und erhaschen könne. Einst sahen wir sie fangen. Sie war vom Hegewische, der ihr durchaus den besten Standort gewährte, verscheucht worden und hatte sich auf die Spitze einer etwa funfzehn Ellen hohen Fichte gesetzt. Von ihr aus fuhr sie plötzlich auf die Erde herab, und das Schreien einer Maus zeigte an, wie richtig sie gefaßt hatte; gleich darauf kam sie mit einem Klumpen Grashalmen in den Fängen empor und trug die darin befindliche Maus nahe stehenden, hohen Tannen zu, in denen sie dem Auge entschwand. Sie verzehrte ohne Zweifel dort ihren Raub; denn sie braucht, da sie ihn, wie die Gattungsverwandten, fast ganz verschlingt, es nicht auf der Erde zu thun. Jch bin überzeugt, daß ihr bei ihrer Jagd ihr leises Gehör so gut, wie ihr scharfes Gesicht behilflich ist. Die Maus, welche sie vor unsern Augen fing, war wenigstens 25 Schritt von der Eule, die überdies kurz vorher nach einer andern Seite hinsah, entfernt und in tiefem Grase verborgen. Offenbar hatte die Eule das geringe Geräusch, welches die Maus im dürren Grase verursachte, sogleich gehört, nun erst ihren Blick nach dieser Seite hingewandt und ihre Beute entdeckt."
Jn der Gefangenschaft erhielt die Beschriebene Hausmäuse vorgeworfen. Sie biß ihnen zuerst den Kopf ab und verschluckte, wenn dieser verzehrt war, das Uebrige ganz. Am liebsten fraß sie an solchen Orten, an denen ihr Schwanz frei herabhängen konnte; doch nahm sie ihr Futter auch auf dem Boden sitzend zu sich. Des Nachts warf sie die Haare und Knochen in Gewöllen wieder aus.
"Die Habichtseule", schließt mein Vater, "scheut starkes Schneegestöber. Am 14. Dezember 1820 schneite es sehr stark und unter heftigem Winde; dennoch gingen die andern Vögel ihrer Nahrung nach. Die hier überwinternden Drosselarten waren in Bewegung, die Sperlinge, Bergfinken, Zeisige und Ammer, die Meisen, Kleiber und Baumläufer suchten ihre Nahrung, selbst eine Feldlerche lief und flog auf den Stoppeläckern herum. Unsere Habichtseule aber kam erst nach zwölf Uhr hervor, setzte sich auf einen niedrigen Seitenast, besah sich das fürchterliche Wetter und verbarg sich wieder auf einer dichten Fichte. Nach zwei Uhr hörte es auf zu schneien, und jetzt erschien dieser schöne Vogel, setzte sich auf einen Fichtenwipfel und wollte seine Jagd beginnen. Jch schoß ihn, da ich ihn hinlänglich beobachtet hatte, und nicht ohne Furcht war, er möchte sich doch bald aus der Gegend entfernen, herab und fand seinen Kopf mit Schnee, welcher wie Eis- zapfen an den Scheitelfedern angefroren war, bedeckt."
Die größte aller Tageulen, die Schneeeule (Nyctea nivea) theilt mit der Sperbereule dieselbe Heimat; sie verirrt sich aber noch öfter als diese nach südlichen Gegenden. Soweit die Reisenden gegen den Pol hin kamen, haben sie auch die Schneeeule gefunden und nicht blos auf dem Festlande, sondern auch auf Eisschollen sitzend, oder rasch und kräftig über die Wellen dahinstreichend. Der nördliche Theil von Skandinavien, Finnland, Rußland nebst seinen Jnseln im Eismeere und der ganze Norden Amerikas sind als ihr eigentliches Vaterland zu betrachten. Gelegentlich ihrer zufälligen und unregel- mäßigen Wanderungen erscheint sie in Deutschland und hier manchmal recht häufig, oder in Mittel- asien und in den mittleren Staaten Nordamerikas, ja, einzelne Verirrte sind sogar auf Kuba beobachtet worden.
