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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Allgemeines.
Singen, gewidmet. Sie betreiben diese herrliche Kunst mit einer Begeisterung und Ausdauer, welche
unsere Bewunderung erregen müssen; sie singen nicht blos anderen, sondern auch sich selbst zur
Freude, wie sie andrerseits ihr Lied zur Waffe stählen, mit ihm kämpfen, durch dasselbe siegen oder
unterliegen. Wer eine Nachtigall, eine Drossel singen gehört und sie verstanden hat, begreift, daß
solch ein Vogel Lebensfreudigkeit, leichte Erregbarkeit des Geistes besitzen, daß er leidenschaftlich sein
muß, um so Vollendetes schaffen zu können. Man hat den Singvogel oft mit dem Dichter verglichen,
und der Vergleich ist richtig, so viel auch über ihn gespöttelt worden sein mag: denn was der Dichter
unter den Menschen, das ist der Sänger, im gewissen Sinne wenigstens, unter den Vögeln. --

Kerbthiere und Früchte bilden die allgemeine Nahrung der Singvögel. Einige wenige jagen auch
höherem Gethier nach und andere nehmen Sämereien auf: sie bilden Ausnahmen von der Regel.
Räuber, und zwar sehr mordsüchtige Räuber sind, bis auf wenige, alle, die Nachtigall nicht minder,
als die Würger oder Neuntödter.

Diese Nahrung bedingt, daß die meisten Singvögel, welche in den gemäßigten Gürteln der Erde
leben, wenn sich der Winter naht, ihre Heimat verlassen und milderen Erdgegenden zuwandern. Die
in warmen Ländern lebenden Sänger ziehen nicht, sondern streichen nur von einem Gebiete zum
andern. Dasselbe thun übrigens auch viele unserer nordischen Singvögel, namentlich diejenigen,
welche gewohnt sind, im und am Wasser ihre Nahrung zu suchen, und andere, welche besondere
Befähigung zeigen, auch das Verborgenste zu erspähen. Eine Regel läßt sich jedoch nicht aufstellen:
die Amsel z. B. gehört zu unseren Wintervögeln, ihre Verwandte, die Ringamsel, aber wandert.
Die Zeit der Ankunft und der Abreise ist sehr verschieden; die Mehrzahl kommt an, wenn der Frühling
die Blattknospen der Bäume sprengt und verläßt uns wieder, wenn die Blätter sich gilben.

Während der Reise leben die Singvögel gesellig, und es vereinigen sich dann sehr häufig
auch verschiedene Arten zu gemeinsamem Wandern; die Geselligkeit endet aber bei den meisten, sobald
sie wieder in der Heimat angelangt sind. Einzelne freilich bleiben auch während der Brutzeit im
engsten Verbande; sie bilden gemeinschaftlich Siedelungen, in denen so zu sagen, ein Nest neben dem
andern steht: die Regel aber ist, daß dann, wenn die Liebe sich der Gemüther bemächtigt, das einzelne
Paar streng abgesondert für sich lebt und aus dem erworbenen Gebiete jeden Eindringling derselben
Art eifersüchtig verfolgt und mit allen Waffen bekämpft.

Das Nest der Singvögel ist überaus verschieden, je nach der Art seines Erbauers, nach dem
Standorte, den Baustoffen etc. Es gibt große Künstler unter den Sängern, Weber nicht blos, sondern
auch Schneider, welche den feinen Schnabel als Nadel zu gebrauchen wissen und wirklich nähen oder
wenigstens zusammenheften; es gibt aber auch manchen Stümper, welcher zufrieden ist, wenn er eine
Baumhöhlung entsprechend ausgekleidet oder eine genügende Menge von Baustoff einigermaßen
zusammengeschichtet und geordnet hat. Das Gelege ist gewöhnlich ziemlich zahlreich an Eiern; ihrer
fünf bis sechs mögen am häufigsten vorkommen. Die Eier selbst sind dünn- und glattschalig, ein-
farbig oder bunt gezeichnet, lebhaft oder düster gefärbt. Beide Eltern brüten, und beide füttern auch
gemeinschaftlich die Jungen auf. Einige nisten nur einmal, die meisten aber zweimal im Laufe des
Sommers. Die Jungen wachsen sehr rasch heran, verlassen das Nest bald und machen sich kurze Zeit
nach ihrem Ausfliegen selbständig, obschon die einiger Arten noch lange Zeit in Gesellschaft ihrer
Alten bleiben. Jm nächsten Frühjahre sind die meisten fortpflanzungsfähig.

