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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Urubu. Gallinazo.
aber gewöhnlich wenig anzustrengen, weil es ihnen selten an Fraße fehlt. Jn der Ruhe sitzen sie mit
eingezogenem Halse und gesträubtem Gefieder da; dann machen sie keinen angenehmen Eindruck."
Jhre Sinne sind scharf; doch ist es auch bei ihnen das Auge, welches sie beim Aufsuchen der Beute
leitet. Audubon hat, um zu erkunden, welcher Sinn bei diesen Vögeln am schärfsten ausgebildet
ist, vielfache Versuche gemacht und gefunden, daß die Geier ohne ihr Auge verhungern müßten, weil
die Schärfe des Geruchsinnes kaum der Rede werth ist. Sie suchen und finden ihre Nahrung ganz
in derselben Weise, wie ich es nach meinen eigenen Beobachtungen weiter oben beschrieben habe.

Eine Mahlzeit dieser Geier schildert Burmeister in sehr lebendiger Weise. "Die großen
schwarzen Vögel, welche auch in Brasilien das Aas aus dem Wege räumen müssen, finden sich überall
ein. Wo ein Thier gefallen ist, lassen sich zu zwanzig, dreißig, vierzig und mehr auf das todte
Geschöpf nieder, hacken ihm die Augen aus und warten mit einer Sehnsucht, die unverkennbar in allen
ihren Mienen sich ausdrückt, auf den köstlichen Augenblick, wo die unter den Einwirkungen der Sonne
schnell im Körper gebildeten pestartigen Gase die faulige Bauchdecke sprengen und den duftigen Jnhalt
ihrem leckeren Gaumen darbieten werden. Ein furchtbares Gedränge entsteht, wenn endlich der lang-
ersehnte Augenblick eingetreten ist. Jeder packt ein Stück der hervorquellenden Eingeweide; im Nu
ist das weiche, halb verfaulte Gedärm zerrissen und hinunter geschluckt. Dann sitzen die Geier voll-
gefressen und dicht an einander gedrängt auf dem nächsten hohen Baume, unverwandt nach dem Aase
spähend, bis es soweit faul und erweicht worden ist, um weiter verzehrt werden zu können. Von Zeit
zu Zeit läßt sich ein Gieriger, der beim ersten Jmbiß nicht genug bekommen hat, auf den ausge-
weideten Körper herab, versucht hier und da einzuhauen, zaust an den Wundrändern und bahnt der
um sich greifenden Verwesung einen Weg. Sehen die Andern, daß sein Unternehmen Erfolg hat, so
fliegen sie bald nach, hacken und zerren auf dem Körper herum und verzehren einen Theil nach dem
andern, bis die Knochen vollständig rein und zernagt sind. Jn zwei Tagen sind sie fertig mit dem
Geschäft, und wenn sie Nichts mehr zu finden wissen, so betheiligen sich die Fliegen an der Aus-
führung der Arbeit." Uebrigens ist es durchaus nicht nöthig, daß ein Aas in Fäulniß übergegangen
sein muß, um Geiern eine Mahlzeit zu bieten; sie gehen auch sofort frisches Fleisch an, falls sie sich im
Stande sehen, dasselbe zu zerstückeln. Auch hierüber hat Audubon vielfache Versuche angestellt,
