findet die Zwergeulen in allen Welttheilen, mit Ausnahme Australiens, besonders häufig in Süd- amerika, Südasien und Afrika, wo sie in den hohen, dichten Waldungen leben und, größtentheils wenigstens, bei hellem Tage ihren Geschäften nachgehen.
Es genügt, wenn wir das über den deutschen Vertreter dieser Gruppe, unsere Zwerg- oder Sperlingseule (Microptynx passerina) Bekannte zusammenstellen. Das niedliche Thierchen kennzeichnet sich zunächst durch seine Pygmäengestalt. Der Leib ist gestreckt, der Kopf klein, der Schnabel stark, sehr gekrümmt, mit einem Zahn und Einschnitt an der Schneide des Oberkiefers; die Flügel sind kurz, die dritte und vierte Schwinge über die andern verlängert; der Schwanz ist mittel- lang, die Füße sind kurz und dicht befiedert; das Gefieder ist minder weich, als bei andern Eulen, der Schleier undeutlich; die Augen sind klein. Nach meines Vaters Messungen beträgt die Länge des Männchens 61/2 Zoll, die Breite 151/2 Zoll. Das Weibchen ist ungefähr einen Zoll länger und um 11/2 Zoll breiter. Das Gefieder ist auf der Oberseite mäusegrau, weiß gefleckt, auf der Unterseite weiß mit braunen Längsflecken besetzt. Das Gesicht ist weißgrau, wie mein Vater sagt, "dunkler getuscht", der Schnabel ist horngelb, der Augenstern hochgelb; der Schwanz ist mit vier, der Flügel mit vielen weißen Binden gezeichnet. Das Weibchen ist etwas dunkler, als das Männchen und vor ihm durch zwei dunklere Vogenlinien unter den Augen ausgezeichnet. Bei den Jungen herrscht die braune Farbe vor.
Auch die Zwergeule ist eigentlich ein nordischer Vogel. Jn den Gebirgswaldungen Skandi- naviens ist sie nicht selten, in den Wäldern Rußlands sogar häufig; sie lebt aber auch ständig in Deutschland und wahrscheinlich keineswegs so selten, als man annimmt. Außerdem hat man sie auf den schweizer und italienischen Alpen und im Kaukasus gefunden, und Radde traf sie häufig im Burejagebirge, nicht aber im übrigen Sibirien an. Ein so kleiner Vogel wie die Zwergeule, welcher sich, obwohl er bei Tage fliegt und raubt, doch gern versteckt hält, wird leicht übersehen. Der Kundige erkennt die Zwergeule an ihrem Geschrei und unterscheidet sie dadurch von andern Verwandten, der Unkundige beachtet sie in den meisten Fällen gar nicht. Daher kommt es, daß man sie in keiner Sammlung häufig findet und noch viel seltener eines dieser überaus liebenswürdigen Geschöpfe im Käfig sieht. Wir wissen aus Erfahrung, daß die Zwergeule auf allen unsern Gebirgen vorkommt; aber nur wenige Naturforscher können sich rühmen, sie gesehen zu haben. Die Kunde ihres Lebens läßt deshalb noch immer viel zu wünschen übrig; doch sind wenigstens einige Beobachtungen gesammelt worden.
Alle Naturforscher und Jäger, welche die Zwergeule sahen, sind entzückt von ihr; sie nennen sie die munterste und lustigste aller Eulen. Sie behaupten, wie ich schon an anderem Orte gesagt habe, daß sie gar nicht schwermüthig und schläfrig aussehe, sondern schlau und gutmüthig in die Welt schaue, sehr lebhaft sei, wie ein Papagei im Gezweig umherklettere und außer den Kerbthieren, auf welche ihre Jagd vorzugsweise gerichtet ist, auch kleinen Vögeln und Mäusen nachstelle, dieselben trotz aller Gegenwehr erwürge, zierlich rupfe und dann verzehre. Es wird ferner versichert, daß Derjenige, welcher das kreischende "Kirr kirr" des Vögelchens nachahme, dieses bald an sich heranlocke und eine gute Strecke mit sich fortziehen könne. Es soll dann den Jäger in so engen Kreisen umschweben, daß es aussieht, als wolle es sich auf dem Kopfe niederlassen. Jn Skandinavien erscheint die Zwerg- eule manchmal häufig in den Niederungen, welche sie sonst meidet. Tiefer Schneefall vertreibt sie aus den Wäldern und bringt sie in die Nähe der Dörfer. Gadamer sah im Winter 1843 eine Menge Zwergeulen im südlichen Schonen. Sie hielten sich in den Gärten bei den Wohnungen auf und machten hier eifrig Jagd auf Sperlinge. Jn Folge dieser Angriffe ist der Zwerg auch, wo er sich sehen läßt, wie Gloger sagt, ein Gegenstand gehässiger Neugier, aber nicht minder auch des Schreckens und der Furcht für alle kleineren Vögel, welche jede Bewegung des winzigen Feindes sogleich in eilige Flucht treibt. "Die Sperlingseule vereinigt", um mit demselben Naturforscher fort- zufahren, "die nette Haltung, die Gewandtheit, das rasche, muthvolle Wesen und alle wichtigeren Züge der Tageule mit der wunderlichen Possenhaftigkeit und Geberdenschneiderei der nächtlichen."
