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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Geier.
den Rachen weit auf. Fortwährend, wenn auch langsam, kehren sie sich dem Feinde zu und weisen
ihm die Zähne, welche bei den eben ausgeschlüpften Thieren sehr lang und spitz sind. Oft während so
ein Geier die Aufmerksamkeit des jungen Krokodils ganz in Anspruch nimmt, benutzt ein anderer
die gute Gelegenheit zu einem unerwarteten Angriffe. Er stößt auf das Thier nieder, packt es am
Halse und fliegt damit hoch in die Luft. Wir konnten diesem Kampfspiele viele Vormittage lang
zusehen." Auch von Gefangenen hat man erfahren, daß sie nicht immer in Freundschaft und Frieden
mit jungem und unbehilflichen Federvieh leben.

Urubu und Gallinazo machen sich Alles zu Nutze, was sie benutzen können. Jhre Dreistigkeit
und Unverschämtheit wird den Menschen und Raubthieren oft sehr lästig. So berichtet der Prinz,
daß sie aus allen Himmelsgegenden herbeistürzen, sobald ein Schuß im Walde gefallen ist. "Erlegten
wir auf einem dicht beschatteten Waldbache eine Ente oder auch nur einen kleinen Vogel, so waren sie
sogleich da und besetzten zu acht, zehn und mehreren die benachbarten Waldbäume und Aeste. Ent-
fernte man sich nur einen Augenblick, so lag schon der geschossene Vogel auf dem Trockenen, um von
ihnen verzehrt zu werden." Dem Jaguar ergeht es nicht anders als dem menschlichen Jäger. "Bei
Joval", erzählt Humboldt, "sahen wir den größten "Tiger", der uns je vorgekommen. Er lag im
Schatten einer großen Mimose, hatte eben ein Wasserschwein erlegt, aber seine Beute noch nicht
abgebrochen, nur eine seiner Tatzen lag darauf. Die Geier hatten sich in Scharen versammelt, um
die Reste vom Mahle des Jaguars zu verzehren. Sie ergötzten uns nicht wenig durch den seltsamen
Verein von Frechheit und Scheu. So wagten sie sich bis auf zwei Fuß vor dem Jaguar vor, aber
bei den leisesten Bewegungen desselben wichen sie zurück. Um die Sitten dieser Thiere mehr in der
Nähe zu beobachten, bestiegen wir unser kleines Fahrzeug. Beim Geräusch der Ruder erhob sich der
Jaguar langsam, um sich hinter den Büschen des Ufers zu verbergen. Den Augenblick, wo er abzog,
wollten sich die Geier zu Nutze machen, um das Wasserschwein zu verzehren, aber der Tiger machte
trotz der Nähe unseres Fahrzeuges einen Satz unter sie und schleppte zornerfüllt, wie man an seinem
Gange und dem Schlagen seines Schwanzes sah, die Beute in den Wald."

Als Eierdiebe sind auch die amerikanischen Geier arg verschrieen. Es wird ihnen geradezu nach-
gesagt, daß sie ihren Horst nur deshalb in der Nähe gewisser Sumpf- und Schwimmvögel anlegten,
um deren Eier gleich bei der Hand zu haben.

Dem Menschen muß es ein absonderliches Vergnügen gewähren, die Geier bei ihrem Fressen zu
stören. Schomburgk erzählt, daß sich die Offiziere des Forts Joachim den Spaß machten, die
Aasgeier, welche sich zu Scharen von drei- bis vierhundert über dem Schlachtplatze der Festung ver-
sammelten, mit Kanonen zu beschießen, welche mit kleinen Flintenkugeln geladen wurden. Bei solchen
Gelegenheiten blieben oft vierzig bis funfzig Vögel todt auf der Wahlstatt.