Hauptkennzeichen der Sippe, welche die Schneeeule vertritt, sind vor Allem der schmale, kleine Kopf mit kleinen Ohrmuscheln und Ohröffnungen, deshalb auch mit unvollkommenem Schleier, und die kurzen, aber ungemein dicht befiederten Füße. Der Flügel ist mittellang, in ihm die dritte Schwinge die längste, der Schwanz ist ziemlich lang, ab- und zugerundet. Der Schnabel hat wenig Auffallendes: er ist stark und kurzhakig. Das Gefieder ist dicht, aber minder weich, als bei andern Eulen.
Die Länge der Schneeeule beträgt 26 bis 27 Zoll, die Breite 56 bis 60 Zoll, der Fittig mißt 17 Zoll, der Schwanz 10 Zoll. Audubon gibt geringere Maße: nach ihm beträgt die Länge nur 21 Zoll und die Breite blos 53 Zoll. Die Färbung ist verschieden nach dem Alter. Sehr alte
38 *
Sperbereule. Schneeeule.
und erhaſchen könne. Einſt ſahen wir ſie fangen. Sie war vom Hegewiſche, der ihr durchaus den beſten Standort gewährte, verſcheucht worden und hatte ſich auf die Spitze einer etwa funfzehn Ellen hohen Fichte geſetzt. Von ihr aus fuhr ſie plötzlich auf die Erde herab, und das Schreien einer Maus zeigte an, wie richtig ſie gefaßt hatte; gleich darauf kam ſie mit einem Klumpen Grashalmen in den Fängen empor und trug die darin befindliche Maus nahe ſtehenden, hohen Tannen zu, in denen ſie dem Auge entſchwand. Sie verzehrte ohne Zweifel dort ihren Raub; denn ſie braucht, da ſie ihn, wie die Gattungsverwandten, faſt ganz verſchlingt, es nicht auf der Erde zu thun. Jch bin überzeugt, daß ihr bei ihrer Jagd ihr leiſes Gehör ſo gut, wie ihr ſcharfes Geſicht behilflich iſt. Die Maus, welche ſie vor unſern Augen fing, war wenigſtens 25 Schritt von der Eule, die überdies kurz vorher nach einer andern Seite hinſah, entfernt und in tiefem Graſe verborgen. Offenbar hatte die Eule das geringe Geräuſch, welches die Maus im dürren Graſe verurſachte, ſogleich gehört, nun erſt ihren Blick nach dieſer Seite hingewandt und ihre Beute entdeckt.‟
Jn der Gefangenſchaft erhielt die Beſchriebene Hausmäuſe vorgeworfen. Sie biß ihnen zuerſt den Kopf ab und verſchluckte, wenn dieſer verzehrt war, das Uebrige ganz. Am liebſten fraß ſie an ſolchen Orten, an denen ihr Schwanz frei herabhängen konnte; doch nahm ſie ihr Futter auch auf dem Boden ſitzend zu ſich. Des Nachts warf ſie die Haare und Knochen in Gewöllen wieder aus.
