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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Sperrvögel. Schwalben.
einer hat des Volkes Stammeln im lieblichsten Gedichte verherrlicht: -- wer kennt es nicht, das
Schwalbenlied unseres Rückert:

"Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Klingt ein Lied mir immerdar etc."

dessen eine Strophe:

"Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
War Kiste und Kaste schwer,
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War Alles leer."

die eigentlich volksthümliche, die vom Volke selbst gedichtete ist.

Unter den Sinnen der Schwalbe steht das Gesicht oben an. Sie sieht eines der kleinen Kerb-
thiere, wenn es fliegt, schon in bedeutender Entfernung und jagt nur mit Hilfe des Auges. Auch
das Gehör ist wohl entwickelt, und das Gefühl, soweit es sich als Empfindungsvermögen kund gibt,
gewiß nicht in Abrede zu stellen. Ueber Geruch und Geschmack haben wir kein Urtheil. Die geistigen
Fähigkeiten des lieblichen Vogels werden vielleicht oft überschätzt; Verstand und Ueberlegung, eine
wohlabgewogene Würdigung der Umstände und Verhältnisse, scharfe Unterscheidung von Gut und
Böse, von Freund und Feind, ein liebenswürdiger Uebermuth gefährlichen Geschöpfen gegenüber, und
ein friedfertiges Zusammengehen mit solchen, welche erfahrungsmäßig ungefährlich sind, der Eifer,
anderen harmlosen Thieren irgendwie behilflich, dienstbar zu sein, sei es durch wohlbegründete War-
nung oder durch keckes Untersuchen einer Gefahr, und andere Beweise des Geistes und Züge des
Wesens, welche die Schwalbe bekundet, lassen Dies sehr erklärlich scheinen. Auch der nüchtern Prü-
fende muß sie als ein in geistiger, wie in leiblicher Hinsicht wohlbegabtes Geschöpf anerkennen.

Kleine Kerbthiere mancherlei Art, vorzugsweise Zwei- und Netzflügler, Schmetterlinge und Käfer
bilden auch die Nahrung dieser Schwalbe; Kerbthiere mit Giftstacheln frißt sie nicht. Sie jagt nur im
Fluge und zeigt sich unfähig, sitzende Beute aufzunehmen. Deshalb geräth sie bei länger anhaltendem
Regenwetter, welches die Kerfe in ihre Schlupfwinkel bannt, oft in große Noth und müht sich ängstlich,
die festsitzenden durch nahes Vorüberfliegen aufzuscheuchen und zum Fliegen zu bringen. Je nach
Witterung und Tageszeit jagt sie in höheren oder tieferen Schichten der Luft und ist deshalb dem Volke
zum Wetterpropheten geworden. Gute Witterung deckt ihren Tisch reichlich und erhöht ihren frischen
Muth, schlechtes Wetter läßt sie darben und macht sie still und traurig. Sie bedarf, ihrer großen Reg-
samkeit halber, unverhältnißmäßig viel an Nahrung und frißt, so lange sie fliegend sich bewegt. Das
Verzehrte verdaut sie rasch; die unverdaulichen Ueberreste der Mahlzeit, Flügeldecken, Schilder und
Beine der Kerfe, werden, zu Gewöllen geformt, wieder ausgespieen.

Durch Anlage und Bau des Nestes unterscheidet sich die Rauchschwalbe von ihren deutschen
Verwandten. Falls es irgend möglich, baut sie das Nest in das Jnnere eines Gebäudes, so, daß es
von oben her durch eine weit überragende Decke geschützt wird. Ein Tragbalken an der Decke des
Kuhstalls oder der Flur des Bauernhauses, ein Dachboden, den die besenführende Magd meidet, oder
irgend eine andere Räumlichkeit, welche eher den Farbensinn eines Malers, als das Reinlichkeitsgefühl
der Hausfrau befriedigt, mit kurzen Worten, alternde, verfallende, mehr oder minder schmuzige, vor
Zug und Wetter geschützte Räume -- sie sind die Nistplätze, welche die Schwalbe besonders liebt.
Hier kann es vorkommen, daß förmliche Siedelungen entstehen. Das Nest selbst wird an dem Balken
oder an der Wand festgeklebt, an rauhen und bezüglich unten durch vorspringende Latten, Pflöcke
und dergleichen verbesserten Stellen am liebsten. Es ähnelt etwa dem Biertheil einer Hohlkugel; seine
Wände verdicken sich an der Befestigungsstelle; der im Ganzen wagrecht stehende Rand zieht sich hier
meist auch etwas höher hinauf. Die Breite beträgt ungefähr 8 Zoll, die Tiefe 4 Zoll. Der Stoff ist
schlammige oder mindestens fettige Erde, welche von den Schwalben klümpchenweis aufgeklaubt, mit

Die Fänger. Sperrvögel. Schwalben.
einer hat des Volkes Stammeln im lieblichſten Gedichte verherrlicht: — wer kennt es nicht, das
Schwalbenlied unſeres Rückert:

„Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Klingt ein Lied mir immerdar ꝛc.‟

deſſen eine Strophe:

„Als ich Abſchied nahm, als ich Abſchied nahm,
War Kiſte und Kaſte ſchwer,
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War Alles leer.‟

die eigentlich volksthümliche, die vom Volke ſelbſt gedichtete iſt.

