untergang verlassen sie das Gebäude durch eine bestimmte, ihnen wohlbekannte Oeffnung, welche sie auch bei Tage unfehlbar zu finden und gewandt zu benutzen wissen, und streifen nun mit geisterhaft leisem und schwankenden Fluge niedrig über dem Boden dahin. Ein heiseres Kreischen, welches Nau- mann die widerlichste aller deutschen Vogelstimmen nennt, und welches abergläubischen Menschen sehr entsetzlich vorkommt, verkündet ihre Ankunft, und wenn man seine Aufmerksamkeit der Gegend zurichtet, von welcher dieses Kreischen hertönt, sieht man den bleichen Vogel gewiß; denn er umschwärmt ohne Scheu den Abends sich ergehenden Menschen und fliegt ihm oft wie ein Schatten sehr nahe um das Haupt. Jn hellen Mondscheinnächten treiben sich die Schleierkäuze bis gegen Sonnenaufgang und ununterbrochen im Freien umher, zeitweilig auf Gebäuden ausruhend und dann wieder eifrig jagend; in dunkleren Nächten arbeiten sie blos des Abends und gegen Morgen.
Mäuse, Ratten, Spitzmäuse, Maulwürfe, kleine Vögel und große Kerbthiere bilden die Nahrung des Schleierkauzes. Es ist ihm oft nachgesagt worden, daß er in Taubenschlägen Unfug stifte; Dem widerspricht aber die Gleichgiltigkeit der Tauben, ihrem seltsamen Gesellen gegenüber. "Jch habe ihn", sagt Naumann, "sehr oft unter meinen Tauben aus- und einfliegen sehen; die Tauben, welche diesen Gast bald gewohnt wurden und sich um ihn nicht kümmerten, blieben stets im ungestörten Besitz ihrer Eier und Jungen, noch viel weniger fand ich je eine Spur von einem Angriffe auf eine alte Taube. Oefters sah man im Frühling ein Pärchen viele Abende hinter einander in meinem Gehöfte; es schien auf dem Taubenschlage brüten zu wollen und flog, sobald es gegen Abend zu dämmern anfing, spielend aus und ein, ließ, bald im Schlage selbst, bald dicht vor demselben, seine fatale Nacht- musik fast ununterbrochen erschallen und -- keine Taube rührte sich. Stieg man am Tage leise auf den Schlag, so sah man die Eulen ruhig auf einer Stange, oder in einem Winkel vertraulich mitten unter den Tauben sitzen und schlafen und nicht selten neben sich einen Haufen Mäuse liegen; denn sie tragen sich wenn sie eine glückliche Jagd machen und vielleicht auch eine Vorempfindung von übler Witte- rung fühlen, solche Vorräthe zusammen, damit sie bei zu finstern und stürmischen Nächten, wo sie nicht jagen können, keinen Hunger leiden dürfen. Mein Vater fing sogar einmal eine dieser Eulen, welche in so tiefen Schlaf versunken war, daß sie durch das Geprassel der fliehenden Taube nicht geweckt wurde, mit den Händen. Daß sie Eier fressen sollen, ist mir ebenso unwahrscheinlich, ob es gleich von Manchen behauptet wird, und mir sogar einmal Jemand erzählte, daß eine Schleiereule mit einem Hühnerei in den Klauen im Fluge herabgeschossen worden sei. Das Vorurtheil spricht nur gar zu oft gegen die unschuldigen Eulen, und so darf man nicht Alles glauben, was ihnen oft nur der Haß nachredet. Wie oben erwähnt, sah ich nicht einmal auf meinem Taubenschlage nie etwas Uebles von ihnen, sondern ich führte auch meine gezähmten Schleiereulen mit ganzen und angeknickten Hühner- und andern Vögel- eiern oft in Versuchung: allein sie ließen sie stets unberührt. Kleine Vögel greifen sie indeß im Schlafe an; denn in den Städten würgen sie nicht die in Vogelbauern vor den Fenstern hängenden Lerchen, Nachtigallen, Finken, Drosseln und dgl.; auch die gefangenen Vögel holen sie zuweilen aus den Dohnen und Schlingen der nahen Dohnenstege. Manche sind sehr sanft, andere wieder raub- gierig. Einer meiner Bekannten erhielt einmal einen Schleierkauz, welcher ungefähr seit acht Tagen in der Gefangenschaft war, setzte ihn in seine stockfinstere Stube und eilte schnell ein Licht zu holen. Hierüber verfloß kaum eine Minute, und doch sah er zu seinem Aerger, als er mit dem Licht in die Stube trat, daß die Eule bereits seinen Liebling, eine Mönchgrasmücke, hinter dem Ofen von ihrem Sitze geholt, getödtet und bereits halb aufgefressen hatte. Diese Eule fraß öfters funfzehn Feldmäuse in einer Nacht. Auch Aas verschmähet in den Zeiten der Noth der Schleierkauz nicht."
