sie lebten da mehrere Tage ohne zu fressen, da die Körner, die man ihnen gab, ihnen nicht zusagten. Wenn man in der Höhle den jungen Vögeln Kropf und Magen aufschneidet, findet man mancherlei harte, trockene Samen darin, die unter dem seltsamen Namen "Guacharosamen" ein vielberufenes Mittel gegen Wechselfieber sind. Die Alten bringen diese Samen den Jungen zu. Man sammelt sie sorgfältig und läßt sie den Kranken in Cariaco und andern tief gelegenen Fieberstrichen zukommen."
"Die Höhle von Caripe behält auf 1458 Fuß dieselbe Richtung, dieselbe Breite und die anfäng- liche Höhe von 60--70 Fuß. Wir hatten viele Mühe, die Jndianer zu bewegen, daß sie über das vordere Stück hinausgingen, welches allein sie jährlich zum Fettsammeln besuchen. Es bedurfte das ganze Ansehen der Geistlichen, um sie bis zu der Stelle zu bringen, wo der Boden rasch unter einem Winkel von 60 Grad steigt, und der Bach einen unterirdischen Fall bildet. Jemehr die Decke sich senkte, um so gellender wurde das Geschrei der Guacharos und endlich konnte kein Zureden die Jndianer ver- mögen, noch weiter in die Höhle hineinzugehen. Wir mußten uns der Feigheit unserer Führer gefan- gen geben, und umkehren. Auch sah man überall so ziemlich das Nämliche. -- Diese von Nacht- vögeln bewohnte Höhle ist für die Jndianer ein schauerlich geheimnißvoller Ort; sie glauben, tief hinten wohnen die Seelen ihrer Vorfahren. Der Mensch, sagen sie, soll Scheu tragen vor Orten, die weder von der Sonne, Zis, noch vom Monde, Nuna, beschienen sind. Zu den Guacharos gehen, heißt so viel, als zu den Vätern versammelt werden, sterben. Daher nehmen auch die Zauberer, Piaches, und die Giftmischer, Jmorons, ihre nächtlichen Gaukeleien am Eingang der Höhle vor, um den Obersten der bösen Geister, Jvorokiamo, zu beschwören. So gleichen sich unter allen Himmelsstrichen die ältesten Mythen der Völker, vor allen solche, welche sich auf zwei die Welt regierende Kräfte, auf den Aufenthalt der Seelen nach dem Tode, auf den Lohn der Gerechten und die Strafe der Bösen beziehen. Die Höhle von Caripe ist der Tartarus der Griechen, und die Guacharos, welche unter kläglichem Geschrei über dem Wasser flattern, mahnen an die stygischen Vögel."
Durch Funck, welcher dieselbe Höhle besuchte, erfahren wir, daß die Guacharos nach eingetre- tener Dunkelheit ihre Höhle verlassen, und unter rabenartigem Geschrei, und unter Klappen mit dem Schnabel nach Nahrung ausfliegen. Letztere besteht ausschließlich aus Früchten. Sie verschlucken solche von der Größe der Taubeneier, speien aber die Kerne wieder aus. Die Nester sollen napf- förmig aus Thon zusammen gebaut sein, und das Gelege aus zwei bis vier Eiern bestehen.
Groß vervollständigt Humboldt's Angaben sehr wesentlich. Er besuchte einen andern Wohn- ort der Guacharos, die Schlucht von Jcononzo in Neu-Granada, welche einen Sandsteinfelsen durch- bricht, gegen 1/2 Meile lang, 30--40 Fuß breit ist und in der Tiefe von 250--300 Fuß von einem wilden Bergstrom durchtost wird. Jn der grauenhaften Tiefe, aus welcher das Toben des Stromes dumpf heraufhallt, unmittelbar über den mit rasender Eile dahinstürzenden Wellen, wohnen die Vögel. Niemals erheben sie sich zu einer Höhe, daß sie erkannt werden könnten. Groß ließ sich an Seilen in die furchtbare Tiefe hinab, fußte auf einem schmalen Vorsprung und wurde sofort von einer Unzahl der nächtlichen Vögel förmlich angefallen, weil es galt, die Nester zu vertheidigen. Die gespenster- haften Thiere umschwirrten den Forscher so nahe, daß sie ihn im Vorüberfliegen mit den Flügelspitzen berührten, und das Geschrei der Hunderte und Tausende dieser Thiere war geradezu betäubend. Groß erlegte in weniger als einer Stunde gegen 40 Guacharos, die am Ausgange der Schlucht aufgestellten Jndianer fanden aber nicht einen einzigen derselben in den Wellen des Flusses auf, deshalb ließ Groß im nächsten Jahre in der Tiefe des Spaltes ein Netz aufspannen, dazu bestimmt, die von ihm getödteten und herabstürzenden Vögel aufzufangen. Auf diese Weise gelang es ihm, mehrere Gua- charos zu erhalten. Die Beobachtungen, welche gelegentlich dieser Jagd angestellt wurden, lassen sich in der Kürze zusammenstellen, wie folgt:
Der Fettvogel schwebt leichten Fluges rasch dahin, und breitet dabei Flügel und Schwanz fächer- förmig aus, ohne viel mit den Flügeln zu schlagen. Jede andere Bewegung erscheint äußerst unbehilflich. Der Gang ist ein trauriges Fortkriechen, wobei der Vogel seine Flügel mit zu Hilfe nehmen muß. Jm Sitzen erhebt er den Vordertheil des Leibes, senkt aber den Kopf so tief nach unten, daß es aussieht,
Guacharo.