Kaninchen- und Prairieeule. Zwergeule.
findet die Zwergeulen in allen Welttheilen, mit Ausnahme Auſtraliens, beſonders häufig in Süd- amerika, Südaſien und Afrika, wo ſie in den hohen, dichten Waldungen leben und, größtentheils wenigſtens, bei hellem Tage ihren Geſchäften nachgehen.
Es genügt, wenn wir das über den deutſchen Vertreter dieſer Gruppe, unſere Zwerg- oder Sperlingseule (Microptynx passerina) Bekannte zuſammenſtellen. Das niedliche Thierchen kennzeichnet ſich zunächſt durch ſeine Pygmäengeſtalt. Der Leib iſt geſtreckt, der Kopf klein, der Schnabel ſtark, ſehr gekrümmt, mit einem Zahn und Einſchnitt an der Schneide des Oberkiefers; die Flügel ſind kurz, die dritte und vierte Schwinge über die andern verlängert; der Schwanz iſt mittel- lang, die Füße ſind kurz und dicht befiedert; das Gefieder iſt minder weich, als bei andern Eulen, der Schleier undeutlich; die Augen ſind klein. Nach meines Vaters Meſſungen beträgt die Länge des Männchens 6½ Zoll, die Breite 15½ Zoll. Das Weibchen iſt ungefähr einen Zoll länger und um 1½ Zoll breiter. Das Gefieder iſt auf der Oberſeite mäuſegrau, weiß gefleckt, auf der Unterſeite weiß mit braunen Längsflecken beſetzt. Das Geſicht iſt weißgrau, wie mein Vater ſagt, „dunkler getuſcht‟, der Schnabel iſt horngelb, der Augenſtern hochgelb; der Schwanz iſt mit vier, der Flügel mit vielen weißen Binden gezeichnet. Das Weibchen iſt etwas dunkler, als das Männchen und vor ihm durch zwei dunklere Vogenlinien unter den Augen ausgezeichnet. Bei den Jungen herrſcht die braune Farbe vor.
Auch die Zwergeule iſt eigentlich ein nordiſcher Vogel. Jn den Gebirgswaldungen Skandi- naviens iſt ſie nicht ſelten, in den Wäldern Rußlands ſogar häufig; ſie lebt aber auch ſtändig in Deutſchland und wahrſcheinlich keineswegs ſo ſelten, als man annimmt. Außerdem hat man ſie auf den ſchweizer und italieniſchen Alpen und im Kaukaſus gefunden, und Radde traf ſie häufig im Burejagebirge, nicht aber im übrigen Sibirien an. Ein ſo kleiner Vogel wie die Zwergeule, welcher ſich, obwohl er bei Tage fliegt und raubt, doch gern verſteckt hält, wird leicht überſehen. Der Kundige erkennt die Zwergeule an ihrem Geſchrei und unterſcheidet ſie dadurch von andern Verwandten, der Unkundige beachtet ſie in den meiſten Fällen gar nicht. Daher kommt es, daß man ſie in keiner Sammlung häufig findet und noch viel ſeltener eines dieſer überaus liebenswürdigen Geſchöpfe im Käfig ſieht. Wir wiſſen aus Erfahrung, daß die Zwergeule auf allen unſern Gebirgen vorkommt; aber nur wenige Naturforſcher können ſich rühmen, ſie geſehen zu haben. Die Kunde ihres Lebens läßt deshalb noch immer viel zu wünſchen übrig; doch ſind wenigſtens einige Beobachtungen geſammelt worden.
