Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.Steinkauz. er sich sicher; er nistet sich aber auch mitten in Städten ein und nimmt dann auf Thürmen und Dach-boden, in Gewölben, Begräbnissen und an andern geeigneten Orten Herberge. Die tiefen Waldungen meidet er, Feldgehölze dagegen sind ihm sehr genehm. Vor dem Menschen und seinem Treiben scheut er sich durchaus nicht. Bei Tage lebt er verborgen in seinem Schlupfwinkel und nachts fürchtet der Mensch, unserer aufklärenden Bildung zum Trotz, den Kauz oft mehr, als dieser jenen. Es ist mehr als lächerlich, daß wir noch heutigen Tages nicht weiter sind, als manche indische Volksstämme, welche in ihrem Steinkauz ein übernatürliches Wesen erblicken und sich demzufolge von Klügeren oft betrügen lassen. Jn vielen Gegenden Deutschlands, wo der Glaube noch groß ist unter den Leuten, gilt der anmuthige Steinkauz als ein Unheil weissagender Vogel. Man gibt sich gar nicht die Mühe, selbst zu prüfen, man glaubt eben Das, was einfältige Weiber als wahr auftischen. Die Stimme des Kauzes, welche den Forscher ergötzt, hat das Unheil verschuldet. Der Kauz, ein munterer Gesell, läßt nachts oft genug seinen Ruf erschallen. Er schreit bald leise und gedämpft "Bu bu", bald laut und hell- tönend "Quew quew kebel kebel", bald endlich "Kuwitt, kuwitt", und der Pöbel übersetzt sich nun diese Laute nach seiner Weise, namentlich die letzteren. Er hört ganz genau darin die Worte: "Komm [Abbildung]
Der Steinkauz (Athene noctua). mit, komm mit auf den Kirchhof, hof, hof", und das ist Grund genug, den armen Kauz zu verab-scheuen, trotz aller Paradiesessehnsucht Derer, welche dieses Jammerthales überdrüssig zu sein vorgeben. Schon in Südeuropa fällt es Niemandem ein, ihn mit mißgünstigem Auge zu betrachten. Er ist dort so häufig, daß man ihn kennen gelernt hat, und weil Dies geschehen, ist er ein Liebling von Jung und Alt geworden. Der Kauz verdient die Zuneigung des Menschen. Er ist ein allerliebstes Geschöpf. Eine Steinkauz. er ſich ſicher; er niſtet ſich aber auch mitten in Städten ein und nimmt dann auf Thürmen und Dach-boden, in Gewölben, Begräbniſſen und an andern geeigneten Orten Herberge. Die tiefen Waldungen meidet er, Feldgehölze dagegen ſind ihm ſehr genehm. Vor dem Menſchen und ſeinem Treiben ſcheut er ſich durchaus nicht. Bei Tage lebt er verborgen in ſeinem Schlupfwinkel und nachts fürchtet der Menſch, unſerer aufklärenden Bildung zum Trotz, den Kauz oft mehr, als dieſer jenen. Es iſt mehr als lächerlich, daß wir noch heutigen Tages nicht weiter ſind, als manche indiſche Volksſtämme, welche in ihrem Steinkauz ein übernatürliches Weſen erblicken und ſich demzufolge von Klügeren oft betrügen laſſen. Jn vielen Gegenden Deutſchlands, wo der Glaube noch groß iſt unter den Leuten, gilt der anmuthige Steinkauz als ein Unheil weiſſagender Vogel. Man gibt ſich gar nicht die Mühe, ſelbſt zu prüfen, man glaubt eben Das, was einfältige Weiber als wahr auftiſchen. Die Stimme des Kauzes, welche den Forſcher ergötzt, hat das Unheil verſchuldet. Der Kauz, ein munterer Geſell, läßt nachts oft genug ſeinen Ruf erſchallen. Er ſchreit bald leiſe und gedämpft „Bu bu‟, bald laut und hell- tönend „Quew quew kebel kebel‟, bald endlich „Kuwitt, kuwitt‟, und der Pöbel überſetzt ſich nun dieſe Laute nach ſeiner Weiſe, namentlich die letzteren. Er hört ganz genau darin die Worte: „Komm [Abbildung]