ſie lebten da mehrere Tage ohne zu freſſen, da die Körner, die man ihnen gab, ihnen nicht zuſagten. Wenn man in der Höhle den jungen Vögeln Kropf und Magen aufſchneidet, findet man mancherlei harte, trockene Samen darin, die unter dem ſeltſamen Namen „Guacharoſamen‟ ein vielberufenes Mittel gegen Wechſelfieber ſind. Die Alten bringen dieſe Samen den Jungen zu. Man ſammelt ſie ſorgfältig und läßt ſie den Kranken in Cariaco und andern tief gelegenen Fieberſtrichen zukommen.‟
„Die Höhle von Caripe behält auf 1458 Fuß dieſelbe Richtung, dieſelbe Breite und die anfäng- liche Höhe von 60—70 Fuß. Wir hatten viele Mühe, die Jndianer zu bewegen, daß ſie über das vordere Stück hinausgingen, welches allein ſie jährlich zum Fettſammeln beſuchen. Es bedurfte das ganze Anſehen der Geiſtlichen, um ſie bis zu der Stelle zu bringen, wo der Boden raſch unter einem Winkel von 60 Grad ſteigt, und der Bach einen unterirdiſchen Fall bildet. Jemehr die Decke ſich ſenkte, um ſo gellender wurde das Geſchrei der Guacharos und endlich konnte kein Zureden die Jndianer ver- mögen, noch weiter in die Höhle hineinzugehen. Wir mußten uns der Feigheit unſerer Führer gefan- gen geben, und umkehren. Auch ſah man überall ſo ziemlich das Nämliche. — Dieſe von Nacht- vögeln bewohnte Höhle iſt für die Jndianer ein ſchauerlich geheimnißvoller Ort; ſie glauben, tief hinten wohnen die Seelen ihrer Vorfahren. Der Menſch, ſagen ſie, ſoll Scheu tragen vor Orten, die weder von der Sonne, Zis, noch vom Monde, Nuna, beſchienen ſind. Zu den Guacharos gehen, heißt ſo viel, als zu den Vätern verſammelt werden, ſterben. Daher nehmen auch die Zauberer, Piaches, und die Giftmiſcher, Jmorons, ihre nächtlichen Gaukeleien am Eingang der Höhle vor, um den Oberſten der böſen Geiſter, Jvorokiamo, zu beſchwören. So gleichen ſich unter allen Himmelsſtrichen die älteſten Mythen der Völker, vor allen ſolche, welche ſich auf zwei die Welt regierende Kräfte, auf den Aufenthalt der Seelen nach dem Tode, auf den Lohn der Gerechten und die Strafe der Böſen beziehen. Die Höhle von Caripe iſt der Tartarus der Griechen, und die Guacharos, welche unter kläglichem Geſchrei über dem Waſſer flattern, mahnen an die ſtygiſchen Vögel.‟
Durch Funck, welcher dieſelbe Höhle beſuchte, erfahren wir, daß die Guacharos nach eingetre- tener Dunkelheit ihre Höhle verlaſſen, und unter rabenartigem Geſchrei, und unter Klappen mit dem Schnabel nach Nahrung ausfliegen. Letztere beſteht ausſchließlich aus Früchten. Sie verſchlucken ſolche von der Größe der Taubeneier, ſpeien aber die Kerne wieder aus. Die Neſter ſollen napf- förmig aus Thon zuſammen gebaut ſein, und das Gelege aus zwei bis vier Eiern beſtehen.