Alle Naturforſcher und Jäger, welche die Zwergeule ſahen, ſind entzückt von ihr; ſie nennen ſie die munterſte und luſtigſte aller Eulen. Sie behaupten, wie ich ſchon an anderem Orte geſagt habe, daß ſie gar nicht ſchwermüthig und ſchläfrig ausſehe, ſondern ſchlau und gutmüthig in die Welt ſchaue, ſehr lebhaft ſei, wie ein Papagei im Gezweig umherklettere und außer den Kerbthieren, auf welche ihre Jagd vorzugsweiſe gerichtet iſt, auch kleinen Vögeln und Mäuſen nachſtelle, dieſelben trotz aller Gegenwehr erwürge, zierlich rupfe und dann verzehre. Es wird ferner verſichert, daß Derjenige, welcher das kreiſchende „Kirr kirr‟ des Vögelchens nachahme, dieſes bald an ſich heranlocke und eine gute Strecke mit ſich fortziehen könne. Es ſoll dann den Jäger in ſo engen Kreiſen umſchweben, daß es ausſieht, als wolle es ſich auf dem Kopfe niederlaſſen. Jn Skandinavien erſcheint die Zwerg- eule manchmal häufig in den Niederungen, welche ſie ſonſt meidet. Tiefer Schneefall vertreibt ſie aus den Wäldern und bringt ſie in die Nähe der Dörfer. Gadamer ſah im Winter 1843 eine Menge Zwergeulen im ſüdlichen Schonen. Sie hielten ſich in den Gärten bei den Wohnungen auf und machten hier eifrig Jagd auf Sperlinge. Jn Folge dieſer Angriffe iſt der Zwerg auch, wo er ſich ſehen läßt, wie Gloger ſagt, ein Gegenſtand gehäſſiger Neugier, aber nicht minder auch des Schreckens und der Furcht für alle kleineren Vögel, welche jede Bewegung des winzigen Feindes ſogleich in eilige Flucht treibt. „Die Sperlingseule vereinigt‟, um mit demſelben Naturforſcher fort- zufahren, „die nette Haltung, die Gewandtheit, das raſche, muthvolle Weſen und alle wichtigeren Züge der Tageule mit der wunderlichen Poſſenhaftigkeit und Geberdenſchneiderei der nächtlichen.‟
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[603/0637]
Kaninchen- und Prairieeule. Zwergeule.
findet die Zwergeulen in allen Welttheilen, mit Ausnahme Auſtraliens, beſonders häufig in Süd-
amerika, Südaſien und Afrika, wo ſie in den hohen, dichten Waldungen leben und, größtentheils
wenigſtens, bei hellem Tage ihren Geſchäften nachgehen.
Es genügt, wenn wir das über den deutſchen Vertreter dieſer Gruppe, unſere Zwerg- oder
Sperlingseule (Microptynx passerina) Bekannte zuſammenſtellen. Das niedliche Thierchen
kennzeichnet ſich zunächſt durch ſeine Pygmäengeſtalt. Der Leib iſt geſtreckt, der Kopf klein, der
Schnabel ſtark, ſehr gekrümmt, mit einem Zahn und Einſchnitt an der Schneide des Oberkiefers; die
Flügel ſind kurz, die dritte und vierte Schwinge über die andern verlängert; der Schwanz iſt mittel-
lang, die Füße ſind kurz und dicht befiedert; das Gefieder iſt minder weich, als bei andern Eulen, der
Schleier undeutlich; die Augen ſind klein. Nach meines Vaters Meſſungen beträgt die Länge des
Männchens 6½ Zoll, die Breite 15½ Zoll. Das Weibchen iſt ungefähr einen Zoll länger und um
1½ Zoll breiter. Das Gefieder iſt auf der Oberſeite mäuſegrau, weiß gefleckt, auf der Unterſeite
weiß mit braunen Längsflecken beſetzt. Das Geſicht iſt weißgrau, wie mein Vater ſagt, „dunkler
getuſcht‟, der Schnabel iſt horngelb, der Augenſtern hochgelb; der Schwanz iſt mit vier, der Flügel
mit vielen weißen Binden gezeichnet. Das Weibchen iſt etwas dunkler, als das Männchen und vor
ihm durch zwei dunklere Vogenlinien unter den Augen ausgezeichnet. Bei den Jungen herrſcht die
braune Farbe vor.