„Die Habichtseule‟, ſchließt mein Vater, „ſcheut ſtarkes Schneegeſtöber. Am 14. Dezember 1820 ſchneite es ſehr ſtark und unter heftigem Winde; dennoch gingen die andern Vögel ihrer Nahrung nach. Die hier überwinternden Droſſelarten waren in Bewegung, die Sperlinge, Bergfinken, Zeiſige und Ammer, die Meiſen, Kleiber und Baumläufer ſuchten ihre Nahrung, ſelbſt eine Feldlerche lief und flog auf den Stoppeläckern herum. Unſere Habichtseule aber kam erſt nach zwölf Uhr hervor, ſetzte ſich auf einen niedrigen Seitenaſt, beſah ſich das fürchterliche Wetter und verbarg ſich wieder auf einer dichten Fichte. Nach zwei Uhr hörte es auf zu ſchneien, und jetzt erſchien dieſer ſchöne Vogel, ſetzte ſich auf einen Fichtenwipfel und wollte ſeine Jagd beginnen. Jch ſchoß ihn, da ich ihn hinlänglich beobachtet hatte, und nicht ohne Furcht war, er möchte ſich doch bald aus der Gegend entfernen, herab und fand ſeinen Kopf mit Schnee, welcher wie Eis- zapfen an den Scheitelfedern angefroren war, bedeckt.‟
Die größte aller Tageulen, die Schneeeule (Nyctea nivea) theilt mit der Sperbereule dieſelbe Heimat; ſie verirrt ſich aber noch öfter als dieſe nach ſüdlichen Gegenden. Soweit die Reiſenden gegen den Pol hin kamen, haben ſie auch die Schneeeule gefunden und nicht blos auf dem Feſtlande, ſondern auch auf Eisſchollen ſitzend, oder raſch und kräftig über die Wellen dahinſtreichend. Der nördliche Theil von Skandinavien, Finnland, Rußland nebſt ſeinen Jnſeln im Eismeere und der ganze Norden Amerikas ſind als ihr eigentliches Vaterland zu betrachten. Gelegentlich ihrer zufälligen und unregel- mäßigen Wanderungen erſcheint ſie in Deutſchland und hier manchmal recht häufig, oder in Mittel- aſien und in den mittleren Staaten Nordamerikas, ja, einzelne Verirrte ſind ſogar auf Kuba beobachtet worden.
Hauptkennzeichen der Sippe, welche die Schneeeule vertritt, ſind vor Allem der ſchmale, kleine Kopf mit kleinen Ohrmuſcheln und Ohröffnungen, deshalb auch mit unvollkommenem Schleier, und die kurzen, aber ungemein dicht befiederten Füße. Der Flügel iſt mittellang, in ihm die dritte Schwinge die längſte, der Schwanz iſt ziemlich lang, ab- und zugerundet. Der Schnabel hat wenig Auffallendes: er iſt ſtark und kurzhakig. Das Gefieder iſt dicht, aber minder weich, als bei andern Eulen.
Die Länge der Schneeeule beträgt 26 bis 27 Zoll, die Breite 56 bis 60 Zoll, der Fittig mißt 17 Zoll, der Schwanz 10 Zoll. Audubon gibt geringere Maße: nach ihm beträgt die Länge nur 21 Zoll und die Breite blos 53 Zoll. Die Färbung iſt verſchieden nach dem Alter. Sehr alte
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[595/0629]
Sperbereule. Schneeeule.
und erhaſchen könne. Einſt ſahen wir ſie fangen. Sie war vom Hegewiſche, der ihr durchaus den
beſten Standort gewährte, verſcheucht worden und hatte ſich auf die Spitze einer etwa funfzehn Ellen
hohen Fichte geſetzt. Von ihr aus fuhr ſie plötzlich auf die Erde herab, und das Schreien einer Maus
zeigte an, wie richtig ſie gefaßt hatte; gleich darauf kam ſie mit einem Klumpen Grashalmen in den
Fängen empor und trug die darin befindliche Maus nahe ſtehenden, hohen Tannen zu, in denen ſie dem
Auge entſchwand. Sie verzehrte ohne Zweifel dort ihren Raub; denn ſie braucht, da ſie ihn, wie die
Gattungsverwandten, faſt ganz verſchlingt, es nicht auf der Erde zu thun. Jch bin überzeugt, daß
ihr bei ihrer Jagd ihr leiſes Gehör ſo gut, wie ihr ſcharfes Geſicht behilflich iſt. Die Maus, welche
ſie vor unſern Augen fing, war wenigſtens 25 Schritt von der Eule, die überdies kurz vorher nach
einer andern Seite hinſah, entfernt und in tiefem Graſe verborgen. Offenbar hatte die Eule das
geringe Geräuſch, welches die Maus im dürren Graſe verurſachte, ſogleich gehört, nun erſt ihren Blick
nach dieſer Seite hingewandt und ihre Beute entdeckt.‟
Jn der Gefangenſchaft erhielt die Beſchriebene Hausmäuſe vorgeworfen. Sie biß ihnen zuerſt
den Kopf ab und verſchluckte, wenn dieſer verzehrt war, das Uebrige ganz. Am liebſten fraß ſie an
ſolchen Orten, an denen ihr Schwanz frei herabhängen konnte; doch nahm ſie ihr Futter auch auf dem
Boden ſitzend zu ſich. Des Nachts warf ſie die Haare und Knochen in Gewöllen wieder aus.
