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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Schmuzgeier.
sind lichtgrau, wie bei den Alten. Die Länge des Weibchens beträgt 25 bis 27 Zoll, die Breite 61
bis 63 Zoll, die Fittiglänge 18 Zoll, die Schwanzlänge 91/2 Zoll.

Der Schmuzgeier wird unter den deutschen Vögeln mit aufgezählt, weil er einige Male in
unserm Vaterlande erlegt worden ist. Häufiger kommt er in der Schweiz vor, wie schon der alte
Geßner angibt, und regelmäßig erscheint er in Südfrankreich, so nach Galliard alljährlich in der
Umgegend von Lyon. Jn der Nähe von Genf hat sogar ein Paar gehorstet. Weiter nach Süden
hin tritt er in größerer Menge auf. Jn Spanien ist er ein überall vorkommender, wenn auch nicht
gerade häufiger Vogel; für Griechenland, Süditalien und Südrußland gilt Dasselbe. Jn Griechen-
land scheint er nur Sommervogel zu sein. Er kommt nach Krüper Ende März an und "zieht später
ab, als der Kuckuck", also wohl im September; in Spanien ist es anders: hier bleibt der Schmuzgeier
auch im Winter wohnen. Wir sahen ihn im November und Dezember in Andalusien und im Januar
in der Umgegend Toledos. Jn ganz Afrika, vielleicht nur mit Ausnahme der westlichen Küsten-
länder, und einem großen Theile West- und Südasiens ist er ein entschiedener Standvogel. Von
Mittelegypten an südlich wird er häufig, in Nubien ist er einer der gemeinsten Raubvögel. Das
Gleiche gilt für Südafrika, für Arabien und, nach Jerdon, für Jndien.

Das schmuzige Handwerk, welches dieser Geier betreibt, hat Vorurtheile erzeugt, welche selbst
von unsern tüchtigsten Naturforschern getheilt werden. "Es möchte schwerlich einen Vogel geben",
sagt Naumann, "dessen widerliches Aeußere seinen Sitten und seiner Lebensweise so vollkommen
entspräche, als diesen. Das kahle Gesicht des kleinen Kopfes, der vorstehende nackte Kropf, die lockere
Halsbefiederung, das stets beschmuzte und abgeriebene Gewand nebst den groben Füßen sind nicht
geeignet, einen vortheilhaften Eindruck auf den Beschauer zu machen. Dazu kommt noch, daß dem
lebenden Vogel häufig eine häßliche Feuchtigkeit aus der Nase trieft und der Geier überhaupt einen
Geruch, ähnlich dem unserer Raben ausdünstet, welcher so stark ist, daß ihn selbst der todte Balg nach
Jahren und in einem fast zerstörten Zustande nicht verliert. Er ist ein trauriger und träger Vogel."
Jch bin fest überzeugt, daß unser Naumann anders geurtheilt haben würde, hätte er den Schmuz-
geier so oft wie ich lebend gesehen. Das Handwerk, welches der Vogel betreibt, ist widerlich, nicht er
selbst. Es ist durchaus nicht meine Absicht, ihn zu einem schönen und anmuthigen oder liebens-
würdigen Vogel stempeln zu wollen: eine angenehme Erscheinung aber ist er gewiß. Mir wenigstens
hat er immer weit besser gefallen, als die großen Arten seiner Zunft.