"Unsere Jndianer", berichtet er weiter, "vergnügten sich an den Rastorten oft genug damit, daß
sie ein Stück Fleisch an einen Angelhaken befestigten und diesen dann hinwarfen. Sowie Dies
geschehen, zappelte auch bereits der gierigste und schnellste an der Schnur. Dann wurde er auf die
auffallendste Weise in ein wahres Scheusal verwandelt. Die übermüthigen Angler schmückten ihn
mit fremden Federn, welche sie mit weichem Wachs befestigten, schnitten ihm Halskrause und dergleichen
aus, setzten ihm eine Krone auf und schickten ihn dann wieder unter die Schar seiner Brüder zurück,
wo der gespenstige Genosse das höchste Entsetzen erregte und nur zu bald verlassen und vereinsamt blieb,
bis er seine falsche Kleidung wieder abgelegt hatte." Taylor theilt uns mit, daß er sich oft den
Scherz gemacht habe, Thierbälge, welche mit Baumwolle ausgestopft waren, den hungrigen Geiern
vorzuwerfen, und versichert, daß es höchst ergötzlich gewesen sei, die getäuschten Vögel bei der ver-
geblichen Mühe, ein solches Thier sich nutzbar zu machen, zu beobachten. Sogar der ernste Bur-
meister
kann nicht umhin, die harmlosen Aasgeier zu ärgern. "Einen besonderen Reiz", sagt er,
"gewährte es mir, die geschäftigen Geier, deren Nähe gewöhnlich aus einzeln ab und zu Fliegenden
schon von weitem erkannt wird, bei ihrer Arbeit zu stören. Jch habe mir oft das Vergnügen
gemacht, heranzuschleichen und einen Schuß unter sie zu thun. Nach allen Seiten stiebte der Schwarm

Die Fänger. Raubvögel. Geier.
den Rachen weit auf. Fortwährend, wenn auch langſam, kehren ſie ſich dem Feinde zu und weiſen
ihm die Zähne, welche bei den eben ausgeſchlüpften Thieren ſehr lang und ſpitz ſind. Oft während ſo
ein Geier die Aufmerkſamkeit des jungen Krokodils ganz in Anſpruch nimmt, benutzt ein anderer
die gute Gelegenheit zu einem unerwarteten Angriffe. Er ſtößt auf das Thier nieder, packt es am
Halſe und fliegt damit hoch in die Luft. Wir konnten dieſem Kampfſpiele viele Vormittage lang
zuſehen.‟ Auch von Gefangenen hat man erfahren, daß ſie nicht immer in Freundſchaft und Frieden
mit jungem und unbehilflichen Federvieh leben.

Urubu und Gallinazo machen ſich Alles zu Nutze, was ſie benutzen können. Jhre Dreiſtigkeit
und Unverſchämtheit wird den Menſchen und Raubthieren oft ſehr läſtig. So berichtet der Prinz,
daß ſie aus allen Himmelsgegenden herbeiſtürzen, ſobald ein Schuß im Walde gefallen iſt. „Erlegten
wir auf einem dicht beſchatteten Waldbache eine Ente oder auch nur einen kleinen Vogel, ſo waren ſie
ſogleich da und beſetzten zu acht, zehn und mehreren die benachbarten Waldbäume und Aeſte. Ent-
fernte man ſich nur einen Augenblick, ſo lag ſchon der geſchoſſene Vogel auf dem Trockenen, um von
ihnen verzehrt zu werden.‟ Dem Jaguar ergeht es nicht anders als dem menſchlichen Jäger. „Bei
Joval‟, erzählt Humboldt, „ſahen wir den größten „Tiger‟, der uns je vorgekommen. Er lag im
Schatten einer großen Mimoſe, hatte eben ein Waſſerſchwein erlegt, aber ſeine Beute noch nicht
abgebrochen, nur eine ſeiner Tatzen lag darauf. Die Geier hatten ſich in Scharen verſammelt, um
die Reſte vom Mahle des Jaguars zu verzehren. Sie ergötzten uns nicht wenig durch den ſeltſamen
Verein von Frechheit und Scheu. So wagten ſie ſich bis auf zwei Fuß vor dem Jaguar vor, aber
bei den leiſeſten Bewegungen deſſelben wichen ſie zurück. Um die Sitten dieſer Thiere mehr in der
Nähe zu beobachten, beſtiegen wir unſer kleines Fahrzeug. Beim Geräuſch der Ruder erhob ſich der
Jaguar langſam, um ſich hinter den Büſchen des Ufers zu verbergen. Den Augenblick, wo er abzog,
wollten ſich die Geier zu Nutze machen, um das Waſſerſchwein zu verzehren, aber der Tiger machte
trotz der Nähe unſeres Fahrzeuges einen Satz unter ſie und ſchleppte zornerfüllt, wie man an ſeinem
Gange und dem Schlagen ſeines Schwanzes ſah, die Beute in den Wald.‟

Als Eierdiebe ſind auch die amerikaniſchen Geier arg verſchrieen. Es wird ihnen geradezu nach-
geſagt, daß ſie ihren Horſt nur deshalb in der Nähe gewiſſer Sumpf- und Schwimmvögel anlegten,
um deren Eier gleich bei der Hand zu haben.

