auf einem Zweige, den Leib fest auf seinen Sitz gedrückt, den Hals zusammengezogen, den Kopf zwischen den Schulterfedern versteckt und so bewegungslos, daß er mehr einem Astknorren, als einem Vogel gleicht. Jch muß ausdrücklich hervorheben, daß er sich immer der Quere und nicht der Länge nach setzt. Er ist aber so still und seine düstere Färbung stimmt so genau überein mit der Rinden- farbe und Zeichnung, daß schon eine gewisse Uebung dazu gehört, den großen Vogel bei hellem Tage zu entdecken, obgleich sich dieser gewöhnlich gar nicht versteckt, sondern auf Aesten niederläßt, welche zweiglos sind."
Der Schlaf des Riesenschwalms ist so tief, daß man einen der Gatten vom Baume herabschießen kann, ohne daß der andere dicht daneben sitzende sich rührt, daß man mit Steinen nach dem Schläfer werfen oder mit Stöcken nach ihm schlagen mag, ohne ihn zum Fortfliegen zu bewegen, daß man im Stande ist, ihn mit der Hand zu ergreifen. Gelingt es wirklich, ihn aufzuscheuchen, so entwickelt er kaum soviel Thatkraft, daß er sich vor dem Herabfallen auf den Boden schützt. Er flattert scheinbar bewußtlos den nächsten Zweigen zu, klammert sich dort fest und fällt sofort wieder in Schlaf. Dies ist die Regel; doch kommt es ausnahmsweise vor, daß ein Schwalm auch bei Tage eine kleine Strecke durchfliegt.
Ganz anders zeigt sich der Vogel, wenn die Nacht hereinbricht. Mit Beginn der Dämmerung erwacht er aus seinem Schlafe, und nachdem er sich gereckt und gedehnt, die Federn geordnet und geglättet hat, beginnt er umherzuschweifen. Nunmehr ist er das gerade Gegentheil von Dem, was er über Tags war. Er ist lebendig, munter, thätig, rasch und gewandt in allen seinen Bewegungen, fliegt auf und nieder und ist emsig bemüht, Beute zu machen. Rasch rennt er auf den Zweigen dahin und nimmt hier die Heuschrecken und Cicaden auf, welche sich zum Schlummer niedergesetzt; nach Spechtesart hämmert er mit dem Schnabel an der Rinde, um die dort verborgenen zum Vorschein zu bringen; ja er schlüpft wohl selbst in das Jnnere der Baumhöhlungen, auch hier nach Nahrung suchend. Man kann nicht eben behaupten, daß er ein besonders guter Flieger sei -- sein Flug ist vielmehr kurz und abgebrochen, wie es die verhältnißmäßig kurzen Schwingen erwarten lassen: ungeschickt ist er aber durchaus nicht, denn er fliegt spielend zu seinem Vergnügen von Baum zu Baum. Mit einfallender Nacht endigt dieses Vergnügen. Dann bewegt sich der Vogel höchstens noch im Gezweig der Bäume, hier alles durchschnüffelnd. Gould meint, daß die Riesenschwalme nur Kerbthiere fräßen, Verreaur hingegen versichert, daß sie auch anderer Beute nachstreben. Während des Winters ziehen sie sich die versteckten Kerfe aus den Ritzen und Spalten der Bäume hervor; mangelt ihnen diese Nahrung, so begeben sie sich nach den Morästen, um dort Schnecken und andere kleine Wasserthiere zu suchen. Während der Brutzeit rauben sie junge Vögel, tödten sie, wenn sie ihnen zu groß sind, nach Art der Baumeisvögel, indem sie dieselben mit dem Schnabel packen und wiederholt gegen den Ast schlagen; dann schlucken sie den Leichnam ganz hinunter. Jhre Jagd währt nur, so lange es dämmert; bei dunkler Nacht sitzen sie ruhig auf ein und demselben Aste. Einige Stunden vor Tagesanbruch aber jagen sie zum zweiten Male, ganz, wie es die Ziegenmelker auch thun.