welche ihm hinlängliche Beweise für die Richtigkeit vorstehender Behauptung gegeben haben. Ebenso
gewiß dürfte es fest stehen, daß beide Aasgeier unter Umständen lebende Thiere angreifen und
abwürgen. Schomburgk sagt zwar: "Wenn ein fast vierjähriger Aufenthalt in Südamerika, wo
ich oft stunden-, ja tagelang die Urubus einzeln oder in ganzen Scharen, von einer Menge Eidechsen,
Vögeln umringt, beobachtete, es niemals bestätigt hat, so darf man wohl mit Recht Zweifel in die
Behauptung der Vogelkundigen (daß die Aasgeier lebende Beute angreifen) setzen. Ja selbst wenn
die aufwirbelnden Rauchwolken einer brennenden Savanne Hunderte von andern Raubvögeln
versammeln, um die dem Elemente entfliehenden Eidechsen, Schlangen und kleinen Säugethiere im
Gedankenfluge zu ergreifen, wird man nie den freßgierigsten aller Vögel, den Urubu oder Gallinazo,
unter dieser Räuberschar bemerken. Griffe er wirklich lebende Thiere an, wahrlich die für ihr junges
Federvieh so besorgte Negerin würde ihn nicht so ruhig auf der Umzäunung ihres Hühnerhofes sitzen
lassen; denn bei der Annäherung eines andern Raubvogels gerathen altes und junges Federvieh und
die Schar der Pflegerin augenblicklich in Bewegung und Aufruhr, um den kühnen Räuber durch Lärm
und Geschrei zu verscheuchen." Dagegen bemerkt Audubon: "Gelegenheit, junge lebende
Thiere abzuwürgen, findet der Vogel so häufig in der Umgegend der Pflanzungen, daß es lächerlich
sein würde, sie nicht zu benutzen," und Humboldt erzählt uns Folgendes: "Bei Tage streifen die
Geier an den Ufern umher und kommen mitten in das Lager der Jndianer herein, um Eßbares zu
entwenden. Meist aber bleibt ihnen, um ihren Hunger zu stillen, nichts übrig, als auf dem Lande
oder im seichten Wasser junge, sieben bis acht Zoll lange Krokodile anzugreifen. Es ist merkwürdig
anzusehen, wie schlau sich die kleinen Thiere eine Zeitlang gegen die Geier wehren. Sobald sie einen
ansichtig werden, so richten sie sich auf den Vorderfüßen auf, strecken den Kopf aufwärts und reißen

Urubu. Gallinazo.
aber gewöhnlich wenig anzuſtrengen, weil es ihnen ſelten an Fraße fehlt. Jn der Ruhe ſitzen ſie mit
eingezogenem Halſe und geſträubtem Gefieder da; dann machen ſie keinen angenehmen Eindruck.‟
Jhre Sinne ſind ſcharf; doch iſt es auch bei ihnen das Auge, welches ſie beim Aufſuchen der Beute
leitet. Audubon hat, um zu erkunden, welcher Sinn bei dieſen Vögeln am ſchärfſten ausgebildet
iſt, vielfache Verſuche gemacht und gefunden, daß die Geier ohne ihr Auge verhungern müßten, weil
die Schärfe des Geruchſinnes kaum der Rede werth iſt. Sie ſuchen und finden ihre Nahrung ganz
in derſelben Weiſe, wie ich es nach meinen eigenen Beobachtungen weiter oben beſchrieben habe.