Jn Spanien steht der Schleierkauz in dem bösen Verdacht, das Oel der ewigen Lampen in den Kirchen auszusaufen. Sicher ist, daß das sehr brauchbare Olivenöl oft aus den gedachten Lampen verschwindet, Beobachtungen aber über den eigentlichen Thäter bisher noch nicht gemacht worden sind. Ein Gemunkel freilich will behaupten, daß nicht die Schleiereule, sondern der Meßner der eigentliche Schuldige wäre; es versteht sich jedoch von selbst, daß daran nicht gedacht werden darf. Mit diesem Verdacht, welchen der arme Vogel sich erworben hat, hängt eine in Spanien beliebte Nutzung des
Schleierkauz.
untergang verlaſſen ſie das Gebäude durch eine beſtimmte, ihnen wohlbekannte Oeffnung, welche ſie auch bei Tage unfehlbar zu finden und gewandt zu benutzen wiſſen, und ſtreifen nun mit geiſterhaft leiſem und ſchwankenden Fluge niedrig über dem Boden dahin. Ein heiſeres Kreiſchen, welches Nau- mann die widerlichſte aller deutſchen Vogelſtimmen nennt, und welches abergläubiſchen Menſchen ſehr entſetzlich vorkommt, verkündet ihre Ankunft, und wenn man ſeine Aufmerkſamkeit der Gegend zurichtet, von welcher dieſes Kreiſchen hertönt, ſieht man den bleichen Vogel gewiß; denn er umſchwärmt ohne Scheu den Abends ſich ergehenden Menſchen und fliegt ihm oft wie ein Schatten ſehr nahe um das Haupt. Jn hellen Mondſcheinnächten treiben ſich die Schleierkäuze bis gegen Sonnenaufgang und ununterbrochen im Freien umher, zeitweilig auf Gebäuden ausruhend und dann wieder eifrig jagend; in dunkleren Nächten arbeiten ſie blos des Abends und gegen Morgen.
Mäuſe, Ratten, Spitzmäuſe, Maulwürfe, kleine Vögel und große Kerbthiere bilden die Nahrung des Schleierkauzes. Es iſt ihm oft nachgeſagt worden, daß er in Taubenſchlägen Unfug ſtifte; Dem widerſpricht aber die Gleichgiltigkeit der Tauben, ihrem ſeltſamen Geſellen gegenüber. „Jch habe ihn‟, ſagt Naumann, „ſehr oft unter meinen Tauben aus- und einfliegen ſehen; die Tauben, welche dieſen Gaſt bald gewohnt wurden und ſich um ihn nicht kümmerten, blieben ſtets im ungeſtörten Beſitz ihrer Eier und Jungen, noch viel weniger fand ich je eine Spur von einem Angriffe auf eine alte Taube. Oefters ſah man im Frühling ein Pärchen viele Abende hinter einander in meinem Gehöfte; es ſchien auf dem Taubenſchlage brüten zu wollen und flog, ſobald es gegen Abend zu dämmern anfing, ſpielend aus und ein, ließ, bald im Schlage ſelbſt, bald dicht vor demſelben, ſeine fatale Nacht- muſik faſt ununterbrochen erſchallen und — keine Taube rührte ſich. Stieg man am Tage leiſe auf den Schlag, ſo ſah man die Eulen ruhig auf einer Stange, oder in einem Winkel vertraulich mitten unter den Tauben ſitzen und ſchlafen und nicht ſelten neben ſich einen Haufen Mäuſe liegen; denn ſie tragen ſich wenn ſie eine glückliche Jagd machen und vielleicht auch eine Vorempfindung von übler Witte- rung fühlen, ſolche Vorräthe zuſammen, damit ſie bei zu finſtern und ſtürmiſchen Nächten, wo ſie nicht jagen können, keinen Hunger leiden dürfen. Mein Vater fing ſogar einmal eine dieſer Eulen, welche in ſo tiefen Schlaf verſunken war, daß ſie durch das Gepraſſel der fliehenden Taube nicht geweckt wurde, mit den Händen. Daß ſie