Unter den Sinnen der Schwalbe ſteht das Geſicht oben an. Sie ſieht eines der kleinen Kerb-
thiere, wenn es fliegt, ſchon in bedeutender Entfernung und jagt nur mit Hilfe des Auges. Auch
das Gehör iſt wohl entwickelt, und das Gefühl, ſoweit es ſich als Empfindungsvermögen kund gibt,
gewiß nicht in Abrede zu ſtellen. Ueber Geruch und Geſchmack haben wir kein Urtheil. Die geiſtigen
Fähigkeiten des lieblichen Vogels werden vielleicht oft überſchätzt; Verſtand und Ueberlegung, eine
wohlabgewogene Würdigung der Umſtände und Verhältniſſe, ſcharfe Unterſcheidung von Gut und
Böſe, von Freund und Feind, ein liebenswürdiger Uebermuth gefährlichen Geſchöpfen gegenüber, und
ein friedfertiges Zuſammengehen mit ſolchen, welche erfahrungsmäßig ungefährlich ſind, der Eifer,
anderen harmloſen Thieren irgendwie behilflich, dienſtbar zu ſein, ſei es durch wohlbegründete War-
nung oder durch keckes Unterſuchen einer Gefahr, und andere Beweiſe des Geiſtes und Züge des
Weſens, welche die Schwalbe bekundet, laſſen Dies ſehr erklärlich ſcheinen. Auch der nüchtern Prü-
fende muß ſie als ein in geiſtiger, wie in leiblicher Hinſicht wohlbegabtes Geſchöpf anerkennen.

Kleine Kerbthiere mancherlei Art, vorzugsweiſe Zwei- und Netzflügler, Schmetterlinge und Käfer
bilden auch die Nahrung dieſer Schwalbe; Kerbthiere mit Giftſtacheln frißt ſie nicht. Sie jagt nur im
Fluge und zeigt ſich unfähig, ſitzende Beute aufzunehmen. Deshalb geräth ſie bei länger anhaltendem
Regenwetter, welches die Kerfe in ihre Schlupfwinkel bannt, oft in große Noth und müht ſich ängſtlich,
die feſtſitzenden durch nahes Vorüberfliegen aufzuſcheuchen und zum Fliegen zu bringen. Je nach
Witterung und Tageszeit jagt ſie in höheren oder tieferen Schichten der Luft und iſt deshalb dem Volke
zum Wetterpropheten geworden. Gute Witterung deckt ihren Tiſch reichlich und erhöht ihren friſchen
Muth, ſchlechtes Wetter läßt ſie darben und macht ſie ſtill und traurig. Sie bedarf, ihrer großen Reg-
ſamkeit halber, unverhältnißmäßig viel an Nahrung und frißt, ſo lange ſie fliegend ſich bewegt. Das
Verzehrte verdaut ſie raſch; die unverdaulichen Ueberreſte der Mahlzeit, Flügeldecken, Schilder und
Beine der Kerfe, werden, zu Gewöllen geformt, wieder ausgeſpieen.

Durch Anlage und Bau des Neſtes unterſcheidet ſich die Rauchſchwalbe von ihren deutſchen
Verwandten. Falls es irgend möglich, baut ſie das Neſt in das Jnnere eines Gebäudes, ſo, daß es
von oben her durch eine weit überragende Decke geſchützt wird. Ein Tragbalken an der Decke des
Kuhſtalls oder der Flur des Bauernhauſes, ein Dachboden, den die beſenführende Magd meidet, oder
irgend eine andere Räumlichkeit, welche eher den Farbenſinn eines Malers, als das Reinlichkeitsgefühl
der Hausfrau befriedigt, mit kurzen Worten, alternde, verfallende, mehr oder minder ſchmuzige, vor
Zug und Wetter geſchützte Räume — ſie ſind die Niſtplätze, welche die Schwalbe beſonders liebt.
Hier kann es vorkommen, daß förmliche Siedelungen entſtehen. Das Neſt ſelbſt wird an dem Balken
oder an der Wand feſtgeklebt, an rauhen und bezüglich unten durch vorſpringende Latten, Pflöcke
und dergleichen verbeſſerten Stellen am liebſten. Es ähnelt etwa dem Biertheil einer Hohlkugel; ſeine
Wände verdicken ſich an der Befeſtigungsſtelle; der im Ganzen wagrecht ſtehende Rand zieht ſich hier
meiſt auch etwas höher hinauf. Die Breite beträgt ungefähr 8 Zoll, die Tiefe 4 Zoll. Der Stoff iſt
ſchlammige oder mindeſtens fettige Erde, welche von den Schwalben klümpchenweis aufgeklaubt, mit