Unter dem großen Heere der Singvögel werden nur höchst wenige schädlich nach unseren
Begriffen, indem sie andere nützliche Vögel befehden; die Gesammtheit der Ordnung macht sich hoch
verdient um Das, was wir unser Eigen nennen. Sie säubert uns Garten und Flur von schädlichen
Kerfen und wacht treuer, als wir es vermögen, über unseren Nutzpflanzen. Dazu kommt nun noch
die köstliche Begabung dieser Vögel, Wald und Flur zu beleben mit ihrem Liede, welches uns den
Frühling erst zum Frühling stempelt. Die Sänger verdienen also redlich Schutz und Obhut von
unserer Seite: das Heer ihrer Feinde ist ohnehin zahlreich genug. Jch will es nicht unbedingt ver-
dammen, wenn der Vogler seinen Herd auf Drosseln stellt; er soll aber wenigstens so vernünftig sein,

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Allgemeines.
Singen, gewidmet. Sie betreiben dieſe herrliche Kunſt mit einer Begeiſterung und Ausdauer, welche
unſere Bewunderung erregen müſſen; ſie ſingen nicht blos anderen, ſondern auch ſich ſelbſt zur
Freude, wie ſie andrerſeits ihr Lied zur Waffe ſtählen, mit ihm kämpfen, durch daſſelbe ſiegen oder
unterliegen. Wer eine Nachtigall, eine Droſſel ſingen gehört und ſie verſtanden hat, begreift, daß
ſolch ein Vogel Lebensfreudigkeit, leichte Erregbarkeit des Geiſtes beſitzen, daß er leidenſchaftlich ſein
muß, um ſo Vollendetes ſchaffen zu können. Man hat den Singvogel oft mit dem Dichter verglichen,
und der Vergleich iſt richtig, ſo viel auch über ihn geſpöttelt worden ſein mag: denn was der Dichter
unter den Menſchen, das iſt der Sänger, im gewiſſen Sinne wenigſtens, unter den Vögeln. —

Kerbthiere und Früchte bilden die allgemeine Nahrung der Singvögel. Einige wenige jagen auch
höherem Gethier nach und andere nehmen Sämereien auf: ſie bilden Ausnahmen von der Regel.
Räuber, und zwar ſehr mordſüchtige Räuber ſind, bis auf wenige, alle, die Nachtigall nicht minder,
als die Würger oder Neuntödter.

Dieſe Nahrung bedingt, daß die meiſten Singvögel, welche in den gemäßigten Gürteln der Erde
leben, wenn ſich der Winter naht, ihre Heimat verlaſſen und milderen Erdgegenden zuwandern. Die
in warmen Ländern lebenden Sänger ziehen nicht, ſondern ſtreichen nur von einem Gebiete zum
andern. Daſſelbe thun übrigens auch viele unſerer nordiſchen Singvögel, namentlich diejenigen,
welche gewohnt ſind, im und am Waſſer ihre Nahrung zu ſuchen, und andere, welche beſondere
Befähigung zeigen, auch das Verborgenſte zu erſpähen. Eine Regel läßt ſich jedoch nicht aufſtellen:
die Amſel z. B. gehört zu unſeren Wintervögeln, ihre Verwandte, die Ringamſel, aber wandert.
Die Zeit der Ankunft und der Abreiſe iſt ſehr verſchieden; die Mehrzahl kommt an, wenn der Frühling
die Blattknospen der Bäume ſprengt und verläßt uns wieder, wenn die Blätter ſich gilben.

Während der Reiſe leben die Singvögel geſellig, und es vereinigen ſich dann ſehr häufig
auch verſchiedene Arten zu gemeinſamem Wandern; die Geſelligkeit endet aber bei den meiſten, ſobald
ſie wieder in der Heimat angelangt ſind. Einzelne freilich bleiben auch während der Brutzeit im
engſten Verbande; ſie bilden gemeinſchaftlich Siedelungen, in denen ſo zu ſagen, ein Neſt neben dem
andern ſteht: die Regel aber iſt, daß dann, wenn die Liebe ſich der Gemüther bemächtigt, das einzelne
Paar ſtreng abgeſondert für ſich lebt und aus dem erworbenen Gebiete jeden Eindringling derſelben
Art eiferſüchtig verfolgt und mit allen Waffen bekämpft.