Eine Mahlzeit dieſer Geier ſchildert Burmeiſter in ſehr lebendiger Weiſe. „Die großen
ſchwarzen Vögel, welche auch in Braſilien das Aas aus dem Wege räumen müſſen, finden ſich überall
ein. Wo ein Thier gefallen iſt, laſſen ſich zu zwanzig, dreißig, vierzig und mehr auf das todte
Geſchöpf nieder, hacken ihm die Augen aus und warten mit einer Sehnſucht, die unverkennbar in allen
ihren Mienen ſich ausdrückt, auf den köſtlichen Augenblick, wo die unter den Einwirkungen der Sonne
ſchnell im Körper gebildeten peſtartigen Gaſe die faulige Bauchdecke ſprengen und den duftigen Jnhalt
ihrem leckeren Gaumen darbieten werden. Ein furchtbares Gedränge entſteht, wenn endlich der lang-
erſehnte Augenblick eingetreten iſt. Jeder packt ein Stück der hervorquellenden Eingeweide; im Nu
iſt das weiche, halb verfaulte Gedärm zerriſſen und hinunter geſchluckt. Dann ſitzen die Geier voll-
gefreſſen und dicht an einander gedrängt auf dem nächſten hohen Baume, unverwandt nach dem Aaſe
ſpähend, bis es ſoweit faul und erweicht worden iſt, um weiter verzehrt werden zu können. Von Zeit
zu Zeit läßt ſich ein Gieriger, der beim erſten Jmbiß nicht genug bekommen hat, auf den ausge-
weideten Körper herab, verſucht hier und da einzuhauen, zauſt an den Wundrändern und bahnt der
um ſich greifenden Verweſung einen Weg. Sehen die Andern, daß ſein Unternehmen Erfolg hat, ſo
fliegen ſie bald nach, hacken und zerren auf dem Körper herum und verzehren einen Theil nach dem
andern, bis die Knochen vollſtändig rein und zernagt ſind. Jn zwei Tagen ſind ſie fertig mit dem
Geſchäft, und wenn ſie Nichts mehr zu finden wiſſen, ſo betheiligen ſich die Fliegen an der Aus-
führung der Arbeit.‟ Uebrigens iſt es durchaus nicht nöthig, daß ein Aas in Fäulniß übergegangen
ſein muß, um Geiern eine Mahlzeit zu bieten; ſie gehen auch ſofort friſches Fleiſch an, falls ſie ſich im
Stande ſehen, daſſelbe zu zerſtückeln. Auch hierüber hat Audubon vielfache Verſuche angeſtellt,
welche ihm hinlängliche Beweiſe für die Richtigkeit vorſtehender Behauptung gegeben haben. Ebenſo
gewiß dürfte es feſt ſtehen, daß beide Aasgeier unter Umſtänden lebende Thiere angreifen und
abwürgen. Schomburgk ſagt zwar: „Wenn ein faſt vierjähriger Aufenthalt in Südamerika, wo
ich oft ſtunden-, ja tagelang die Urubus einzeln oder in ganzen Scharen, von einer Menge Eidechſen,
Vögeln umringt, beobachtete, es niemals beſtätigt hat, ſo darf man wohl mit Recht Zweifel in die
Behauptung der Vogelkundigen (daß die Aasgeier lebende Beute angreifen) ſetzen. Ja ſelbſt wenn
die aufwirbelnden Rauchwolken einer brennenden Savanne Hunderte von andern Raubvögeln
verſammeln, um die dem Elemente entfliehenden Eidechſen, Schlangen und kleinen Säugethiere im
Gedankenfluge zu ergreifen, wird man nie den freßgierigſten aller Vögel, den Urubu oder Gallinazo,
unter dieſer Räuberſchar bemerken. Griffe er wirklich lebende Thiere an, wahrlich die für ihr junges
Federvieh ſo beſorgte Negerin würde ihn nicht ſo ruhig auf der Umzäunung ihres Hühnerhofes ſitzen
laſſen; denn bei der Annäherung eines andern Raubvogels gerathen altes und junges Federvieh und
die Schar der Pflegerin augenblicklich in Bewegung und Aufruhr, um den kühnen Räuber durch Lärm
und Geſchrei zu verſcheuchen.‟ Dagegen bemerkt Audubon: „Gelegenheit, junge lebende
Thiere abzuwürgen, findet der Vogel ſo häufig in der Umgegend der Pflanzungen, daß es lächerlich
ſein würde, ſie nicht zu benutzen,‟ und Humboldt erzählt uns Folgendes: „Bei Tage ſtreifen die
Geier an den Ufern umher und kommen mitten in das Lager der Jndianer herein, um Eßbares zu
entwenden. Meiſt aber bleibt ihnen, um ihren Hunger zu ſtillen, nichts übrig, als auf dem Lande
oder im ſeichten Waſſer junge, ſieben bis acht Zoll lange Krokodile anzugreifen. Es iſt merkwürdig
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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/617>, abgerufen am 22.11.2024.