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[632/0668] Die Fänger. Sperrvögel. Schwalben. einer hat des Volkes Stammeln im lieblichſten Gedichte verherrlicht: — wer kennt es nicht, das Schwalbenlied unſeres Rückert: „Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit Klingt ein Lied mir immerdar ꝛc.‟ deſſen eine Strophe: „Als ich Abſchied nahm, als ich Abſchied nahm, War Kiſte und Kaſte ſchwer, Als ich wieder kam, als ich wieder kam, War Alles leer.‟ die eigentlich volksthümliche, die vom Volke ſelbſt gedichtete iſt. Unter den Sinnen der Schwalbe ſteht das Geſicht oben an. Sie ſieht eines der kleinen Kerb- thiere, wenn es fliegt, ſchon in bedeutender Entfernung und jagt nur mit Hilfe des Auges. Auch das Gehör iſt wohl entwickelt, und das Gefühl, ſoweit es ſich als Empfindungsvermögen kund gibt, gewiß nicht in Abrede zu ſtellen. Ueber Geruch und Geſchmack haben wir kein Urtheil. Die geiſtigen Fähigkeiten des lieblichen Vogels werden vielleicht oft überſchätzt; Verſtand und Ueberlegung, eine wohlabgewogene Würdigung der Umſtände und Verhältniſſe, ſcharfe Unterſcheidung von Gut und Böſe, von Freund und Feind, ein liebenswürdiger Uebermuth gefährlichen Geſchöpfen gegenüber, und ein friedfertiges Zuſammengehen mit ſolchen, welche erfahrungsmäßig ungefährlich ſind, der Eifer, anderen harmloſen Thieren irgendwie behilflich, dienſtbar zu ſein, ſei es durch wohlbegründete War- nung oder durch keckes Unterſuchen einer Gefahr, und andere Beweiſe des Geiſtes und Züge des Weſens, welche die Schwalbe bekundet, laſſen Dies ſehr erklärlich ſcheinen. Auch der nüchtern Prü- fende muß ſie als ein in geiſtiger, wie in leiblicher Hinſicht wohlbegabtes Geſchöpf anerkennen. Kleine Kerbthiere mancherlei Art, vorzugsweiſe Zwei- und Netzflügler, Schmetterlinge und Käfer bilden auch die Nahrung dieſer Schwalbe; Kerbthiere mit Giftſtacheln frißt ſie nicht. Sie jagt nur im Fluge und zeigt ſich unfähig, ſitzende Beute aufzunehmen. Deshalb geräth ſie bei länger anhaltendem Regenwetter, welches die Kerfe in ihre Schlupfwinkel bannt, oft in große Noth und müht ſich ängſtlich, die feſtſitzenden durch nahes Vorüberfliegen aufzuſcheuchen und zum Fliegen zu bringen. Je nach Witterung und Tageszeit jagt ſie in höheren oder tieferen Schichten der Luft und iſt deshalb dem Volke zum Wetterpropheten geworden. Gute Witterung deckt ihren Tiſch reichlich und erhöht ihren friſchen Muth, ſchlechtes Wetter läßt ſie darben und macht ſie ſtill und traurig. Sie bedarf, ihrer großen Reg- ſamkeit halber, unverhältnißmäßig viel an Nahrung und frißt, ſo lange ſie fliegend ſich bewegt. Das Verzehrte verdaut ſie raſch; die unverdaulichen Ueberreſte der Mahlzeit, Flügeldecken, Schilder und Beine der Kerfe, werden, zu Gewöllen geformt, wieder ausgeſpieen. Durch Anlage und Bau des Neſtes unterſcheidet ſich die Rauchſchwalbe von ihren deutſchen Verwandten. Falls es irgend möglich, baut ſie das Neſt in das Jnnere eines Gebäudes, ſo, daß es von oben her durch eine weit überragende Decke geſchützt wird. Ein Tragbalken an der Decke des Kuhſtalls oder der Flur des Bauernhauſes, ein Dachboden, den die beſenführende Magd meidet, oder irgend eine andere Räumlichkeit, welche eher den Farbenſinn eines Malers, als das Reinlichkeitsgefühl der Hausfrau befriedigt, mit kurzen Worten, alternde, verfallende, mehr oder minder ſchmuzige, vor Zug und Wetter geſchützte Räume — ſie ſind die Niſtplätze, welche die Schwalbe beſonders liebt. Hier kann es vorkommen, daß förmliche Siedelungen entſtehen. Das Neſt ſelbſt wird an dem Balken oder an der Wand feſtgeklebt, an rauhen und bezüglich unten durch vorſpringende Latten, Pflöcke und dergleichen verbeſſerten Stellen am liebſten. Es ähnelt etwa dem Biertheil einer Hohlkugel; ſeine Wände verdicken ſich an der Befeſtigungsſtelle; der im Ganzen wagrecht ſtehende Rand zieht ſich hier meiſt auch etwas höher hinauf. Die Breite beträgt ungefähr 8 Zoll, die Tiefe 4 Zoll. Der Stoff iſt ſchlammige oder mindeſtens fettige Erde, welche von den Schwalben klümpchenweis aufgeklaubt, mit

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 632. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/668>, abgerufen am 25.11.2024.