Der Schmuzgeier ist nur in Südeuropa scheu und vorsichtig. Jn ganz Afrika vertraut er dem
Menschen, vorausgesetzt, daß er von der Mordsucht des Europäers noch nicht zu leiden gehabt hat.
Er ist nichts weniger, als ein dummer Vogel; denn er unterscheidet sehr genau zwischen Dem, was
ihm frommt und Dem, was ihm schadet; er weiß sich auch mit einer gewissen List sein tägliches Brod
zu erwerben, oft unter recht schwierigen Umständen. Träge kann man ihn auch nicht nennen; er ist
im Gegentheil sehr viel in Bewegung und gebraucht seine Schwingen oft stundenlang nur des Spieles
halber. Hat er sich freilich satt gefressen, so sitzt auch er lange Zeit auf ein und derselben Stelle in
träumerischer Ruhe verloren, und dann freilich macht er nicht eben einen günstigen Eindruck. Genau
Dasselbe kann man aber auch von den verdauenden Edelfalken sagen. Jm Gehen ähnelt der
Schmuzgeier unserm Kolkraben auf das täuschendste, wie er denn überhaupt mit diesem gar vieles
gemein hat. Jm Fliegen erinnert er, wie Bolle sehr richtig bemerkt, einigermaßen an unsern
Storch, aber auch wieder an den Geieradler, nur daß er weit langsamer und minder zierlich fliegt,
als dieser. Er erhebt sich mit einem Sprunge vom Boden, fördert sich durch einige langsame Flügel-
schläge und streicht dann rasch genug ohne Flügelschlag dahin. Jst das Wetter schön, so erhebt er sich
mehr und mehr und zuweilen der Schätzung nach bis in Luftschichten von 3000 bis 4000 Fuß Höhe
über dem Boden. Zu seinen Ruhesitzen wählt er sich, wenn er es haben kann, Felsen; die Bäume
meidet er so lange als möglich, und in großen Waldungen fehlt er deshalb auch gänzlich. Ebenso
häufig, als auf Felsen, sieht man ihn auf alten Gebäuden fußen, in Nordafrika und Arabien auf den
alten Tempeln, den Moscheen, Grabmälern und den Häusern. Für Jndien gilt genau Dasselbe.

Schmuzgeier.
ſind lichtgrau, wie bei den Alten. Die Länge des Weibchens beträgt 25 bis 27 Zoll, die Breite 61
bis 63 Zoll, die Fittiglänge 18 Zoll, die Schwanzlänge 9½ Zoll.

Der Schmuzgeier wird unter den deutſchen Vögeln mit aufgezählt, weil er einige Male in
unſerm Vaterlande erlegt worden iſt. Häufiger kommt er in der Schweiz vor, wie ſchon der alte
Geßner angibt, und regelmäßig erſcheint er in Südfrankreich, ſo nach Galliard alljährlich in der
Umgegend von Lyon. Jn der Nähe von Genf hat ſogar ein Paar gehorſtet. Weiter nach Süden
hin tritt er in größerer Menge auf. Jn Spanien iſt er ein überall vorkommender, wenn auch nicht
gerade häufiger Vogel; für Griechenland, Süditalien und Südrußland gilt Daſſelbe. Jn Griechen-
land ſcheint er nur Sommervogel zu ſein. Er kommt nach Krüper Ende März an und „zieht ſpäter
ab, als der Kuckuck‟, alſo wohl im September; in Spanien iſt es anders: hier bleibt der Schmuzgeier
auch im Winter wohnen. Wir ſahen ihn im November und Dezember in Andaluſien und im Januar
in der Umgegend Toledos. Jn ganz Afrika, vielleicht nur mit Ausnahme der weſtlichen Küſten-
länder, und einem großen Theile Weſt- und Südaſiens iſt er ein entſchiedener Standvogel. Von
Mittelegypten an ſüdlich wird er häufig, in Nubien iſt er einer der gemeinſten Raubvögel. Das
Gleiche gilt für Südafrika, für Arabien und, nach Jerdon, für Jndien.

Das ſchmuzige Handwerk, welches dieſer Geier betreibt, hat Vorurtheile erzeugt, welche ſelbſt
von unſern tüchtigſten Naturforſchern getheilt werden. „Es möchte ſchwerlich einen Vogel geben‟,
ſagt Naumann, „deſſen widerliches Aeußere ſeinen Sitten und ſeiner Lebensweiſe ſo vollkommen
entſpräche, als dieſen. Das kahle Geſicht des kleinen Kopfes, der vorſtehende nackte Kropf, die lockere
Halsbefiederung, das ſtets beſchmuzte und abgeriebene Gewand nebſt den groben Füßen ſind nicht
geeignet, einen vortheilhaften Eindruck auf den Beſchauer zu machen. Dazu kommt noch, daß dem
lebenden Vogel häufig eine häßliche Feuchtigkeit aus der Naſe trieft und der Geier überhaupt einen
Geruch, ähnlich dem unſerer Raben ausdünſtet, welcher ſo ſtark iſt, daß ihn ſelbſt der todte Balg nach
Jahren und in einem faſt zerſtörten Zuſtande nicht verliert. Er iſt ein trauriger und träger Vogel.‟
Jch bin feſt überzeugt, daß unſer Naumann anders geurtheilt haben würde, hätte er den Schmuz-
geier ſo oft wie ich lebend geſehen. Das Handwerk, welches der Vogel betreibt, iſt widerlich, nicht er
ſelbſt. Es iſt durchaus nicht meine Abſicht, ihn zu einem ſchönen und anmuthigen oder liebens-
würdigen Vogel ſtempeln zu wollen: eine angenehme Erſcheinung aber iſt er gewiß. Mir wenigſtens
hat er immer weit beſſer gefallen, als die großen Arten ſeiner Zunft.