Eier freſſen ſollen, iſt mir ebenſo unwahrſcheinlich, ob es gleich von Manchen behauptet wird, und mir ſogar einmal Jemand erzählte, daß eine Schleiereule mit einem Hühnerei in den Klauen im Fluge herabgeſchoſſen worden ſei. Das Vorurtheil ſpricht nur gar zu oft gegen die unſchuldigen Eulen, und ſo darf man nicht Alles glauben, was ihnen oft nur der Haß nachredet. Wie oben erwähnt, ſah ich nicht einmal auf meinem Taubenſchlage nie etwas Uebles von ihnen, ſondern ich führte auch meine gezähmten Schleiereulen mit ganzen und angeknickten Hühner- und andern Vögel- eiern oft in Verſuchung: allein ſie ließen ſie ſtets unberührt. Kleine Vögel greifen ſie indeß im Schlafe an; denn in den Städten würgen ſie nicht die in Vogelbauern vor den Fenſtern hängenden Lerchen, Nachtigallen, Finken, Droſſeln und dgl.; auch die gefangenen Vögel holen ſie zuweilen aus den Dohnen und Schlingen der nahen Dohnenſtege. Manche ſind ſehr ſanft, andere wieder raub- gierig. Einer meiner Bekannten erhielt einmal einen Schleierkauz, welcher ungefähr ſeit acht Tagen in der Gefangenſchaft war, ſetzte ihn in ſeine ſtockfinſtere Stube und eilte ſchnell ein Licht zu holen. Hierüber verfloß kaum eine Minute, und doch ſah er zu ſeinem Aerger, als er mit dem Licht in die Stube trat, daß die Eule bereits ſeinen Liebling, eine Mönchgrasmücke, hinter dem Ofen von ihrem Sitze geholt, getödtet und bereits halb aufgefreſſen hatte. Dieſe Eule fraß öfters funfzehn Feldmäuſe in einer Nacht. Auch Aas verſchmähet in den Zeiten der Noth der Schleierkauz nicht.‟
Jn Spanien ſteht der Schleierkauz in dem böſen Verdacht, das Oel der ewigen Lampen in den Kirchen auszuſaufen. Sicher iſt, daß das ſehr brauchbare Olivenöl oft aus den gedachten Lampen verſchwindet, Beobachtungen aber über den eigentlichen Thäter bisher noch nicht gemacht worden ſind. Ein Gemunkel freilich will behaupten, daß nicht die Schleiereule, ſondern der Meßner der eigentliche Schuldige wäre; es verſteht ſich jedoch von ſelbſt, daß daran nicht gedacht werden darf. Mit dieſem Verdacht, welchen der arme Vogel ſich erworben hat, hängt eine in Spanien beliebte Nutzung des
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[623/0659]
Schleierkauz.
untergang verlaſſen ſie das Gebäude durch eine beſtimmte, ihnen wohlbekannte Oeffnung, welche ſie
auch bei Tage unfehlbar zu finden und gewandt zu benutzen wiſſen, und ſtreifen nun mit geiſterhaft
leiſem und ſchwankenden Fluge niedrig über dem Boden dahin. Ein heiſeres Kreiſchen, welches Nau-
mann die widerlichſte aller deutſchen Vogelſtimmen nennt, und welches abergläubiſchen Menſchen ſehr
entſetzlich vorkommt, verkündet ihre Ankunft, und wenn man ſeine Aufmerkſamkeit der Gegend
zurichtet, von welcher dieſes Kreiſchen hertönt, ſieht man den bleichen Vogel gewiß; denn er umſchwärmt
ohne Scheu den Abends ſich ergehenden Menſchen und fliegt ihm oft wie ein Schatten ſehr nahe um
das Haupt. Jn hellen Mondſcheinnächten treiben ſich die Schleierkäuze bis gegen Sonnenaufgang
und ununterbrochen im Freien umher, zeitweilig auf Gebäuden ausruhend und dann wieder eifrig
jagend; in dunkleren Nächten arbeiten ſie blos des Abends und gegen Morgen.