Die Stimme des Männchens ist laut und unangenehm, Dem, welcher sie zum erstenmale hört, überraschend. Sie soll, nach Verreaux, dem Ruksen der Tauben ähneln. Am lautesten und eifrigsten schreien die Schwalme selbstverständlich während der Paarungszeit. Dann gibt ihr Ruf das Zeichen zum Streite. Sobald ein anderes Männchen herbeikommt, entspinnt sich ein heftiger Kampf, bis Einer unbestrittener Sieger bleibt. Die Paarungszeit fällt in den Juli und August. Die Paarung selbst geschieht in der Dämmerung; nach ihr bleiben beide Geschlechter dicht neben einander sitzen und verharren unbeweglich, bis ihre Jagd von neuem beginnt. Das kleine, flache Nest wird aus feinen Zweigen zusammengebaut und zwar von beiden Gatten eines Paares. Es ist ein erbärmlicher Bau, welcher innen nur mit einigen Grashalmen und Federn belegt wird. Gewöhnlich steht es sehr niedrig, etwa fünf bis sechs Fuß über dem Boden in der Gabel eines Baumastes, sodaß es bequem mit der Hand erreicht werden kann. Die zwei bis vier länglichen, reinweißen Eier sieht man von unten, wie die mancher Tauben, durchschimmern. Beide Geschlechter theilen sich in das
Rieſenſchwalm.
auf einem Zweige, den Leib feſt auf ſeinen Sitz gedrückt, den Hals zuſammengezogen, den Kopf zwiſchen den Schulterfedern verſteckt und ſo bewegungslos, daß er mehr einem Aſtknorren, als einem Vogel gleicht. Jch muß ausdrücklich hervorheben, daß er ſich immer der Quere und nicht der Länge nach ſetzt. Er iſt aber ſo ſtill und ſeine düſtere Färbung ſtimmt ſo genau überein mit der Rinden- farbe und Zeichnung, daß ſchon eine gewiſſe Uebung dazu gehört, den großen Vogel bei hellem Tage zu entdecken, obgleich ſich dieſer gewöhnlich gar nicht verſteckt, ſondern auf Aeſten niederläßt, welche zweiglos ſind.‟
Der Schlaf des Rieſenſchwalms iſt ſo tief, daß man einen der Gatten vom Baume herabſchießen kann, ohne daß der andere dicht daneben ſitzende ſich rührt, daß man mit Steinen nach dem Schläfer werfen oder mit Stöcken nach ihm ſchlagen mag, ohne ihn zum Fortfliegen zu bewegen, daß man im Stande iſt, ihn mit der Hand zu ergreifen. Gelingt es wirklich, ihn aufzuſcheuchen, ſo entwickelt er kaum ſoviel Thatkraft, daß er ſich vor dem Herabfallen auf den Boden ſchützt. Er flattert ſcheinbar bewußtlos den nächſten Zweigen zu, klammert ſich dort feſt und fällt ſofort wieder in Schlaf. Dies iſt die Regel; doch kommt es ausnahmsweiſe vor, daß ein Schwalm auch bei Tage eine kleine Strecke durchfliegt.