Der Schmuzgeier iſt nur in Südeuropa ſcheu und vorſichtig. Jn ganz Afrika vertraut er dem
Menſchen, vorausgeſetzt, daß er von der Mordſucht des Europäers noch nicht zu leiden gehabt hat.
Er iſt nichts weniger, als ein dummer Vogel; denn er unterſcheidet ſehr genau zwiſchen Dem, was
ihm frommt und Dem, was ihm ſchadet; er weiß ſich auch mit einer gewiſſen Liſt ſein tägliches Brod
zu erwerben, oft unter recht ſchwierigen Umſtänden. Träge kann man ihn auch nicht nennen; er iſt
im Gegentheil ſehr viel in Bewegung und gebraucht ſeine Schwingen oft ſtundenlang nur des Spieles
halber. Hat er ſich freilich ſatt gefreſſen, ſo ſitzt auch er lange Zeit auf ein und derſelben Stelle in
träumeriſcher Ruhe verloren, und dann freilich macht er nicht eben einen günſtigen Eindruck. Genau
Daſſelbe kann man aber auch von den verdauenden Edelfalken ſagen. Jm Gehen ähnelt der
Schmuzgeier unſerm Kolkraben auf das täuſchendſte, wie er denn überhaupt mit dieſem gar vieles
gemein hat. Jm Fliegen erinnert er, wie Bolle ſehr richtig bemerkt, einigermaßen an unſern
Storch, aber auch wieder an den Geieradler, nur daß er weit langſamer und minder zierlich fliegt,
als dieſer. Er erhebt ſich mit einem Sprunge vom Boden, fördert ſich durch einige langſame Flügel-
ſchläge und ſtreicht dann raſch genug ohne Flügelſchlag dahin. Jſt das Wetter ſchön, ſo erhebt er ſich
mehr und mehr und zuweilen der Schätzung nach bis in Luftſchichten von 3000 bis 4000 Fuß Höhe
über dem Boden. Zu ſeinen Ruheſitzen wählt er ſich, wenn er es haben kann, Felſen; die Bäume
meidet er ſo lange als möglich, und in großen Waldungen fehlt er deshalb auch gänzlich. Ebenſo
häufig, als auf Felſen, ſieht man ihn auf alten Gebäuden fußen, in Nordafrika und Arabien auf den
alten Tempeln, den Moſcheen, Grabmälern und den Häuſern. Für Jndien gilt genau Daſſelbe.