Mäuſe, Ratten, Spitzmäuſe, Maulwürfe, kleine Vögel und große Kerbthiere bilden die Nahrung
des Schleierkauzes. Es iſt ihm oft nachgeſagt worden, daß er in Taubenſchlägen Unfug ſtifte; Dem
widerſpricht aber die Gleichgiltigkeit der Tauben, ihrem ſeltſamen Geſellen gegenüber. „Jch habe ihn‟,
ſagt Naumann, „ſehr oft unter meinen Tauben aus- und einfliegen ſehen; die Tauben, welche
dieſen Gaſt bald gewohnt wurden und ſich um ihn nicht kümmerten, blieben ſtets im ungeſtörten Beſitz
ihrer Eier und Jungen, noch viel weniger fand ich je eine Spur von einem Angriffe auf eine alte
Taube. Oefters ſah man im Frühling ein Pärchen viele Abende hinter einander in meinem Gehöfte;
es ſchien auf dem Taubenſchlage brüten zu wollen und flog, ſobald es gegen Abend zu dämmern
anfing, ſpielend aus und ein, ließ, bald im Schlage ſelbſt, bald dicht vor demſelben, ſeine fatale Nacht-
muſik faſt ununterbrochen erſchallen und — keine Taube rührte ſich. Stieg man am Tage leiſe auf den
Schlag, ſo ſah man die Eulen ruhig auf einer Stange, oder in einem Winkel vertraulich mitten unter
den Tauben ſitzen und ſchlafen und nicht ſelten neben ſich einen Haufen Mäuſe liegen; denn ſie tragen
ſich wenn ſie eine glückliche Jagd machen und vielleicht auch eine Vorempfindung von übler Witte-
rung fühlen, ſolche Vorräthe zuſammen, damit ſie bei zu finſtern und ſtürmiſchen Nächten, wo ſie nicht
jagen können, keinen Hunger leiden dürfen. Mein Vater fing ſogar einmal eine dieſer Eulen, welche
in ſo tiefen Schlaf verſunken war, daß ſie durch das Gepraſſel der fliehenden Taube nicht geweckt wurde,
mit den Händen. Daß ſie Eier freſſen ſollen, iſt mir ebenſo unwahrſcheinlich, ob es gleich von
Manchen behauptet wird, und mir ſogar einmal Jemand erzählte, daß eine Schleiereule mit einem
Hühnerei in den Klauen im Fluge herabgeſchoſſen worden ſei. Das Vorurtheil ſpricht nur gar zu oft
gegen die unſchuldigen Eulen, und ſo darf man nicht Alles glauben, was ihnen oft nur der Haß nachredet.
Wie oben erwähnt, ſah ich nicht einmal auf meinem Taubenſchlage nie etwas Uebles von ihnen, ſondern
ich führte auch meine gezähmten Schleiereulen mit ganzen und angeknickten Hühner- und andern Vögel-
eiern oft in Verſuchung: allein ſie ließen ſie ſtets unberührt. Kleine Vögel greifen ſie indeß im
Schlafe an; denn in den Städten würgen ſie nicht die in Vogelbauern vor den Fenſtern hängenden
Lerchen, Nachtigallen, Finken, Droſſeln und dgl.; auch die gefangenen Vögel holen ſie zuweilen aus
den Dohnen und Schlingen der nahen Dohnenſtege. Manche ſind ſehr ſanft, andere wieder raub-
gierig. Einer meiner Bekannten erhielt einmal einen Schleierkauz, welcher ungefähr ſeit acht Tagen
in der Gefangenſchaft war, ſetzte ihn in ſeine ſtockfinſtere Stube und eilte ſchnell ein Licht zu holen.
Hierüber verfloß kaum eine Minute, und doch ſah er zu ſeinem Aerger, als er mit dem Licht in die
Stube trat, daß die Eule bereits ſeinen Liebling, eine Mönchgrasmücke, hinter dem Ofen von
ihrem Sitze geholt, getödtet und bereits halb aufgefreſſen hatte. Dieſe Eule fraß öfters funfzehn
Feldmäuſe in einer Nacht. Auch Aas verſchmähet in den Zeiten der Noth der Schleierkauz nicht.‟
Jn Spanien ſteht der Schleierkauz in dem böſen Verdacht, das Oel der ewigen Lampen in den
Kirchen auszuſaufen. Sicher iſt, daß das ſehr brauchbare Olivenöl oft aus den gedachten Lampen
verſchwindet, Beobachtungen aber über den eigentlichen Thäter bisher noch nicht gemacht worden ſind.
Ein Gemunkel freilich will behaupten, daß nicht die Schleiereule, ſondern der Meßner der eigentliche
Schuldige wäre; es verſteht ſich jedoch von ſelbſt, daß daran nicht gedacht werden darf. Mit dieſem
Verdacht, welchen der arme Vogel ſich erworben hat, hängt eine in Spanien beliebte Nutzung des
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 623. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/659>, abgerufen am 22.11.2024.
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