit einem Vertrauen beehrt werden, welches
ſie in der ſchändlichſten Weiſe mißbrauchen. Ruhig ſitzen ſie minutenlang unter Sing- und Sper-
lingsvögeln, ſingen wohl auch mit dieſen und machen ſie förmlich ſicher: da plötzlich erheben ſie ſich,
packen unverſehens einen der nächſtſitzenden und würgen ihn ab trotz eines Raubvogels. Sonderbar
iſt ihre Gewohnheit, gefangene Beute auf ſpitze Dornen zu ſpießen. Da, wo ein Pärchen dieſer Vögel
hauſt, wird man ſelten vergeblich nach derartig aufbewahrten Kerbthieren und ſelbſt kleinen Vögeln
oder Lurchen ſuchen: es iſt, als ob der Henker ſich an dem Anblick ſeiner Schlachtopfer weide. Von
dieſer Gewohnheit her rührt denn auch der Name Neuntödter, welchen das Volk gerade dieſen
Räubern gegeben hat.
Das Neſt iſt gewöhnlich ein ziemlich kunſtreicher Bau, welcher im dickeſten Geſtrüpp oder
wenigſtens im dichteſten Geäſt angelegt und meiſt mit grünen Pflanzentheilen geſchmückt iſt. Das
Gelege beſteht aus vier bis ſechs Eiern, welche vom Weibchen allein ausgebrütet werden, während
das Männchen inzwiſchen die Ernährung ſeiner Gattin übernimmt. Die ausgeſchlüpften Jungen
werden von beiden Eltern geäzt, ungemein geliebt und bei Gefahr auf das Muthigſte vertheidigt,
auch nach dem Ausfliegen noch längere Zeit geführt, geleitet und unterrichtet und erſt ſpät im Herbſte,
ja wahrſcheinlich ſogar erſt in der Winterherberge der elterlichen Obhut entlaſſen; denn, ungeſtört,
brüten die Würger nur einmal im Jahre.
Die Familie iſt neuerdings in viele Sippen zerfällt worden, dieſelben kommen aber in allen
weſentlichen Punkten mit einander überein, und die Unterſcheidungsmerkmale beſchränken ſich faſt
ausſchließlich auf verſchiedene Bildung des Schnabels, falls man nicht auf die Verſchiedenheit oder
Gleichmäßigkeit des Kleides der beiden Geſchlechter ein beſonderes Gewicht legen will. Eine dieſer
Sippen vertritt der Raubwürger (Lanius Excubitor), welcher ſonſt auch der große oder graue
Würger, der Würgvogel und Würgengel, Wächter, Buſchfalk, Otter- und Wahr-
vogel, Waldherr, Wildwald, Metzger und Abdecker oder die Berg-, Buſch-, Kriek-,
Kriegel-, Wild-, Kraus- und Straußelſter genannt wird. Er iſt der größte Würger
Deutſchlands; ſeine Länge beträgt 9½ bis 10, die Breite 13½ bis 14 Zoll, der Fittig mißt 4, der
Schwanz 4½ — 4¾ Zoll. Das Gefieder iſt auf der Oberſeite gleichmäßig hellaſchgrau, auf der
Unterſeite reinweiß; ein breiter ſchwarzer Zügelſtreif verläuft durch das Auge; in dem Flügel
ſind die großen Handſchwingen von der Wurzel bis zur Hälfte, die Armſchwingen an der Wurzel, die
Oberarmſchwingen an der Spitze und inneren Fahne weiß, im Uebrigen aber wie die Deckfedern der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 693. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/733>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.