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[575/0609] Schmuzgeier. ſind lichtgrau, wie bei den Alten. Die Länge des Weibchens beträgt 25 bis 27 Zoll, die Breite 61 bis 63 Zoll, die Fittiglänge 18 Zoll, die Schwanzlänge 9½ Zoll. Der Schmuzgeier wird unter den deutſchen Vögeln mit aufgezählt, weil er einige Male in unſerm Vaterlande erlegt worden iſt. Häufiger kommt er in der Schweiz vor, wie ſchon der alte Geßner angibt, und regelmäßig erſcheint er in Südfrankreich, ſo nach Galliard alljährlich in der Umgegend von Lyon. Jn der Nähe von Genf hat ſogar ein Paar gehorſtet. Weiter nach Süden hin tritt er in größerer Menge auf. Jn Spanien iſt er ein überall vorkommender, wenn auch nicht gerade häufiger Vogel; für Griechenland, Süditalien und Südrußland gilt Daſſelbe. Jn Griechen- land ſcheint er nur Sommervogel zu ſein. Er kommt nach Krüper Ende März an und „zieht ſpäter ab, als der Kuckuck‟, alſo wohl im September; in Spanien iſt es anders: hier bleibt der Schmuzgeier auch im Winter wohnen. Wir ſahen ihn im November und Dezember in Andaluſien und im Januar in der Umgegend Toledos. Jn ganz Afrika, vielleicht nur mit Ausnahme der weſtlichen Küſten- länder, und einem großen Theile Weſt- und Südaſiens iſt er ein entſchiedener Standvogel. Von Mittelegypten an ſüdlich wird er häufig, in Nubien iſt er einer der gemeinſten Raubvögel. Das Gleiche gilt für Südafrika, für Arabien und, nach Jerdon, für Jndien. Das ſchmuzige Handwerk, welches dieſer Geier betreibt, hat Vorurtheile erzeugt, welche ſelbſt von unſern tüchtigſten Naturforſchern getheilt werden. „Es möchte ſchwerlich einen Vogel geben‟, ſagt Naumann, „deſſen widerliches Aeußere ſeinen Sitten und ſeiner Lebensweiſe ſo vollkommen entſpräche, als dieſen. Das kahle Geſicht des kleinen Kopfes, der vorſtehende nackte Kropf, die lockere Halsbefiederung, das ſtets beſchmuzte und abgeriebene Gewand nebſt den groben Füßen ſind nicht geeignet, einen vortheilhaften Eindruck auf den Beſchauer zu machen. Dazu kommt noch, daß dem lebenden Vogel häufig eine häßliche Feuchtigkeit aus der Naſe trieft und der Geier überhaupt einen Geruch, ähnlich dem unſerer Raben ausdünſtet, welcher ſo ſtark iſt, daß ihn ſelbſt der todte Balg nach Jahren und in einem faſt zerſtörten Zuſtande nicht verliert. Er iſt ein trauriger und träger Vogel.‟ Jch bin feſt überzeugt, daß unſer Naumann anders geurtheilt haben würde, hätte er den Schmuz- geier ſo oft wie ich lebend geſehen. Das Handwerk, welches der Vogel betreibt, iſt widerlich, nicht er ſelbſt. Es iſt durchaus nicht meine Abſicht, ihn zu einem ſchönen und anmuthigen oder liebens- würdigen Vogel ſtempeln zu wollen: eine angenehme Erſcheinung aber iſt er gewiß. Mir wenigſtens hat er immer weit beſſer gefallen, als die großen Arten ſeiner Zunft. Der Schmuzgeier iſt nur in Südeuropa ſcheu und vorſichtig. Jn ganz Afrika vertraut er dem Menſchen, vorausgeſetzt, daß er von der Mordſucht des Europäers noch nicht zu leiden gehabt hat. Er iſt nichts weniger, als ein dummer Vogel; denn er unterſcheidet ſehr genau zwiſchen Dem, was ihm frommt und Dem, was ihm ſchadet; er weiß ſich auch mit einer gewiſſen Liſt ſein tägliches Brod zu erwerben, oft unter recht ſchwierigen Umſtänden. Träge kann man ihn auch nicht nennen; er iſt im Gegentheil ſehr viel in Bewegung und gebraucht ſeine Schwingen oft ſtundenlang nur des Spieles halber. Hat er ſich freilich ſatt gefreſſen, ſo ſitzt auch er lange Zeit auf ein und derſelben Stelle in träumeriſcher Ruhe verloren, und dann freilich macht er nicht eben einen günſtigen Eindruck. Genau Daſſelbe kann man aber auch von den verdauenden Edelfalken ſagen. Jm Gehen ähnelt der Schmuzgeier unſerm Kolkraben auf das täuſchendſte, wie er denn überhaupt mit dieſem gar vieles gemein hat. Jm Fliegen erinnert er, wie Bolle ſehr richtig bemerkt, einigermaßen an unſern Storch, aber auch wieder an den Geieradler, nur daß er weit langſamer und minder zierlich fliegt, als dieſer. Er erhebt ſich mit einem Sprunge vom Boden, fördert ſich durch einige langſame Flügel- ſchläge und ſtreicht dann raſch genug ohne Flügelſchlag dahin. Jſt das Wetter ſchön, ſo erhebt er ſich mehr und mehr und zuweilen der Schätzung nach bis in Luftſchichten von 3000 bis 4000 Fuß Höhe über dem Boden. Zu ſeinen Ruheſitzen wählt er ſich, wenn er es haben kann, Felſen; die Bäume meidet er ſo lange als möglich, und in großen Waldungen fehlt er deshalb auch gänzlich. Ebenſo häufig, als auf Felſen, ſieht man ihn auf alten Gebäuden fußen, in Nordafrika und Arabien auf den alten Tempeln, den Moſcheen, Grabmälern und den Häuſern. Für Jndien gilt genau Daſſelbe.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 575. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/609>, abgerufen am 22.11.2024.