Groß vervollſtändigt Humboldt’s Angaben ſehr weſentlich. Er beſuchte einen andern Wohn- ort der Guacharos, die Schlucht von Jcononzo in Neu-Granada, welche einen Sandſteinfelſen durch- bricht, gegen ½ Meile lang, 30—40 Fuß breit iſt und in der Tiefe von 250—300 Fuß von einem wilden Bergſtrom durchtoſt wird. Jn der grauenhaften Tiefe, aus welcher das Toben des Stromes dumpf heraufhallt, unmittelbar über den mit raſender Eile dahinſtürzenden Wellen, wohnen die Vögel. Niemals erheben ſie ſich zu einer Höhe, daß ſie erkannt werden könnten. Groß ließ ſich an Seilen in die furchtbare Tiefe hinab, fußte auf einem ſchmalen Vorſprung und wurde ſofort von einer Unzahl der nächtlichen Vögel förmlich angefallen, weil es galt, die Neſter zu vertheidigen. Die geſpenſter- haften Thiere umſchwirrten den Forſcher ſo nahe, daß ſie ihn im Vorüberfliegen mit den Flügelſpitzen berührten, und das Geſchrei der Hunderte und Tauſende dieſer Thiere war geradezu betäubend. Groß erlegte in weniger als einer Stunde gegen 40 Guacharos, die am Ausgange der Schlucht aufgeſtellten Jndianer fanden aber nicht einen einzigen derſelben in den Wellen des Fluſſes auf, deshalb ließ Groß im nächſten Jahre in der Tiefe des Spaltes ein Netz aufſpannen, dazu beſtimmt, die von ihm getödteten und herabſtürzenden Vögel aufzufangen. Auf dieſe Weiſe gelang es ihm, mehrere Gua- charos zu erhalten. Die Beobachtungen, welche gelegentlich dieſer Jagd angeſtellt wurden, laſſen ſich in der Kürze zuſammenſtellen, wie folgt:
Der Fettvogel ſchwebt leichten Fluges raſch dahin, und breitet dabei Flügel und Schwanz fächer- förmig aus, ohne viel mit den Flügeln zu ſchlagen. Jede andere Bewegung erſcheint äußerſt unbehilflich. Der Gang iſt ein trauriges Fortkriechen, wobei der Vogel ſeine Flügel mit zu Hilfe nehmen muß. Jm Sitzen erhebt er den Vordertheil des Leibes, ſenkt aber den Kopf ſo tief nach unten, daß es ausſieht,
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[681/0719]
Guacharo.
ſie lebten da mehrere Tage ohne zu freſſen, da die Körner, die man ihnen gab, ihnen nicht zuſagten.
Wenn man in der Höhle den jungen Vögeln Kropf und Magen aufſchneidet, findet man mancherlei
harte, trockene Samen darin, die unter dem ſeltſamen Namen „Guacharoſamen‟ ein vielberufenes
Mittel gegen Wechſelfieber ſind. Die Alten bringen dieſe Samen den Jungen zu. Man ſammelt
ſie ſorgfältig und läßt ſie den Kranken in Cariaco und andern tief gelegenen Fieberſtrichen zukommen.‟
„Die Höhle von Caripe behält auf 1458 Fuß dieſelbe Richtung, dieſelbe Breite und die anfäng-
liche Höhe von 60—70 Fuß. Wir hatten viele Mühe, die Jndianer zu bewegen, daß ſie über das vordere
Stück hinausgingen, welches allein ſie jährlich zum Fettſammeln beſuchen. Es bedurfte das ganze
Anſehen der Geiſtlichen, um ſie bis zu der Stelle zu bringen, wo der Boden raſch unter einem Winkel
von 60 Grad ſteigt, und der Bach einen unterirdiſchen Fall bildet. Jemehr die Decke ſich ſenkte, um
ſo gellender wurde das Geſchrei der Guacharos und endlich konnte kein Zureden die Jndianer ver-
mögen, noch weiter in die Höhle hineinzugehen. Wir mußten uns der Feigheit unſerer Führer gefan-
gen geben, und umkehren. Auch ſah man überall ſo ziemlich das Nämliche. — Dieſe von Nacht-
vögeln bewohnte Höhle iſt für die Jndianer ein ſchauerlich geheimnißvoller Ort; ſie glauben, tief
hinten wohnen die Seelen ihrer Vorfahren. Der Menſch, ſagen ſie, ſoll Scheu tragen vor Orten, die
weder von der Sonne, Zis, noch vom Monde, Nuna, beſchienen ſind. Zu den Guacharos gehen, heißt
ſo viel, als zu den Vätern verſammelt werden, ſterben. Daher nehmen auch die Zauberer, Piaches,
und die Giftmiſcher, Jmorons, ihre nächtlichen Gaukeleien am Eingang der Höhle vor, um den Oberſten
der böſen Geiſter, Jvorokiamo, zu beſchwören. So gleichen ſich unter allen Himmelsſtrichen die
älteſten Mythen der Völker, vor allen ſolche, welche ſich auf zwei die Welt regierende Kräfte, auf den
Aufenthalt der Seelen nach dem Tode, auf den Lohn der Gerechten und die Strafe der Böſen beziehen.