Der Steinkauz (Athene noctua). mit, komm mit auf den Kirchhof, hof, hof‟, und das iſt Grund genug, den armen Kauz zu verab-ſcheuen, trotz aller Paradieſesſehnſucht Derer, welche dieſes Jammerthales überdrüſſig zu ſein vorgeben. Schon in Südeuropa fällt es Niemandem ein, ihn mit mißgünſtigem Auge zu betrachten. Er iſt dort ſo häufig, daß man ihn kennen gelernt hat, und weil Dies geſchehen, iſt er ein Liebling von Jung und Alt geworden. Der Kauz verdient die Zuneigung des Menſchen. Er iſt ein allerliebſtes Geſchöpf. Eine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0633" n="599"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Steinkauz.</hi></fw><lb/> er ſich ſicher; er niſtet ſich aber auch mitten in Städten ein und nimmt dann auf Thürmen und Dach-<lb/> boden, in Gewölben, Begräbniſſen und an andern geeigneten Orten Herberge. Die tiefen Waldungen<lb/> meidet er, Feldgehölze dagegen ſind ihm ſehr genehm. Vor dem Menſchen und ſeinem Treiben ſcheut<lb/> er ſich durchaus nicht. Bei Tage lebt er verborgen in ſeinem Schlupfwinkel und nachts fürchtet der<lb/> Menſch, unſerer aufklärenden Bildung zum Trotz, den Kauz oft mehr, als dieſer jenen. Es iſt mehr<lb/> als lächerlich, daß wir noch heutigen Tages nicht weiter ſind, als manche indiſche Volksſtämme, welche<lb/> in ihrem Steinkauz ein übernatürliches Weſen erblicken und ſich demzufolge von Klügeren oft betrügen<lb/> laſſen. Jn vielen Gegenden Deutſchlands, wo der Glaube noch groß iſt unter den Leuten, gilt der<lb/> anmuthige Steinkauz als ein Unheil weiſſagender Vogel. Man gibt ſich gar nicht die Mühe, ſelbſt zu<lb/> prüfen, man glaubt eben Das, was einfältige Weiber als wahr auftiſchen. Die Stimme des Kauzes,<lb/> welche den Forſcher ergötzt, hat das Unheil verſchuldet. Der Kauz, ein munterer Geſell, läßt nachts<lb/> oft genug ſeinen Ruf erſchallen. Er ſchreit bald leiſe und gedämpft „Bu bu‟, bald laut und hell-<lb/> tönend „Quew quew kebel kebel‟, bald endlich „Kuwitt, kuwitt‟, und der Pöbel überſetzt ſich nun<lb/> dieſe Laute nach ſeiner Weiſe, namentlich die letzteren. Er hört ganz genau darin die Worte: „Komm<lb/><figure><head><hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Der Steinkauz</hi> (<hi rendition="#aq">Athene noctua</hi>).</hi></head></figure><lb/> mit, komm mit auf den Kirchhof, hof, hof‟, und das iſt Grund genug, den armen Kauz zu verab-<lb/> ſcheuen, trotz aller Paradieſesſehnſucht Derer, welche dieſes Jammerthales überdrüſſig zu ſein vorgeben.<lb/> Schon in Südeuropa fällt es Niemandem ein, ihn mit mißgünſtigem Auge zu betrachten. Er iſt dort<lb/> ſo häufig, daß man ihn kennen gelernt hat, und weil Dies geſchehen, iſt er ein Liebling von Jung und<lb/> Alt geworden.</p><lb/> <p>Der Kauz verdient die Zuneigung des Menſchen. Er iſt ein allerliebſtes Geſchöpf. Eine<lb/> wirkliche Tageule kann man ihn nicht nennen; ſeine Wirkſamkeit beginnt erſt nach Sonnenuntergang.<lb/> Aber er iſt wenigſtens nicht ſo lichtſcheu, als andere Eulen und weiß ſich bei Tage ſehr gut zu<lb/> benehmen. Niemals ſchläft er ſo feſt, daß er übertölpelt werden kann; das geringſte Geräuſch erweckt<lb/> ihn, und weil er auch bei Tage vortrefflich ſieht, ergreift er bei Zeiten die Flucht. Sein Flug iſt der<lb/> kurzen Flügel wegen ſehr eigenthümlich. Er geſchieht ruckweiſe in Bogen, etwa nach Art des Specht-<lb/> fluges, fördert aber raſch und macht es dem Vogel möglich, ſich mit größter Gewandtheit durch dichtes Ge-<lb/> zweig der Bäume hindurch zu winden. Jm Sitz enhält ſich der Kauz gewöhnlich geduckt; ſobald er aber<lb/> etwas Verdächtiges ſieht, richtet er ſich hoch empor, ſtreckt ſich, ſo lang er kann, macht Verbeugungen,<lb/> faßt den Gegenſtand ſeiner Betrachtung ſcharf ins Auge und geberdet ſich höchſt ſonderbar. Sein Blick<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [599/0633]
Steinkauz.