Das Neſt der Singvögel iſt überaus verſchieden, je nach der Art ſeines Erbauers, nach dem
Standorte, den Bauſtoffen ꝛc. Es gibt große Künſtler unter den Sängern, Weber nicht blos, ſondern
auch Schneider, welche den feinen Schnabel als Nadel zu gebrauchen wiſſen und wirklich nähen oder
wenigſtens zuſammenheften; es gibt aber auch manchen Stümper, welcher zufrieden iſt, wenn er eine
Baumhöhlung entſprechend ausgekleidet oder eine genügende Menge von Bauſtoff einigermaßen
zuſammengeſchichtet und geordnet hat. Das Gelege iſt gewöhnlich ziemlich zahlreich an Eiern; ihrer
fünf bis ſechs mögen am häufigſten vorkommen. Die Eier ſelbſt ſind dünn- und glattſchalig, ein-
farbig oder bunt gezeichnet, lebhaft oder düſter gefärbt. Beide Eltern brüten, und beide füttern auch
gemeinſchaftlich die Jungen auf. Einige niſten nur einmal, die meiſten aber zweimal im Laufe des
Sommers. Die Jungen wachſen ſehr raſch heran, verlaſſen das Neſt bald und machen ſich kurze Zeit
nach ihrem Ausfliegen ſelbſtändig, obſchon die einiger Arten noch lange Zeit in Geſellſchaft ihrer
Alten bleiben. Jm nächſten Frühjahre ſind die meiſten fortpflanzungsfähig.

Unter dem großen Heere der Singvögel werden nur höchſt wenige ſchädlich nach unſeren
Begriffen, indem ſie andere nützliche Vögel befehden; die Geſammtheit der Ordnung macht ſich hoch
verdient um Das, was wir unſer Eigen nennen. Sie ſäubert uns Garten und Flur von ſchädlichen
Kerfen und wacht treuer, als wir es vermögen, über unſeren Nutzpflanzen. Dazu kommt nun noch
die köſtliche Begabung dieſer Vögel, Wald und Flur zu beleben mit ihrem Liede, welches uns den
Frühling erſt zum Frühling ſtempelt. Die Sänger verdienen alſo redlich Schutz und Obhut von
unſerer Seite: das Heer ihrer Feinde iſt ohnehin zahlreich genug. Jch will es nicht unbedingt ver-
dammen, wenn der Vogler ſeinen Herd auf Droſſeln ſtellt; er ſoll aber wenigſtens ſo vernünftig ſein,