Dem Menſchen muß es ein abſonderliches Vergnügen gewähren, die Geier bei ihrem Freſſen zu
ſtören. Schomburgk erzählt, daß ſich die Offiziere des Forts Joachim den Spaß machten, die
Aasgeier, welche ſich zu Scharen von drei- bis vierhundert über dem Schlachtplatze der Feſtung ver-
ſammelten, mit Kanonen zu beſchießen, welche mit kleinen Flintenkugeln geladen wurden. Bei ſolchen
Gelegenheiten blieben oft vierzig bis funfzig Vögel todt auf der Wahlſtatt.

„Unſere Jndianer‟, berichtet er weiter, „vergnügten ſich an den Raſtorten oft genug damit, daß
ſie ein Stück Fleiſch an einen Angelhaken befeſtigten und dieſen dann hinwarfen. Sowie Dies
geſchehen, zappelte auch bereits der gierigſte und ſchnellſte an der Schnur. Dann wurde er auf die
auffallendſte Weiſe in ein wahres Scheuſal verwandelt. Die übermüthigen Angler ſchmückten ihn
mit fremden Federn, welche ſie mit weichem Wachs befeſtigten, ſchnitten ihm Halskrauſe und dergleichen
aus, ſetzten ihm eine Krone auf und ſchickten ihn dann wieder unter die Schar ſeiner Brüder zurück,
wo der geſpenſtige Genoſſe das höchſte Entſetzen erregte und nur zu bald verlaſſen und vereinſamt blieb,
bis er ſeine falſche Kleidung wieder abgelegt hatte.‟ Taylor theilt uns mit, daß er ſich oft den
Scherz gemacht habe, Thierbälge, welche mit Baumwolle ausgeſtopft waren, den hungrigen Geiern
vorzuwerfen, und verſichert, daß es höchſt ergötzlich geweſen ſei, die getäuſchten Vögel bei der ver-
geblichen Mühe, ein ſolches Thier ſich nutzbar zu machen, zu beobachten. Sogar der ernſte Bur-
meiſter
kann nicht umhin, die harmloſen Aasgeier zu ärgern. „Einen beſonderen Reiz‟, ſagt er,
„gewährte es mir, die geſchäftigen Geier, deren Nähe gewöhnlich aus einzeln ab und zu Fliegenden
ſchon von weitem erkannt wird, bei ihrer Arbeit zu ſtören. Jch habe mir oft das Vergnügen
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[584/0618] Die Fänger. Raubvögel. Geier. den Rachen weit auf. Fortwährend, wenn auch langſam, kehren ſie ſich dem Feinde zu und weiſen ihm die Zähne, welche bei den eben ausgeſchlüpften Thieren ſehr lang und ſpitz ſind. Oft während ſo ein Geier die Aufmerkſamkeit des jungen Krokodils ganz in Anſpruch nimmt, benutzt ein anderer die gute Gelegenheit zu einem unerwarteten Angriffe. Er ſtößt auf das Thier nieder, packt es am Halſe und fliegt damit hoch in die Luft. Wir konnten dieſem Kampfſpiele viele Vormittage lang zuſehen.‟ Auch von Gefangenen hat man erfahren, daß ſie nicht immer in Freundſchaft und Frieden mit jungem und unbehilflichen Federvieh leben. Urubu und Gallinazo machen ſich Alles zu Nutze, was ſie benutzen können. Jhre Dreiſtigkeit und Unverſchämtheit wird den Menſchen und Raubthieren oft ſehr läſtig. So berichtet der Prinz, daß ſie aus allen Himmelsgegenden herbeiſtürzen, ſobald ein Schuß im Walde gefallen iſt. „Erlegten wir auf einem dicht beſchatteten Waldbache eine Ente oder auch nur einen kleinen Vogel, ſo waren ſie ſogleich da und beſetzten zu acht, zehn und mehreren die benachbarten Waldbäume und Aeſte. Ent- fernte man ſich nur einen Augenblick, ſo lag ſchon der geſchoſſene Vogel auf dem Trockenen, um von ihnen verzehrt zu werden.