Die Höhle von Caripe iſt der Tartarus der Griechen, und die Guacharos, welche unter kläglichem
Geſchrei über dem Waſſer flattern, mahnen an die ſtygiſchen Vögel.‟
Durch Funck, welcher dieſelbe Höhle beſuchte, erfahren wir, daß die Guacharos nach eingetre-
tener Dunkelheit ihre Höhle verlaſſen, und unter rabenartigem Geſchrei, und unter Klappen mit dem
Schnabel nach Nahrung ausfliegen. Letztere beſteht ausſchließlich aus Früchten. Sie verſchlucken
ſolche von der Größe der Taubeneier, ſpeien aber die Kerne wieder aus. Die Neſter ſollen napf-
förmig aus Thon zuſammen gebaut ſein, und das Gelege aus zwei bis vier Eiern beſtehen.
Groß vervollſtändigt Humboldt’s Angaben ſehr weſentlich. Er beſuchte einen andern Wohn-
ort der Guacharos, die Schlucht von Jcononzo in Neu-Granada, welche einen Sandſteinfelſen durch-
bricht, gegen ½ Meile lang, 30—40 Fuß breit iſt und in der Tiefe von 250—300 Fuß von einem
wilden Bergſtrom durchtoſt wird. Jn der grauenhaften Tiefe, aus welcher das Toben des Stromes
dumpf heraufhallt, unmittelbar über den mit raſender Eile dahinſtürzenden Wellen, wohnen die Vögel.
Niemals erheben ſie ſich zu einer Höhe, daß ſie erkannt werden könnten. Groß ließ ſich an Seilen
in die furchtbare Tiefe hinab, fußte auf einem ſchmalen Vorſprung und wurde ſofort von einer Unzahl
der nächtlichen Vögel förmlich angefallen, weil es galt, die Neſter zu vertheidigen. Die geſpenſter-
haften Thiere umſchwirrten den Forſcher ſo nahe, daß ſie ihn im Vorüberfliegen mit den Flügelſpitzen
berührten, und das Geſchrei der Hunderte und Tauſende dieſer Thiere war geradezu betäubend. Groß
erlegte in weniger als einer Stunde gegen 40 Guacharos, die am Ausgange der Schlucht aufgeſtellten
Jndianer fanden aber nicht einen einzigen derſelben in den Wellen des Fluſſes auf, deshalb ließ
Groß im nächſten Jahre in der Tiefe des Spaltes ein Netz aufſpannen, dazu beſtimmt, die von ihm
getödteten und herabſtürzenden Vögel aufzufangen. Auf dieſe Weiſe gelang es ihm, mehrere Gua-
charos zu erhalten. Die Beobachtungen, welche gelegentlich dieſer Jagd angeſtellt wurden, laſſen ſich
in der Kürze zuſammenſtellen, wie folgt:
Der Fettvogel ſchwebt leichten Fluges raſch dahin, und breitet dabei Flügel und Schwanz fächer-
förmig aus, ohne viel mit den Flügeln zu ſchlagen. Jede andere Bewegung erſcheint äußerſt unbehilflich.
Der Gang iſt ein trauriges Fortkriechen, wobei der Vogel ſeine Flügel mit zu Hilfe nehmen muß. Jm
Sitzen erhebt er den Vordertheil des Leibes, ſenkt aber den Kopf ſo tief nach unten, daß es ausſieht,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 681. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/719>, abgerufen am 25.11.2024.
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