Ganz anders zeigt ſich der Vogel, wenn die Nacht hereinbricht. Mit Beginn der Dämmerung erwacht er aus ſeinem Schlafe, und nachdem er ſich gereckt und gedehnt, die Federn geordnet und geglättet hat, beginnt er umherzuſchweifen. Nunmehr iſt er das gerade Gegentheil von Dem, was er über Tags war. Er iſt lebendig, munter, thätig, raſch und gewandt in allen ſeinen Bewegungen, fliegt auf und nieder und iſt emſig bemüht, Beute zu machen. Raſch rennt er auf den Zweigen dahin und nimmt hier die Heuſchrecken und Cicaden auf, welche ſich zum Schlummer niedergeſetzt; nach Spechtesart hämmert er mit dem Schnabel an der Rinde, um die dort verborgenen zum Vorſchein zu bringen; ja er ſchlüpft wohl ſelbſt in das Jnnere der Baumhöhlungen, auch hier nach Nahrung ſuchend. Man kann nicht eben behaupten, daß er ein beſonders guter Flieger ſei — ſein Flug iſt vielmehr kurz und abgebrochen, wie es die verhältnißmäßig kurzen Schwingen erwarten laſſen: ungeſchickt iſt er aber durchaus nicht, denn er fliegt ſpielend zu ſeinem Vergnügen von Baum zu Baum. Mit einfallender Nacht endigt dieſes Vergnügen. Dann bewegt ſich der Vogel höchſtens noch im Gezweig der Bäume, hier alles durchſchnüffelnd. Gould meint, daß die Rieſenſchwalme nur Kerbthiere fräßen, Verreaur hingegen verſichert, daß ſie auch anderer Beute nachſtreben. Während des Winters ziehen ſie ſich die verſteckten Kerfe aus den Ritzen und Spalten der Bäume hervor; mangelt ihnen dieſe Nahrung, ſo begeben ſie ſich nach den Moräſten, um dort Schnecken und andere kleine Waſſerthiere zu ſuchen. Während der Brutzeit rauben ſie junge Vögel, tödten ſie, wenn ſie ihnen zu groß ſind, nach Art der Baumeisvögel, indem ſie dieſelben mit dem Schnabel packen und wiederholt gegen den Aſt ſchlagen; dann ſchlucken ſie den Leichnam ganz hinunter. Jhre Jagd währt nur, ſo lange es dämmert; bei dunkler Nacht ſitzen ſie ruhig auf ein und demſelben Aſte. Einige Stunden vor Tagesanbruch aber jagen ſie zum zweiten Male, ganz, wie es die Ziegenmelker auch thun.
Die Stimme des Männchens iſt laut und unangenehm, Dem, welcher ſie zum erſtenmale hört, überraſchend. Sie ſoll, nach Verreaux, dem Rukſen der Tauben ähneln. Am lauteſten und eifrigſten ſchreien die Schwalme ſelbſtverſtändlich während der Paarungszeit. Dann gibt ihr Ruf das Zeichen zum Streite. Sobald ein anderes Männchen herbeikommt, entſpinnt ſich ein heftiger Kampf, bis Einer unbeſtrittener Sieger bleibt. Die Paarungszeit fällt in den Juli und Auguſt. Die Paarung ſelbſt geſchieht in der Dämmerung; nach ihr bleiben beide Geſchlechter dicht neben einander ſitzen und verharren unbeweglich, bis ihre Jagd von neuem beginnt. Das kleine, flache Neſt wird aus feinen Zweigen zuſammengebaut und zwar von beiden Gatten eines Paares. Es iſt ein erbärmlicher Bau, welcher innen nur mit einigen Grashalmen und Federn belegt wird. Gewöhnlich ſteht es ſehr niedrig, etwa fünf bis ſechs Fuß über dem Boden in der Gabel eines Baumaſtes, ſodaß es bequem mit der Hand erreicht werden kann. Die zwei bis vier länglichen, reinweißen Eier ſieht man von unten, wie die mancher Tauben, durchſchimmern. Beide Geſchlechter theilen ſich in das