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[691/0731] Allgemeines. Singen, gewidmet. Sie betreiben dieſe herrliche Kunſt mit einer Begeiſterung und Ausdauer, welche unſere Bewunderung erregen müſſen; ſie ſingen nicht blos anderen, ſondern auch ſich ſelbſt zur Freude, wie ſie andrerſeits ihr Lied zur Waffe ſtählen, mit ihm kämpfen, durch daſſelbe ſiegen oder unterliegen. Wer eine Nachtigall, eine Droſſel ſingen gehört und ſie verſtanden hat, begreift, daß ſolch ein Vogel Lebensfreudigkeit, leichte Erregbarkeit des Geiſtes beſitzen, daß er leidenſchaftlich ſein muß, um ſo Vollendetes ſchaffen zu können. Man hat den Singvogel oft mit dem Dichter verglichen, und der Vergleich iſt richtig, ſo viel auch über ihn geſpöttelt worden ſein mag: denn was der Dichter unter den Menſchen, das iſt der Sänger, im gewiſſen Sinne wenigſtens, unter den Vögeln. — Kerbthiere und Früchte bilden die allgemeine Nahrung der Singvögel. Einige wenige jagen auch höherem Gethier nach und andere nehmen Sämereien auf: ſie bilden Ausnahmen von der Regel. Räuber, und zwar ſehr mordſüchtige Räuber ſind, bis auf wenige, alle, die Nachtigall nicht minder, als die Würger oder Neuntödter. Dieſe Nahrung bedingt, daß die meiſten Singvögel, welche in den gemäßigten Gürteln der Erde leben, wenn ſich der Winter naht, ihre Heimat verlaſſen und milderen Erdgegenden zuwandern. Die in warmen Ländern lebenden Sänger ziehen nicht, ſondern ſtreichen nur von einem Gebiete zum andern. Daſſelbe thun übrigens auch viele unſerer nordiſchen Singvögel, namentlich diejenigen, welche gewohnt ſind, im und am Waſſer ihre Nahrung zu ſuchen, und andere, welche beſondere Befähigung zeigen, auch das Verborgenſte zu erſpähen. Eine Regel läßt ſich jedoch nicht aufſtellen: die Amſel z. B. gehört zu unſeren Wintervögeln, ihre Verwandte, die Ringamſel, aber wandert. Die Zeit der Ankunft und der Abreiſe iſt ſehr verſchieden; die Mehrzahl kommt an, wenn der Frühling die Blattknospen der Bäume ſprengt und verläßt uns wieder, wenn die Blätter ſich gilben. Während der Reiſe leben die Singvögel geſellig, und es vereinigen ſich dann ſehr häufig auch verſchiedene Arten zu gemeinſamem Wandern; die Geſelligkeit endet aber bei den meiſten, ſobald ſie wieder in der Heimat angelangt ſind. Einzelne freilich bleiben auch während der Brutzeit im engſten Verbande; ſie bilden gemeinſchaftlich Siedelungen, in denen ſo zu ſagen, ein Neſt neben dem andern ſteht: die Regel aber iſt, daß dann, wenn die Liebe ſich der Gemüther bemächtigt, das einzelne Paar ſtreng abgeſondert für ſich lebt und aus dem erworbenen Gebiete jeden Eindringling derſelben Art eiferſüchtig verfolgt und mit allen Waffen bekämpft. Das Neſt der Singvögel iſt überaus verſchieden, je nach der Art ſeines Erbauers, nach dem Standorte, den Bauſtoffen ꝛc. Es gibt große Künſtler unter den Sängern, Weber nicht blos, ſondern auch Schneider, welche den feinen Schnabel als Nadel zu gebrauchen wiſſen und wirklich nähen oder wenigſtens zuſammenheften; es gibt aber auch manchen Stümper, welcher zufrieden iſt, wenn er eine Baumhöhlung entſprechend ausgekleidet oder eine genügende Menge von Bauſtoff einigermaßen zuſammengeſchichtet und geordnet hat. Das Gelege iſt gewöhnlich ziemlich zahlreich an Eiern; ihrer fünf bis ſechs mögen am häufigſten vorkommen. Die Eier ſelbſt ſind dünn- und glattſchalig, ein- farbig oder bunt gezeichnet, lebhaft oder düſter gefärbt. Beide Eltern brüten, und beide füttern auch gemeinſchaftlich die Jungen auf. Einige niſten nur einmal, die meiſten aber zweimal im Laufe des Sommers. Die Jungen wachſen ſehr raſch heran, verlaſſen das Neſt bald und machen ſich kurze Zeit nach ihrem Ausfliegen ſelbſtändig, obſchon die einiger Arten noch lange Zeit in Geſellſchaft ihrer Alten bleiben. Jm nächſten Frühjahre ſind die meiſten fortpflanzungsfähig. Unter dem großen Heere der Singvögel werden nur höchſt wenige ſchädlich nach unſeren Begriffen, indem ſie andere nützliche Vögel befehden; die Geſammtheit der Ordnung macht ſich hoch verdient um Das, was wir unſer Eigen nennen. Sie ſäubert uns Garten und Flur von ſchädlichen Kerfen und wacht treuer, als wir es vermögen, über unſeren Nutzpflanzen. Dazu kommt nun noch die köſtliche Begabung dieſer Vögel, Wald und Flur zu beleben mit ihrem Liede, welches uns den Frühling erſt zum Frühling ſtempelt. Die Sänger verdienen alſo redlich Schutz und Obhut von unſerer Seite: das Heer ihrer Feinde iſt ohnehin zahlreich genug. Jch will es nicht unbedingt ver- dammen, wenn der Vogler ſeinen Herd auf Droſſeln ſtellt; er ſoll aber wenigſtens ſo vernünftig ſein, 44 *

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 691. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/731>, abgerufen am 22.11.2024.