er ſich ſicher; er niſtet ſich aber auch mitten in Städten ein und nimmt dann auf Thürmen und Dach-
boden, in Gewölben, Begräbniſſen und an andern geeigneten Orten Herberge. Die tiefen Waldungen
meidet er, Feldgehölze dagegen ſind ihm ſehr genehm. Vor dem Menſchen und ſeinem Treiben ſcheut
er ſich durchaus nicht. Bei Tage lebt er verborgen in ſeinem Schlupfwinkel und nachts fürchtet der
Menſch, unſerer aufklärenden Bildung zum Trotz, den Kauz oft mehr, als dieſer jenen. Es iſt mehr
als lächerlich, daß wir noch heutigen Tages nicht weiter ſind, als manche indiſche Volksſtämme, welche
in ihrem Steinkauz ein übernatürliches Weſen erblicken und ſich demzufolge von Klügeren oft betrügen
laſſen. Jn vielen Gegenden Deutſchlands, wo der Glaube noch groß iſt unter den Leuten, gilt der
anmuthige Steinkauz als ein Unheil weiſſagender Vogel. Man gibt ſich gar nicht die Mühe, ſelbſt zu
prüfen, man glaubt eben Das, was einfältige Weiber als wahr auftiſchen. Die Stimme des Kauzes,
welche den Forſcher ergötzt, hat das Unheil verſchuldet. Der Kauz, ein munterer Geſell, läßt nachts
oft genug ſeinen Ruf erſchallen. Er ſchreit bald leiſe und gedämpft „Bu bu‟, bald laut und hell-
tönend „Quew quew kebel kebel‟, bald endlich „Kuwitt, kuwitt‟, und der Pöbel überſetzt ſich nun
dieſe Laute nach ſeiner Weiſe, namentlich die letzteren. Er hört ganz genau darin die Worte: „Komm
[Abbildung Der Steinkauz (Athene noctua).]
mit, komm mit auf den Kirchhof, hof, hof‟, und das iſt Grund genug, den armen Kauz zu verab-
ſcheuen, trotz aller Paradieſesſehnſucht Derer, welche dieſes Jammerthales überdrüſſig zu ſein vorgeben.
Schon in Südeuropa fällt es Niemandem ein, ihn mit mißgünſtigem Auge zu betrachten. Er iſt dort
ſo häufig, daß man ihn kennen gelernt hat, und weil Dies geſchehen, iſt er ein Liebling von Jung und
Alt geworden.
Der Kauz verdient die Zuneigung des Menſchen. Er iſt ein allerliebſtes Geſchöpf. Eine
wirkliche Tageule kann man ihn nicht nennen; ſeine Wirkſamkeit beginnt erſt nach Sonnenuntergang.
Aber er iſt wenigſtens nicht ſo lichtſcheu, als andere Eulen und weiß ſich bei Tage ſehr gut zu
benehmen. Niemals ſchläft er ſo feſt, daß er übertölpelt werden kann; das geringſte Geräuſch erweckt
ihn, und weil er auch bei Tage vortrefflich ſieht, ergreift er bei Zeiten die Flucht. Sein Flug iſt der
kurzen Flügel wegen ſehr eigenthümlich. Er geſchieht ruckweiſe in Bogen, etwa nach Art des Specht-
fluges, fördert aber raſch und macht es dem Vogel möglich, ſich mit größter Gewandtheit durch dichtes Ge-
zweig der Bäume hindurch zu winden. Jm Sitz enhält ſich der Kauz gewöhnlich geduckt; ſobald er aber
etwas Verdächtiges ſieht, richtet er ſich hoch empor, ſtreckt ſich, ſo lang er kann, macht Verbeugungen,
faßt den Gegenſtand ſeiner Betrachtung ſcharf ins Auge und geberdet ſich höchſt ſonderbar. Sein Blick
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