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0725"n="685"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Rieſenſchwalm.</hi></fw><lb/>
auf einem Zweige, den Leib feſt auf ſeinen Sitz gedrückt, den Hals zuſammengezogen, den Kopf<lb/>
zwiſchen den Schulterfedern verſteckt und ſo bewegungslos, daß er mehr einem Aſtknorren, als einem<lb/>
Vogel gleicht. Jch muß ausdrücklich hervorheben, daß er ſich immer der Quere und nicht der Länge<lb/>
nach ſetzt. Er iſt aber ſo ſtill und ſeine düſtere Färbung ſtimmt ſo genau überein mit der Rinden-<lb/>
farbe und Zeichnung, daß ſchon eine gewiſſe Uebung dazu gehört, den großen Vogel bei hellem Tage<lb/>
zu entdecken, obgleich ſich dieſer gewöhnlich gar nicht verſteckt, ſondern auf Aeſten niederläßt, welche<lb/>
zweiglos ſind.‟</p><lb/><p>Der Schlaf des Rieſenſchwalms iſt ſo tief, daß man einen der Gatten vom Baume herabſchießen<lb/>
kann, ohne daß der andere dicht daneben ſitzende ſich rührt, daß man mit Steinen nach dem Schläfer<lb/>
werfen oder mit Stöcken nach ihm ſchlagen mag, ohne ihn zum Fortfliegen zu bewegen, daß man im<lb/>
Stande iſt, ihn mit der Hand zu ergreifen. Gelingt es wirklich, ihn aufzuſcheuchen, ſo entwickelt er<lb/>
kaum ſoviel Thatkraft, daß er ſich vor dem Herabfallen auf den Boden ſchützt. Er flattert ſcheinbar<lb/>
bewußtlos den nächſten Zweigen zu, klammert ſich dort feſt und fällt ſofort wieder in Schlaf. Dies<lb/>
iſt die Regel; doch kommt es ausnahmsweiſe vor, daß ein Schwalm auch bei Tage eine kleine Strecke<lb/>
durchfliegt.</p><lb/><p>Ganz anders zeigt ſich der Vogel, wenn die Nacht hereinbricht. Mit Beginn der Dämmerung<lb/>
erwacht er aus ſeinem Schlafe, und nachdem er ſich gereckt und gedehnt, die Federn geordnet und<lb/>
geglättet hat, beginnt er umherzuſchweifen. Nunmehr iſt er das gerade Gegentheil von Dem, was er<lb/>
über Tags war. Er iſt lebendig, munter, thätig, raſch und gewandt in allen ſeinen Bewegungen,<lb/>
fliegt auf und nieder und iſt emſig bemüht, Beute zu machen. Raſch rennt er auf den Zweigen dahin<lb/>
und nimmt hier die Heuſchrecken und Cicaden auf, welche ſich zum Schlummer niedergeſetzt; nach<lb/>
Spechtesart hämmert er mit dem Schnabel an der Rinde, um die dort verborgenen zum Vorſchein zu<lb/>
bringen; ja er ſchlüpft wohl ſelbſt in das Jnnere der Baumhöhlungen, auch hier nach Nahrung ſuchend.<lb/>
Man kann nicht eben behaupten, daß er ein beſonders guter Flieger ſei —ſein Flug iſt vielmehr kurz<lb/>
und abgebrochen, wie es die verhältnißmäßig kurzen Schwingen erwarten laſſen: ungeſchickt iſt er aber<lb/>
durchaus nicht, denn er fliegt ſpielend zu ſeinem Vergnügen von Baum zu Baum. Mit einfallender<lb/>
Nacht endigt dieſes Vergnügen. Dann bewegt ſich der Vogel höchſtens noch im Gezweig der Bäume,<lb/>
hier alles durchſchnüffelnd. <hirendition="#g">Gould</hi> meint, daß die Rieſenſchwalme nur Kerbthiere fräßen, <hirendition="#g">Verreaur</hi><lb/>
hingegen verſichert, daß ſie auch anderer Beute nachſtreben. Während des Winters ziehen ſie ſich die<lb/>
verſteckten Kerfe aus den Ritzen und Spalten der Bäume hervor; mangelt ihnen dieſe Nahrung, ſo<lb/>
begeben ſie ſich nach den Moräſten, um dort Schnecken und andere kleine Waſſerthiere zu ſuchen.<lb/>