„Die Habichtseule‟, ſchließt mein Vater, „ſcheut ſtarkes Schneegeſtöber. Am 14. Dezember
1820 ſchneite es ſehr ſtark und unter heftigem Winde; dennoch gingen die andern Vögel ihrer
Nahrung nach. Die hier überwinternden Droſſelarten waren in Bewegung, die Sperlinge,
Bergfinken, Zeiſige und Ammer, die Meiſen, Kleiber und Baumläufer ſuchten ihre
Nahrung, ſelbſt eine Feldlerche lief und flog auf den Stoppeläckern herum. Unſere Habichtseule
aber kam erſt nach zwölf Uhr hervor, ſetzte ſich auf einen niedrigen Seitenaſt, beſah ſich das
fürchterliche Wetter und verbarg ſich wieder auf einer dichten Fichte. Nach zwei Uhr hörte es auf zu
ſchneien, und jetzt erſchien dieſer ſchöne Vogel, ſetzte ſich auf einen Fichtenwipfel und wollte ſeine Jagd
beginnen. Jch ſchoß ihn, da ich ihn hinlänglich beobachtet hatte, und nicht ohne Furcht war, er möchte
ſich doch bald aus der Gegend entfernen, herab und fand ſeinen Kopf mit Schnee, welcher wie Eis-
zapfen an den Scheitelfedern angefroren war, bedeckt.‟
Die größte aller Tageulen, die Schneeeule (Nyctea nivea) theilt mit der Sperbereule dieſelbe
Heimat; ſie verirrt ſich aber noch öfter als dieſe nach ſüdlichen Gegenden. Soweit die Reiſenden gegen
den Pol hin kamen, haben ſie auch die Schneeeule gefunden und nicht blos auf dem Feſtlande, ſondern
auch auf Eisſchollen ſitzend, oder raſch und kräftig über die Wellen dahinſtreichend. Der nördliche
Theil von Skandinavien, Finnland, Rußland nebſt ſeinen Jnſeln im Eismeere und der ganze Norden
Amerikas ſind als ihr eigentliches Vaterland zu betrachten. Gelegentlich ihrer zufälligen und unregel-
mäßigen Wanderungen erſcheint ſie in Deutſchland und hier manchmal recht häufig, oder in Mittel-
aſien und in den mittleren Staaten Nordamerikas, ja, einzelne Verirrte ſind ſogar auf Kuba beobachtet
worden.
Hauptkennzeichen der Sippe, welche die Schneeeule vertritt, ſind vor Allem der ſchmale, kleine
Kopf mit kleinen Ohrmuſcheln und Ohröffnungen, deshalb auch mit unvollkommenem Schleier, und
die kurzen, aber ungemein dicht befiederten Füße. Der Flügel iſt mittellang, in ihm die dritte
Schwinge die längſte, der Schwanz iſt ziemlich lang, ab- und zugerundet. Der Schnabel hat wenig
Auffallendes: er iſt ſtark und kurzhakig. Das Gefieder iſt dicht, aber minder weich, als bei
andern Eulen.
Die Länge der Schneeeule beträgt 26 bis 27 Zoll, die Breite 56 bis 60 Zoll, der Fittig mißt
17 Zoll, der Schwanz 10 Zoll. Audubon gibt geringere Maße: nach ihm beträgt die Länge nur
21 Zoll und die Breite blos 53 Zoll. Die Färbung iſt verſchieden nach dem Alter. Sehr alte
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/629>, abgerufen am 25.11.2024.
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