Auch die Zwergeule iſt eigentlich ein nordiſcher Vogel. Jn den Gebirgswaldungen Skandi-
naviens iſt ſie nicht ſelten, in den Wäldern Rußlands ſogar häufig; ſie lebt aber auch ſtändig in
Deutſchland und wahrſcheinlich keineswegs ſo ſelten, als man annimmt. Außerdem hat man ſie auf
den ſchweizer und italieniſchen Alpen und im Kaukaſus gefunden, und Radde traf ſie häufig im
Burejagebirge, nicht aber im übrigen Sibirien an. Ein ſo kleiner Vogel wie die Zwergeule, welcher
ſich, obwohl er bei Tage fliegt und raubt, doch gern verſteckt hält, wird leicht überſehen. Der
Kundige erkennt die Zwergeule an ihrem Geſchrei und unterſcheidet ſie dadurch von andern Verwandten,
der Unkundige beachtet ſie in den meiſten Fällen gar nicht. Daher kommt es, daß man ſie in keiner
Sammlung häufig findet und noch viel ſeltener eines dieſer überaus liebenswürdigen Geſchöpfe im
Käfig ſieht. Wir wiſſen aus Erfahrung, daß die Zwergeule auf allen unſern Gebirgen vorkommt;
aber nur wenige Naturforſcher können ſich rühmen, ſie geſehen zu haben. Die Kunde ihres Lebens
läßt deshalb noch immer viel zu wünſchen übrig; doch ſind wenigſtens einige Beobachtungen
geſammelt worden.
Alle Naturforſcher und Jäger, welche die Zwergeule ſahen, ſind entzückt von ihr; ſie nennen ſie
die munterſte und luſtigſte aller Eulen. Sie behaupten, wie ich ſchon an anderem Orte geſagt habe,
daß ſie gar nicht ſchwermüthig und ſchläfrig ausſehe, ſondern ſchlau und gutmüthig in die Welt ſchaue,
ſehr lebhaft ſei, wie ein Papagei im Gezweig umherklettere und außer den Kerbthieren, auf welche
ihre Jagd vorzugsweiſe gerichtet iſt, auch kleinen Vögeln und Mäuſen nachſtelle, dieſelben trotz aller
Gegenwehr erwürge, zierlich rupfe und dann verzehre. Es wird ferner verſichert, daß Derjenige,
welcher das kreiſchende „Kirr kirr‟ des Vögelchens nachahme, dieſes bald an ſich heranlocke und eine
gute Strecke mit ſich fortziehen könne. Es ſoll dann den Jäger in ſo engen Kreiſen umſchweben, daß
es ausſieht, als wolle es ſich auf dem Kopfe niederlaſſen. Jn Skandinavien erſcheint die Zwerg-
eule manchmal häufig in den Niederungen, welche ſie ſonſt meidet. Tiefer Schneefall vertreibt ſie aus
den Wäldern und bringt ſie in die Nähe der Dörfer. Gadamer ſah im Winter 1843 eine Menge
Zwergeulen im ſüdlichen Schonen. Sie hielten ſich in den Gärten bei den Wohnungen auf und
machten hier eifrig Jagd auf Sperlinge. Jn Folge dieſer Angriffe iſt der Zwerg auch, wo er ſich
ſehen läßt, wie Gloger ſagt, ein Gegenſtand gehäſſiger Neugier, aber nicht minder auch des
Schreckens und der Furcht für alle kleineren Vögel, welche jede Bewegung des winzigen Feindes
ſogleich in eilige Flucht treibt. „Die Sperlingseule vereinigt‟, um mit demſelben Naturforſcher fort-
zufahren, „die nette Haltung, die Gewandtheit, das raſche, muthvolle Weſen und alle wichtigeren Züge
der Tageule mit der wunderlichen Poſſenhaftigkeit und Geberdenſchneiderei der nächtlichen.‟
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 603. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/637>, abgerufen am 22.11.2024.
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