Während der Brutzeit rauben ſie junge Vögel, tödten ſie, wenn ſie ihnen zu groß ſind, nach Art der<lb/><hirendition="#g">Baumeisvögel,</hi> indem ſie dieſelben mit dem Schnabel packen und wiederholt gegen den Aſt ſchlagen;<lb/>
dann ſchlucken ſie den Leichnam ganz hinunter. Jhre Jagd währt nur, ſo lange es dämmert; bei<lb/>
dunkler Nacht ſitzen ſie ruhig auf ein und demſelben Aſte. Einige Stunden vor Tagesanbruch aber<lb/>
jagen ſie zum zweiten Male, ganz, wie es die Ziegenmelker auch thun.</p><lb/><p>Die Stimme des Männchens iſt laut und unangenehm, Dem, welcher ſie zum erſtenmale hört,<lb/>
überraſchend. Sie ſoll, nach <hirendition="#g">Verreaux,</hi> dem Rukſen der Tauben ähneln. Am lauteſten und<lb/>
eifrigſten ſchreien die Schwalme ſelbſtverſtändlich während der Paarungszeit. Dann gibt ihr Ruf das<lb/>
Zeichen zum Streite. Sobald ein anderes Männchen herbeikommt, entſpinnt ſich ein heftiger Kampf,<lb/>
bis Einer unbeſtrittener Sieger bleibt. Die Paarungszeit fällt in den Juli und Auguſt. Die<lb/>
Paarung ſelbſt geſchieht in der Dämmerung; nach ihr bleiben beide Geſchlechter dicht neben einander<lb/>ſitzen und verharren unbeweglich, bis ihre Jagd von neuem beginnt. Das kleine, flache Neſt wird<lb/>
aus feinen Zweigen zuſammengebaut und zwar von beiden Gatten eines Paares. Es iſt ein<lb/>
erbärmlicher Bau, welcher innen nur mit einigen Grashalmen und Federn belegt wird. Gewöhnlich<lb/>ſteht es ſehr niedrig, etwa fünf bis ſechs Fuß über dem Boden in der Gabel eines Baumaſtes, ſodaß<lb/>
es bequem mit der Hand erreicht werden kann. Die zwei bis vier länglichen, reinweißen Eier ſieht<lb/>
man von unten, wie die mancher Tauben, durchſchimmern. Beide Geſchlechter theilen ſich in das<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[685/0725]
Rieſenſchwalm.
auf einem Zweige, den Leib feſt auf ſeinen Sitz gedrückt, den Hals zuſammengezogen, den Kopf
zwiſchen den Schulterfedern verſteckt und ſo bewegungslos, daß er mehr einem Aſtknorren, als einem
Vogel gleicht. Jch muß ausdrücklich hervorheben, daß er ſich immer der Quere und nicht der Länge
nach ſetzt. Er iſt aber ſo ſtill und ſeine düſtere Färbung ſtimmt ſo genau überein mit der Rinden-
farbe und Zeichnung, daß ſchon eine gewiſſe Uebung dazu gehört, den großen Vogel bei hellem Tage
zu entdecken, obgleich ſich dieſer gewöhnlich gar nicht verſteckt, ſondern auf Aeſten niederläßt, welche
zweiglos ſind.‟
Der Schlaf des Rieſenſchwalms iſt ſo tief, daß man einen der Gatten vom Baume herabſchießen
kann, ohne daß der andere dicht daneben ſitzende ſich rührt, daß man mit Steinen nach dem Schläfer
werfen oder mit Stöcken nach ihm ſchlagen mag, ohne ihn zum Fortfliegen zu bewegen, daß man im
Stande iſt, ihn mit der Hand zu ergreifen. Gelingt es wirklich, ihn aufzuſcheuchen, ſo entwickelt er
kaum ſoviel Thatkraft, daß er ſich vor dem Herabfallen auf den Boden ſchützt. Er flattert ſcheinbar
bewußtlos den nächſten Zweigen zu, klammert ſich dort feſt und fällt ſofort wieder in Schlaf. Dies
iſt die Regel; doch kommt es ausnahmsweiſe vor, daß ein Schwalm auch bei Tage eine kleine Strecke
durchfliegt.