‟ Dem Jaguar ergeht es nicht anders als dem menſchlichen Jäger. „Bei Joval‟, erzählt Humboldt, „ſahen wir den größten „Tiger‟, der uns je vorgekommen. Er lag im Schatten einer großen Mimoſe, hatte eben ein Waſſerſchwein erlegt, aber ſeine Beute noch nicht abgebrochen, nur eine ſeiner Tatzen lag darauf. Die Geier hatten ſich in Scharen verſammelt, um die Reſte vom Mahle des Jaguars zu verzehren. Sie ergötzten uns nicht wenig durch den ſeltſamen Verein von Frechheit und Scheu. So wagten ſie ſich bis auf zwei Fuß vor dem Jaguar vor, aber bei den leiſeſten Bewegungen deſſelben wichen ſie zurück. Um die Sitten dieſer Thiere mehr in der Nähe zu beobachten, beſtiegen wir unſer kleines Fahrzeug. Beim Geräuſch der Ruder erhob ſich der Jaguar langſam, um ſich hinter den Büſchen des Ufers zu verbergen. Den Augenblick, wo er abzog, wollten ſich die Geier zu Nutze machen, um das Waſſerſchwein zu verzehren, aber der Tiger machte trotz der Nähe unſeres Fahrzeuges einen Satz unter ſie und ſchleppte zornerfüllt, wie man an ſeinem Gange und dem Schlagen ſeines Schwanzes ſah, die Beute in den Wald.‟ Als Eierdiebe ſind auch die amerikaniſchen Geier arg verſchrieen. Es wird ihnen geradezu nach- geſagt, daß ſie ihren Horſt nur deshalb in der Nähe gewiſſer Sumpf- und Schwimmvögel anlegten, um deren Eier gleich bei der Hand zu haben. Dem Menſchen muß es ein abſonderliches Vergnügen gewähren, die Geier bei ihrem Freſſen zu ſtören. Schomburgk erzählt, daß ſich die Offiziere des Forts Joachim den Spaß machten, die Aasgeier, welche ſich zu Scharen von drei- bis vierhundert über dem Schlachtplatze der Feſtung ver- ſammelten, mit Kanonen zu beſchießen, welche mit kleinen Flintenkugeln geladen wurden. Bei ſolchen Gelegenheiten blieben oft vierzig bis funfzig Vögel todt auf der Wahlſtatt. „Unſere Jndianer‟, berichtet er weiter, „vergnügten ſich an den Raſtorten oft genug damit, daß ſie ein Stück Fleiſch an einen Angelhaken befeſtigten und dieſen dann hinwarfen. Sowie Dies geſchehen, zappelte auch bereits der gierigſte und ſchnellſte an der Schnur. Dann wurde er auf die auffallendſte Weiſe in ein wahres Scheuſal verwandelt. Die übermüthigen Angler ſchmückten ihn mit fremden Federn, welche ſie mit weichem Wachs befeſtigten, ſchnitten ihm Halskrauſe und dergleichen aus, ſetzten ihm eine Krone auf und ſchickten ihn dann wieder unter die Schar ſeiner Brüder zurück, wo der geſpenſtige Genoſſe das höchſte Entſetzen erregte und nur zu bald verlaſſen und vereinſamt blieb, bis er ſeine falſche Kleidung wieder abgelegt hatte.‟ Taylor theilt uns mit, daß er ſich oft den Scherz gemacht habe, Thierbälge, welche mit Baumwolle ausgeſtopft waren, den hungrigen Geiern vorzuwerfen, und verſichert, daß es höchſt ergötzlich geweſen ſei, die getäuſchten Vögel bei der ver- geblichen Mühe, ein ſolches Thier ſich nutzbar zu machen, zu beobachten. Sogar der ernſte Bur- meiſter kann nicht umhin, die harmloſen Aasgeier zu ärgern. „Einen beſonderen Reiz‟, ſagt er, „gewährte es mir, die geſchäftigen Geier, deren Nähe gewöhnlich aus einzeln ab und zu Fliegenden ſchon von weitem erkannt wird, bei ihrer Arbeit zu ſtören. Jch habe mir oft das Vergnügen gemacht, heranzuſchleichen und einen Schuß unter ſie zu thun. Nach allen Seiten ſtiebte der Schwarm

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/618>, abgerufen am 22.11.2024.