Ganz anders zeigt ſich der Vogel, wenn die Nacht hereinbricht. Mit Beginn der Dämmerung
erwacht er aus ſeinem Schlafe, und nachdem er ſich gereckt und gedehnt, die Federn geordnet und
geglättet hat, beginnt er umherzuſchweifen. Nunmehr iſt er das gerade Gegentheil von Dem, was er
über Tags war. Er iſt lebendig, munter, thätig, raſch und gewandt in allen ſeinen Bewegungen,
fliegt auf und nieder und iſt emſig bemüht, Beute zu machen. Raſch rennt er auf den Zweigen dahin
und nimmt hier die Heuſchrecken und Cicaden auf, welche ſich zum Schlummer niedergeſetzt; nach
Spechtesart hämmert er mit dem Schnabel an der Rinde, um die dort verborgenen zum Vorſchein zu
bringen; ja er ſchlüpft wohl ſelbſt in das Jnnere der Baumhöhlungen, auch hier nach Nahrung ſuchend.
Man kann nicht eben behaupten, daß er ein beſonders guter Flieger ſei — ſein Flug iſt vielmehr kurz
und abgebrochen, wie es die verhältnißmäßig kurzen Schwingen erwarten laſſen: ungeſchickt iſt er aber
durchaus nicht, denn er fliegt ſpielend zu ſeinem Vergnügen von Baum zu Baum. Mit einfallender
Nacht endigt dieſes Vergnügen. Dann bewegt ſich der Vogel höchſtens noch im Gezweig der Bäume,
hier alles durchſchnüffelnd. Gould meint, daß die Rieſenſchwalme nur Kerbthiere fräßen, Verreaur
hingegen verſichert, daß ſie auch anderer Beute nachſtreben. Während des Winters ziehen ſie ſich die
verſteckten Kerfe aus den Ritzen und Spalten der Bäume hervor; mangelt ihnen dieſe Nahrung, ſo
begeben ſie ſich nach den Moräſten, um dort Schnecken und andere kleine Waſſerthiere zu ſuchen.
Während der Brutzeit rauben ſie junge Vögel, tödten ſie, wenn ſie ihnen zu groß ſind, nach Art der
Baumeisvögel, indem ſie dieſelben mit dem Schnabel packen und wiederholt gegen den Aſt ſchlagen;
dann ſchlucken ſie den Leichnam ganz hinunter. Jhre Jagd währt nur, ſo lange es dämmert; bei
dunkler Nacht ſitzen ſie ruhig auf ein und demſelben Aſte. Einige Stunden vor Tagesanbruch aber
jagen ſie zum zweiten Male, ganz, wie es die Ziegenmelker auch thun.
Die Stimme des Männchens iſt laut und unangenehm, Dem, welcher ſie zum erſtenmale hört,
überraſchend. Sie ſoll, nach Verreaux, dem Rukſen der Tauben ähneln. Am lauteſten und
eifrigſten ſchreien die Schwalme ſelbſtverſtändlich während der Paarungszeit. Dann gibt ihr Ruf das
Zeichen zum Streite. Sobald ein anderes Männchen herbeikommt, entſpinnt ſich ein heftiger Kampf,
bis Einer unbeſtrittener Sieger bleibt. Die Paarungszeit fällt in den Juli und Auguſt. Die
Paarung ſelbſt geſchieht in der Dämmerung; nach ihr bleiben beide Geſchlechter dicht neben einander
ſitzen und verharren unbeweglich, bis ihre Jagd von neuem beginnt. Das kleine, flache Neſt wird
aus feinen Zweigen zuſammengebaut und zwar von beiden Gatten eines Paares. Es iſt ein
erbärmlicher Bau, welcher innen nur mit einigen Grashalmen und Federn belegt wird. Gewöhnlich
ſteht es ſehr niedrig, etwa fünf bis ſechs Fuß über dem Boden in der Gabel eines Baumaſtes, ſodaß
es bequem mit der Hand erreicht werden kann. Die zwei bis vier länglichen, reinweißen Eier ſieht
man von unten, wie die mancher Tauben, durchſchimmern. Beide Geſchlechter theilen ſich in das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 685. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/725>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.